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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Betriebsnachfolge
Betriebsnachfolge
Inhaltsübersicht
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Information
Der Übergang eines Betriebs von seinem bisherigen Inhaber auf einen neuen wird als Betriebsnachfolge bezeichnet. Die sichtbarste Änderung bei einer Betriebsnachfolge ist der Austausch der verantwortlichen Rechtsträger. Das sind je nach Fallgestaltung einzelne oder mehrere natürliche oder juristische Personen oder Personengesamtheiten. Sie können den Betriebsübergang rechtsgeschäftlich vereinbaren: Singularsukzession oder Einzelrechtsnachfolge. Es gibt aber auch Fälle, in denen der Inhaberwechsel per Gesetz als Gesamtrechtsnachfolge - Universalsukzession - erfolgt (z.B. beim Erbfall nach § 1922 BGB, wo das Vermögen einer Person mit ihrem Tod als Ganzes auf den oder die Erben übergeht - und keine einzelnen Übertragungsakte erforderlich sind).
1. Einzelrechtsnachfolge
Der rechtsgeschäftliche Erwerb eines Betriebs wird als Einzelrechtsnachfolge bezeichnet. Sie setzt voraus, dass
ein Betrieb oder Betriebsteil
durch Rechtsgeschäft
vom alten Inhaber auf einen neuen Inhaber übergeht und
das Betriebsvermögen, d.h. die immateriellen und materiellen Werte, dabei durch besondere Übertragungsakte vom Übergeber auf den Übernehmer wechselt.
Der rechtsgeschäftliche Betriebsübergang und seine arbeitsrechtlichen Folgen sind in § 613a BGB geregelt (s. dazu Betriebsübergang - Einzelfälle und die übrigen Stichwörter zum Thema Betriebsübergang). Wichtig bei der Einzelrechtsnachfolge ist, dass der Betrieb durch Rechtsgeschäft(e) übergeht.
Beispiele:
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Existenzgründer E möchte sich selbstständig machen. Handwerksmeister M gibt ihm die Chance, seinen Betrieb zunächst auf drei Jahre befristet zu pachten.
- (2)
Lebensmittelhändler A ist Einzelkaufmann. Er hat das gewisse Alter erreicht, in dem man sich zur Ruhe setzt. A "überschreibt" sein Geschäft auf seinen Sohn S. S zahlt A dafür eine monatliche Rente als Altersversorgung.
- (3)
Die B GmbH betreibt mehrere Kinos in einer deutschen Großstadt mit fast einhundert Mitarbeitern. Der Konkurrenzdruck wird immer härter. Die B GmbH veräußert ihren Kinobetrieb an die bundesweit operierende Cinemagique AG. Sie führt die Kinos der B GmbH unter eigenem Namen weiter.
Der Begriff Einzelrechtsnachfolge ist insoweit irreführend, als - um es einmal bildlich zu verdeutlichen - nicht wirklich jede Schraube und jeder Stein des Betriebs gesondert durch einen einzelnen Akt übertragen werden müssen. Diese Annahme wäre lebensfremd. Charakteristisch ist allerdings, dass sämtliche Einzelteile einer Vermögensmasse jeweils einzeln - d.h. im Ergebnis natürlich alle zusammen - vom abgebenden auf den aufnehmenden Rechtsträger übertragen werden. Der Rechtsnachfolger erwirbt einzelne Vermögensgegenstände, nicht - wie beispielsweise beim Erbfall nach § 1922 BGB - das Vermögen auf einen Streich als Ganzes.
Die Frage, ob ein rechtsgeschäftlicher Betriebsübergang vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls. Wegen der Voraussetzungen eines Betriebsübergangs und seiner Rechtsfolgen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird auch hier auf die Stichwörter Betriebsübergang - Begriffsbestimmungen, Betriebsübergang - Einzelfälle und Betriebsübergang - Arbeitgeberhaftung und die anderen Stichwörter zum Betriebsübergang verwiesen.
2. Gesamtrechtsnachfolge
Während sich die Einzelrechtsnachfolge durch verschiedene Übertragungsakte auszeichnet, geht der Betrieb bei der Gesamtrechtsnachfolge kraft Gesetzes als Ganzes auf den neuen Inhaber über.
Beispiel:
In Ziffer (2) des Beispiels unter 1. hat Einzelkaufmann A seinen Betrieb durch eine Nachfolgeregelung auf seinen Sohn S übertragen. S ist in Folge der vertraglichen Absprachen an die Stelle seines ausgeschiedenen Vaters getreten. Wäre E gestorben und S sein einziger Erbe gewesen, wäre As Vermögen als Ganzes und auf einmal auf S übergegangen (§ 1922 BGB).
Der rechtsgeschäftliche Übergang bei der Einzelrechtsnachfolge kann aufgrund aller insoweit rechtsgeschäftlich möglichen BGB-Verträge erfolgen. Die Gesamtrechtsnachfolge vollzieht sich nach gesetzlich festgelegten Tatbeständen. Für den Übergang des Vermögens sind in diesen Fällen keine Übertragungshandlungen erforderlich. Hier geht das Vermögen eines Rechtsträgers ohne auf einzelne Vermögensgegenstände gerichtete besondere Übertragungsakte von Gesetzes wegen über. Typische Fälle sind:
§ 1922 BGB (Gesamtrechtsnachfolge Erbfall)
§§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 ff. UmwG (Umwandlung durch Verschmelzung)
§§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 123 ff. UmwG (Umwandlung durch Spaltung - Aufspaltung, Abspaltung, Ausgliederung)
§§ 1 Abs. 1 Nr. 3, 174 ff. UmwG (Umwandlung durch Vermögensübertragung)
Der Formwechsel (§§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 190 ff. UmwG) ist kein Fall der Gesamtrechtsnachfolge. Hier bleibt der Rechtsträger erhalten - bloß seine Form ändert sich.
Einzel- und Gesamtrechtsnachfolge, Rechtsgeschäft und Gesetz, schließen sich in vielen Fällen aus. Entweder geht ein Vermögen durch Rechtsgeschäft oder von Gesetzes wegen über. Die Rechtsfolgen sind ohnehin gleich.
Beispiel:
Ob S im voraufgehenden Beispiel den Betrieb seines Vaters durch Rechtsgeschäft erwirbt oder der Betrieb auf S als Erben übergeht: S tritt in jedem Fall als neuer Arbeitgeber in die bestehenden Arbeitsverhälntisse ein. Seine Mitarbeiter haben die gleichen Rechte und Pflichten wie bisher. Probleme ergeben sich beim Erbfall indes für die Rechte und Pflichten aus § 613a Abs. 5 u. Abs. 6 BGB: der Erbfall ist nicht planbar, Informationspflicht und Widerspruch machen insoweit wenig Sinn. Außerdem ist der alte Betriebsinhaber tot. Er kommt nicht mehr als Ansprechpartner in Betracht.
§ 613a BGB ordnet das an, was bei der Gesamtrechtsnachfolge ohnehin gilt: Der Erwerber tritt in die Rechtsstellung des Vorgängers - ob er das will oder nicht. In § 324 UmwG steht sogar: § 613a Abs. 1, 4 bis 6 BGB bleibt durch die Wirkung der Eintragung einer Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung unberührt. Das heißt insbesondere:
Fortgeltung individueller und kollektiver Rechte nach Maßgabe des § 613a Abs. 1 BGB (Betriebsübergang - Kollektivrecht)
Verbot einer Arbeitgeberkündigung aus Anlass der Umwandlung (§ 613a Abs. 4 BGB, Betriebsübergang - Kündigungsverbot)
Unterrichtungspflicht der Arbeitgeber über die Umwandlung nach Maßgabe des § 613a Abs. 5 BGB (Betriebsübergang - Widerspruch)
Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer gegen den Übergang ihrer Arbeitsverhälntisse (§ 613a Abs. 6 BGB, Betriebsübergang - Widerspruch)
§ 613a Abs. 3 BGB sagt, dass § 613a Abs. 2 BGB nicht gilt, wenn eine juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft durch Umwandlung erlischt. Dass hat damit zu tun, dass das Umwandlungsrecht eigene Haftungsbestimmungen enthält. Die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 613a Abs. 1 BGB wurde bereits in BAG, 05.10.1993 - 3 AZR 586/92 - für den Fall der Gesamtrechtsnachfolge durch Fusion bejaht.
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist bei der Einzelrechtsnachfolge schon stark eingeschränkt. Bei der Gesamtrechtsnachfolge wird man ihm auch die Rechte aus § 111 BetrVG zubilligen. Danach hat der Arbeitgeber seinen Betriebsrat in Unternehmen mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern über eine anstehende Betriebsänderung zu informieren. Ein Interessenausgleich und ein Sozialplan können folgen (§ 112 BetrVG). Zur Beibehaltung der Mitbestimmung im Umwandlungsrecht s. § 325 UmwG.
3. Rechtsprechungs-ABC
Hier sind einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema Gesamtrechtsnachfolge in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet hinterlegt:
3.1 Befristung - 1
Bei einer Verschmelzung von Rechtsträgern unter Auflösung ohne Abwicklung im Wege der Aufnahme nach § 2 Nr. 1 UmwG erlischt der übertragende Rechtsträger mit Eintragung der Verschmelzung, § 20 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 UmwG. War das Arbeitsverhältnis mit dem übertragenden Rechtsträger schon vor dem Betriebsübergang beendet, sind Betriebsveräußerer und Betriebserwerber nicht derselbe Arbeitgeber i.S. des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG. Das Arbeitsverhältnis darf also ohne Sachgrund befristet werden (BAG, 10.11.2004 - 7 AZR 101/04).
3.2 Befristung - 2
Die Eintragung der Verschmelzung in das Register bewirkt nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG, dass das Vermögen des übertragenden Rechtsträgers einschließlich der Verbindlichkeiten auf den übernehmenden Rechtsträger übergeht (= Gesamtrechtsnachfolge). Mit der Vermögensübernahme geht allerdings die gesetzliche Einschränkung, dass der übertragende Rechtsträger mit einem zuvor beschäftigten Arbeitnehmer nicht erneut ohne Sachgrund einen einen befristeten Arbeitsvertrag schließen kann, nicht auf den übernehmenden Rechtsträger über (BAG, 22.06.2005 - 7 AZR 363/04).
3.3 Betriebliche Altersversorgung
§ 4 BetrAVG sieht für die Übertragung von Anwartschaften auf eine betriebliche Altersversorgung das Einvernehmen der Arbeitgeber vor. Der Übergang einer Versorgungsverbindlichkeit durch Spaltungsplan im Rahmen einer Umwandlung ist dagegen nicht von der Zustimmung des Versorgungsberechtigten und/oder des PSVaG abhängig. § 4 BetrAVG ist nur auf rechtsgeschäftliche Schuldübernahmen anwendbar, nicht auf eine partielle Gesamtsrechtsnachfolge (BAG, 22.02.2005 - 3 AZR 499/03 (A)).
3.4 Firmentarifvertrag
Die kollektivrechtliche Weitergeltung eines Firmentarifvertrags ist gegeben, wenn der Übernehmer im Weg der Gesamtrechtsnachfolge auch in den abgeschlossenen Firmentarifvertrag einrückt (BAG, 20.06.2001 - 4 AZR 295/00 - mit Hinweis auf BAG, 24.06.1998 - 4 AZR 208/97: Verschmelzung nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG).
3.5 Gesetzlicher Übergang
§ 613a Abs. 6 BGB findet auf den gesetzlichen Übergang von Arbeitsverhältnissen - hier: Übergang mehrerer Berliner Opernhäuser per Gesetz auf eine Stiftung - keine Anwendung. Das gilt umso mehr, wenn das Gesetz ausdrücklich den Übergang der Arbeitsverhältnisse bestimmt und die Regelung in § 613a Abs. 6 BGB ausschließt. Gebieten überwiegende Belange des Gemeinwohls die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Betriebe, steht auch Art. 12 Abs. 1 GG - Berufsfreiheit - der gesetzlichen Regelung nicht entgegen (BAG, 02.03.2006 - 8 AZR 124/05).