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BAG, 24.01.2001 - 5 AZR 228/00 - Anspruch auf Pauschal- und Einmalbetrag bei Austreten des Arbeitgebers aus Arbeitgeberverband
Bundesarbeitsgericht
Urt. v. 24.01.2001, Az.: 5 AZR 228/00
Anspruch auf Pauschal- und Einmalbetrag bei Austreten des Arbeitgebers aus Arbeitgeberverband
Verfahrensgang:
vorgehend:
LAG Düsseldorf - 23.02.2000 - AZ: 12 Sa 1850/99
Fundstellen:
FA 2001, 311
FAr 2001, 311
KTS 2001, 371-372
NZA 2002, 352 (red. Leitsatz)
ZInsO 2001, 727-728 (Volltext mit red. LS)
BAG, 24.01.2001 - 5 AZR 228/00
Redaktioneller Leitsatz:
- 1.
Gegen ein Urteil das auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei stattfand, kann die zugelassene Revision von der beschwerten Partei auch bei fortdauernder Unterbrechung wirksam einlegt werden; einer Aufnahme des Rechtsstreits bedarf es dazu nicht. Prozeßführungsbefugt sind bei einem gegen den Schuldner ergangenen Urteil sowohl dieser als auch der Insolvenzverwalter; für beide besteht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
- 2.
Die Nichtbeachtung von § 240 ZPO stellt einen absoluten Revisionsgrund nach § 551 Nr. 5 ZPO dar.
In dem Rechtsstreit
hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts
auf Grund der Beratung vom 24. Januar 2001
durch
den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Müller-Glöge als Vorsitzenden,
den Richter am Bundesarbeitsgericht Kreft,
die Richterin am Bundesarbeitsgericht Reinecke,
die ehrenamtlichen Richter Glaubitz und Hinrichs
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Auf die Revision der Beklagten und des Insolvenzverwalters werden das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 23. Februar 2000 - 12 Sa 1850/99 - und ab dem 6. Dezember 1999 auch das ihm zugrundeliegende Verfahren aufgehoben.
- 2.
Die Sache wird an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Landesarbeitsgericht vorbehalten.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger ein tariflicher "Pauschal"- und "Einmalbetrag" zusteht.
2
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie. Der Kläger ist seit 1964 bei ihr beschäftigt. Er ist freigestelltes Betriebsratsmitglied und Mitglied der Industriegewerkschaft Metall. Die Beklagte trat am 23. Februar 1999 aus dem regional für sie zuständigen Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie aus.
3
Am 25. Februar 1999 schlossen die Tarifvertragsparteien der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen rückwirkend zum 1. Januar 1999 ein neues Gehaltsabkommen. Es sieht einen Pauschalbetrag von 350,00 DM und einen Einmalbetrag vor, der für den Kläger - falls das Gehaltsabkommen Anwendung fände - 780,96 DM betragen würde. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, beide Beträge stünden ihm trotz des Verbandsaustritts der Beklagten jedenfalls deshalb zu, weil sein Arbeitsvertrag "die jeweils geltenden Tarifverträge für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie NRW?s" zu seinem Inhalt erkläre.
4
Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr mit Urteil vom 23. Februar 2000 stattgegeben. Schon zuvor war durch Beschluß des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 6. Dezember 1999 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet worden.
5
Gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts haben die Beklagte und der Insolvenzverwalter die zugelassene Revision eingelegt. Mit ihr wollen sie die Unterbrechung des Verfahrens zur Geltung bringen.
Gründe
6
Die Revisionen haben Erfolg. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts weist einen absoluten Revisionsgrund nach § 551 Nr. 5 ZPO auf. Die Beklagte war bei der mündlichen Verhandlung, auf Grund derer das Urteil ergangen ist, nicht ordnungsgemäß vertreten. Dies können sowohl sie selbst als auch der Insolvenzverwalter geltend machen.
7
1.
Die Revisionen sind zulässig.
8
1.1.
Beide Revisionskläger haben wirksam Revision eingelegt. Zwar ist das gerichtliche Verfahren seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 240 ZPO unterbrochen: Der Rechtsstreit betrifft die Insolvenzmasse und der Kläger macht vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Vermögensansprüche geltend, § 38 InsO. Dennoch steht § 249 Abs. 2 ZPO der Wirksamkeit der Revisionseinlegung nicht entgegen. Die durch diese Vorschrift angeordnete Unwirksamkeit von Prozeßhandlungen beschränkt sich auf solche, die gegenüber dem Gegner vorzunehmen sind; Rechtsmittel sind statt dessen beim Gericht einzulegen. Die Revision stellt auch keine "in Ansehung der Hauptsache vorgenommene Rechtshandlung" dar, sondern soll lediglich die Unterbrechung des Verfahrens zur Geltung bringen (vgl. BGH 16. Januar 1997 - IX ZR 220/96 - NJW 1997, 1445 [BGH 16.01.1997 - IX ZR 220/96] mwN; BGH 21. Juni 1995 - VIII ZR 224/94 - NJW 1995, 2563).
9
1.2.
Sowohl die Beklagte als auch der Insolvenzverwalter sind prozeßführungsbefugt.
10
Der Schuldner kann nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Rechtsfolge der Unterbrechung eines Gerichtsverfahrens nach § 240 ZPO mit einem Rechtsmittel zur Geltung bringen, wenn das mit der Sache befaßte Gericht diese Rechtsfolge außer acht gelassen und ein Urteil verkündet hat (BGH 16. Januar 1997 aaO; Jaeger/Henckel Konkursordnung 9. Aufl. § 10 Rn. 65; Kuhn/Uhlenbruck Konkursordnung 10. Aufl. Vorbemerkung §§ 10 bis 12 Rn. 19; Kübler/Prütting/Lüke Insolvenzordnung Stand 22. Dezember 2000 § 85 Rn. 43). Auch der Schuldner ist durch ein ihm gegenüber ergangenes Urteil formell und materiell beschwert. Ihm ist deshalb die Befugnis einzuräumen, eine solche Entscheidung mit Hilfe des gesetzlichen Rechtsmittels zu beseitigen und auf diese Weise den gesetzmäßigen Zustand wiederherzustellen (so schon RGZ 64, 361, 363).
11
Der Insolvenzverwalter wird gem. § 80 Abs. 1 InsO Inhaber des Verwaltungs- und Verfügungsrechts über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen des Schuldners. Mit dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht erhält er die Befugnis, die Insolvenzmasse betreffende Prozesse zu führen. Er ist verfahrensrechtlich seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Rechtsnachfolger des Schuldners Partei. Um ein gegen § 240 ZPO verstoßendes Urteil aus der Weit zu schaffen, muß er das Verfahren nicht aufnehmen. Er kann das Urteil anfechten, ohne die Unterbrechung des Verfahrens beenden zu müssen, weil der Rechtsstreit dadurch in der Sache nicht weiter betrieben wird (BGH 16. Januar 1997 aaO; BAG 3. Juni 1954 - 1 AZB 6/54 - BAGE 1, 22, 23; BAG 7. Mai 1963 - 5 AZR 127/63 - AP ZPO § 249 Nr. 2). Die Prozeßführungsbefugnis verbleibt in Fällen wie dem vorliegenden auch nicht allein beim Schuldner. Dies folgt aus § 80 InsO. Eine Aufteilung der Verwaltungs-, der Verfügungs- und der Prozeßführungsbefugnis zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Schuldner ist dort nicht vorgesehen. Sie würde zu einer Unklarheit bei der Kompetenzzuweisung führen und das Insolvenzverfahren lähmen (BGH 16. Januar 1997 aaO). Vielmehr sind sowohl der Schuldner als auch der Insolvenzverwalter befugt, einen Prozeß zu führen, mit dem die Unterbrechung des Verfahrens nach § 240 ZPO geltend gemacht werden soll.
12
1.3.
Weder dem Schuldner noch dem Insolvenzverwalter kann das Rechtsschutzbedürfnis deshalb abgesprochen werden, weil das Urteil des Landesarbeitsgerichts nicht wirksam zugestellt und eine Rechtsmittelfrist deshalb nicht in Lauf gesetzt worden sei, so daß nach einer Aufnahme des Verfahrens immer noch rechtzeitig Revision eingelegt und der Rechtsstreit in das Stadium zurückversetzt werden könne, in welchem er sich zu Beginn der Unterbrechung befunden habe. Ein Rechtsschutzbedürfnis für die Anrufung der höheren Instanz entsteht regelmäßig allein mit der Beschwer durch ein Urteil (BGH 16. Januar 1997 aaO mwN auch zu abweichenden Auffassungen). Da die Beklagte durch das Urteil des Landesarbeitsgerichts formell und materiell beschwert ist und der mit ihr das Rechtsmittel führende Insolvenzverwalter als ihr Rechtsnachfolger gilt, ist für beide Revisionskläger eine Beschwer gegeben.
13
2.
Die Revision ist begründet. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 6. Dezember 1999 hatte gem. § 240 ZPO die Unterbrechung des Verfahrens zur Folge. Am 23. Februar 2000 hätte weder mündlich verhandelt noch ein Urteil verkündet werden dürfen. Auf eine Kenntnis des Gerichts vom Unterbrechungsgrund kommt es dabei nicht an (BGH 21. Juni 1995 aaO). Das angefochtene Urteil ist zu Lasten einer Partei ergangen, die in der mündlichen Verhandlung auf Grund der Verfahrensunterbrechung nicht nach der Vorschrift des Gesetzes vertreten war. Dieser Verfahrensfehler stellt einen absoluten Revisionsgrund nach § 551 Nr. 5 ZPO dar.
14
3.
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist damit ohne Sachprüfung aufzuheben. Da dies wegen eines Mangels des Verfahrens geschieht, ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen wird (§ 564 Abs. 2 ZPO). Die Sache ist an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, das ggf. auch über die Kosten der Revision und die Frage, wer sie zu verantworten hat, zu befinden haben wird.
Müller-Glöge
Kreft
Reinecke
Glaubitz
W. Hinrichs
Von Rechts wegen!