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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Anrechnung von Berufsschulzeiten - Erwachsene
Anrechnung von Berufsschulzeiten - Erwachsene
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Der Berufsschulbesuch Erwachsener warf lange Zeit in puncto Anrechnung auf die Ausbildungszeit ein besonderes Problem auf: Die für Jugendliche maßgeblichen Anrechnungsbestimmungen des § 9 Abs. 2 JArbSchG galten für sie nicht (s. dazu das Stichwort Anrechnung von Berufsschulzeiten - Jugendliche). Das BBiG ließ Ausbildende hier früher ebenfalls im Stich - und so lag vieles im Argen. Bis zum 01.01.2020 - ab da schlug das "Gesetz zur Modernisierung und Stärkung der beruflichen Bildung" (BGBl. I 2019, S. 2522 ff.) mit einer nun in § 15 BBiG verankerten Anrechnungsregelung für erwachsene BBiG-Auszubildende durch.
Praxistipp:
Unter jugendlichen und erwachsenen Auszubildenden kommt im Betrieb schnell Missstimmung auf, wenn der Schulbesuch erwachsener Auszubildender auf eine andere Höchstausbildungs/arbeits/zeit angerechnet wird als der minderjähriger Auszubildender. Um das zu vermeiden, sollten sich Ausbilder möglicherweise einheitlich an den JArbSchG-Regeln und der 40-Stunden-Woche ausrichten (s. dazu Gliederungspunkt 3.)
Während das JArbSchG für Jugendliche die 40-Stunden-Woche als gesetzliche Höchstarbeits/ausbildungs/zeit vorsieht, lässt das ArbZG in § 3 Satz 1 für Erwachsene die 48-Stunden-Woche als Maximum zu. Wer sich als Ausbilder bei den erwachsenen Auszubildenden an dieser Marke orientiert, wird häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, er verstoße gegen das Gleichbehandlungsgebot. Was die Kritiker dabei immer wieder vergessen: erwachsene und jugendliche Auszubildende sind halt nicht gleich. Ausbilder sind deshalb allein wegen des Alters (jugendlich = unter 18, erwachsen = 18 und älter) nicht verpflichtet, ihre Auszubildenden gleichzubehandeln. Trotzdem sollte man bei der Lösung des Anrechnungsproblems auf einen vernünftigen Mittelweg setzen.
2. Die Anrechnung nach § 15 Abs. 2 BBiG
Die Freistellung aller BBiG-Auszubildenden ist seit dem 01.01.2020 einheitlich in § 15 Abs. 1 BBiG geregelt - wobei für Auszubildende unter 18 Jahren immer noch das JArbSchG Vorrang hat (§ 15 Abs. 3 BBiG). Die einzelnen Freistellungstatbestände des § 15 Abs. 1 BBiG werden im Stichwort Auszubildende - Freistellung vorgestellt.
Die Anrechnungder Freistellungszeiten gibt § 15 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 5 BBiG vor. Danach werden auf die Ausbildungszeit der Auszubildenden angerechnet:
"die Berufsschulunterrichtszeit einschließlich der Pausen nach [§ 15] Absatz 1 Satz 2 Nummer 1" BBiG
"Berufsschultage nach [§ 15] Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 [BBiG] mit der durchschnittlichen täglichen Ausbildungszeit"
"Berufsschulwochen nach [§ 15] Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 [BBiG] mit der durchschnittlichen wöchentlichen Ausbildungszeit"
"die Freistellung nach [§ 15] Absatz 1 Satz 2 Nummer 4 [BBiG] mit der Zeit der Teilnahme einschließlich der Pausen"
"die Freistellung nach [§ 15] Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 [BBiG] mit der durchschnittlichen Ausbildungszeit"
§ 15 Abs. 1 BBiG sagt nicht, was "Ausbildungszeit" ist. So bleibt auch nach der BBiG-Reform die Frage, auf welche Ausbildungszeit anzurechnen ist, offen. Während für Jugendliche die gesetzliche Höchstarbeits/ausbildungs/zeit mit 40 Wochenstunden festgeschrieben ist, gibt es eine vergleichbare Regelung für erwachsene BBiG-Auszubildende nicht. Für sie gilt die wöchentliche Höchstarbeits/ausbildungs/zeit nach § 3 Satz 1 ArbZG: 48 Wochenstunden.
Unterrichtszeit ist natürlich keine "echte" Arbeitszeit. Es wird nur "angerechnet". Und zu den anrechenbaren Zeiten gehören u.a.
Freistunden in der Zeit von Schulbeginn bis Schulende,
Pausen,
Unterrichtszeit und
Wegezeiten zwischen Berufsschule und Ausbildungsbetrieb
Grundsätzlich bieten sich als Obergrenze für die anzurechnende Freistellung auf die Ausbildungszeit erwachsener Auszubildender drei Möglichkeiten an:
die kollektiv- oder individualvertraglich vereinbarte Ausbildungs-/Arbeitszeit ist das Limit,
die 40-Stunden-Woche des § 8 JArbSchG wird analog angewandt oder
die 48 Stunden aus § 3 Satz 1 ArbZG sind die Deadline.
Das BAG vertritt zur tariflichen Arbeitszeit die Auffassung: "1. Nach § 7 Satz 1 BBiG [a.F. - heute: § 15 Abs. 1 Satz 2 BBiG] ist der Auszubildende für die Teilnahme am Berufsschulunterricht und an Prüfungen freizustellen. Gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 BBiG [a.F. - heute: § 19 Abs. 1 Nr. 1 BBiG] ist die Vergütung dem Auszubildenden auch für die Zeit der Freistellung fortzuzahlen. Hieraus folgt bei Überschneidungen von Zeiten des Besuchs der Berufsschule und betrieblicher Ausbildung, dass der Besuch des Berufsschulunterrichts der betrieblichen Ausbildung vorgeht. Diese bedeutet zugleich die Ersetzung der Ausbildungspflicht, so dass eine Nachholung der so ausfallenden betrieblichen Ausbildungszeit von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist. 2. Seit dem Außerkrafttreten von § 9 Abs. 4 JArbSchG zum 1. März 1997 fehlt es an einer Anrechnungsregelung, so dass die Summe der Berufsschulzeiten und der betrieblichen Ausbildungszeiten kalenderwöchentlich größer als die regelmäßige tarifliche wöchentliche Ausbildungszeit sein kann" (BAG, 26.03.2001 - 5 AZR 413/99 - Leitsätze 1. und 2.).
3. Der Lösungsvorschlag für die Praxis
Fragt man die Auszubildenden nach der für sie maßgeblichen Höchstausbildungszeit, werden sie sich meistens für die kürzere tarifliche Regelarbeits/ausbildungs/zeit entscheiden. Die Wahl der verkürzten tariflichen Regelarbeitszeit als Berechnungsgrundlage für die Ausbildungszeit aller Auszubildenden ist aus Arbeitgebersicht jedoch nachteilig. Der vollen Ausbildungsvergütung steht dann eine reduzierte effektive Ausbildungszeit gegenüber.
Auf der anderen Seite wird man den erwachsenen Auszubildenden, die gerade 18 Jahre oder etwas älter sind, kaum vermitteln können, warum ihre effektive Ausbildungszeit von den 48 Stunden des § 3 Satz 1 ArbZG heruntergerechnet wird. Hinzu kommt, dass die verbleibende Restausbildungszeit in vielen Wirtschaftszweigen sowieso nicht mehr "abgearbeitet" werden kann, weil die kurzen betriebsüblichen Arbeitszeiten den Einsatz gar nicht mehr zulassen.
Beispiel:
Die tarifliche Arbeitszeit in Arbeitgeber A's Betrieb beträgt 35 Stunden, die durchschnittliche tägliche Ausbildungszeit sieben Stunden in der 5-Tage-Woche. Auszubildender B1 ist 17 Jahre alt, Auszubildender B2 19. Würde man bei beiden die Berufsschulzeit auf die tarifliche Arbeitszeit anrechnen, würde ein Berufsschultag vielleicht mit 4,5 Stunden Berufsschulunterrichtszeit und ein langer Berufsschultag nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BBiG bzw. § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 JArbSchG mit sieben Stunden durchschnittlicher Ausbildungszeit zählen, sodass für die betriebliche Ausbildung noch (35 - 4,5 - 7 =) 23,5 Stunden betriebliche Ausbildungszeit bei B1 und B2 zur Verfügung stünden. Rechnet man die Zeit, in der A den B2 effektiv für den Schulbesuch von der betrieblichen Ausbildungszeit freistellen muss, von der 48-Stunden-Grenze herunter, stünden noch (48 - 4,5 - 7 =) 36,5 Stunden für die betriebliche Ausbildung zu Verfügung - die A wegen der effektiven tariflichen Wochenarbeitszeit von 35 Stunden gar nicht mehr voll abrufen könnte. Bei B1 wären es von der 40-Stunden-Woche ausgehend noch 28,5 Stunden.
Eine sinnvolle und für beide Seiten akzeptable Lösung liegt zwischen den Extremen: Als Berechnungsgrundlage wird für alle Auszubildenden die 40-Stunden-Woche aus § 8 JArbSchG angesetzt, die Ermittlung der verbleibenden betrieblichen Ausbildungszeit erfolgt dann einheitlich unter Berücksichtigung der Anrechnungsregeln in § 15 Abs. 2 BBiG bzw. § 9 Abs. 2 JArbSchG.
Beispiel:
Nimmt A aus dem vorausgehenden Beispiel bei B1 die 40-Stunden-Woche als Anrechnungsbasis, stehen für dessen betriebliche Ausbildung (40 - 4,5 - 7=) 28,5 Stunden zur Verfügung. Geht man auch bei B2 von der 40-Stunden-Woche aus, verbleiben ebenfalls (40 - 4,5 - 7 =) 28,5 Stunden.
Mit der 40-Stunden-Woche als einheitlicher Berechnungsbasis werden sowohl die Interessen der Auszubildenden als auch die der Ausbilder angemessen berücksichtigt.
4. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema Anrechnung von Berufsschulzeiten Erwachsener Auszubildender in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet vorgestellt:
4.1 Anspruchsgrundlage
Mit Wegfall des § 9 Abs. 4 JArbSchG a.F. - der die Anwendung der Regelungen aus § 9 Abs. 2 JArbSchG auch für erwachsene Berufsschulpflichtige vorsah - gibt es für erwachsene Auszubildende keine gesetzliche Regelung über die Anrechnung ihrer Berufsschulzeiten mehr. § 9 Abs 2 Nr. 2 JArbSchG findet nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 JArbSchG in Verbindung mit § 2 Abs. 2 JArbSchG nur bei jugendlichen Auszubildenden unter 18 Anwendung. Daher kann für erwachsene Auszubildende die Summe der Berufsschulzeiten und der betrieblichen Ausbildungszeiten in der Kalenderwoche durchaus größer als die regelmäßige tarifliche Wochenarbeitszeit sein (BAG, 13.02.2003 - 6 AZR 537/01).
4.2 Berechnungsgröße
Bereits nach § 9 Abs. 4 JArbSchG a.F. war die Arbeitszeitvorschrift in § 8 Abs. 1 JArbSchG - täglich nicht mehr als acht Stunden, wöchentlich nicht mehr als 40 Stunden - nicht für erwachsene Auszubildende anwendbar. Deswegen gelten für erwachsene Auszubildende andere Arbeitszeitvorschriften, insbesondere die "Arbeitszeitordnung" (heute: Arbeitszeitgesetz). Auch aus § 9 Abs. 4 JArbSchG a.F. hat sich nicht ergeben, "dass im Allgemeinen oder auch nur für die erwachsenen Berufsschulpflichtigen auf die tarifliche Arbeitszeit abzustellen sei" (BAG, 27.05.1992 - 5 AZR 252/91).