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BSG, 03.07.1991 - 9b RAr 4/90 - Anspruch auf höhere Berufsausbildungsbeihilfe in der Arbeitsförderung; Ermessen bei der Leistungsgewährung in der Arbeitsfördeung; Übergang des Unterhaltsanspruches gegen die Eltern eines Auszubildenden im Recht der Arbeitsförderung
Bundessozialgericht
Urt. v. 03.07.1991, Az.: 9b RAr 4/90
Anspruch auf höhere Berufsausbildungsbeihilfe in der Arbeitsförderung; Ermessen bei der Leistungsgewährung in der Arbeitsfördeung; Übergang des Unterhaltsanspruches gegen die Eltern eines Auszubildenden im Recht der Arbeitsförderung
Verfahrensgang:
vorgehend:
LSG Schleswig-Holstein - 28.07.1989
Fundstelle:
SGb 1991, 391-392 (Kurzinformation)
BSG, 03.07.1991 - 9b RAr 4/90
Der 9b Senat des Bundessozialgerichts hat
auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juli 1991
durch
Vorsitzenden Richter Dr. Schmitt,
Richter Dr. Wulfhorst und Richterin Jaeger sowie
ehrenamtliche Richter Heins und Klenke
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 28. Juli 1989 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
1
I
Die Klägerin begehrt eine höhere Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) nach § 40 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) für die Zeit vom Oktober 1985 bis Mai 1986. Die Beklagte förderte sie durch diese Leistung während einer einjährigen Ausbildung zur Bekleidungsnäherin in Schleswig-Holstein und rechnete neben der Ausbildungsvergütung (monatlich 252,- DM) und neben einer Unfallversicherungsrente einen Unterhaltsbetrag von 465,- DM an - nach Abzug eines Freibetrages von 130,- DM von 595,- DM - (Bescheide vom 13. November 1985, 2. Dezember 1985, Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 1986, Bescheide vom 3. Februar 1986, 10. Juli 1986 und 2. August 1988). Der Vater der Klägerin, der während eines ohne Sorgerechtsregelung anhängigen Ehescheidungsverfahrens von seiner in Nordrhein-Westfalen ansässigen Familie getrennt lebte, hatte gemäß Gerichtsbeschluß monatlich 2.115,- DM für seine vier Kinder zu Händen seiner Ehefrau, die kein eigenes Einkommen hatte, zu zahlen. Die Mutter hatte 595,- DM als Anteil für die Klägerin in dem Unterhaltsverfahren angegeben. Sie gab davon nur 150,- DM monatlich als Unterhalt an die damals 17jährige Klägerin weiter, die getrennt von ihrer Familie lebte. Auf diesen Betrag will die Klägerin den auf die BAB anzurechnenden Unterhalt begrenzt haben. Ab Juni 1986 erhielt sie mit Hilfe ihrer im Januar 1986 bestellten Pflegerin laufend von ihrem Vater aufgrund eines Urteils 424,- DM an Unterhalt. Sie beschränkte dementsprechend ihr Begehren auf höhere BAB auf die Zeit bis Mai 1986. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 23. März 1988). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin höhere BAB von Oktober 1985 bis Mai 1986 zu gewähren und dabei als eigene Einkünfte der Klägerin, soweit sie den Unterhalt durch die Eltern betreffen, nicht mehr als 150,- DM zugrunde zu legen (Urteil vom 28. Juli 1989). Allein diesen Betrag, den die Mutter als Sorgeberechtigte an die Klägerin ausbezahlt habe, müsse sich diese als Unterhalt anrechnen lassen. Eine abweichende Ermessensausübung komme nicht in Betracht.
2
Die Beklagte rügt mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision eine Verletzung des § 40 Abs 3 AFG und des § 131 Abs 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das LSG hätte sie nicht zu einer bestimmten Leistung verurteilen dürfen, weil die umstrittene "Gleichwohl"-Leistung nach § 40 Abs 3 AFG ins Ermessen der Verwaltung gestellt sei. Ohne Berücksichtigung eines zu beanspruchenden Unterhaltes, den die Geförderte nicht erhält, könne die Beklagte BAB gewähren. Sie sei dazu nicht verpflichtet. Im übrigen hätte das LSG von seinem Rechtsstandpunkt aus die Leistung genau der Höhe nach festlegen müssen. Die begehrte Ermessensleistung sei aber nicht in Betracht gekommen. Sie setzte als Vorleistung ua einen möglichen Übergang des Unterhaltsanspruches auf die Beklagte voraus. Ein solcher sei hier ausgeschlossen; denn der Vater habe den der Klägerin kraft eines Titels geschuldeten Unterhalt gezahlt, und zwar befreiend zu Händen der Mutter. Damit sei die Forderung rechtmäßig befriedigt worden. Die Klägerin habe gegen ihre Mutter keinen höheren Geldanspruch auf Unterhalt gehabt und sich jedenfalls nicht in zumutbarer Weise um die Durchsetzung eines solchen bemüht.
3
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
4
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
5
Sie ergänzt die Begründung des Berufungsurteils dahin, daß sie nicht mit der baldigen Durchsetzung eines höheren Unterhaltsanspruches gegen die Mutter hätte rechnen können. Entweder hätte sie sich auf 150,- DM beschränken müssen, oder die Beklagte hätte einen Anspruch auf Weiterleitung des vollen vom Vater gezahlten Betrages auf sich überleiten können.
Gründe
6
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
7
Das LSG hat die Beklagte zu Recht verpflichtet, der Klägerin eine höhere BAB als die durch Verwaltungsakte zuerkannte zu gewähren und dabei nicht mehr als 150,- DM monatlich als eigene Unterhaltseinkünfte der Klägerin anzurechnen. Dieser Tenor des Grundurteils (§ 130 Satz 1 SGG) ist genau genug für eine Berechnung der von der Beklagten zu erbringenden Leistung. Das gilt auch dann, wenn, wie es das LSG getan hat, ein Ermessensspielraum ausgeschlossen wird.
8
BAB konnte die Klägerin als Teilnehmerin an einer betrieblichen Berufsausbildung von Oktober 1985 bis Mai 1986 beanspruchen, soweit ihr die erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung standen (§ 40 Abs 1 Satz 1 AFG vom 25. Juni 1969 - BGBl I 522 - / 18. Dezember 1975 - BGBl I 3113 - / 20. Dezember 1982 - BGBl I 1857 - / 20. Dezember 1985 - BGBl I 2484 -); das Erforderliche ist dabei am Bedarf für den Lebensunterhalt und für die Ausbildung zu messen (§ 40 Abs 1a Satz 1 und 2 AFG). Die Klägerin hatte nicht mehr als den durch die Mutter monatlich ausbezahlten Betrag von 150,- DM tatsächlich verfügbar.
9
Ein höherer, aus dem Einkommen des Vaters der Klägerin herzuleitender Betrag könnte aus zwei Gründen außer Ansatz zu bleiben haben: einmal, weil das Geld der Klägerin nicht zugeflossen ist, zum anderen, nach dem Satzungsrecht der Beklagten dem Vater möglicherweise nicht mehr als 150,- DM monatlich zugemutet werden (§ 10 Abs 1 Nr 2, §§ 16 und 18 Abs 7 der Anordnung über die individuelle Förderung der beruflichen Ausbildung idF vom 23. Mai 1984 - ANBA Nr 8/1984 - / 15. Juli 1985 - Nr 9/1985 - / 28. Januar 1986 - Nr 4/1986 -). Auch bei getrennt lebenden Eltern kann kein höherer bürgerlich-rechtlicher Unterhaltsanspruch als eigenes Einkommen angerechnet werden, weil grundsätzlich dieses eigene Unterhaltsrecht der Beklagten, das vom bürgerlichen Recht unabhängig ist, die äußerste Grenze für die Anrechnung von eigenem Einkommen bildet (vgl Urteil vom heutigen Tag - 9b RAr 131/89). Eine Entscheidung darüber, für die erst nach einer Zurückverweisung die notwendigen Tatsachen ermittelt werden müßten, erübrigt sich. Schon nach § 40 AFG darf nicht mehr als 150,- DM als Unterhalt angerechnet werden.
10
Während der Zeit, für die die Klägerin eine höhere BAB begehrt, zahlte zwar der von seiner Familie getrennt lebende Vater als einen auf die Klägerin entfallenen Anteil des Unterhalts monatlich 595,- DM. Aber von diesem Betrag erhielt die Klägerin tatsächlich nicht mehr als 150,- DM. Allein dieser Unterhaltsbetrag stand ihr iS des § 40 Abs 1 Satz 1 AFG zur Verfügung. Eine weitere Unterhaltsrente konnte die Klägerin nicht von ihrem Vater beanspruchen; denn durch die laufende Zahlung von 595,- DM zu Händen der Mutter erfüllte der Vater seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber der minderjährigen Klägerin aus dem ergangenen Titel ordnungsmäßig (§ 270 Abs 1, § 362 Abs 1, §§ 1601, 1602, 1603, 1606, 1610 Abs 1 und 2, § 1612 Abs 1 Satz 1, § 1629 Abs 3 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch<BGB> idF des Unterhaltsänderungsgesetzes vom 20. Februar 1986 - BGBl I 301 -, in Kraft seit dem 1. April 1986 - Art 8 -; vorher durch Leistung an die Mutter als gesetzliche Vertreterin - Soergel/ Lange, BGB, 11. Aufl 1981, § 1629 Rz 40 bis 43 -). Da die personensorgeberechtigte Mutter den Unterhalt nicht vollständig an die berechtigte Klägerin weitergab, hätte der zuerkannte Unterhaltsanspruch, wie später geschehen, besser durch direkte Zahlungen an die Klägerin aufgrund eines entsprechenden neuen Titels erfüllt werden sollen; das ist in diesem Zusammenhang jedoch ohne Bedeutung, weil auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen ist. Was der Klägerin somit nicht als Unterhalt aus der Familie iS des § 40 Abs 1 Satz 1 AFG zur Verfügung stand, mußte grundsätzlich durch die BAB abgedeckt werden.
11
Der vom Vater geschuldete Unterhaltsbetrag ist auch nicht deshalb in voller Höhe anspruchsmindernd, weil die Klägerin im Haushalt ihrer Familie, für den die Geldrente bestimmt war und dem sie zugeflossen sein wird, hätte leben können und sollen (§ 1612 Abs 2 Satz 1 BGB). Denn sie hätte von dort aus nicht an der Ausbildung, für die sie gefördert wurde, in einem anderen Bundesland teilnehmen können. Die sorgeberechtigte Mutter hatte den Aufenthalt der Klägerin außerhalb des Familienhaushalts mindestens geduldet (§§ 1626, 1627, 1631 Abs 1 BGB). Ob sie dies mit der Einschränkung getan hat, daß die Klägerin nicht mehr als 150,- DM monatlich als Bargeld während ihres auswärtigen Aufenthalts erhielt, hat das LSG offengelassen. Dies ist auch unerheblich für die grundsätzliche Erlaubnis, außerhalb der Familienwohnung zu leben, und damit für die Freistellung vom Zwang, den Lebensunterhalt durch ständigen Aufenthalt im Familienhaushalt im wesentlichen in Form von Naturalleistungen sichern zu lassen. Die gerichtliche Zuerkennung einer Geldrente von 424,- DM für die anschließende Zeit bestätigt, daß die Klägerin bei unveränderten Verhältnissen schon in der Zeit, für die sie eine höhere BAB begehrt, außerhalb ihres Elternhauses leben durfte und dementsprechend durch Zahlung einer Geldrente unterhalten werden mußte.
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Hält man allein die tatsächlich verfügbaren Geldmittel für maßgebend, erübrigt sich eine Entscheidung über die Sonderregelung des § 40 Abs 3 AFG, über deren Auslegung und Anwendung die Beteiligten streiten. Entnimmt man dieser Vorschrift jedoch, daß der Gesetzgeber außer den tatsächlich erhaltenen Unterhaltsmitteln auch Unterhaltsansprüche schlechthin als für den Lebensunterhalt anderweitig verfügbar iS des § 40 Abs 1 Satz 1 AFG wertet, selbst wenn die Ansprüche nicht erfüllt werden, so bleibt es im vorliegenden Fall dennoch bei derselben Entscheidung. Denn die Beklagte war, wie das LSG zutreffend entschieden hat, zur Vorleistung verpflichtet.
13
Nach § 40 Abs 3 Satz 1 AFG kann die Bundesanstalt den Teilnehmer an einer Bildungsmaßnahme durch BAB nach § 40 Abs 1 bis Abs 1b AFG ohne Berücksichtigung einer Unterhaltsleistung fördern, solange und soweit er die von ihm zu beanspruchenden Unterhaltsleistungen nicht erhält. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob diese Regelung als Soll-Vorschrift oder als Ermessensbestimmung zu verstehen ist (vgl dazu BSG SozR 4100 § 40 Nr 2 S 84 und die einschlägige Kommentarliteratur). Das LSG hat eine Entschließungsfreiheit der Beklagten, die im Rahmen einer Ermessensregelung bestände, zutreffend als "auf Null geschrumpft", dh als derart eingeschränkt beurteilt, daß keine andere Entscheidung gerechtfertigt wäre, als lediglich 150,- DM an Unterhalt anzurechnen. Gerade dann, wenn ein Auszubildender unter Umständen, wie sie hier bestanden - Minderjährigkeit, Verhalten der Mutter, Notwendigkeit einer Vertretung durch einen noch zu bestellenden Pfleger für einen Prozeß gegen die Mutter oder den Vater -, einen titulierten, also in seiner Höhe nicht zweifelhaften (vgl Hoppe/Berlinger, Förderung der beruflichen Bildung, 21. Lieferung, § 40 Anm 27) Unterhaltsanspruch nicht ohne große Schwierigkeiten durchsetzen kann, muß die Beklagte typischerweise durch eine Leistung nach § 40 Abs 3 Satz 1 AFG seine Ausbildung fördern. Die Vorausleistung soll die Ausbildung sichern, falls der Auszubildende den ihm unzweifelhaft zustehenden Unterhalt tatsächlich nicht erhält (vgl zur entsprechenden Regelung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes: BVerwG 13. Dezember 1990 - 5 C 21.88 - mN; Rothe/Blanke/Humborg, Bundesausbildungsförderungsgesetz, 5. Aufl 1990, § 36 Anm 4.1 und 8).
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In solchen Fällen gibt es keine Gründe gegen eine Gleichwohlgewährung. Denn die Unterhaltslage ist gerichtlich geklärt. In den familiären Intimbereich wird durch den Anspruchsübergang nicht eingegriffen. Gerade bei Minderjährigen, die zwar ihren öffentlich-rechtlichen Anspruch auf BAB schon verfolgen können (§ 36 SGB I), zur Durchsetzung ihrer Ansprüche im Familienverband eines besonderen Vertreters bedürfen, ermöglicht die Gleichwohlgewährung mit der gesetzlichen Folge des Anspruchsübergangs die gebotene Sicherstellung des Lebensunterhalts während der Ausbildung. Auch öffentliche Interessen werden hierdurch nicht nachteilig berührt, weil mit dem titulierten Anspruch die "Vorleistung" nachträglich grundsätzlich voll ausgeglichen wird.
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Wenn die Beklagte meint, zu diesem Verfahren nicht verpflichtet gewesen zu sein, weil der Vater durch Zahlung an die Mutter ordnungsgemäß erfüllt habe und daher an sie, die Beklagte, nicht hätte zahlen müssen, verkennt sie die Rechtswirkung des Anspruchsübergangs, den sie durch die Gleichwohlgewährung hätte bewirken können.
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Die Beklagte verwechselt Rechtsvoraussetzung und Rechtsfolge, wenn sie meint, eine Leistung nach § 40 Abs 3 AFG setze voraus, daß nur nicht befriedigte Unterhaltsansprüche des Auszubildenden durch Anzeige der Verwaltung (dazu BSG SozR 4100 § 138 Nr 27 S 150) auf sie übergehen könnten, sie brauche also nicht vorzuleisten, falls der Unterhaltsschuldner zahlungswillig sei. Wenn § 40 Abs 3 Satz 2 AFG die Regelung des § 140 Abs 1 Satz 2 bis 4 AFG für entsprechend anwendbar erklärt, dann handelt es sich bei dem durch Anzeige zu bewirkenden Forderungsübergang (§ 140 AFG) um eine kraft Gesetzes eintretende Rechtsfolge der Leistung nach § 40 Abs 3 Satz 1 AFG. Diese Gleichwohlgewährung setzt nicht Zahlungsunwilligkeit, sondern lediglich voraus, daß der Auszubildende einen von ihm zu beanspruchenden Unterhalt tatsächlich nicht erhält.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.