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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Insolvenz - Insolvenzanfechtung
Insolvenz - Insolvenzanfechtung
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Zahlungen, die - vereinfacht gesagt - drei Monate vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner (hier: Unternehmer/Arbeitgeber)vorgenommen wurden und die dessen Gläubiger (z.B. Lieferanten oder Handwerker) benachteiligen, kann der Insolvenzverwalter mit der Folge anfechten, dass diese zurückerstattet werden müssen, wenn der Zahlungsempfänger die drohende Insolvenz kannte oder hätte kennen müssen, § 129 ff. InsO.
2. Anfechtung gezahlten Arbeitsentgelts
2.1 Reform 2017
In den vergangenen Jahren war zunehmend beklagt worden, dass das geltende Insolvenzanfechtungsrecht, namentlich die Praxis der Vorsatzanfechtung nach § 133 Absatz 1 InsO, den Wirtschaftsverkehr mit unverhältnismäßigen und unkalkulierbaren Risiken belaste. Dies betraf insbesondere die Frage, ob und unter welchen Umständen Zahlungserleichterungen das Risiko einer späteren Vorsatzanfechtung der erhaltenen Zahlungen begründen. Von Rechtsunsicherheiten waren auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen, da für sie vor allem die Ungewissheit bestand, unter welchen Voraussetzungen verspätet gezahltes Arbeitsentgelt unter das grundsätzlich anfechtungsausschließende Bargeschäftsprivileg fällt.
Die Bundesregierung hat deshalb punktuell das Anfechtungsrecht neu geregelt. Geändert wurden mit Wirkung ab 5. April 2017 in der Insolvenzordnung die §§ 14, Abs. 1, 131, 133 und 142 InsO sowie im Anfechtungsgesetz die §§ 3, 11 und 20 InsO.
Die neuen Regelungen gelten für Insolvenzverfahren, die am 05.04.2017 oder später eröffnet worden sind - mit Ausnahme der Regelungen zu den Verzugszinsen. Die neuen Verzugszinsregelungen gelten ab Inkrafttreten des Gesetzes für alle Insolvenzverfahren, unabhängig davon, ob zu diesem Zeitpunkt bereits eröffnet oder nicht.
2.2 Anfechtungsregelungen
Hat ein Gläubiger (hier: Arbeitnehmer) vom Schuldner (hier: Arbeitgeber) eine Leistung (hier: Arbeitsvergütung) erhalten, für die er in unmittelbarem Zusammenhang eine gleichwertige Gegenleistung (hier: Arbeitsleistung) erbracht hat, so ist das Geschäft für den Insolvenzverwalter grundsätzlich nicht mehr anfechtbar (Bargeschäftsprivileg). Das Bargeschäftsprivileg gilt somit auch für erbrachte Arbeitsleistungen von Arbeitnehmern, jedoch nur wenn der Zeitraum zwischen den erbrachten Arbeitsleistungen und der Auszahlung des Arbeitsentgeltes drei Monate nicht überschreitet. Bargeschäfte sind nur noch anfechtbar, wenn der Gläubiger erkannt hat, dass sein Schuldner unlauter gehandelt hat.
Wenn der Gläubiger dem Schuldner Zahlungserleichterungen (z.B. Zahlung der Arbeitsvergütung durch den Arbeitgeber in Raten) gewährt hat, wird vermutet, dass er eine etwaige Zahlungsunfähigkeit nicht kannte. Der Insolvenzverwalter muss in diesen Fällen den Beweis führen, dass der Gläubiger doch hiervon Kenntnis hatte. In diesen Fällen wird bzgl. der Kenntnis nicht mehr an die drohende, sondern an die eingetretene Zahlungsunfähigkeit angeknüpft, wenn eine sogenannte kongruente Deckung vorlag. Das ist der Fall, wenn die Art und Weise der Zahlung den ursprünglich getroffenen Vereinbarungen entsprach.
Der Anfechtungszeitraum für Deckungshandlungen, d.h. für die Bezahlung von erbrachten Lieferungen und Leistungen, ist von zehn auf vier Jahre reduziert.
Zinsen wegen der geltend gemachten Anfechtungsansprüche sollen in Zukunft nicht mehr rückwirkend zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung, sondern erst ab Eintritt des Zahlungsverzugs (Mahnung durch den Insolvenzverwalter) geschuldet werden.
3. Ausgewählte Rechtsprechung
3.1 Nachweis der Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (siehe Urteil des BGH vom 10.01.2013 - IX ZR 13/12) wird gem. § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO vermutet, dass der Gläubiger den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners kannte, wenn er wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die übrigen Gläubiger benachteiligte. Danach genügt es, wenn dem Gläubiger die Zahlungseinstellung bekannt war. Dem steht die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf eine drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinweisen. Es genügt daher, dass der Anfechtungsgegner die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen bei zutreffender rechtlicher Bewertung die - drohende - Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt.
Nach dem Urteil des BGH vom 22.06.2017 (Az. IX ZR 111/14) reicht jedoch grob fahrlässige oder leichtfertige Unkenntnis nicht aus. Das Gericht muss zu der Überzeugung gelangen, dass der Gläubiger positive Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder der Zahlungseinstellung hatte.
Nach dem Sachverhalt hatte die Schuldnerin erst nach Mahnung und anschließender gerichtlicher Durchsetzung aufgrund eines Versäumnisurteils ihre Restverbindlichkeiten bei dem Gläubiger vollständig beglichen. Der Insolvenzverwalter forderte den gezahlten Restbetrag im Wege der Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO zurück.
3.2 Insolvenzanfechtung bei Ratenzahlungsvereinbarung mit Gerichtsvollzieher
Wenn der Arbeitnehmer in der sog. "kritischen Zeit", d.h. in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung oder in der Zeit danach, Zahlungen des Arbeitgebers erhält, die nicht in der geschuldeten Art erfolgen (inkongruente Deckung), kann nach dem Urteil des BAG der Insolvenzverwalter die Zahlungen im Weg der Insolvenzanfechtung gem. § 131 InsO zur Masse zurückfordern (BAG, 20.09.2017 - 6 AZR 58/16).
Der Arbeitnehmer kann in der kritischen Zeit keine Leistung unter Einsatz hoheitlichen Zwangs beanspruchen, durch den er auf das zur Befriedigung aller Gläubiger unzureichende Vermögen des späteren Insolvenzschuldners zugreift und andere Gläubiger zurücksetzt. Zahlungen, die er im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzt oder die der Arbeitgeber erbringt, um die unmittelbar bevorstehende Zwangsvollstreckung abzuwenden (Druckzahlungen), sind deshalb inkongruent. Schließt der vom Arbeitnehmer mit der Zwangsvollstreckung beauftragte Gerichtsvollzieher vor der kritischen Zeit eine Ratenzahlungsvereinbarung nach § 802b ZPO (bis zum 31. Dezember 2012: § 806b ZPO), sind die darauf erfolgenden Teilzahlungen selbständig anfechtbar.
3.3 Insolvenzrechtliche Einordnung von Sonderzahlungen
BAG, 23.03.2017 - 6 AZR 264/16:
Sonderzahlungen können auch anderen Zwecken als der Vergütung erbrachter Arbeitsleistung dienen. Sie können als "Treueprämie" langfristige oder als "Halteprämie" kurzfristige oder künftige Betriebstreue belohnen. Der Arbeitgeber kann auch den Zweck verfolgen, sich anlassbezogen an den zum Weihnachtsfest typischerweise erhöhten Aufwendungen seiner Arbeitnehmer zu beteiligen. Die Leistung solcher Sonderzahlungen hängt nicht von einer bestimmten Arbeitsleistung, sondern regelmäßig nur vom Bestand des Arbeitsverhältnisses ab. Reiner Gratifikationscharakter ist anzunehmen, wenn eine Leistung nicht von einer Gegenleistung abhängig ist. Insolvenzrechtlich sind stichtagsbezogene Sonderzahlungen dem Zeitraum zuzurechnen, in den der Stichtag fällt. Liegt der Stichtag zeitlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, handelt es sich um eine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Sonst ist eine solche Zahlung in voller Höhe als Insolvenzforderung anzusehen. Diese Unterscheidung entspricht auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Einbeziehung von Vergütungsbestandteilen in die Insolvenzgeldberechnung.
Die Anzeige des Insolvenzverwalters oder Sachverwalters, die Masse reiche nicht zur vollständigen Befriedigung aller Massegläubiger aus, führt zu einer Neuordnung der Masseverbindlichkeiten. Sie werden nur unter den Voraussetzungen des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO - ggf. i.V.m. § 209 Abs. 2 InsO - als Neumasseverbindlichkeiten vorab aus der Masse berichtigt. Die Gläubiger von Altmasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO sind dagegen auf eine lediglich anteilige Berichtigung ihrer Forderungen beschränkt. Bei der Befriedigung der Massegläubiger ist die Rangfolge des § 209 Abs. 1 InsO einzuhalten. Hierfür ist neben den Kosten des Insolvenzverfahrens zwischen Neumasseverbindlichkeiten und Altmasseverbindlichkeiten zu unterscheiden.