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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Kündigungsschutzprozess - Widerrufsvergleich
Kündigungsschutzprozess - Widerrufsvergleich
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Der Gesetzgeber stellt den Kündigungsschutzprozess unter das Motto "gütliche Einigung". Die Parteien sehen das naturgemäß anders und wollen eine Entscheidung. Das ist nicht immer sinnvoll - geht es bei einem Urteil im Kündigungsrechtsstreit doch um alles (oder für den Verlierer um nichts). Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben daher die Möglichkeit, sich vor Gericht zu vergleichen. Das geht nicht immer ganz spontan im Gütetermin, das braucht manchmal etwas Zeit zum Reifen. Hier haben die Parteien die Möglichkeit, einen so genannten Widerrufsvergleich zu schließen.
Praxistipp:
Je länger der Gerichtstermin, in dem der Widerrufsvergleich geschlossen wurde, zurückliegt, desto größer wird in vielen Fällen die Bereitschaft, diesen Vergleich zu widerrufen. Die mahnenden und zunächst überzeugenden Worte des Vorsitzenden verblassen durch Zeitablauf und statt Vernunft machen sich wieder - irrationale - Emotionen breit. Ein Vergleich sollte daher nur widerrufen werden, wenn die Fortsetzung des Rechtsstreits wirklich ein für den Widerrufenden günstigeres Ergebnis erwarten lässt (was in den meisten Fällen nicht der Fall sein wird).
Gründe für die Vereinbarung eines Widerrufsvergleichs gibt es viele. In der Regel will man die Sach- und Rechtslage noch einmal in Ruhe ohne Verhandlungsstress klären oder getroffene Vereinbarungen von Entscheidungsträgern genehmigen lassen, die im Termin nicht anwesend sind. Von seiner Rechtsnatur her ist der Widerrufsvergleich ein aufschiebend bedingtes Rechtsgeschäft. Er kommt erst dann wirksam zustande, wenn das Widerrufsrecht - das einer oder auch beiden Parteien eingeräumt werden kann - nicht frist- und formgerecht ausgeübt wird. Erfolgt der Widerruf, ist der geschlossene Vergleich hinfällig. Der Rechtsstreit wird fortgesetzt.
2. Bedingungen und Voraussetzungen des Widerrufsvergleichs
Gesetzgeberisches Ziel des Kündigungsrechtsstreits ist die gütliche Einigung. Diese gütliche Einigung ist in den meisten Fällen ein Vergleich. Er soll nicht nur das Arbeitsverhältnis, sondern auch den Kündigungsrechtsstreit beenden. Bei einfacher Sach- und Rechtslage ist das kein Problem. Wenn allerdings noch Punkte klärungsbedürftig sind, tun sich die Parteien vor Gericht schwer, einen - endgültigen - Vergleich zu schließen.
Nachfolgend einige Sachverhalte, die einem sofortigen Vergleichsschluss in der Verhandlung entgegenstehen können und eine Widerrufsmöglichkeit sinnvoll machen:
Beide Parteien können sich mit dem Inhalt des vom Gericht vorgeschlagenen Vergleichs noch nicht so richtig anfreunden und brauchen eine Bedenkzeit.
In der Verhandlung kommen neue Tatsachen auf den Tisch, die erst noch geprüft werden müssen.
Der/Die Vertreter des Arbeitgebers im Termin hat/haben die Anweisung, einen Vergleich nur auf Widerruf schließen zu dürfen.
Eine Partei fühlt sich vom Gericht oder der Gegenpartei "überfahren" und braucht wegen dieser Überrumpelung noch Überlegungszeit.
Der gekündigte Arbeitnehmer steht in der Verhandlung unter Zeitdruck und will den Vergleich und seine Auswirkungen in Ruhe mit seinem Bevollmächtigten besprechen.
Der Vergleich wird nicht nur für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossen, sondern er umfasst auch andere Ansprüche, insbesondere auf Arbeitsentgelt, deren Grund und Höhe noch geprüft werden müssen.
In einem Widerrufsvergleich typische Widerrufsklauseln sehen etwa so aus:
"Der Beklagte behält sich den Widerruf dieses Vergleichs durch einfache schriftliche Anzeige, eingehend bei Gericht bis zum <Datum>, vor."
"Dem Kläger bleibt der Widerruf dieses Vergleichs, schriftsätzlich bei Gericht eingehend bis zum <Datum>, vorbehalten."
"Der Beklagte behält sich den Widerruf des Vergleichs bis zum <Datum> schriftlich bei Gericht eingehend vor."
"Dieser Vergleich wird rechtswirksam, wenn er nicht von einer der Parteien durch Einreichung eines Schriftsatzes beim Arbeitsgericht <Ort> bis einschließlich <Datum> widerrufen wird."
Praxistipp:
Wenn ein Vergleich gegenüber dem Gericht als Adressat der Widerrufserklärung widerrufen werden kann, ist ein gegenüber dem Prozessgegner erklärter Widerruf unwirksam.
Wenn die Parteien sowieso außergerichtlich oder ohne den Druck einer Verhandlung vor Gericht einen Vergleich schließen wollen, bietet sich dafür das schriftliche Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO an. In diesem Verfahren können die Parteien dem Arbeitsgericht einen "schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten" (§ 278 Abs. 6 Satz 1 ZPO), dessen Zustandekommen und Inhalt das Gericht danach durch Beschluss feststellt (§ 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO).
3. Wirkung des Widerrufsvergleichs
Der Widerrufsvergleich wird unter der aufschiebenden Bedingung Widerruf geschlossen. Die Vereinbarungen, die die Parteien im Kündigungsrechtsstreit via Vergleich getroffen haben, sind zwar gewollt, sollen aber so lange nicht verbindlich sein, wie die Möglichkeit des Widerrufs besteht. Nehmen die Prozessparteien in ihren Vergleich eine Widerrufsklausel auf, ist dieser Vorbehalt in der Regel eine aufschiebende Bedingung für die Wirksamkeit des Vergleichs. Dabei ist der Nichtwiderruf des Vergleichs innerhalb der dafür vorgesehenen Frist das zukünftige ungewisse Ereignis, von dessen Eintritt die Wirksamkeit des Vergleichs abhängt (LAG Hamm, 25.06.1998 - 4 Sa 1207/97).
Zur aufschiebenden Bedingung sagt § 158 Abs. 1 BGB:
"Wird ein Rechtsgeschäft unter einer aufschiebenden Bedingung vorgenommen, so tritt die von der Bedingung abhängig gemachte Wirkung mit dem Eintritt der Bedingung ein."
Beispiel:
Die deutsche Niederlassung der US-amerikanischen B Ltd. schließt mit ihrer Betriebsleiterin H einen Widerufsvergleich mit folgenden Eckpunkten: Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06, bis dahin unwiderrufliche Freistellung unter Vergütungsfortzahlung, Zahlung einer Abfindung von 50.000 EUR brutto, wohlwollendes qualifiziertes Zeugnis mit der Note "sehr gut", Erledigung aller wechselseitigen finanziellen Ansprüche. Da die Sitzungsvertreter der Ltd. den Vergleich noch mit Entscheidungsträgern in den Staaten besprechen müssen, vereinbaren sie am 08.04. im Gütetermin folgende Widerrufsklausel: "Die Beklagte behält sich vor, diesen Vergleich durch einen bis zum 29.04. bei Gericht eingehenden Schriftsatz zu widerrufen."
Der zwischen der Ltd. B und Frau H geschlossene Vergleich soll das Arbeitsverhältnis zum 30.06. beenden. Die Bedingungen, unter denen das passieren soll, sind vereinbart. Sie sind aber nicht sofort mit Vergleichsschluss wirksam, sondern so lange aufschiebend bedingt unwirksam, wie die Ltd. noch von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch machen kann. Lässt sie die Widerrufsfrist verstreichen, ist die aufschiebende Bedingung eingetreten, der Vergleich steht.
Für die Berechnung der Widerrufsfrist gelten die §§ 186 ff. BGB. Erfolgt der Widerruf zu spät, ist der Rechtsstreit wieder offen.
Beispiel:
Die amerikanische Muttergesellschaft der Ltd. B aus dem vorausgehenden Fall ist weder mit dem deutschen Arbeitsrecht noch mit den prozessrechtlichen Gepflogenheiten der Republik vertraut. Die Entscheidungswege sind lang. Die Mail mit dem Auftrag, den Vergleich zu widerrufen, geht am 29.04. bei der deutschen Niederlassung ein - allerdings zu einem Zeitpunkt, in dem deren Büros nicht mehr besetzt sind. Der Ltd.-Geschäftsführer gibt die Mail am Morgen des 30.04. an den bevollmächtigten Anwalt weiter - der den Vergleich sofort via Fax schriftsätzlich widerruft.
Der Widerruf ist verspätet. Er hätte vor Ablauf des 29.04. - also bis 24:00 Uhr dieses Tags - erfolgen müssen. Da kein rechtzeitiger Widerruf erfolgt ist, ist der Vergleich vom 08.04. wirksam geworden. W's Arbeitsverhältnis endet mit dem 30.06., sie darf sich auf eine großzügige Anfindung und ein sehr gutes Zeugnis freuen.
Wichtig: Der Widerrufsvergleich bietet der begünstigten Partei keine gesicherte Rechtsposition und kein Vertrauen darauf, dass der Vergleich tatsächlich so zustande kommt, wie er - auf Widerruf - vereinbart wurde. Der Widerrufsvergleich begründet nur eine "rechtlich ungesicherte Exspektanz" (LAG Düsseldorf, 13.01.1999 - 12 Sa 1810/98).
4. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema Kündigungsschutz und Widerrufsvergleich in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet hinterlegt:
4.1 Anordnung des persönlichen Erscheinens
Der Kläger, dessen persönliches Erscheinen angeordnet ist, kann sich nicht über § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO - Entsendung eines geeigneten Vertreters - entschuldigen, wenn sein Prozessbevollmächtigter einen Widerrufsvergleich abschließt. "Zweck der Anordnung des persönlichen Erscheinens .. [einer Partei ist] nicht nur das Ereichen einer gütlichen Einigung, sondern auch die Aufklärung des Sachverhalts. (...). Die Anordnung des persönlichen Erscheinens soll nicht als Zwang zum Vergleichsabschluss ausgeübt werden. Wichtig ist, dass der Sach- und Streitstand der Parteien erörtert wird, ohne dass deshalb die weitere schriftsätzliche Vorbereitung überflüssig wird" (LAG Schleswig-Holstein, 24.02.2005 - 2 Ta 37/05).
4.2 Aufschiebende Wirkung - 1
Vereinbaren die Parteien vor Gericht einen Widerrufsvergleich, enthält der unter dem Widerrufsvorbehalt geschlossene Vergleich grundsätzlich eine aufschiebend bedingte Regelung. Die Wirkung der getroffenen Vereinbarungen soll erst dann eintreten, wenn die Widerrufsfrist ohne Widerruf abgelaufen ist und der Vergleich somit Bestand hat. Der Bedingungseintritt - Fristablauf ohne rechtzeitigen Widerruf - ist, auch wenn der Widerruf gegenüber dem Gericht zu erklären ist, ein vom Gläubiger zu beweisender Umstand. Zuständig für die Erteilung der Vollstreckungsklausel ist in die diesem Fall der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle - nicht der Rechtspfleger (LAG Berlin, 30.05.2003 - 3 Ta 926/03).
4.3 Aufschiebende Wirkung - 2
Ein Prozessvergleich, "in dem einer Partei das Recht vorbehalten wird, den Vergleich bis zum Ablauf einer bestimmten Frist zu widerrufen, [ist] in der Regel aufschiebend bedingt geschlossen". Wenn "sich aus dem Vergleichstext nichts anderes ergibt, entstehen aus dem unter Widerrufsvorbehalt geschlossenen Vergleich bindende Rechtswirkungen erst mit Ablauf der Widerrufsfrist, wenn bis zu diesem Zeitpunkt kein Widerruf erklärt wurde (...). Vereinbaren die Parteien daher in einem Widerrufsvergleich einen befristeten Arbeitsvertrag, kommt der Vertrag einschließlich der in ihm vereinbarten Befristung erst zustande, wenn bei ungenutztem Ablauf der Widerrufsfrist feststeht, dass der Vergleich Bestand hat" (BAG, 13.06.2007 - 7 AZR 287/06).
4.4 Ausschlussfrist
"1. Das Klauselverbot des § 309 Nr. 13 BGB 2002 steht einer zweistufigen Ausschlussfrist in einem arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrag nicht entgegen. Durch Aufnahme in einen Widerrufsvergleich wird eine Forderung des Arbeitnehmers einem tariflichen Schriftformerfordernis entsprechend geltend gemacht (§§ 126 Abs. 4, 127a BGB). Diese Geltendmachung wird durch einen späteren Widerruf nicht berührt.
3. Die Einstellung einer Forderung in einen später widerrufenen Prozessvergleich stellt keine gerichtliche Geltendmachung zur Wahrung einer zweistufigen Ausschlussfrist dar. 4. Es spricht viel dafür, dass der Lauf einer Klagefrist bis zum Widerruf eines den Anspruch mitregelnden Prozessvergleichs analog § 205 BGB 2002 gehemmt wird und dass diese Hemmung analog § 206 BGB 2002 andauert, wenn dem Arbeitnehmer trotz erfolgten Widerrufs eine vollstreckbare Ausfertigung des Prozessvergleichs erteilt worden ist, bis ihm der Widerruf mitgeteilt wird" (LAG Berlin, 10.10.2003 - 6 Sa 1058/03).
4.5 Rechtzeitiger Widerruf
Ein Schriftsatz ist dann fristwahrend, wenn er innerhalb der zu beachtenden Frist "in die Verfügungsgewalt des zuständigen Gerichts gelangt". Dieser Grundsatz gilt auch für schriftsätzliche Erklärungen, mit denen ein Vergleich widerrufen werden soll. Sie haben die gleiche Wirkung wie ein Rechtsmittelschriftsatz (BAG, 04.03.2004 - 2 AZR 305/03 - mit dem Hinweis, dass das Interesse der Vertragsparteien bei einem Widerrufsvergleich dahin geht, "allen am Prozess Beteiligten alsbald Klarheit über den Bestand des Vergleichs zu verschaffen").
4.6 Überholte Vereinbarung
Schließt der in mündlicher Verhandlung protokollierte Vergleich mit "Der Kläger behält sich den Widerruf des Vergleichs durch schriftliche Anzeige zu den Gerichtsakten bis zum <Datum> vor.", ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Kläger den Vergleich nur auf Widerruf schließen will. Aber: Wird er Kläger im Anschluss an die Protokollierung des Vergleichstextes ausführlich über die Bedeutung des belehrt und steht danach im Protokoll, dass der Kläger nach ausführlicher Belehrung den Vergleich annimmt, ist der Widerrufsvorbehalt erledigt. Der Verzicht auf die Widerrufsmöglichkeit ist jederzeit möglich, selbst unwiderruflich und nicht anfechtbar. "Ein trotz des Verzichts erklärter Widerruf (...) lässt die Wirksamkeit des Vergleichs unberührt" (LAG Hamm, 29.09.1999 - 18 Sa 795/99).
4.7 Widerruf des Widerrufs
Beenden die Parteien den Rechtsstreit per Vergleich, kann man die verfahrensrechtliche Wirkung des Vergleichs "nicht durch übereinstimmende Verzichtserklärung auf die Rechte aus dem Vergleich mit der Folge beseitigen, dass der Rechtsstreit fortgesetzt werden kann." Der durch Widerruf bereits entfallene Vergleich kann nicht durch den Widerruf des Widerrufs oder das Einverständnis des Prozessgegners mit dem Widerruf wiederhergestellt werden. "Die Erklärungen der Parteien haben nur die Bedeutung, dass eine erneute Einigung des Inhalts zustande kommt, wie er in dem hinfällig gewordenen Vergleich niedergelegt ist (...). Diese Einigung ist indessen außergerichtlicher Natur und vermag dem früheren Vergleich seine prozessuale Wirksamkeit nicht zurückzugeben" (LAG Hamm, 25.06.1998 - 4 Sa 1207/97).
4.8 Zulassung verspäteter Klagen
Der Antrag, eine verspätete Klage (§ 5 Abs. 1 KSchG) nachträglich zuzulassen, ist nach § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG"nur innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses zulässig." Die 2-Wochen-Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist keine Notfrist, sondern eine normale prozessuale Frist. Mit den Wirkungen des § 249 ZPO verbundene Aussetzungs-, Ruhens- oder Unterbrechungstatbestände betreffen nicht einen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschlossenen Widerrufsvergleich. Insoweit ruht die 2-Wochen-Frist nicht, wenn die Parteien im Gütetermin einen Widerrufsvergleich schließen (LAG Hamm, 05.08.2004 - 1 Ta 421/04).