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BSG, 03.03.2020 - B 5 R 192/19 B - Altersrente für schwerbehinderte Menschen; Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren; Folgen einer verspäteten Antragstellung für den Rentenbeginn; Ausdrückliche Regelung
Bundessozialgericht
Beschl. v. 03.03.2020, Az.: B 5 R 192/19 B
Altersrente für schwerbehinderte Menschen; Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren; Folgen einer verspäteten Antragstellung für den Rentenbeginn; Ausdrückliche Regelung
Verfahrensgang:
vorgehend:
LSG Sachsen - 03.07.2019 - AZ: L 4 R 431/16
SG Chemnitz - 26.05.2016 - AZ: S 39 R 1409/14
BSG, 03.03.2020 - B 5 R 192/19 B
Redaktioneller Leitsatz:
Der Gesetzgeber hat die Folgen einer verspäteten Antragstellung für den Rentenbeginn bei Einführung des SGB VI bewusst geregelt.
in dem Rechtsstreit
BSG Az.: B 5 R 192/19 B
Sächsisches LSG 03.07.2019 - L 4 R 431/16
SG Chemnitz 26.05.2016 - S 39 R 1409/14
…………………………….,
Kläger und Beschwerdeführer,
Prozessbevollmächtigte: ………………………………….,
g e g e n
Deutsche Rentenversicherung Bund,
Ruhrstraße 2, 10709 Berlin,
Beklagte und Beschwerdegegnerin.
Der 5. Senat des Bundessozialgerichts hat am 3. März 2020 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. D ü r i n g sowie den Richter G a s s e r und die Richterin Dr. K ö r n e r
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 3. Juli 2019 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen schon früher, dh mit Rentenbeginn am 1.5.2013 statt am 1.10.2013 beanspruchen kann. Das Sächsische LSG hat mit Urteil vom 3.7.2019 einen solchen Anspruch des Klägers verneint und seine Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG Chemnitz vom 26.5.2016 zurückgewiesen.
2
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie einen Verfahrensfehler geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG).
3
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
4
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),
das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
5
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
6
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 160a RdNr 32 ff). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
7
Der Kläger formuliert als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung:
"Stellt § 99 Abs. 1 SGB VI eine Ausschlußfrist i.S.d. § 27 Abs. 5 SGB X dar?" und
"Kommt eine analog-analoge Anwendung des § 28 Satz 1 SGB X in Betracht, wenn die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nach Ablauf der gem. § 99 Abs. 1 SGB VI vorgesehenen Dreimonatsfrist festgestellt wird?"
8
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger damit zwei aus sich heraus verständliche Rechtsfragen zur Auslegung revisibler (Bundes-)Normen formuliert, an denen das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen könnte (vgl dazu BSG Beschlüsse vom 2.3.2015 - B 12 KR 60/14 B - juris RdNr 15 und vom 4.4.2016 - B 13 R 43/16 B - RdNr 6; Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 181). Jedenfalls fehlt es an einer den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genügenden Darlegung der (abstrakten) Klärungsbedürftigkeit bzw der (konkreten) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) der aufgeworfenen Fragen.
9
a) Zur ersten der beiden angeführten Rechtsfragen fehlt es der Beschwerdebegründung an einer hinreichenden Darlegung der (konkreten) Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage.
10
Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist. Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsfähigkeit - konkret-individuell sachlich entscheiden. Dies erfordert, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung der angegriffenen Entscheidung und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (vgl BSG Beschluss vom 19.11.2019 - B 8 SO 63/19 B - juris RdNr 5 mwN).
11
Das LSG hat eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht allein deshalb abgelehnt, weil § 99 Abs 1 SGB VI eine Ausschlussfrist iS von § 27 Abs 5 SGB X darstelle. Das LSG sah die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch deshalb nicht erfüllt, weil der Kläger nicht aus unverschuldeten Gründen gehindert gewesen sei, einen Rentenantrag früher zu stellen. Aus welchen Gründen es dem Kläger - wie von ihm vorgetragen - erst nach dem Anerkenntnis der Schwerbehinderung (GdB 50) ab 1.2.2013 durch das Landratsamt E. mit Schreiben vom 18.3.2014 möglich gewesen sein soll, einen Antrag auf Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen zu stellen, erschließt sich dem Senat aus der Beschwerdebegründung nicht. Vielmehr hat der Kläger schon am 7.10.2013 bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer "Altersrente ohne Abschläge zum baldmöglichsten Zeitpunkt" gestellt. Gestützt auf diesen Antrag hat die Beklagte die Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit Rentenbeginn am 1.10.2013 bewilligt. Aus welchen Gründen "das Hindernis zur Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen zu einem früheren Zeitpunkt" erst im März 2014 weggefallen sein soll, erklärt der Kläger nicht. Allein sein Vorbringen, er vertrete eine andere Rechtsauffassung als das LSG, das auf den Februar 2013 als den maßgeblichen Zeitpunkt abgestellt habe, genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG an eine hinreichende Beschwerdebegründung nicht.
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b) Hinsichtlich der zweiten der beiden angeführten Rechtsfragen hat der Kläger schon deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dargelegt.
13
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. In der Beschwerdebegründung muss deshalb unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (vgl Krasney/Udsching/Groth, aaO, Kap IX RdNr 183 mwN).
14
Hat nach § 28 Satz 1 SGB X ein Leistungsberechtigter von der Stellung eines Antrags auf eine Sozialleistung abgesehen, weil ein Anspruch auf eine andere Sozialleistung geltend gemacht worden ist, und wird diese Leistung versagt, wirkt der nunmehr nachgeholte Antrag bis zu einem Jahr zurück, wenn er innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats gestellt ist, in dem die Ablehnung der anderen Leistung bindend geworden ist. Der Kläger trägt dazu lediglich vor, es liege "offensichtlich" eine Regelungslücke vor. § 28 Satz 1 SGB X sei "analog-analog" anzuwenden. Es könne nicht zu seinen Lasten gehen, dass er erst im Jahr 2014 die positive Feststellung seiner Schwerbehinderung erhalten habe. Allein das Vorbringen, das vorliegende "Problem" habe sich bislang weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung gestellt, genügt den Anforderungen an eine hinreichende Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht. Die Frage nach einer analogen Anwendung des § 28 SGB X war bereits Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Danach wurde schon die (einfache) analoge Anwendung der Vorschrift in einer Fallkonstellation verneint, in der eine beantragte andere Sozialleistung (Arbeitslosengeld nach SGB III) nicht versagt, sondern bewilligt wurde. Das BSG hat bereits für diesen Fall keine planwidrige Regelungslücke gesehen und sich eingehend mit der Gesetzesbegründung sowie dem Sinn und Zweck der Norm befasst. Auch aufgrund von systematischen Überlegungen hat das BSG eine analoge Anwendung der Vorschrift abgelehnt (BSG Urteil vom 2.4.2014 - B 4 AS 29/13 R - BSGE 115, 225 = SozR 4-4200 § 37 Nr 6, RdNr 25). Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber die Folgen einer verspäteten Antragstellung für den Rentenbeginn bei Einführung des SGB VI bewusst geregelt hat (vgl BSG Urteil vom 22.10.1996 - 13 RJ 23/95 - BSGE 79, 168, 170 = SozR 3-2600 § 115 Nr 1 S 3 f). Die Beschwerdebegründung nimmt auf keine dieser Entscheidungen Bezug und kann sich deshalb auch nicht dazu verhalten. Auch lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen, woraus der Kläger folgert, seine Interessenlage sei "die gleiche" wie bei Personen, die rückwirkend Sozialleistungen in direkter Anwendung des § 28 Satz 1 SGB X begehrten, dh nach einem erfolglosen Antrag "auf eine andere Sozialleistung". Allein der Hinweis auf Sinn und Zweck der Vorschrift, "dass Rechtsnachteile vermieden werden sollen, wenn eine leistungsberechtigte Person in Erwartung einer positiven Bescheidung einen Antrag auf andere Sozialleistungen nicht gestellt hat" und der Gesetzgeber habe die vorliegende Fallkonstellation nicht bedacht, ist nicht ausreichend.
15
2. Auch einen Verfahrensmangel hat der Kläger nicht in einer den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genügenden Weise bezeichnet. Einen Verfahrensmangel, der den Anspruch der Beteiligten auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 GG) verletzen würde, lässt sich dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen.
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Aus welchen Gründen der Berichterstatter nach § 155 Abs 3 und 4 SGG ermessensfehlerhaft als Einzelrichter entschieden haben soll, geht aus der Beschwerdebegründung nicht hervor. Der Kläger macht dazu lediglich geltend, eine solche Entscheidung sei "von vornherein nicht angezeigt" gewesen, weil Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung zu klären seien. Ob in solchen Fällen eine Entscheidung durch den Einzelrichter nach § 155 Abs 3 und 4 SGG ausgeschlossen ist, kann offenbleiben (kritisch BSG Urteil vom 12.12.2018 - B 6 KA 50/17 R - BSGE 127, 109 = SozR 4-2500 § 95 Nr 35, RdNr 20 und Knispel, SGb 2010, 357, 359). Die Rechtsprechung, wonach ein Ermessensfehlgebrauch insbesondere auch dann bejaht wird, wenn der Einzelrichter über eine Sache befindet, die objektiv betrachtet besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweist, weil sie nach den zu § 160 Abs 2 Nr 1 SGG entwickelten Kriterien eine bislang höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärte entscheidungserhebliche Rechtsfrage aufwirft (vgl zuletzt BSG Urteil vom 29.1.2019 - B 2 U 5/18 R - juris RdNr 14 f mwN), gilt jedenfalls nicht uneingeschränkt. Es sind vielmehr zahlreiche Gründe anerkannt, wonach trotz der grundsätzlichen Bedeutung einer Sache eine Entscheidung durch den Einzelrichter verfahrensfehlerfrei sein kann (zu den einzelnen Fallkonstellationen vgl BSG Urteil vom 12.12.2018 - B 6 KA 50/17 R - BSGE 127, 109 = SozR 4-2500 § 95 Nr 35, RdNr 20 mwN). Zu dieser Rechtsprechung verhält sich die Beschwerdebegründung schon im Ansatz nicht. Auch geht aus der Beschwerdebegründung nicht hervor, dass die Rechtssache - wie vom Kläger behauptet - nach den zu § 160 Abs 2 Nr 1 SGG entwickelten Kriterien eine bislang höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärte, entscheidungserhebliche Rechtsfrage aufwarf (siehe dazu bereits die Ausführungen unter 1.).
17
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
18
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Dr. Düring
Gasser
Dr. Körner
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