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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Kündigung - personenbedingt: Weiterbeschäftigung
Kündigung - personenbedingt: Weiterbeschäftigung
Inhaltsübersicht
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1. Allgemeines
Der Arbeitgeber darf nicht immer gleich kündigen, wenn Leistungsstörungen in der Person eines Mitarbeiters auftreten. Die Kündigung, so folgt es aus dem Ultima-Ratio-Prinzip, ist immer das letzte Mittel, um in einem Arbeitsverhältnis etwas zu bewegen. Das führt dann im Ergebnis dazu, dass sich der Arbeitgeber vor seiner Kündigung darüber Gedanken machen muss, ob nicht irgendwie eine Weiterbeschäftigung des betroffenen Mitarbeiters möglich ist.
Praxistipp:
Viele Arbeitgeber denken vor einer Kündigung überhaupt nicht an ihre Pflicht, die Kündigung durch Einsatz milderer Mittel zu vermeiden. Sie sehen nur, dass in der Person eines Arbeitnehmers etwas vorliegt, auf das reagiert werden muss. Und dann passiert es eben, dass die Kündigung etwas voreilig erfolgt. Im Kündigungsschutzprozess wird der Arbeitnehmer folgerichtig behaupten, er hätte auf einem anderen Arbeitsplatz, auf dem sich seine persönlichen Mängel oder Schwächen nicht oder nicht erheblich auswirken würden, weiterbeschäftigt werden können. Und damit hat der Arbeitgeber ein ernstes Problem: Er läuft Gefahr, den Arbeitsgerichtsprozess zu verlieren.
Liegt eine Leistungsstörung in der Person des Mitarbeiters vor, scheidet eine Weiterbeschäftigung auf demselben Arbeitsplatz regelmäßig aus. Wäre das noch möglich, würde es ja keine Leistungsstörung und keine erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen geben. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist daher in der Regel nicht ohne Änderung der Arbeitsbedingungen möglich. Das kann - je nach Fall - per Direktionsrecht, Änderungsvertrag oder Änderungskündigung geschehen. In mitbestimmten Betrieben gibt es sogar einen betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch auf Weiterbeschäftigung, der in § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG geregelt ist.
2. Vorrang milderer Mittel
Das KSchG-Kündigungsrecht wird vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und vom Ultima-Ratio-Prinzip beherrscht. So lange noch ein anderes Mittel als eine Kündigung in Frage kommt, ist es dem Arbeitgeber regelmäßig verwehrt, das Arbeitsverhältnis eines Mitarbeiters zu beenden. Hat er die Möglichkeit, den Mitarbeiter, in dessen Person die Leistungsstörung eingetreten ist, auf einem freien Arbeitsplatz, wo die Störungen
entweder gar nicht
oder nur unbedeutend
in Erscheinung treten, weiter zu beschäftigen, muss er das tun.
Beispiel:
Mitarbeiterin M ist im Servicebereich einer Bank eingesetzt und hat von morgens bis abends Kundenkontakt. Im Lauf der Zeit stellt sich bei ihr eine tief greifende Depression ein. M hat nicht mehr den Mut, auf Menschen zuzugehen. Arbeitgeber A kann jetzt - je nach Gesundheitsprognose - daran denken, M's Arbeitsverhältnis zu beenden. Hat A die Möglichkeit, M an der Peripherie mit vertragsgemäßen Aufgaben zu beschäftigen, schließt das eine Kündigung aus.
Der Einsatz milderer Mittel und die Weiterbeschäftigung sind aber nicht auf Biegen und Brechen durchzuführen. Sie müssen
subjektiv zumutbar und
objektiv machbar
sein. Ist ein Arbeitnehmer physisch und psychisch nicht in der Lage, geänderten Anforderungen auf einem neuen Arbeitsplatz zu entsprechen, braucht der Arbeitgeber keine Weiterbeschäftigung zu versuchen.
3. Änderung von Arbeitsbedingungen
Die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers, in dessen Person eine Leistungsstörung eingetreten ist, wird kaum ohne Änderung der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsvertrags möglich sein:
- (1)
Direktionsrecht: Hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, sein Direktionsrecht zu nutzen, kann er dem Arbeitnehmer einseitig eine neue Tätigkeit zuweisen. Würde er mit Zuweisung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit allerdings in vertragliche Abmachungen eingreifen, kann er sein Direktionsrecht nicht nutzen. In diesem Fall muss er auf eine der beiden nächsten Möglichkeiten zurückgreifen.
- (2)
Änderungsvertrag: Ist die einseitige Änderung von Arbeitsbedingungen nicht via Direktionsrecht möglich, kann der Arbeitgeber versuchen, mit dem Arbeitnehmer einen Änderungsvertrag zu schließen und eine einvernehmliche Lösung zu finden. Das wird umso einfacher gelingen, als der Arbeitnehmer tatsächlich ein Interesse an seiner Weiterbeschäftigung hat. Verschließt sich der Arbeitnehmer einer einvernehmlichen Änderung seiner Arbeitsbedingungen, kommt nur noch Schritt 3 in Frage:
- (3)
Änderungskündigung: Kann der Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung weder über sein Direktionsrecht noch über eine Vertragsänderung sichern, bleibt ihm - gewissermaßen als letzten Ausweg - nur noch die Änderungskündigung: die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Angebot, es zu anderen Bedingungen fortzusetzen. Der Mitarbeiter kann sie mit oder ohne Vorbehalt annehmen oder sie ablehnen. Lehnt er sie ab, wird das Arbeitsverhältnis beendet (mehr dazu im Stichwort Kündigung - personenbedingt: Änderungskündigung).
Beispiel:
Arbeitnehmer N arbeitet seit Jahren als Sachbearbeiter in der Filiale seines Arbeitgebers A in X-Stadt. N's Vorgesetzter V führt trotz aller Fortbildung in Sachen Personalmanagement in "hartes Regiment". N kommt mit dessen Führungsstil einfach nicht klar und fühlt sich laufend von V "gebosst" Ändere Mitarbeiter haben mit V keine Probleme, N macht er jedoch regelrecht krank. A überlegt, was er tun kann. In X-Stadt hat er keinen Arbeitplatz für N. In der Filiale Y-Stadt gibt es eine Stelle, die N von heute auf morgen antreten könnte. Da X-Stadt der vertraglich geschuldete Arbeitsort ist, kann A den N nicht einfach via Direktionsrecht dorthin versetzen. Einen einvernehmlichen Austausch des Arbeitsortes lehnt N trotz des Leidensdrucks ab. A bleibt hier nur die Möglichkeit, gegenüber N eine Änderungskündigung auszusprechen.
Macht der Arbeitnehmer bereits im Vorfeld eine Änderungskündigung unmissverständlich deutlich, dass er eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen unter keinen Umständen akzeptieren wird, ist der Arbeitgeber berechtigt, gleich eine Beendigungskündigung auszusprechen. Wollte man den Arbeitgeber bei einer klaren und eindeutigen Ablehnung des Arbeitnehmers noch verpflichten, an Stelle der Beendigungskündigung als milderes Mittel eine Änderungskündigung auszusprechen, wäre das blanker Formalismus.
4. KSchG-Weiterbeschäftigungspflicht mit BetrVG-Bezug
§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sagt, welche Kündigungen sozial ungerechtfertigt sind. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG schließt an:
"Die Kündigung ist auch dann sozial ungerechtfertigt, wenn
in Betrieben des privaten Rechts
a)die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweiges an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, dass die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen aufrechterhalten hat."
§ 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG gilt nach § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren
Umschulungs- oder
Fortbildungsmaßnahmen oder
eine Weiterbeschäftigung unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt (mehr zum Thema Weiterbeschäftigung - auch zur Frage, welcher Arbeitsplatz als frei anzusehen ist - in den Stichwörtern Kündigung - betriebsbedingt: Weiterbeschäftigungsanspruch; Kündigung - betriebsbedingt: Weiterbeschäftigungsmöglichkeit; Weiterbeschäftigung).
5. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der wichtigsten Entscheidungen zum Thema personenbedingte Kündigung und Weiterbeschäftigung nach Stichwörtern geordnet in alphabetischer Reihenfolge hinterlegt:
5.1 Annahmeverzug
Kann der Arbeitgeber einem erkrankten Mitarbeiter eine leidensgerechte und vertragsgemäße Arbeit zuweisen, unterlässt er das aber, steht das trotz eingeschränkter Leistungsfähigkeit des Mitarbeiters dem Annahmeverzug des Arbeitgebers nicht entgegen. Nur dann, wenn der Mitarbeiter bloß noch Arbeiten ausüben kann, die der Arbeitgeber ihm nicht via Direktionsrecht zuweisen darf, kommt er nicht in Annahmeverzug, wenn er die Übertragung dieser Arbeiten unterlässt. Dabei ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, zur Vermeidung von Annahmeverzug eine Vertragsänderung vorzunehmen (BAG, 13.08.2009 - 6 AZR 330/08).
5.2 Bestandteil des Kündigungsgrunds
Kann ein Arbeitnehmer seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit auf Dauer oder zumindest auf unabsehbare Zeit nicht mehr ausüben, ist eigentlich der Weg für eine personenbedingte Kündigung geöffnet. Der Arbeitgeber muss aber prüfen, ob er den Mitarbeiter auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz - der entweder frei ist oder über das Direktionsrecht frei gemacht werden kann - weiter beschäftigen kann. Dabei umfasst der Kündigungsgrund nicht nur die Unmöglichkeit der Beschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz, sondern auch das Fehlen einer leidensgerechten Beschäftigungsmöglichkeit (LAG Hamm, 05.11.1998 - 8 Sa 1159/98).
5.3 Betriebliches Eingliederungsmanagement
Hat der Arbeitgeber entgegen § 84 Abs. 2 SGB IX kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt, kann er sich nicht einfach darauf berufen, für den kranken Mitarbeiter keine Arbeit mehr zu haben. Hier muss er umfassend und konkret vortragen, warum auf dem bisherigen Arbeitsplatz kein Arbeitseinsatz mehr möglich ist und warum "andererseits eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung ausgeschlossen ist oder der Arbeitnehmer nicht auf einem (alternativen) anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden könnte" (BAG, 23.04.2008 - 2 AZR 1012/06).
5.4 Umsetzungsmöglichkeit
Eine personenbedingte Kündigung ist unverhältnismäßig und unwirksam, wenn sie durch mildere Mittel vermieden werden kann. Vermieden werden kann eine personenbedingte Kündigung, wenn sie zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist. Als milderes Mittel kommt insbesondere eine anderweitige Beschäftigung in Betracht. Besteht eine Umsetzungsmöglichkeit, hat die Krankheit keine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zur Folge mit dem Ergebnis, dass die personenbedingte Kündigung sozial ungerechtfertigt ist (BAG, 10.06.2010 - 2 AZR 1020/08).
5.5 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
"Bestehen für den Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz mehrere Möglichkeiten der Weiterbeschäftigung, ohne dass berufliche und wirtschaftliche Umstände und die sozialen Belange anderer Arbeitnehmer entgegenstünden, so fordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Arbeitsplatz anbietet, der seine Interessen am wenigsten beeinträchtigt und mit der geringsten Abweichung von den bisherigen Arbeitsbedingungen verbunden ist" (BAG, 10.05.2007 - 2 AZR 4/06).
5.6 Wiedereinstellungsanspruch
Zwar für eine betriebsbedingte Kündigung entschieden, aber durchaus verallgemeinerungsfähig: Ein Wiedereinstellungsanspruch kommt nur in Betracht, wenn sich die der Kündigung zu Grunde liegende Vorstellung des Arbeitgebers über die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer im Nachhinein als unzutreffend herausstellt. "Dazu muss sich zwischen dem Ausspruch der Kündigung und dem Ablauf der Kündigungsfrist unvorhergesehen eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ergeben." Tut sie sich erst später auf, kommt nur ganz ausnahmsweise ein Wiedereinstellungsanspruch in Betracht (BAG, 21.08.2008 - 8 AZR 201/07).
Siehe auch
Direktionsrecht - Inhalt
Kündigung - personenbedingt: Allgemeines
Kündigung - personenbedingt: besonderer Kündigungsschutz
Kündigungsschutz - Allgemeines
Weiterbeschäftigung