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BAG, 18.04.1996 - 8 AZR 907/93 - Feststellungsklage einer Lehrerin auf Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses nach Kündigung wegen mangelnden Bedarfs nach dem Einigungsvertrag; Begriff und Voraussetzungen für den mangelnden Bedarf als Kündigungsgrund; Pflicht des Arbeitgebers zur Darlegung und zum Bezugspunkt des mangelnden Bedarfs; Landesweiter Bedarf als nicht ausreichende Bezugsgröße für eine Überversorgung
Bundesarbeitsgericht
Urt. v. 18.04.1996, Az.: 8 AZR 907/93
Feststellungsklage einer Lehrerin auf Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses nach Kündigung wegen mangelnden Bedarfs nach dem Einigungsvertrag; Begriff und Voraussetzungen für den mangelnden Bedarf als Kündigungsgrund; Pflicht des Arbeitgebers zur Darlegung und zum Bezugspunkt des mangelnden Bedarfs; Landesweiter Bedarf als nicht ausreichende Bezugsgröße für eine Überversorgung
Verfahrensgang:
vorgehend:
LAG Mecklenburg-Vorpommern - 15.09.1993 - AZ: 2 Sa 150/93
Rechtsgrundlagen:
Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 2 Einigungsvertrag
BAG, 18.04.1996 - 8 AZR 907/93
In dem Rechtsstreitverfahren
hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. April 1996
durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ascheid,
die Richter Dr. Wittek und Dr. Mikosch sowie
die ehrenamtlichen Richter Hennecke und Dr. Rödder
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 15. September 1993 - 2 Sa 150/93 - wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 2 Einigungsvertrag (künftig: Abs. 4 Ziff. 2 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.
2
Die im Jahre 1962 geborene Klägerin war seit dem 1. August 1983 als ausgebildete Lehrerin für untere Klassen mit den Fächern Deutsch, Mathematik und Sport im Schuldienst der ehemaligen DDR tätig. Sie unterrichtete zuletzt Sport an der Sonderschule L. im Schulamtsbereich H..
3
Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 25. Mai 1992, der Klägerin am selben Tage zugegangen, ordentlich zum 31. Juli 1992 wegen mangelnden Bedarfs.
4
Mit ihrer am 29. Mai 1992 beim Kreisgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam. Für ihre Tätigkeit habe durchaus Bedarf bestanden. An der Schule in L. habe es keinen Stellenüberhang gegeben, ein landesweiter Stellenabbau werde mit Nichtwissen bestritten. Der Beklagte habe auch nicht korrekt nach sozialen Gesichtspunkten ausgewählt. Der Personalrat sei vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.
5
Die Klägerin hat beantragt,
- 1.
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 25. Mai 1992 aufgelöst worden sei, sondern über den 31. Juli 1992 hinaus fortbestehe,
- 2.
für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Lehrerin weiterzubeschäftigen.
6
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
7
Er hat vorgetragen, die Landesregierung habe am 24. Oktober 1991 aufgrund errechneter Überversorgung einen landesweiten Abbau von 4.270 Stellen an den Schulen beschlossen. Für die allgemeinbildenden Schulen, die Sonderschulen und die Berufsschulen seien nur noch 20.290 Stellen verblieben. Die Bedarfsberechnung sei für jede Sonderschule des Landes einzeln erfolgt. Für die Sonderschule in L. habe sich ein Überhang von sechs Stellen ergeben; der Unterricht sei mit 445 Wochenstunden abzusichern, was 16,5 Stellen entspreche. Bis zum Kündigungstermin hätten jedoch 24 Lehrer unterrichtet. Die Auswahl sei nach der Qualifikation der einzelnen Lehrer und nach sozialen Gesichtspunkten erfolgt, 14 Lehrer besäßen eine sonderpädagogische Qualifikation, die restlichen 2,5 Stellen seien mit unentbehrlichen Lehrkräften und Teilzeitkräften besetzt. Ein Bedarf für die Klägerin bestehe auch nicht an der 2. Sonderschule im Schulamtsbereich H. in B. Auch hier müßten überwiegend Lehrer mit sonderpädagogischer Qualifikation zum Einsatz kommen. Die Klägerin habe trotz ihrer Ausbildung nicht in der Bedarfsberechnung und Sozialauswahl für das gesamte Schulamt H. berücksichtigt werden können, weil sie an der Schule für Lernbehinderte in L. angestellt gewesen sei und diese Schulen einen gesonderten Bereich bildeten. Da die Befugnis zur Kündigung beim Kultusminister gelegen habe, habe die Personalvertretung nicht beteiligt werden müssen. Ein Hauptpersonalrat sei noch nicht gebildet gewesen. Die Beteiligung des Kreispersonalrats sei lediglich vorsorglich erfolgt.
8
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte weiterhin Klagabweisung.
Gründe
9
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.
10
I.
Soweit die Klägerin die Feststellung des Fortbestands ihres Arbeitsverhältnisses über den 31. Juli 1992 hinaus beantragt, ist darin nach den Grundsätzen des Senatsurteils vom 16. März 1994 (- 8 AZR 97/93 - AP Nr. 29 zu § 4 KSchG 1969, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu III der Gründe) eine über den Streitgegenstand des § 4 Satz 1 KSchG hinausgehende Erweiterung nicht enthalten. Weder die Klagebegründung noch das sonstige Vorbringen der Parteien erörtert einen anderen denkbaren Beendigungstatbestand für das Arbeitsverhältnis als die Kündigung vom 25. Mai 1992.
11
II.
Nach Abs. 4 Ziff. 2 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist. Diese Voraussetzungen sind im Streitfalle nicht dargelegt.
12
1.
Die Klägerin war im Schuldienst der ehemaligen DDR und damit in der öffentlichen Verwaltung (Art. 13 Abs. 1 und 3 Nr. 1 EV) tätig.
13
2.
Mangelnder Bedarf liegt vor, wenn im betreffenden Arbeitsbereich ein Überhang an Arbeitskräften besteht. Dieser Kräfteüberhang muß sich konkret auf das Tätigkeitsfeld des zu kündigenden Arbeitnehmers auswirken. Insoweit gelten im wesentlichen dieselben Maßstäbe wie bei Kündigungen, die aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG ausgesprochen werden. Der nachvollziehbar prognostizierte Bedarf an bestimmten Arbeitnehmern ist der Anzahl der vorhandenen vergleichbaren Arbeitnehmer entgegenzustellen. Bei der Prüfung des mangelnden Bedarfs ist nicht darauf abzustellen, welche Fächer und in welcher Schulart der Lehrer tatsächlich unterrichtet hat. Vielmehr kommt es auf den Beschäftigungsbedarf in den Unterrichtsfächern und in der Schulart an, für die er nach Lehrbefähigung und praktischer Tätigkeit qualifiziert ist (vgl. nur Senatsurteil vom 19. Januar 1995 - 8 AZR 914/93 - AP Nr. 12 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B II 1 der Gründe, m.w.N.).
14
3.
a)
Danach hätte der Beklagte darlegen müssen, wieviele Lehrer für untere Klassen (Grundschullehrer) im Schulamtsbereich H. benötigt wurden und wieviele tatsächlich vorhanden waren. Für die Beurteilung war die Situation im Schulamtsbereich maßgebend, weil der Beklagte in diesem Rahmen Bedarf oder Überhang an einzelnen Schulen durch Versetzungen ausgleichen kann und muß. Die Bedarfslage an den einzelnen Schulen ist demgegenüber zufällig; sie vermittelt kein zutreffendes Bild des wirklichen Bedarfs beim Beklagten. Andererseits wäre eine ausschließlich landesweite Berechnung ungeeignet, denn der Beklagte kann die Lehrer nicht landesweit beliebig einsetzen (vgl. Senatsurteil vom 19. Januar 1995, a.a.O., zu B II 2 b der Gründe).
15
b)
Entgegen der Auffassung des Beklagten gilt nicht deshalb etwas anderes, weil die Klägerin an einer Lernbehindertenschule unterrichtet hat und die Lernbehindertenschulen einen gesonderten Bereich bilden. Die Klägerin ist gerade für diese Schulen nicht voll qualifiziert. Es stellt zwar einen dienstlichen Grund dar, hier vorrangig Lehrer mit sonderpädagogischer Qualifikation weiterzubeschäftigen. Die übrigen Lehrer können aber nicht deswegen vorrangig entlassen werden, weil sie ursprünglich (bei höherem Bedarf) als geeignet angesehen wurden, auch ohne sonderpädagogische Qualifikation an einer Sonderschule zu unterrichten. Vielmehr sind sie bei der Prüfung des Beschäftigungsbedarfs an vergleichbaren Lehrern im Schulamtsbereich zu berücksichtigen, wenn der Bedarf bei den Sonderschulen nunmehr im wesentlichen mit entsprechend ausgebildeten Lehrern gedeckt werden kann. Damit etwa verbundene Lehrerwechsel, die auch sonst zum Schuljahresende vielfach üblich sind, müssen von den Schülern hingenommen werden.
16
c)
Der Beklagte hat demgegenüber nur zum landesweiten Bedarf und zum Bedarf an den Sonderschulen im Schulamtsbereich H. vorgetragen.
17
Sein Vortrag, die Landesregierung habe aufgrund errechneter Überversorgung einen landesweiten Abbau von 4.270 Stellen an den Schulen auf nur noch 20.290 Stellen beschlossen, ist nicht schlüssig. Die Vorgabe des Haushaltsplans enthält keine sachlichen Kriterien, welche die Umsetzung für einzelne Arbeitsverhältnisse ermöglichen (vgl. nur Senatsurteil vom 19. Januar 1995, a.a.O., zu C II 1 der Gründe, m.w.N.).
18
Ein mangelnder Bedarf an Grundschullehrern an der Lernbehindertenschule in L. und an den Sonderschulen im Schulamtsbereich H. konnte die Kündigung der Klägerin nicht rechtfertigen. Die Klägerin ist ausgebildete Lehrerin für untere Klassen. Sie kann an jeder Grundschule im Schulamtsbereich unterrichten. Einen mangelnden Bedarf hat der Beklagte insoweit nicht dargelegt. Die Unterrichtsverpflichtung der Klägerin hat sich nicht etwa auf Sonderschulen konkretisiert. Das wird nicht einmal von dem Beklagten geltend gemacht. Es entspricht der vertraglichen Verpflichtung des Lehrers ebenso wie der im Schuldienst geübten Praxis, Lehrer selbst nach längerer Zeit wieder entsprechend ihrer ursprünglichen Befähigung einzusetzen (vgl. Senatsurteil vom 19. Januar 1995, a.a.O., zu B II 2 d der Gründe).
19
III.
Da die Kündigung somit schon aus materiell-rechtlichen Gründen unwirksam ist, kommt es auf die ordnungsgemäße Beteiligung der zuständigen Personalvertretung nicht mehr an. Es kann dahingestellt bleiben, ob dem Landesarbeitsgericht auch hinsichtlich der Unwirksamkeit der Kündigung aus personalvertretungsrechtlichen Gründen zu folgen wäre (vgl. zur Beteiligung der Personalvertretung bei Bedarfskündigungen Senatsurteil vom 27. April 1995 - 8 AZR 592/94 - n.v., zu B I der Gründe; Urteil des Zweiten Senats vom 26. Oktober 1995 - 2 AZR 1026/94 - zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II der Gründe).
20
IV.
Mit dieser Entscheidung über den Feststellungsantrag wird der Rechtsstreit rechtskräftig abgeschlossen. Über den bisher geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits ist daher nicht mehr zu befinden.
21
V.
Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
Ascheid,
Dr. Wittek,
Mikosch,
Rödder,
Hennecke
Von Rechts wegen