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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Mutterschutz - Ärztliches Beschäftigungsverbot
Mutterschutz - Ärztliches Beschäftigungsverbot
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Meist kann eine werdende Mutter während der Schwangerschaft ihre bisherige Berufstätigkeit problemlos weiter ausüben. Wird sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes durch die Arbeit überfordert, kann der Arzt ein Beschäftigungsverbot aussprechen. Dies gilt auch für die erste Zeit nach der Geburt. Dem Beitrag können Sie entnehmen, welche Rechte und Pflichten Ihr Unternehmen in diesem Zusammenhang hat.
Bereits im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ist zu prüfen, ob die werdende bzw. stillende Mutter bei der Arbeit einer besonderen Gefahr durch eine Corona-Infektion ausgesetzt ist. Ggf. ist eine Umsetzung bzw. ein betriebliches Beschäftigungsverbot erforderlich. Dadurch kommt in der Regel kein ärztliches Beschäftigungsverbot in Frage.
Praxistipp:
Siehe hierzu die Verlautbarung des Bayrischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales (Stand: 23.11.2022) unter www.stmas.bayern.de/coronavirus-info/corona-mutterschutz.php.
1.1 Allgemeines zum Beschäftigungsverbot
Ein individuelles Beschäftigungsverbot kann ein Arzt aussprechen, wenn die Frau bei Fortdauer der Beschäftigung ihre Gesundheit bzw. die Gesundheit ihres Kindes gefährden würde (§ 16 Abs. 1 MuSchG). Die Ursache der Gefährdung spielt keine Rolle. Zulässig ist auch ein teilweises Beschäftigungsverbot (z.B. für bestimmte Tätigkeiten oder während bestimmter Zeiten).
Der Arzt orientiert sich einerseits an der gesundheitlichen Situation der Frau, andererseits aber auch daran, welche Anforderungen die Berufstätigkeit stellt. Dabei ist er zu großer Sorgfalt verpflichtet (LAG Hamm, 05.09.2006 - 9 Sa 2073/05). Die Kosten für das Attest muss die Mitarbeiterin tragen.
Voraussetzung für die Wirksamkeit des Beschäftigungsverbotes ist grundsätzlich, dass dem Betrieb ein ärztliches Attest vorgelegt wird. Das Attest kann von jedem Arzt ausgestellt werden - er muss nicht einer bestimmten Fachrichtung (wie z.B. Gynäkologie) angehören. Die ärztliche Bescheinigung muss neben dem Beschäftigungsverbot an sich auch Angaben enthalten über dessen Dauer und die Art der untersagten Tätigkeit.
Für einen begrenzten Zeitraum kann das Unternehmen verpflichtet sein, die Frau vorläufig auch ohne Attest von der bisherigen Arbeit freizustellen (BAG, 01.10.1997 - 5 AZR 685/96). Denkbar ist dies z.B., wenn der Arzt das Beschäftigungsverbot gegenüber der Frau mündlich ausgesprochen, aber die Bescheinigung noch nicht ausgestellt hat.
Ob ein Beschäftigungsverbot nach § 16 Abs. 1 MuSchG auch ausgesprochen werden kann, wenn die Gefahr nicht von der Arbeit, sondern vom Weg zur Arbeitsstelle und zurück ausgeht, ist umstritten (siehe Thombansen/Ducree, OK MuSchG, § 16 MuSchG Rn. 12 m.w.N; Hergenröder in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, Kommentar, 10. Aufl. 2022, Mutterschutzgesetz, Abschn. 2, § 16 MuSchG, II, 1 Rn. 3).
Ein Beschäftigungsverbot kommt auch infrage, wenn die Frau in den ersten Monaten nach der Entbindung nach ärztlichem Zeugnis nicht voll leistungsfähig ist (§ 16 Abs. 2 MuSchG). Wegen der Elternzeit hat diese Regelung aber wenig praktische Bedeutung.
Der Anspruch auf Freistellung von der Arbeit und die daraus folgende Verpflichtung, die Vergütung weiter zu zahlen, besteht auch, wenn das Beschäftigungsverbot bereits mit Beginn des Arbeitsverhältnisses wirksam wird (LAG Berlin-Brandenburg, 30.09.2016 – 9 Sa 917/16). Der Anspruch auf Arbeitsentgelt setzt nach Auffassung des Gerichts keine vorherige Arbeitsleistung voraus. Darüber hinaus werde der Arbeitgeber dadurch nicht unzumutbar belastet, da die Kosten aufgrund des § 1 Abs. 2 AAG von der Krankenkasse im Rahmen des Umlageverfahrens in voller Höhe erstattet werden.
Probleme können entstehen, wenn das Arbeitsverhältnis befristet ist und das Beschäftigungsverbot über die Befristung hinaus andauert. Denn Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht nur, wenn eine mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung ausgeübt werden kann. Das Beschäftigungsverbot bezieht sich jedoch immer auf die konkrete Berufstätigkeit in der befristeten Beschäftigung. Daher kann eine andere Tätigkeit mit der Mindestzahl an wöchentlichen Stunden durchaus trotz der Schwangerschaft möglich sein. Vor dem Hintergrund dürfte in der Regel auch Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehen.
1.2 Abgrenzung zur Arbeitsunfähigkeit
Ein Beschäftigungsverbot nach § 16 Abs. 1 MuSchG wird aufgrund der individuellen Konstitution der Frau oder durch die Rahmenbedingungen der Beschäftigung erforderlich. Es stellt sich dann immer die Frage, ob ein Beschäftigungsverbot auszusprechen oder Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen ist. Die Auswirkungen können für den Betrieb von erheblicher finanzieller Bedeutung sein: Während bei der Arbeitsunfähigkeit mittlere und größere Unternehmen mit den Kosten für die bis sechswöchige Entgeltfortzahlung belastet bleiben und kleinere Unternehmen eine nur teilweise Erstattung erhalten (§ 1 Abs. 1 AAG), werden die Aufwendungen im Zusammenhang mit einem Beschäftigungsverbot unbefristet allen Unternehmen vollständig ersetzt (§ 1 Abs. 2 AAG).
Bei der Abgrenzung kommt es zunächst darauf an, ob lediglich eine abstrakte Gesundheitsgefahr besteht, die sich bei weiterer Beschäftigung konkretisieren kann. In diesen Fällen wird die Beschäftigung nur aus Gründen der Gesundheitsvorsorge verboten. Unter diesen Voraussetzungen müsste ein Beschäftigungsverbot nach § 16 Abs. 1 MuSchG ausgesprochen werden. Ist dagegen bereits eine Krankheit eingetreten und kann die Mitarbeiterin deswegen nicht arbeiten, liegt Arbeitsunfähigkeit vor. Dabei spielt es keine Rolle, ob Krankheitsursache die Schwangerschaft oder eine andere Krankheit ist. Der gegen den Arbeitgeber gerichtete Anspruch nach § 18 MuSchG setzt voraus, dass allein das mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbot einer Beschäftigung der Schwangeren entgegensteht, was nur bei einem normalen Schwangerschaftsverlauf zutrifft und die gesunde Schwangere während der Unterbrechung der Beschäftigung aus Gründen der Gefahrenvorsorge absichert (BSG, 22.02.2012 – B 11 AL 26/10 R). Letztlich entscheidet diese Frage der behandelnde Arzt der Frau.
Praxistipp:
Voraussetzungen und Tragweite der Abgrenzung sind nicht allen Ärzten im Detail bewusst. Im Zweifel kann ein Gespräch sinnvoll sein.
2. Rechtsfolgen
Von dem Zeitpunkt an, an dem Sie Kenntnis von dem Beschäftigungsverbot erhalten, dürfen Sie die Frau nicht mehr entgegen dem Inhalt beschäftigen. Dies gilt auch, wenn Sie Zweifel an der Richtigkeit des Attestes haben. Unzulässig ist es insbesondere, die Frau zu drängen, entgegen des ärztlichen Attestes zu arbeiten (siehe hierzu BAG, 12.12.2013 – 8 AZR 838/12).
Dennoch hat die Mitarbeiterin Anspruch auf die ungeschmälerte Vergütung (§ 18 Abs. 1 MuSchG). Für die Fälligkeit gelten die gleichen Regelungen wie bei der Vergütung für geleistete Arbeit. Zahlt der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin schuldhaft den ihr zustehenden Mutterschutzlohn nicht fristgerecht, haftet er wegen Verzuges für entgangenes Elterngeld, wenn aufgrund der verspäteten Zahlung der Mutterschutzlohn lohnsteuerrechtlich als "sonstiger Bezug" eingeordnet und deshalb für die Berechnung des Elterngeldes nicht berücksichtigt wird (LAG Düsseldorf, 27.05.2020 – 2 Sa 716/19).
Sofern sich das Beschäftigungsverbot nicht auf alle, sondern nur auf bestimmte Arbeiten erstreckt, kann der Arbeitnehmerin eine zumutbare Ersatzarbeit (Mutterschutz - Schutzvorschriften - Abschn. 1.2) zugewiesen werden. Außerdem ist die Frau in der Gestaltung ihrer Zeit durch das Beschäftigungsverbot nicht eingeschränkt: So führt das gegenüber einer Schöffin ausgesprochene Beschäftigungsverbot nach § 16 Abs. 1 MuSchG nicht zu einer gesetzeswidrigen Gerichtsbesetzung (BGH, 30.09.2021 – 5 StR 161/21).
3. Umgang mit Zweifeln
Wenn Sie Zweifel an der Richtigkeit des Attestes haben oder dieses unvollständig ist (vgl. Abschnitt 2), können Sie zunächst den Arzt um weitere Informationen bitten. Sie können insbesondere Auskünfte verlangen, auf welchen konkreten Tätigkeiten das Beschäftigungsverbot beruht. Diese Information ist für den Arbeitgeber auch wichtig, um ggf. eine Ersatztätigkeit zuzuweisen.
Wenn sich bei diesem Gespräch herausstellt, dass das Attest aufgrund falscher Annahmen des Arztes erstellt wurde, können Sie zunächst im Einvernehmen mit der Mitarbeiterin versuchen, den Arzt zur Rücknahme des Attestes zu bewegen. Aus Beweisgründen sollte die Rücknahme schriftlich erfolgen. Kann hierüber kein Einvernehmen erzielt werden, kann dennoch der Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung erschüttert sein. Die Frau muss dann darlegen und ggf. auch beweisen, weshalb ein Beschäftigungsverbot doch gerechtfertigt ist. Sie kann zu diesem Zweck den Arzt von der Schweigepflicht entbinden und ihn vor Gericht als Zeugen benennen (BAG, 07.11.2007 - 5 AZR 883/06).
Bei Zweifeln haben Sie auch die Möglichkeit, eine Nachuntersuchung durch einen anderen Arzt zu verlangen. Die Frau muss dem im Rahmen ihrer arbeitsvertraglichen Nebenpflichten Rechnung tragen, wenn Sie ihr die Gründe dafür mitteilen. Allerdings kann sich Ihre Arbeitnehmerin dafür einen Arzt ihres Vertrauens aussuchen und der Betrieb muss die Kosten tragen.
Praxistipp:
Sie können darauf bestehen, dass die Untersuchung durch einen Facharzt (z.B. Gynäkologen) durchgeführt wird.
Falls die Nachuntersuchung zu einem anderen Ergebnis führt, ist ein Gespräch mit der Mitarbeiterin erforderlich. Wenn keine Einigung möglich ist, kann die Einschaltung eines weiteren Arztes als Obergutachter, dessen Meinung dann den Ausschlag gibt, vereinbart werden.
Praxistipp:
Solange die Angelegenheit nicht abschließend geklärt ist, müssen Sie das Beschäftigungsverbot beachten. Sie sind berechtigt, beim Arbeitsgericht eine Überprüfung der ärztlichen Bescheinigung zu beantragen. Dabei ist zu bedenken, dass dem Attest nach der Rechtsprechung ein hoher Beweiswert zukommt.
4. Erstattung der Aufwendungen
Nach § 1 Abs. 2 AAG werden allen Arbeitgebern in vollem Umfang das während des Beschäftigungsverbots nach § 1 Abs. 2 AAG gezahlte Arbeitsentgelt und die darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge von der zuständigen Krankenkasse erstattet. Einzelheiten siehe Mutterschutz - Erstattung der Arbeitgeber-Aufwendungen sowie die Grundsätzlichen Hinweise zum Ausgleichsverfahren der Arbeitgeberaufwendungen bei Arbeitsunfähigkeit und für Mutterschaftsleistungen vom 19.11.2019.