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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Entgeltfortzahlung - Verweigerungsgründe
Entgeltfortzahlung - Verweigerungsgründe
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Ist ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nicht in der Lage zu arbeiten, besteht Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Doch es gibt auch Ausnahmen. Lesen Sie im Folgenden, unter welchen Bedingungen bei nur behaupteter Arbeitsunfähigkeit und bei Arbeitsausfall aus anderen Gründen der Mitarbeiter keinen Anspruch auf Vergütungsfortzahlung hat. Unter welchen Voraussetzungen der Betrieb bei Selbstverschulden des Arbeitnehmers leistungsfrei wird, erfahren Sie ebenfalls.
2. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung
2.1 Voraussetzungen
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ergibt sich aus § 3 Abs. 1 EFZG. Danach besteht grundsätzlich ein Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung für sechs Wochen, wenn alle gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind:
Es muss eine Arbeitsunfähigkeit infolge einer Krankheit vorliegen;
die Arbeitsunfähigkeit muss alleinige Ursache der Arbeitsverhinderung sein;
den Mitarbeiter darf kein Verschulden treffen.
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung entsteht erst nach vierwöchiger, ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses. Soweit entsprechende tarifvertragliche Regelungen dies vorsehen, kann auch während dieser Zeit ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung bestehen. Rechtsgrundlage ist dann nicht das EFZG, sondern der Tarifvertrag. Daher besteht für die vierwöchige Wartezeit kein Anspruch auf Erstattung der Arbeitgeberaufwendungen nach dem AAG (BSG, 18.08.2022 – B 1 KR 24/21 R).
2.2 Ursache für den Arbeitsausfall
Ursache der Arbeitsverhinderung muss für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung eine Krankheit sein.
2.2.1 Schönheitsoperation
Bei Schönheitsoperationen ist aber nicht eine Krankheit Ursache der Arbeitsunfähigkeit, sondern der Wunsch des Arbeitnehmers nach Änderung des Aussehens. Der Betrieb ist nur verpflichtet, das "normale" Krankheitsrisiko des Arbeitnehmers zu tragen; selbst veranlasste, medizinisch nicht notwendige Wunscheingriffe fallen nicht darunter. Schon aus diesem Grund kommt eine Entgeltfortzahlung nicht in Betracht. Darüber hinaus wird die Arbeitsverhinderung auch als selbstverschuldet eingestuft – dies schließt ebenfalls einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus.
Eine Krankheit liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor, wenn ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand vorliegt, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht. In vielen Einzelurteilen hat sich die Rechtsprechung mit der Abgrenzung zwischen einer Krankheit und einer Schönheitsoperation beschäftigt. Das BSG hat z.B. entschieden, dass eine fehlende Brustanlage bei einer Frau keine behandlungsbedürftige Krankheit darstellt, die die Leistungspflicht der Krankenversicherung auslöst (BSG, 08.03.2016 – B 1 KR 35/15 R). Mit einer Operation zum Aufbau der Brüste werde nicht die fehlende Stillfähigkeit hergestellt, sondern lediglich das Erscheinungsbild verändert. Die Rechtsprechung zum Sozialrecht verneint auch einen Anspruch auf Kostenübernahme einer Laserbehandlung zur Entfernung eines Tattoos, selbst wenn diese eine depressive Symptomatik hervorruft (SG Stuttgart, 01.03.2018 – S 27 KR 916/16).
Praxistipp:
Nach den für die Ärzte verbindlichen Richtlinien darf in solchen Fällen keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt werden. In Unkenntnis dieser Regelung halten sich aber nicht alle Ärzte daran. Da der Betrieb die Ursache einer Arbeitsunfähigkeit nicht kennt, können solche Sachverhalte nur zufällig aufgeklärt werden. Wichtig ist es, Augen und Ohren offenzuhalten.
Natürlich kann der Betrieb großzügig sein und auch in Kenntnis der Schönheitsoperation die Vergütung für die Dauer der Abwesenheit weiterzahlen. Doch darf man bei Teilnahme an dem Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für die Entgeltfortzahlung in solchen Fällen nicht darauf vertrauen, dass die Ausgleichskasse genau so großzügig ist und die Aufwendungen erstattet: Da die Krankenkasse die Ursache der Arbeitsunfähigkeit kennt, muss davon ausgegangen werden, dass der Antrag abgelehnt wird.
2.2.2 Künstliche Befruchtung
Es kommt häufiger vor, dass die Arbeitsleistung wegen einer künstlichen Befruchtung nicht erbracht werden kann. Dabei ist zu bedenken, dass die Erfüllung eines Kinderwunsches primär die individuelle Lebensgestaltung der Arbeitnehmerin betrifft und daher nicht zu dem vom Arbeitgeber nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz zu tragenden allgemeinen Krankheitsrisiko gehört. Auch fehlt es an einer speziellen Vorschrift (wie z.B. bei einer Schwangerschaftsunterbrechung - § 3 Abs. 2 EFZG), die für diesen Fall den Anspruch auf Entgeltfortzahlung regelt. Eine weitere Frage ist, ob ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung bestehen kann, wenn die künstliche Befruchtung als Folge einer Unfruchtbarkeit des Partners durchgeführt wird. Zeugungs- oder Empfängnisunfähigkeit wird zwar als Krankheit angesehen – diese betrifft in diesem Fall aber den Partner und nicht die Arbeitnehmerin. Bei der Arbeitnehmerin liegt jedoch keine Krankheit vor. Daraus folgt auch, dass sich die Arbeitsunfähigkeit nicht aus einer notwendigen Heilbehandlung ergeben kann. Eine Behandlungsmaßnahme kann nicht an die Erkrankung eines Dritten anknüpfen (BAG, 26.10.2016 – 5 AZR 167/16 m.w.N.). Tritt dagegen als Folge einer künstlichen Befruchtung bei der Frau eine Krankheit ein, liegen damit die Voraussetzungen für die Entgeltfortzahlung vor. In diesem Fall kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass ein Verschulden i.S.d. § 3 Abs. 1 EFZG vorliegt (siehe hierzu auch Entgeltfortzahlung - Mutterschutz und künstliche Befruchtung).
2.2.3 Arbeitsverweigerung
Ist der Arbeitnehmer nicht bereit, zu arbeiten, erhält er bei einer eintretenden Arbeitsunfähigkeit keine Vergütung. Ursache der Arbeitsverhinderung ist dann nicht die Arbeitsunfähigkeit, sondern die Weigerung des Arbeitnehmers, die Arbeitsleistung zu erbringen. Davon ist z.B. außerhalb der Corona-Problematik (siehe hierzu Arbeitsverweigerung) auszugehen, wenn der Mitarbeiter seinen Arbeitgeber informiert, er müsse während der Ferien ein schulpflichtiges Kind betreuen und könne daher nicht zur Arbeit kommen (LAG Rheinland-Pfalz, 31.10.2019 – 5 Sa 348/18).
2.2.4 Schlechtwetter im Baugewerbe
Im Anwendungsbereich des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe hat ein krankheitsbedingt arbeitsunfähiger Arbeitnehmer für Zeiten, in denen die Arbeit im Betrieb entweder aus zwingenden Witterungsgründen oder in der gesetzlichen Schlechtwetterzeit aus wirtschaftlichen Gründen unmöglich wird und der Arbeitnehmer bei bestehender Arbeitsfähigkeit von dem Arbeitsausfall betroffen wäre, keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. In der gesetzlichen Schlechtwetterzeit ist der Arbeitgeber auch gegenüber dem arbeitsunfähigen Arbeitnehmer berechtigt und verpflichtet, einen Lohnausgleich durch Auflösung von Arbeitszeitguthaben auf dem Ausgleichskonto durchzuführen (BAG, 23.02.2021 - 5 AZR 304/20).
2.3 Kündigung wegen der Krankheit
Der Arbeitgeber kann der Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung nicht entgehen, indem er das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Krankheit kündigt. Nach § 8 Abs. 1 EFZG wird der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht dadurch berührt, dass der Arbeitgeber aus diesem Grund kündigt. Es kommt auf die objektive Ursache, nicht auf das Motiv der Kündigung an. Maßgebend sind die objektiven Umstände bei Ausspruch der Kündigung (LAG Nürnberg, 10.12.2019 – 7 Sa 364/18). Wenn die Kündigung im zeitlichen Zusammenhang mit der Meldung der Arbeitsunfähigkeit erfolgt, kann sich daraus der Anscheinsbeweis ergeben, dass die Kündigung aus diesem Anlass ausgesprochen wurde (LAG Rheinland-Pfalz, 22.07.2021 – 5 Sa 93/21). Der Arbeitgeber muss dann diesen Anschein durch entsprechende Beweismittel entkräften (vgl. LAG Nürnberg, 04.07.2019 - 5 Sa 115/19; LAG Nürnberg, 10.12.2019 – 7 Sa 364/18). Er muss dafür Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass andere Gründe seinen Kündigungsentschluss bestimmt haben (BAG 05.02.1998 - 2 AZR 270/97; LAG Rheinland-Pfalz, 22.07.2021 - 5 Sa 93/21). Die Kündigung darf weder sittenwidrig (§ 138 BGB) noch maßregelnd (§ 612a BGB – siehe hierzu auch BAG, 18.11.2021 – 2 AZR 229/21) noch diskriminierend (§ 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG) sein (BAG, 12.01.2021 – 2 AZN 724/20). Im Übrigen ist es zulässig, Kündigungsgründe im Lauf eines Kündigungsschutzverfahrens nachzuschieben. Vgl. zur krankheitsbedingten Kündigung Arbeitsunfähigkeit - Versetzung - Kündigung.
3. Keine Arbeitsunfähigkeit
3.1 Grundsätzliches
Der Arbeitnehmer musste bis Ende 2022 seine Arbeitsunfähigkeit durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nachweisen (Einzelheiten siehe Entgeltfortzahlung - Melde- und Nachweispflicht). Damit hat er zunächst bewiesen, dass er nicht arbeiten kann. Wichtig ist aber, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dem Arbeitgeber zugegangen ist. Dafür ist der Mitarbeiter beweispflichtig, da er die Obliegenheit hat, dem Betrieb die Bescheinigung vorzulegen (§ 5 Abs. 1 EFZG). Außerdem ist er verpflichtet, dem Betrieb unverzüglich die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer mitzuteilen. Die Anzeigepflicht ist nicht auf den Fall einer Ersterkrankung beschränkt. Sie umfasst die Verpflichtung, auch die Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit über die zunächst angezeigte Dauer hinaus unverzüglich mitzuteilen. Eine schuldhafte Verletzung dieser (Neben-)Pflicht ist grundsätzlich geeignet, die Interessen des Vertragspartners zu beeinträchtigen und kann daher - je nach den Umständen des Einzelfalls - einen zur Kündigung berechtigenden Grund im Verhalten des Arbeitnehmers i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG darstellen (BAG, 07.05.2020 - 2 AZR 619/19, LAG Baden-Württemberg, 25.11.2020 – 10 Sa 52/18). Insbesondere die mehrfache Verletzung der Anzeigepflicht ist als beharrliche Pflichtverletzung einzustufen, mit der Folge, dass sie zur Kündigung durch den Arbeitgeber berechtigt (LAG Rheinland-Pfalz, 24.08.2020 - 3 Sa 87/20). Eine Kündigung, die sich auf mehrfache verspätete Krankmeldungen stützt, kann auch gegenüber einem schwerbehinderten Mitarbeiter sozial gerechtfertigt sein (LAG Rheinland-Pfalz, 14.01.2020 – 6 Sa 83/19).
Der Arzt legt in seiner Bescheinigung die Arbeitsunfähigkeit für einen bestimmten Zeitraum fest. Dabei ist dieser Zeitraum lediglich als Prognose zu betrachten. Davon unabhängig ist der Arbeitnehmer verpflichtet, die Arbeit auch wieder innerhalb dieses Zeitraumes aufzunehmen, wenn er früher als erwartet wieder gesund ist (LAG Rheinland-Pfalz, 11.07.2013 – 10 Sa 100/13). Eine frühere Arbeitsaufnahme führt auch nicht zu Problemen beim Versicherungsschutz, etwa in der gesetzlichen Unfall- oder der Krankenversicherung. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gebietet es jedoch, in solchen Fällen sich einen Eindruck zu verschaffen, ob der Mitarbeiter einen einsatzfähigen Eindruck macht. Ist dies nicht der Fall, sollte eine ärztliche Bescheinigung eingefordert werden, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit wieder verrichten kann.
Hinweis:
Seit 01.01.2023 entfällt die Pflicht der Arbeitnehmer, die gesetzlich krankenversichert sind, zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beim Arbeitgeber. Die erforderlichen Daten erhält der Betrieb dann auf elektronischem Weg von der zuständigen Krankenkasse über das Entgeltabrechnungsprogramm bzw. eine systemgeprüfte Ausfüllhilfe. Der Arbeitnehmer erhält beim Arzt aber auf Wunsch nach wie vor eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform. Dies ergibt sich aus Art. 9 und 11 des Dritten Bürokratieentlastungsgesetzes vom 22.11.2019 (BGBl. I Nr. 42 S. 1746). Der Starttermin für dieses Verfahren wurde mehrfach verschoben; nach Art. 4b des Gesetzes zur Verlängerung von Sonderregelungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie beim Kurzarbeitergeld und anderer Leistungen vom 23.03.2022 (BGBl. I Nr. 11 S. 482) wurde nunmehr der 01.01.2023 dafür festgelegt. Auch für geringfügig Beschäftigte gilt dieses Verfahren. Sie müssen daher den Arbeitgeber informieren, bei welcher Krankenkasse sie versichert sind. Die Abfrage ist nicht an die Mini-Job-Zentrale zu richten, sondern an die Krankenkasse, bei der der Mitarbeiter (familien)versichert ist.
Die Arbeitsunfähigkeit bezieht sich grundsätzlich auf die zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit.
Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht nur dann, wenn der Arbeitnehmer im betreffenden Zeitraum leistungswillig war. Hiervon ist nicht auszugehen, wenn er während bestehender Arbeitsunfähigkeit sein Firmenhandy sowie seinen Firmenschlüssel mit den Worten "ich komme nicht mehr" abgegeben hat (LAG Rheinland-Pfalz, 15.11.2018 – 4 Sa 435/17).
Wird eine Arbeitsunfähigkeit lediglich vorgetäuscht, rechtfertigt das in der Regel eine fristlose, außerordentliche Kündigung. Das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit wird als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB angesehen (BAG, 26.08.1993 - 2 AZR 154/93). Der Arbeitnehmer begeht dadurch eine schwere Vertragsverletzung, die je nach den Umständen des Einzelfalls eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann (LAG Rheinland-Pfalz, 09.02.2022 - 8 Sa 194/20).
Damit verletzt der Arbeitnehmer zum einen seine Hauptleistungspflicht erheblich, indem er keine Arbeitsleistung erbringt, obwohl er arbeiten könnte. Zum anderen erhält er bei einer vorgetäuschten Erkrankung regelmäßig unberechtigt Entgeltfortzahlung, was zugleich den Straftatbestand des Betrugs erfüllen kann (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 30.07.2019 - 5 Sa 246/18 m.w.N. u. LAG Nürnberg, 27.07.2021 – 7 Sa 359/20). Zu beachten ist bei der Kündigung aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (LAG Rheinland-Pfalz, 04.05.2021 – 6 Sa 359/20).
Dies gilt auch, wenn ein entsprechender dringender Verdacht besteht (LAG Berlin-Brandenburg, 12.02.2015 – 21 Sa 1902/14). Ein dringender, auf objektive Tatsachen gestützter Verdacht einer solch erheblichen Pflichtverletzung ist "an sich" als Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet (vgl. BAG 29.06.2017 - 2 AZR 597/16 u. LAG Rheinland-Pfalz, 22.04.2022 - 1 Sa 484/21). Ein Verdacht ist dringend, wenn eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht rechtfertigen könnte (BAG, 31.01.2019 - 2 AZR 426/18).
Auch ein Auszubildender zum Sport- und Gesundheitstrainer, der sich einer Nachholprüfung zu unterziehen hat und sich für den Prüfungstag krankmeldet, sich aber an diesem Tag einem intensiven Krafttraining unterzieht, begeht durch die Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit eine schwerwiegende Pflichtverletzung, die zur außerordentlichen Kündigung berechtigt (ArbG Siegburg, 17.03.2022 – 5 Ca 1849/21).
Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung liegt beim Erschleichen von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht nur während der Entgeltfortzahlung vor, sondern auch während der Zeit, in der die Krankenkasse Krankengeld zahlt, wenn der Arbeitnehmer in dieser Zeit einer verbotenen Konkurrenztätigkeit nachgeht (BAG, 29.06.2017 – 2 AZR 597/16). Besteht ein auf Tatsachen gegründeter Verdacht auf schwerwiegende Pflichtverletzungen, kann nach dem BAG-Urteil eine verdeckte Überwachungsmaßnahme nach § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG zulässig sein (siehe auch Detektiveinsatz – Allgemeines).
Wird wegen der Corona-Pandemie eine Quarantäne ausgesprochen, hat der Arbeitnehmer unter den Voraussetzungen des § 616 BGB einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Dabei handelt es sich aber nicht um einen Anspruch aus dem EFZG. Da die Voraussetzungen des § 616 BGB oft aber nicht vorliegen, zahlt der Arbeitgeber den Verdienstausfall für die ersten sechs Wochen der Quarantäne nach § 56 IfSG weiter. Kein Anspruch nach dem IfSG besteht, wenn die Quarantäne notwendig ist, weil der Arbeitnehmer nicht geimpft ist. Der Arbeitgeber kann seine Aufwendungen mit der nach Landesrecht zuständigen Behörde abrechnen. Wird der Arbeitnehmer während der Quarantäne arbeitsunfähig krank, bleibt der Anspruch aufgrund des § 56 Abs. 7 IfSG gegen den Arbeitgeber bzw. die zuständige Behörde bestehen. Erst nach Aufhebung der Quarantäne richtet sich der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach dem EFZG.
Ist der Arbeitnehmer ohne Anordnung einer Quarantäne wegen Corona arbeitsunfähig erkrankt, richtet sich der Anspruch auf Entgeltfortzahlung allein nach dem EFZG. Auch für den Fall einer danach ausgesprochenen Quarantäne besteht kein Anspruch nach § 56 IfSG. Auch in diesem Fall gilt, dass bei Verweigerung der Impfung oder bei Reise in ein Virusvariantengebiet von einem Selbstverschulden auszugehen ist. Für den Fall einer nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit ausgesprochenen Quarantäne besteht kein Anspruch nach § 56 IfSG.
3.2 Wegerisiko
Keine Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Arbeitnehmer lediglich den Weg zur Arbeit nicht zurücklegen kann (BAG, 07.08.1970 - 3 AZR 484/69).
3.3 Beweiskraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
3.3.1 Erschütterung der Beweiskraft
Sind Sie der Auffassung, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit durchaus verrichten kann, und wollen Sie deshalb keine Entgeltfortzahlung leisten, muss die Beweiskraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert werden (vgl. § 5 EFZG). Dies ist für den Arbeitgeber nicht einfach, da die Rechtsprechung dem ärztlichen Attest eine hohe Beweiskraft zubilligt (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, 23.05.2018 – 2 Sa 434/17). So hat eine Feststellung der Arbeitsunfähigkeit auch dann Bestand, wenn ein amtsärztliches Gutachten den Mitarbeiter als dienstfähig einstuft (LAG Sachsen, 01.12.2006 - 3 Sa 229/06). Bei gerichtlichen Auseinandersetzungen wird normalerweise der Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht angesehen, wenn der Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt (BAG, 26.10.2016 – 5 AZR 167/16 m.w.N.). Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Im Streitfall kann das Arbeitsgericht normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt (LAG Rheinland-Pfalz, 11.11.2021 - 5 Sa 35/21). Unmöglich ist es jedoch nicht, die Beweiskraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern: Denn auch nach der Rechtsprechung können im Einzelfall begründete Zweifel an der Richtigkeit der ärztlichen Bescheinigung bestehen (LAG Rheinland-Pfalz, 06.02.2020 – 5 Sa 123/19 m.w.N.). Bei einer Auseinandersetzung vor dem Arbeitsgericht müssen Sie Tatsachen vortragen, die ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit belegen und dies auch beweisen können (BAG, 19.02.1997 – 5 AZR 83/96). Gefordert ist also kein Vollbeweis; der Arbeitgeber genügt seiner primären Darlegungslast in der Regel schon dadurch, dass er Indizien vorträgt, aus denen auf eine Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers geschlossen werden kann. Ausreichend kann es sein, wenn eine entsprechende gutachtliche Stellungnahme – z.B. des Betriebsarztes - vorgelegt wird (BAG, 28.08.2019 – 5 AZN 381/19 m.w.N.). Bloße, subjektiv gefärbte Vermutungen reichen nicht aus, um den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern (LAG Niedersachsen, 04.05.2021 – 11 Sa 1180/20).
Die hohe Beweiskraft wird der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht zuletzt dadurch zugebilligt, dass der Arzt sie in der Regel nur aufgrund einer Untersuchung ausstellen darf. Nach der Rechtsprechung des BSG ist für die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ein persönlicher Arzt/Patienten-Kontakt erforderlich. Ein, ggf. verspäteter, Arzt-Patienten-Kontakt kann aber ausnahmsweise einem "rechtzeitig" erfolgten Arzt-Patienten-Kontakt zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit gleichstehen (BSG, 29.10.2020 – B 3 KR 6/20 R). Dagegen ist eine aufgrund eines reinen Online-Kontaktes über das Internetportal www.au-schein.de ohne persönlichen oder telefonischen Kontakt zu einem Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kein Nachweis für die Entgeltfortzahlung (ArbG Berlin, 01.04.2021 – 42 Ca 16289/20).
Im Hinblick auf die Corona-Pandemie hat der Gemeinsame Bundesausschuss, dem u.a. Ärzte, Krankenkassen und Kliniken angehören, beschlossen, dass befristet eine telefonische Krankschreibung erfolgen kann: Patienten, die an leichten Atemwegserkrankungen leiden, können auf diesem Wege bis zu 7 Kalendertage krankgeschrieben werden. Die niedergelassenen Ärzte müssen sich dabei persönlich vom Zustand des Patienten durch eine eingehende telefonische Befragung überzeugen. Eine einmalige Verlängerung der Krankschreibung kann telefonisch für weitere 7 Kalendertage erfolgen. Die so ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat den gleichen Beweiswert wie eine Krankschreibung nach persönlichem Arzt/Patientenkontakt. Es ist für den Arbeitgeber ohnehin nicht erkennbar, ob der Arbeitnehmer untersucht wurde oder die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf Grundlage eines telefonischen Kontakts zustande gekommen ist. Die Regelung gilt aktuell bis zum 31.03.2023.
Den gleichen Beweiswert hat auch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die im Rahmen einer Videosprechstunde ausgestellt wurde. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat am 16.07.2020 eine entsprechende Änderung der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie beschlossen. Voraussetzung für die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit in diesem Rahmen ist, dass der Patient dem behandelnden Arzt bekannt ist und die Art der Erkrankung dies nicht ausschließt. Es muss also eine sichere Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit auf diesem Weg möglich sein. Die erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist auch in diesem Rahmen auf maximal sieben Tage begrenzt. Eine Folgebescheinigung darf im Rahmen der Videosprechstunde nur erfolgen, wenn die vorherige erstmalige Krankschreibung aufgrund eines persönlichen Kontaktes mit dem Arzt erfolgte. Ob der Arzt die Arbeitsunfähigkeit auf diesem Weg feststellt, liegt in seinem Ermessen. Der Versicherte hat keinen Anspruch darauf. Durch einen Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 19.11.2021 wurde darüber hinaus festgelegt, dass der Vertragsarzt im Rahmen der ausschließlichen Fernbehandlung Arbeitsunfähigkeit für bis zu drei Kalendertage auch für Patienten, die in der Arztpraxis nicht bekannt sind, feststellen kann. Voraussetzung ist auch in diesem Fall, dass dem die Erkrankung nicht entgegensteht. Es soll keine Verlängerungsbescheinigung ausgestellt werden (vgl. auch § 92 Abs. 4a SGB V i.d.F. durch das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungsgesetz vom 03.06.2021 [BGBl. I Nr. 28 S. 1309]).
Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung muss nicht dadurch erschüttert sein, dass zuvor eine Bitte um Freistellung vor dem Hintergrund einer vom Arbeitnehmer als schikanös empfundenen Behandlung durch Vorgesetzte abgelehnt wurde (LAG Rheinland-Pfalz, 23.05.2018 – 2 Sa 434/17). Hat der Arbeitnehmer seine Ankündigung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen einer vertraulichen Kommunikation gegenüber Arbeitskollegen geäußert, genießen diese Äußerungen den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und sind daher nicht geeignet, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. In einem solchen Fall wäre zunächst eine Abmahnung auszusprechen (LAG Berlin-Brandenburg, 15.09.2016 – 10 TaBV 598/16). Das Gericht wird stets prüfen, ob nach den vorgetragenen Umständen ein starkes Indiz dafür besteht, dass die Krankheit nur vorgetäuscht wurde (vgl. BAG, 26.08.1993 - 2 AZR 154/93 u. BAG, 29.06.2017 – 2 AZR 597/16 – siehe oben, 3.1).
Praxistipp:
Bestehen Zweifel, ob der Mitarbeiter tatsächlich nicht arbeiten kann, ist es sinnvoll, das Gespräch mit ihm zu suchen. Allerdings muss er die (grundsätzlich zulässigen) Fragen zu der Ursache seiner Arbeitsunfähigkeit nicht beantworten. Aus den Reaktionen lassen sich aber oft Schlüsse ziehen.
3.3.2 Einzelfälle
Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist z.B. erschüttert, wenn nachgewiesen werden kann, dass der Mitarbeiter erklärt hat, er könne eine angebotene Schwarzarbeit ausführen (LAG Hessen, 01.04.2009 - 6 Sa 1593/08).
Das Gleiche kann auch gegeben sein, wenn der Arbeitnehmer während der Krankheit nebenher bei einem anderen Arbeitgeber arbeitet oder er Freizeitaktivitäten nachgeht, die mit der Arbeitsunfähigkeit nur schwer in Einklang zu bringen sind (LAG Rheinland-Pfalz, 11.07.2013 – 10 Sa 100/13). Ein grob genesungswidriges Verhalten kann eine außerordentliche Kündigung i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB an sich einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung bilden (BAG, 02.03.2006 - 2 AZR 53/05). Denn ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer ist angehalten, alles zu unternehmen, um zu gesunden, und alles zu unterlassen, was diesem Prozess entgegenwirken könnte (LAG Hamm, 13.03.2015 - 1 Sa 1534/14 u. LAG Rheinland-Pfalz, 09.02.2022 - 8 Sa 194/20).
Kurze private Tätigkeiten können aber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttern: Hilft ein Arbeitnehmer einem Bekannten, Pizzakartons ins Auto zu laden, kann daraus nicht abgeleitet werden, die Arbeitsunfähigkeit sei nur vorgetäuscht (LAG Köln, 10.12.2020 – 8 Sa 491/20).
Beispiel:
Der Beweiswert ist ebenfalls erschüttert, wenn nachgewiesen werden kann, dass der Arzt - außerhalb von zulässigen telefonischen Krankschreibungen oder Attesten im Rahmen der Videosprechstunde - weder eine körperliche Untersuchung durchgeführt noch objektive Befunde erhoben hat (LAG Hamm, 14.08.2015 – 10 Sa 156/15). Dies gilt auch bei Rückdatierung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (LAG Köln, 17.04.2002 – 7 Sa 762/01). Dementsprechend verstößt ein Geschäftsmodell, wobei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Wege der Ferndiagnose per WhatsApp ausgestellt werden auch bei leichten Erkrankungen gegen die ärztliche Sorgfaltspflicht und ist unlauter i.S.v. §§ 3, 3a UWG (LG Hamburg, 03.09.2019 – 406 HK O 56/19). Ohne persönlichen Arzt-Patient-Kontakt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen via Online-Angebot sind daher auch nach Einführung der Videosprechstunde umstritten. Nach einem Beschluss des OLG Hamburg verstößt die Bewerbung von (asynchroner) Fernbehandlung, bei der die Anamnese ausschließlich auf Antworten des Patienten zu vorformulierten Fragen beruht, ohne dass der Arzt die Möglichkeit hat, dem Patienten Rückfragen per Telefon oder Video-Chat zu stellen, gegen § 9 Satz 1 Heilmittelwerbegesetz (HWG). Die Bewerbung einer solchen Form der Fernbehandlung sei auch nicht von § 9 Satz 2 HWG zugelassen, weil eine ärztliche Einzelfallprüfung nicht stattfinden könne und somit nicht den "allgemein anerkannten fachlichen Standards" i.S.d. § 9 Satz 2 HWG entspreche. Nur wenn die in der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie des G-BA geregelten Voraussetzungen zur Feststellung von Arbeitsunfähigkeit im Wege von Fernbehandlung eingehalten werden, kann es allgemein anerkannten fachlichen Standards entsprechen, die Arbeitsunfähigkeit ohne eine unmittelbare ärztliche Untersuchung festzustellen.
Ebenfalls kann auch durch eigenen Sachvortrag einer Arbeitnehmerin vor dem Arbeitsgericht die Beweiskraft erschüttert werden, wenn sich daraus gewichtige Indizien für die Annahme ergeben, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht wegen einer Krankheit erteilt wurde (sondern wegen einer durch die Unfruchtbarkeit des Ehemannes indizierten In-vitro-Fertilisation – BAG, 26.10.2016 – 5 AZR 167/16).
Auch eine "angekündigte" Arbeitsunfähigkeit kann Zweifel am Beweiswert des ärztlichen Attestes begründen und sogar ein Kündigungsgrund sein (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 13.12.2011 - 5 Sa 63/11 - zur Ankündigung in Facebook siehe ArbG Düsseldorf, 28.08.2011 - 7 Ca 2591/11). Dies gilt insbesondere, wenn der Mitarbeiter nach einer Ablehnung von Urlaub die Arbeitsunfähigkeit ankündigt (LAG Hamm, 14.08.2015 – 10 Sa 156/15). Dieses Vorgehen ist nach Auffassung des Gerichts bereits an sich geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass sich herausgestellt hat, dass der Arzt den Arbeitnehmer weder körperlich untersucht noch objektive Befunde erhoben hat. Tritt der Arbeitnehmer einer Weisung des Arbeitgebers mit der Drohung entgegen, sich krankschreiben zu lassen, so rechtfertigt das im Grundsatz eine außerordentliche fristlose Kündigung. Unerheblich ist hierbei, ob der Arbeitnehmer später tatsächlich erkrankt oder ob die Weisung rechtswidrig war, denn die kündigungsrelevante Nebenpflichtverletzung besteht in der Art und Weise des Vorgehens des Arbeitnehmers (LAG Rheinland-Pfalz, 21.07.2020 - 8 Sa 430/19).
Gegen die Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung spricht, wenn der Arbeitnehmer sich am vorangegangenen Tag mit den Worten verabschiedet: "Morgen bin ich nicht da, da feiere ich krank" (LAG Rheinland-Pfalz, 06.02.2020 – 5 Sa 123/19).
Der Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ist erschüttert, wenn ein Arbeitnehmer nach einer Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber den Betrieb verlässt und in den folgenden zwei Monaten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von fünf Ärzten dem Arbeitgeber vorlegt, die er zeitlich lückenlos nacheinander konsultiert hat, jeweils wegen anderer Beschwerden (LAG Hamm, 10.09.2003 – 18 Sa 721/03).
Dies gilt aber nicht, wenn der Mitarbeiter zum Zeitpunkt der Ankündigung tatsächlich bereits arbeitsunfähig war, aber bis zur Krankschreibung trotzdem gearbeitet hat. Es kann dann nicht mehr angenommen werden, dass fehlender Arbeitswille ursächlich für das spätere Fehlen am Arbeitsplatz ist (LAG Rheinland-Pfalz, 16.12.2010 - 10 Sa 308/10 - siehe auch: BAG, 12.03.2009 - 2 AZR 251/07).
Die Ankündigung einer zukünftigen, im Zeitpunkt der Ankündigung nicht bestehenden Erkrankung durch den Arbeitnehmer für den Fall, dass der Arbeitgeber einem unberechtigten Verlangen auf Gewährung von Urlaub nicht entsprechen sollte, ist regelmäßig ohne Rücksicht auf eine später tatsächlich auftretende Krankheit an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abzugeben (BAG, 12.03.2009 – 2 AZR 251/07). Bleibt die Behauptung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer habe seine Erkrankung für den Fall angekündigt, wenn er seinen bereits bewilligten Urlaub nicht schriftlich bestätigt bekomme, unbewiesen, ist der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttert (LAG Schleswig-Holstein, 19.07.2016 – 1 Sa 37/16). Wird einer Beamtin nach einem abgelehnten Urlaub Arbeitsunfähigkeit bestätigt und begibt sie sich in dieser Zeit auf ein Reise nach Australien (Begleitung der Tochter zum RTL-Dschungelcamp), kann dies eine Entfernung aus dem Dienst rechtfertigen (OVG Niedersachsen, 10.12.2019 – 3 LD 3/19).
Werden alle Mitarbeiterinnen nach einer Streichung eines bereits genehmigten Betriebsurlaubs wegen einer zuvor wegen der Corona-Pandemie verhängten Praxisschließung am Tag des geplanten Beginns des Betriebsurlaubs krankgeschrieben, kann dies die Beweiskraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttern (LAG Nürnberg, 27.07.2021 – 7 Sa 359/20). Die betroffenen Arbeitnehmer müssen dann beweisen, dass sie tatsächlich arbeitsunfähig waren.
Die Drohung, sich krankschreiben zu lassen, falls die Schichteinteilung nicht wie gewünscht erfolgt, stellt eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht dar, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann. Dennoch kann die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers ausgehen, wenn die Drohung mit der Krankschreibung auf einem innerbetrieblichen Konflikt zwischen Arbeitnehmern beruhte, auf den der Arbeitnehmer bereits mit einer Eigenkündigung reagiert hat, und das Arbeitsverhältnis deshalb in Kürze endet. (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 04.05.2021 - 5 Sa 319/20).
Der Beweiswert einer nach einer ärztlichen Untersuchung erstellten Erstbescheinigung ist erschüttert, wenn der betroffene Arbeitnehmer bereits vor der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit seinen zum Ende des Urlaubs gebuchten Rückflug auf das Ende der später bescheinigten Arbeitsunfähigkeit umbucht (LAG Hamm, 08.06.2005 – 18 Sa 1962/04).
Wenn sich ein Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber darauf beruft, aus gesundheitlichen Gründen im Dienstplan vorgesehene Nachtdienste nicht leisten zu können, stellt dies keinen den Beweiswert einer nachfolgenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschütternden Umstand dar, selbst wenn zum Zeitpunkt dieser Äußerung kein Nachtdienst zu leisten war (LAG Berlin-Brandenburg, 29.04.2021 - 5 Sa 932/20).
Der Besuch eines Fitnessstudios während einer Arbeitsunfähigkeit wegen eines grippalen Infektes ist nicht geeignet, den Beweiswert der AU–Bescheinigung zu erschüttern (LAG Köln, 02.11.2011 – 9 Sa 1581/10). Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann auch erschüttert werden durch ein Verhalten, das der Erkrankung entgegensteht (vgl. hierzu Arbeitsunfähigkeit – Freizeitverhalten).
Der Beweiswert ist auch nicht allein dadurch erschüttert, dass einem Mitarbeiter am Tag der Eigenkündigung für den Rest der Kündigungsfrist Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wird. Vielmehr kann im Einzelfall auch die Kündigung selbst eine Situation darstellen, die zu einer Destabilisierung des kurz zuvor noch stabilen Gesundheitszustandes führt (LAG Hessen, 01.12.2012 – 7 Sa 186/12). In einem anderen Fall hat das BAG zugunsten des Arbeitgebers geurteilt: Kündigt der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis und wird am Tag der Kündigung passgenau bis zum Ende der Kündigungsfrist krankgeschrieben, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern. In diesem Fall ist der Arbeitnehmer verpflichtet, substantiiert dazulegen und zu beweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig war. Als Beweismittel eignet sich, den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden und ihn als Zeugen zu benennen (BAG, 08.09.2021 – 5 AZR 149/21).
Wird im zeitlichen Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeit eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen, muss bedacht werden, dass im Zusammenhang mit Krankheitszeiten keine betriebsbedingte Kündigung in Betracht kommt. Das LAG Köln hat klargestellt, dass die betriebsbedingte Kündigung kein "Auffangtatbestand" für Sachverhalte ist, in denen die Tatsachen zur Begründung einer verhaltensbedingten oder personenbedingten Kündigung nicht ausreichen (LAG Köln, 08.06.2021 - 6 Sa 723/20). Im Streitfall muss der Arbeitgeber darüber hinaus darlegen können, welche betriebsbedingten Gründe zur Zeit der Kündigung vorlagen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, 04.03.2021 – 5 Sa 278/20).
Wurde die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung formell ordnungsgemäß ausgefüllt, reicht es für die Erschütterung der Beweiskraft nicht aus, wenn der Arbeitgeber annimmt, der Arzt habe sie lediglich auf Grundlage der subjektiven Schilderung des Arbeitnehmers ausgestellt. Dies gilt auch, wenn nach Einschätzung des Arbeitgebers bei einem Gespräch am Vortag keine Erkrankung zu erkennen war (ArbG Berlin, 14.02.2014 – 28 Ca 18429/13).
Die bloße Tatsache, dass eine Arbeitsunfähigkeit kurze Zeit nach Erteilung einer Abmahnung begonnen hat, ist nicht geeignet, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern (LAG Köln, 25.06.2020 - 6 Sa 664/19).
Wird eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom Arbeitnehmer gefälscht, stellt dies eine schwere Pflichtverletzung dar, die eine außerordentliche, fristlose Kündigung rechtfertigen kann (LAG Hessen, 23.03.2015 – 16 Sa 646/14).
Erkrankt der Mitarbeiter im Ausland, muss der die Arbeitsunfähigkeit ebenfalls durch ein ärztliches Attest nachweisen. Dieses hat die gleiche Beweiskraft wie eine im Inland ausgestellte Bescheinigung, wenn sie von einem Arzt in einem Mitgliedsstaat der EU oder einem anderen Land, mit dem Deutschland ein Sozialversicherungsabkommen hat, ausgestellt wurde (BAG, 19.02.1997 – 5 AZR 83/96). In anderen Ländern muss erkennbar sein, dass der Arzt zwischen einer bloßen Erkrankung und einer Arbeitsunfähigkeit unterschieden hat (BAG, 01.10.1997 – 5 AZR 499/96). Innerhalb der EU gilt ein vereinfachtes Verfahren: Die Bescheinigung legt der Arbeitnehmer dem ausländischen Sozialversicherungsträger vor, der dann die deutsche Krankenkasse über die Arbeitsunfähigkeit und ihre voraussichtliche Dauer informiert. Die Krankenkasse benachrichtigt ihrerseits den Arbeitgeber ihres Mitglieds. Der Arbeitnehmer muss dann im Betrieb keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen. Seinen Mitteilungspflichten (§ 5 Abs. 2 EFZG) muss er allerdings weiter nachkommen.
Wird der Arbeitnehmer bei häufigen Kurzerkrankungen von verschiedenen Ärzten krankgeschrieben, begründet dies für sich gesehen noch keine Zweifel am Bestehen der Arbeitsunfähigkeit, wenn die Arztwechsel durch unterschiedliche Erkrankungen begründet werden können (LAG Köln, 13.05.2020 – 6 Sa 663/19).
Weitere Tatsachen, die den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern können:
Arbeit während der Arbeitsunfähigkeit bei einem Konkurrenzunternehmen;
Offenkundige Verkennung des Krankheitsbegriffs in der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst;
Rückwirkende Datierung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung;
Wiederholte Erkrankung von ausländischen Arbeitnehmern jeweils im Anschluss an den Heimaturlaub;
Wiederholte gemeinsame und gleichzeitige Erkrankung von Ehegatten nach Urlaubsende;
Unentschuldigte Nichtbefolgung einer Vorladung zum Medizinischen Dienst;
Durchführung von beschwerlichen Reisen während der Arbeitsunfähigkeit;
Strapaziöse sportliche Betätigungen während der Krankheit
(vgl. dazu LAG Köln, 13.05.2020 - 6 Sa 663/19 mit Hinweis auf Griese in: Küttner Personalbuch 2020 Nr. 54 Rn. 6).
3.3.3 Gegenbeweis des Arbeitnehmers
Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert des Attestes zu erschüttern, ist der Arbeitnehmer aufgerufen, weitere Beweise für seine Arbeitsunfähigkeit zu erbringen (BAG, 26.08.1993 - 2 AZR 154/93). Dazu hat der Arbeitnehmer angesichts der Umstände, die gegen eine Arbeitsunfähigkeit sprechen, weiter zu substantiieren, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben, welche Verhaltensmaßregeln der Arzt gegeben hat, welche Medikamente etwa bewirkt haben, dass der Arbeitnehmer zwar immer noch nicht die geschuldete Arbeit bei seiner Arbeitgeberin verrichten konnte, aber zu leichten anderweitigen Tätigkeiten in der Lage war. Erst wenn der Arbeitnehmer insoweit seiner Substantiierungspflicht nachgekommen ist und gegebenenfalls die behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbunden hat, muss der Arbeitgeber aufgrund der ihm obliegenden Beweislast den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers widerlegen (LAG Rheinland-Pfalz, 11.11.2015 – 7 Sa 672/14).
3.3.4 Einschaltung Medizinischer Dienst
Praxistipp:
Um Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit abzuklären, können Sie auch über die zuständige Krankenkasse den Medizinischen Dienst einschalten (siehe § 275 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 1a SGB V; LAG Rheinland-Pfalz, 20.03.2019 – 7 Sa 174/18). Sinnvoll ist es, Ihre Zweifel schriftlich darzulegen. Da das Verfahren einige Tage Vorlauf braucht, ist es sinnvoll, schnell zu handeln. Wird die Arbeitsunfähigkeit vom MD bestätigt, ist damit der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung weiter untermauert und der Arbeitnehmer hat seine Arbeitsunfähigkeit bewiesen (LAG Baden-Württemberg, 06.07.2016 – 9 Sa 20/16), zu Einzelheiten und Handlungsmöglichkeiten siehe auch Arbeitsunfähigkeit - Beweisfragen).
Die Anweisung des Arbeitgebers an eine Arbeitnehmerin, sich unverzüglich zwecks Untersuchung an den Medizinischen Dienst zu wenden und ihm eine Stellungnahme zum Untersuchungsergebnis vorzulegen, geht ins Leere: Den MD kann nur die Krankenkasse einschalten. Weigert sich daher die Arbeitnehmerin, der Anordnung des Arbeitgebers Folge zu leisten, ist dies kein Grund für eine außerordentliche Kündigung (LAG Köln, 21.06.2018 – 7 Sa 768/17). Andererseits vergibt der Arbeitgeber, wenn er die Einschaltung des MD unterlässt, die Möglichkeit, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Dies kann ihm im Rahmen einer arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung angelastet werden (LAG Köln, 13.05.2020 – 6 Sa 663/19).
3.4 Strafrecht
Eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit kann auch strafrechtliche Konsequenzen haben. Zum einen kann der Tatbestand der Vorlage eines falschen Gesundheitszeugnisses erfüllt sein (§ 279 StGB), zum anderen kann auch ein Betrug vorliegen (§§ 263ff. StGB). Für die Zeit einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit lässt sich der Arbeitnehmer Entgeltfortzahlung gewähren und begeht damit regelmäßig einen Betrug zulasten des Arbeitgebers (LAG Rheinland-Pfalz, 09.02.2022 – 8 Sa 194/20 m.w.N.).
3.5 Datenschutz
Die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung löst grundsätzlich einen Anspruch auf Entgeltfortzahlungsanspruch aus. Der Betrieb hat die Beweislast dafür, dass dieser Anspruch nicht besteht. Der Mitarbeiter ist aber zur Mitwirkung und daher zu entsprechenden Auskünften verpflichtet. Daraus ergibt sich die Frage, was hinsichtlich des Datenschutzes zu beachten ist.
Der Beschäftigten-Datenschutz ergibt sich aufgrund der Öffnungsklausel des Art. 88 DSGVO aus § 26 BDSG. Aber auch bei Anwendung dieser Vorschrift sind die generellen Vorgaben der DSGVO und des BDSG zu beachten.
Die Verarbeitung (dazu gehören z.B. das Erheben, Erfassen, Organisieren, Speichern, Löschen und Vernichten) der Daten von Beschäftigten ist u.a. zulässig, soweit die Informationen im Zusammenhang mit der Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich sind. Der geforderte Zusammenhang besteht bei der Entgeltfortzahlung zweifellos, da sie mit der Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses im Zusammenhang steht. Wenn es aber um sehr sensible, z.B. gesundheitliche Informationen geht, ist die Erhebung solcher Daten nur unter den Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 BDSG i.V.m. Art. 9 Abs. 1 DSGVO zulässig. § 26 Abs. 3 BDSG lässt die Verarbeitung solcher Daten zur Erfüllung rechtlicher Pflichten aus dem Arbeitsrecht zu, wenn das schutzwürdige Interesse des Mitarbeiters an dem Ausschluss der Verarbeitung nicht überwiegt. Eine rechtliche Pflicht liegt vor, weil der Anspruch auf Freistellung geprüft werden muss. Da das schutzwürdige Interesse des Arbeitnehmers am Ausschluss der Verarbeitung abzuwägen ist und es daher im Streitfall zu einer anderen Würdigung der Umstände kommen kann, ist zu empfehlen, eine ausdrückliche Einwilligung des Mitarbeiters zur Verarbeitung dieser Daten einzuholen (§ 26 Abs. 2 BDSG, Art. 9 Abs. 2 Buchst. a DSGVO). Zu beachten ist dabei, dass die Einwilligung nur rechtswirksam ist, wenn sie auf freiwilliger Basis gegeben wird.
Wird der Datenschutz vom Arbeitgeber nicht beachtet, kann dies wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Ansprüche auf Schadenersatz nach sich ziehen (LAG Rheinland-Pfalz, 13.06.2019 – 5 Sa 438/18).
Art. 5 Abs. 1 Buchst. a 1 und Art. 6 Abs. 1 DSGVO (die den Grundsatz der Rechtsmäßigkeit der Verarbeitung regeln), sind Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB. Die Datenverarbeitung ist nur erforderlich, wenn kein milderes, gleich effektives Mittel zur Verfügung steht, um die Interessen des Verantwortlichen zu erreichen. Im Rahmen der Abwägung nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO ist neben der berechtigten Erwartungshaltung der betroffenen Person maßgeblich zu berücksichtigen, ob der Verantwortliche seinen Informationspflichten nach der DSGVO gegenüber der betroffenen Person nachgekommen ist und dieser die Möglichkeit gegeben hat, ihre nach der DSGVO bestehenden Rechte wahrzunehmen. Die Regelung des Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO hat auch in dem Anwendungsbereich des § 26 BDSG Gültigkeit (LAG Hamm, 14.12.2021 - 17 Sa 1185/20). Ein Schadenersatzanspruch besteht bei materiellen und immateriellen Schäden auch aufgrund des Art. 82 DSGVO, wenn ein Verstoß gegen die DSGVO vorliegt (zur Schätzung eines immateriellen Schadens siehe BAG, 05.05.2022 – 2 AZR 363/21).
Siehe auch die Stichwörter Datenschutz.
4. Ablauf der Sechs-Wochen-Frist
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht jeweils für sechs Wochen. Wird der Arbeitnehmer infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig, so verliert er wegen dieser Arbeitsunfähigkeit den Anspruch auf Entgeltfortzahlung für einen weiteren Zeitraum von sechs Wochen nicht, wenn
er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder
seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist.
Tritt zu einer bestehenden Krankheit eine weitere Krankheit hinzu, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit verursacht, verlängert sich der Anspruch nicht. Dies gilt auch, wenn nach einiger Zeit allein die hinzugetretene Krankheit die Arbeitsunfähigkeit verursacht. Dies ergibt sich aus der Rechtsprechung des BAG, das diesen Grundsatz der "Einheit des Verhinderungsfalles" entwickelt hat (st. Rspr., siehe BAG, 25.05.2016 – 5 AZR 318/15 u. 11.12.2019 – 5 AZR 505/18). Es reicht insoweit aus, dass die Krankheiten zumindest an einem Tag zeitgleich nebeneinander bestanden haben (BSG 21.06.2011, B 1 KR 15/10 R; LSG Baden-Württemberg, 22.02.2022 - L 11 KR 2166/21). Führt die während der Arbeitsunfähigkeit aufgrund der ersten Krankheit hinzugetretene zweite Krankheit nicht zu einer Verlängerung der Höchstbezugsdauer, gilt dies auch für eine dritte Krankheit, die während der durch die zweite Krankheit verursachten Arbeitsunfähigkeit hinzutritt. Nicht notwendig ist, dass zu diesem Zeitpunkt die Arbeitsunfähigkeit noch durch die zeitlich erste Krankheit verursacht wird (LSG Baden-Württemberg, 22.02.2022 - L 11 KR 2166/21). Tritt dagegen nach Abschluss einer Arbeitsunfähigkeit eine weitere Verhinderung wegen einer anderen Krankheit ein, löst diese einen erneuten Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus. Von einem einheitlichen Verhinderungsfall ist - wie dargelegt - in der Regel auszugehen, wenn die bescheinigten Arbeitsunfähigkeitszeiten entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder zwischen zwei Krankheitszeiten nur ein freier Tag oder ein Wochenende liegt (BAG, 11.12.2019 – 5 AZR 505/18). Mit dieser Entscheidung hat das BAG seine bisherige Rechtsprechung geändert, wonach in solchen Fällen ein erneuter Anspruch auf Entgeltfortzahlung für sechs Wochen bestand. Das LAG Mecklenburg-Vorpommern führt dazu aus: "Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht hingegen, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung zu einer erneuten Arbeitsverhinderung führt. Das ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet hat" (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 14.12.2021 - 5 Sa 101/21). Nach einem Urteil des LAG Köln ist ein einheitlicher Verhinderungsfall nur dann nicht anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet hat oder jedenfalls arbeitsfähig war, sei es auch nur für wenige außerhalb der Arbeitszeit liegende Stunden. Maßgeblich für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und damit für das Ende des Verhinderungsfalls ist grundsätzlich die Entscheidung des Arztes, der Arbeitsunfähigkeit - ungeachtet der individuellen Arbeitszeit des betreffenden Arbeitnehmers - im Zweifel bis zum Ende eines Kalendertags bescheinigen wird. Das gilt unabhängig davon, ob das Ende der Arbeitsunfähigkeit auf einen Arbeits- oder arbeitsfreien Tag fällt. Meldet sich der Arbeitnehmer in unmittelbarem Anschluss an den ausgeschöpften Sechs-Wochen-Zeitraum des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG erneut mit einer Erstbescheinigung arbeitsunfähig krank und bestreitet der Arbeitgeber unter Berufung auf den Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls, dass Arbeitsunfähigkeit infolge der neuen Krankheit erst jetzt eingetreten sei, hat der Arbeitnehmer als anspruchsbegründende Tatsache darzulegen und im Streitfall zu beweisen, dass die neue Arbeitsunfähigkeit erst zu einem Zeitpunkt eingetreten ist, zu dem die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits beendet war (LAG Köln, 14.07.2021 - 11 Sa 31/21). Hat der Arbeitnehmer aber unstrittig zwischen zwei Arbeitsunfähigkeiten tatsächlich gearbeitet, liegt kein einheitlicher Verhinderungsfall vor. Wenn aber die zweite Arbeitsunfähigkeit durch die gleiche Krankheit verursacht wurde, kann aber ggf. die Vorerkrankung angerechnet werden (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 14.12.2021 – 5 Sa 101/21). Daraus ergibt sich, dass die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG neben der Tatsache der Arbeitsunfähigkeit als solcher auch deren Beginn und Ende umfasst. Dabei kann sich der Arbeitnehmer zunächst auf die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stützen. Ist jedoch unstreitig oder bringt der Arbeitgeber gewichtige Indizien dafür vor, dass die erneute Arbeitsunfähigkeit auf einer Krankheit beruht, die bereits vor dem attestierten Beginn der Arbeitsunfähigkeit bestanden hat, und zu einer Krankheit, wegen derer der Arbeitnehmer bereits durchgehend sechs Wochen arbeitsunfähig war, hinzugetreten ist, muss der Arbeitnehmer als Voraussetzung des Entgeltfortzahlungsanspruchs den von ihm behaupteten Beginn der "neuen" krankheitsbedingten Arbeitsverhinderung beweisen (BAG, 11.12.2019 – 5 AZR 505/18). Dafür steht ihm das Zeugnis des behandelnden Arztes als Beweismittel zur Verfügung (BAG, 25.05.2016 – 5 AZR 318/15).
In solchen Fällen ist die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht ausreichend, weil sie keine Angaben zum Bestehen einer Fortsetzungserkrankung enthält. Der Arbeitnehmer muss deshalb darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer neuen Krankheit, obliegt dem Arbeitnehmer die Darlegung der Tatsachen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen (vgl. BAG, 31.03.2021 - 5 AZR 197/20). Um dieser abgestuften Darlegungslast gerecht zu werden, muss der Arbeitnehmer grundsätzlich zu allen Krankheiten im Jahreszeitraum substantiiert vortragen. Er kann nicht eine "Vorauswahl" treffen und nur zu denjenigen Erkrankungen vortragen, die ihm als möglicherweise einschlägig erscheinen (LAG Hessen, 14.01.2022 - 10 Sa 898/21).
Den Arbeitgeber trifft aber die Obliegenheit, sich zeitnah zu vergewissern, ob es sich bei einer erneut eintretenden Arbeitsunfähigkeit um eine Fortsetzungserkrankung handelt, damit Überzahlungen vermieden werden (LAG Hamm, 23.01.2020 – 17 Sa 1030/19).
Praxistipp:
Auskünfte wegen des Zusammenhangs verschiedener Krankheiten geben auch die Krankenkassen per Datenaustausch. Im Zusammenhang mit der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist die Krankenkasse ab 01.01.2023 verpflichtet, dem Arbeitgeber evtl. anrechenbare Vorerkrankungen per Datenabruf mitzuteilen (§ 109 Abs. 2 SGB IV i.d.F. durch Art. 11 des Dritten Bürokratieentlastungsgesetzes vom 22.11.2019 (BGBl I Nr. 42 S. 1746; der Starttermin wurde aufgrund Art. 4b des Gesetzes zur Verlängerung von Sonderregelungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie beim Kurzarbeitergeld und anderer Leistungen vom 23.03.2022 (BGBl. I Nr. 11, S. 482) auf den 01.01.2023 verschoben. Einzelheiten regelt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (siehe hierzu die Grundsätze für die Meldung der Arbeitsunfähigkeitszeiten im Rahmen des Datenaustausches (eAU - § 109 Abs. 1 SGB IV i.V.m. § 125 Abs. 5 SGB IV)). Ein Abruf von Vorerkrankungen kann nicht erfolgen, wenn zwischen der vorherigen und der neuen Arbeitsunfähigkeit ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten liegt (dann besteht ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung auch, wenn es sich um dieselbe Krankheit handelt).
Nach der Rechtsprechung des BAG spricht viel dafür, dass die Pflicht zur Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen den Arbeitnehmer auch für die Zeiten trifft, in denen er keine Entgeltfortzahlung mehr beanspruchen kann (BAG, 21.11.2018 – 7 AZR 394/17).
5. Arbeitsausfall aus anderen Gründen
Wäre die Arbeit auch aus anderen Gründen ausgefallen, besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen der Arbeitsunfähigkeit. Voraussetzung für die Entgeltfortzahlung ist, dass die Arbeitsunfähigkeit die einzige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung ist (LAG Rheinland-Pfalz, 02.02.2015 – 2 Sa 490/14). Andere Gründe für den Ausfall der Arbeitsleistung liegen z.B. vor bei
(bezahlter) Arbeitsfreistellung: Wird der Arbeitnehmer zum Ende des Arbeitsverhältnisses freigestellt und in dieser Zeit arbeitsunfähig krank, hat er keinen Anspruch darauf, dass ihm die Zeit der Arbeitsunfähigkeit auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben wird. Dies gilt auch, wenn für die Freistellung Guthabenstunden aus dem Arbeitszeitkonto und Urlaub eingesetzt werden. Grundsätzlich trägt der Arbeitnehmer das Risiko, die durch die Arbeitsbefreiung gewonnene Freizeit auch nach seinen Vorstellungen nutzen zu können (LAG Rheinland-Pfalz, 19.11.2015 – 5 Sa 342/15),
Arbeitskämpfen: Bei Streik besteht allerdings Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn die Beschäftigung des Mitarbeiters ohne die Arbeitsunfähigkeit möglich gewesen wäre. Dagegen besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn ein Repräsentant der streikführenden Gewerkschaft kurz vor Beginn der Arbeitskampfmaßnahme arbeitsunfähig wird und andernfalls von seiner Teilnahme am Streik auszugehen gewesen wäre (LAG München, 28.06.2012 – 4 Sa 33/12),
Arbeitsunwilligkeit: z.B. erkennbar durch längeres unentschuldigtes Fehlen vor der Arbeitsunfähigkeit, durch eine "angekündigte" Arbeitsunfähigkeit oder sonstige Verweigerungshaltung (vgl. hierzu BAG, 24.03.2004 - 5 AZR 355/03; LAG Rheinland-Pfalz, 20.03.2009 - 6 Sa 361/08; LAG Rheinland-Pfalz, 02.02.2015 – 2 Sa 490/14; LAG Köln, 27.01.2012 – 4 Sa 1248/11). Besteht die grundsätzliche Bereitschaft, zu arbeiten, nicht, schließt dies den Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus (LAG Rheinland-Pfalz, 31.10.2019 – 5 Sa 348/18). Eine Arbeitsunwilligkeit des Arbeitnehmers ist als reale Ursache anzusehen, die den Anspruch auf Entgeltfortzahlung entfallen lässt. Der Arbeitnehmer, der nicht bereit ist zu arbeiten, erhält danach auch im Falle einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Erkrankung keine Vergütung. Die Darlegungs- und Beweislast für den Einwand, der Ausfall der Arbeit habe aufgrund einer anderweitigen Leistungsunmöglichkeit oder Leistungsunwilligkeit des Arbeitnehmers nicht allein auf der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit beruht, trägt der Arbeitgeber; das entspricht der Regelung beim Annahmeverzug gem. § 297 BGB (LAG Rheinland-Pfalz, 26.11.2020 - 2 Sa 40/20 m.w.N.). Eine Arbeitsverweigerung setzt eine Nachhaltigkeit voraus: Der Arbeitnehmer muss bewusst und nachhaltig die ihm übertragene Arbeit nicht leisten wollen (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 27.07.2021 – 2 Sa 25/21).
Beschäftigungsverboten: z.B. nach § 3 MuSchG (zur Abgrenzung im Fall eines ärztlichen Beschäftigungsverbotes nach § 16 MuSchG vgl. BAG, 13.02.2002 - 5 AZR 588/00; BAG, 09.10.2002 - 5 AZR 442/01 u. 443/01 sowie unter Entgeltfortzahlung – Mutterschutz und künstliche Befruchtung),
Kuren: Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht unter den Voraussetzungen des § 9 EFZG. Bei Beteiligung an den Kurkosten durch die Krankenkasse ist Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch, dass die Maßnahme dazu dient, eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen oder eine sonst drohende Krankheit zu verhüten oder deren Verschlimmerung zu vermeiden. Dagegen lösen bloße Erholungskuren, die lediglich der Vorbeugung oder der Verbesserung des Wohlbefindens dienen, keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus. Die von dem Sozialleistungsträger bewilligte Maßnahme muss in einer Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation durchgeführt werden und darf keinen urlaubsmäßigen Zuschnitt haben (BAG, 25.05.2016 - 5 AZR 298/15).
Kurzarbeit: Es besteht Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Zeit, in der der Mitarbeiter ohne die Arbeitsunfähigkeit gearbeitet hätte (vgl. § 4 Abs. 3 EFZG; zum Anspruch auf Krankengeld siehe § 47 Abs. 3 und 4 SGB V).
Prozessbeschäftigung: Wird ein gekündigter Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist zur Abwendung der Zwangsvollstreckung vorläufig weiterbeschäftigt, bestehen keine Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, wenn sich nachträglich die Kündigung als wirksam erweist (BAG, 27.05.2020 - 5 AZR 247/19).
Urlaub: Wird der Mitarbeiter während seines Urlaubs arbeitsunfähig krank, dürften diese Tage nicht auf den Urlaub abgerechnet werden. Voraussetzung ist, dass er dies durch ein ärztliches Attest (also in der Regel durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) nachweist. Bei Erkrankung im Ausland gilt § 5 Abs. 2 EFZG; siehe auch Arbeitsunfähigkeit – Auslandserkrankung). Muss der Arbeitnehmer während seines Urlaubs wegen Corona in Quarantäne, werden diese Tage auf den Urlaub angerechnet (LAG Düsseldorf, 15.10.2021 – 7 Sa 857/21).
Witterungsgründe: Kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht, wenn die Arbeit wegen von der Bundesagentur für Arbeit anerkannten Witterungsgründen ausfällt.
6. Verschuldete Arbeitsunfähigkeit
6.1 Grundsätzliches
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung setzt voraus, dass den Arbeitnehmer kein Verschulden an der Arbeitsunfähigkeit trifft (§ 3 Abs. 1 EFZG). Der zivilrechtliche Verschuldensbegriff nach § 276 Abs. 1 BGB ist dabei nur eingeschränkt heranzuziehen. Nach dieser Vorschrift hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Verschulden i.S.d. EFZG liegt dagegen vor, wenn der Arbeitnehmer gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten in grober Weise verstößt, also schuldhaft gegen sich selbst handelt (BAG, 30.03.1988 - 5 AZR 42/87 u. 18.03.2015 – 10 AZR 99/14). Dies setzt ein besonders leichtfertiges, grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten gegen sich selbst voraus (LAG Hessen, 23.07.2013 – 4 Sa 617/13).
Ein als leichtsinnig zu bezeichnendes Verhalten stellt kein Selbstverschulden i.S.d. § 3 EFZG dar (LAG Köln, 19.04.2012 – 7 Sa 1204/11). Im Hinblick auf die Corona-Pandemie stellt sich allerdings die Frage, ob bei Verstoß gegen die festgelegten Verhaltenspflichten (insbesondere die Kontaktbeschränkungen) eine anschließende Infektion mit dem Virus als selbstverschuldet anzusehen ist. Lassen sich der Verstoß sowie der Zusammenhang der Pflichtverletzung mit der anschließenden Erkrankung zweifelsfrei nachweisen, dürfte ein Selbstverschulden vorliegen. Diese Frage stellt sich auch bei Urlaubsreisen in ein Virusvariantengebiet. Bestand bereits vor der Abreise eine Reisewarnung für das entsprechende Gebiet und erkrankt der Mitarbeiter tatsächlich an Corona, ist die Rechtslage vergleichbar. Fraglich kann das Selbstverschulden aber sein, wenn der Mitarbeiter alle Vorkehrungen zur Vermeidung einer Infektion getroffen hat. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles.
Ebenfalls kann ein Selbstverschulden nicht angenommen werden, wenn das Urlaubsziel erst nach der Anreise dorthin zum Virusvariantengebiet erklärt wurde.
Verschulden in diesem Sinne liegt auch vor, wenn der Arbeitnehmer den Eintritt von Arbeitsfähigkeit durch genesungswidriges Verhalten hinauszögert. Der Arbeitnehmer ist aufgrund seiner Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem Arbeitgeber (§ 241 Abs. 2 BGB) verpflichtet, während der Arbeitsunfähigkeit alles zu unterlassen, was die Genesung verzögern kann (BAG, 11.11.1965 – 2 AZR 69/65). Entscheidend für die Frage, ob ein Verhalten als genesungswidrig einzustufen ist, sind immer die Umstände des Einzelfalles.
Ein nicht rechtswidriger Schwangerschaftsabbruch bzw. eine nicht rechtswidrige Sterilisation gilt als unverschuldete Arbeitsunfähigkeit (§ 3 Abs. 2 S. 1 EFZG). Das Gleiche gilt bei einer Organspende (§ 3a EFZG).
Bei der Beurteilung des Selbstverschuldens entlastet ein Mitverschulden Dritter den Arbeitnehmer in der Regel nicht (BAG, 23.11.1971 -1 AZR 388/70).
6.2 Rechtsprechung
Zur Frage, ob ein Verschulden i.S.d. EFZG vorliegt, gibt es neben den gesetzlichen Regelungen und zahlreichen Kommentierungen eine umfangreiche Rechtsprechung. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick. Die angegebenen Urteile sind als Beispiele zu verstehen und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Stichwort | Bemerkungen | Quelle/ Urteile |
Abhängigkeit | 1) Wird die Arbeitsunfähigkeit durch Abhängigkeit von Suchtmitteln (Alkohol, Drogen, Tabletten, Nikotin) verursacht, liegt nicht grundsätzlich ein Selbstverschulden vor. Es kommt bei dieser Frage vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles an. Der Arbeitgeber ist beweispflichtig, dass ein Selbstverschulden vorliegt. Der Arbeitnehmer muss an der Aufklärung der Umstände mitwirken. 2) Bei einer Arbeitsunfähigkeit infolge langjähriger Alkoholabhängigkeit ist davon auszugehen, dass diese Krankheit nicht vom Arbeitnehmer verschuldet ist. Die körperliche und psychische Abhängigkeit erlaubt es dem Arbeitnehmer nicht mehr, aus eigener Willensentscheidung vom Alkohol loszukommen. 3) Ein Berufskraftfahrer verletzt seine arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblichem Maße, wenn er unter Alkoholeinfluss mit dem überlassenen Fahrzeug fährt. Ist er jedoch alkoholabhängig, ist ihm kein Schuldvorwurf zu machen. 4) Alkoholsucht rechtfertigt auch bei mehreren unentschuldigten Fehltagen nicht automatisch eine Kündigung. 5) Bei fortgesetztem Alkoholmissbrauch mit erheblichen Fehlzeiten kann bei einem Arbeitnehmer, der nicht ordentlich kündbar ist, eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist in Betracht kommen. 6) Auch eine schwerwiegende Pflichtverletzung rechtfertigt nicht ohne weiteres eine Kündigung, wenn sie sich als Auswirkung einer Alkoholsucht und deren pathologischer Veränderung darstellt und im Zeitpunkt der Kündigung Therapiebereitschaft besteht. | 1) BAG, 07.08.1991 - 5 AZR 410/90, LAG Köln, 14.07.2021 – 11 Sa 31/21 2) LAG Köln, 16.01.2014 – 13 Sa 516/13, 3) LAG Berlin-Brandenburg, 12.08.2014 – 7 Sa 852/14; 4) LAG Rheinland-Pfalz, 05.05.2015 – 7 Sa 641/14; 5) LAG Berlin-Brandenburg, 24.07.2019 – 15 Sa 2498/18; 6)LAG Thüringen, 03.03.2021 – 4 Sa 154/19. |
Abhängigkeit - Rückfall | Wurde der Arbeitnehmer nach einer erfolgreichen Langzeitbehandlung rückfällig und wird dadurch eine Arbeitsunfähigkeit verursacht, kann Verschulden nicht generell ausgeschlossen werden. Verschulden liegt nicht vor, wenn die Suchtkrankheit durch die Therapie nicht geheilt werden konnte und der Arbeitnehmer nach wie vor sein Verhalten nicht willentlich steuern kann. Der Arbeitgeber kann Selbstverschulden geltend machen. Das Gericht muss dann diese Frage durch ein medizinisches Gutachten klären. Lässt sich das Verschulden nicht eindeutig feststellen, geht dies zu Lasten des Arbeitgebers. | BAG, 11.11.1987 - 5 AZR 497/86; BAG, 18.03.2015 – 10 AZR 99/14 |
Alkoholmissbrauch | Bei einem Unfall infolge übermäßigen Alkoholgenusses liegt ein Verschulden regelmäßig vor, weil dem Arbeitnehmer vorzuhalten ist, nicht rechtzeitig mit dem Trinken aufgehört zu haben. | BAG, 11.03.1987 - 5 AZR 739/85 |
Verstößt ein langjährig beschäftigter Arbeitnehmer durch eine Trunkenheitsfahrt außerhalb der Arbeitszeit schuldhaft gegen arbeitsvertragliche Nebenpflichten und erscheint eine Wiederholung als wenig wahrscheinlich, ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Abmahnung nicht von vornherein entbehrlich. | LAG Rheinland-Pfalz, 06.09.2021 - 1 Sa 299/20 | |
Arbeitsunfall | Verschulden liegt vor, wenn in grober Weise gegen die Unfallverhütungsvorschriften oder eine der Sicherheit dienende Anordnung des Arbeitgebers verstoßen wurde. Zur Frage des Eigenverschuldens im Zusammenhang mit (ungeeignetem) Schuhwerk (iehe LAG Köln, 19.04.2012 – a.a.O). | AG Hamm, 07.03.2007 - 18 Sa 1839/06; LAG Köln, 19.04.2012 – 7 Sa 1204/11 |
Kein Verschulden i.S.v. § 3 Abs. 1 EFZG, wenn Arbeitnehmer ein Gerüst auf einem morschen Holzboden aufbauen, dessen Standfestigkeit aber nach Prüfung als gegeben erachtet haben und infolge dieser – fehlerhaften – Einschätzung ein Arbeitsunfall eintritt. | LAG Rheinland-Pfalz, 15.01.2019 – 8 Sa 247/18 | |
In-vitro-Fertilisation | Wird durch eine In-vitro-Fertilisation willentlich und vorhersehbar eine Arbeitsunfähigkeit bedingende Erkrankung herbeigeführt, ist ein Entgeltfortzahlungsanspruch wegen Verschuldens i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG ausgeschlossen (siehe darüber hinaus auch Abschnitt 2). Ein Verschulden i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG liegt nicht vor, wenn im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation, die nach allgemein anerkannten medizinischen Standards vom Arzt oder auf ärztliche Anordnung vorgenommen wird, eine zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung auftritt, mit deren Eintritt nicht gerechnet werden musste. Darüber hinaus betritt die Erfüllung eines Kinderwunsches die individuelle Lebensplanung des Arbeitnehmers und nicht das vom Arbeitgeber im Rahmen des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung zu tragende allgemeine Krankheitsrisiko. | BAG, 26.10.2016 – 5 AZR 167/16 |
Nebentätigkeit | Grundsätzlich liegt bei Erkrankung infolge einer Nebentätigkeit kein Verschulden vor, auch wenn diese vom Hauptarbeitgeber nicht genehmigt war. Ein Verschulden ist dagegen anzunehmen, wenn die Tätigkeit für den Arbeitnehmer zu schwer oder gefährlich war. | LAG Hamm, 08.02.2006 - 18 Sa 1083/05 |
Rauferei | Verschulden liegt jedenfalls vor, wenn der Arbeitnehmer die Schlägerei begonnen oder provoziert hat. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles. Es kann also nicht generell angenommen werden, dass die Teilnahme an einer Schlägerei selbstverschuldet ist. | BAG, 13.11.1974 - 5 AZR 54/74; LAG Hamm, 24.09.2003 - 18 Sa 785/03; LAG Köln, 14.02.2006 - 9 Sa 1303/05 |
Selbstmordversuch | Selbstmordversuche beruhen in der Regel auf einer psychischen Erkrankung, die die freie Willensbildung zumindest erheblich mindert. Daher ist der Arbeitnehmer in der Regel nicht schuldfähig und ein Selbstverschulden auszuschließen. | BAG, 28.02.1979 - 5 AZR 611/77 |
Selbstverletzung | Bei einer Selbstverletzung, die infolge eines heftigen Wut- und Erregungszustandes mit kurzzeitigem Kontrollverlust entstanden ist, erkannte das Gericht auf nur mittlere Fahrlässigkeit. Daher kein Verschulden i.S.d. EFZG. | LAG Hessen, 23.07.2013 – 4 Sa 617/13 |
Sportunfall | Ein Verschulden ist nur anzunehmen, wenn
| BAG, 07.10.1981 - 5 AZR 338/79; LAG Rheinland-Pfalz, 29.10.1998 - 5 Sa 823/98; LAG Saarland, 02.07.2003 - 2 Sa 147/02 |
Verkehrsunfälle | Verschulden liegt vor, wenn der Arbeitnehmer die Verkehrsregeln grob fahrlässig oder vorsätzlich verletzt hat, dieses Verhalten zu dem Unfall führte und er damit seine Gesundheit leichtfertig aufs Spiel gesetzt hat. Verschulden liegt auch vor bei Unterlassen von notwendigen und vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen (z.B. Anlegen des Sicherheitsgurtes). Verschulden liegt regelmäßig auch vor, wenn ein Unfall vom Arbeitnehmer infolge von Alkoholgenuss verursacht wird. Ebenfalls schuldhaft handelt ein Arbeitnehmer, der als Beifahrer eines offensichtlich angetrunkenen Verkehrsteilnehmers wegen eines nachfolgenden Unfalls arbeitsunfähig wird. | BAG, 23.11.1971 - 1 AZR 338/70; BAG 07.10.1981 - 5 AZR 1113/79 |
Missachtet ein Fahrradfahrer ein Verkehrszeichen, das einen Weg ausdrücklich als Fußweg bezeichnet und ist auf diesem ein Zusatz angebracht "Durchfahrt für Radfahrer nicht möglich", und erleidet er dadurch einen Unfall, ist die folgende Arbeitsunfähigkeit selbstverschuldet. | LAG Schleswig-Holstein, 01.04.2019 – 1 Ta 29/19 | |
Ein Berufskraftfahrer, der mit 1,46 Promille seinen LKW steuert und dabei einen Unfall verursacht, hat in schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, Dies ist ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB. Die erhebliche Pflichtverletzung besteht bereits in der Aufnahme und Ausführung seiner Tätigkeit trotz des erheblichen Alkoholgenusses. | LAG Schleswig-Holstein, 24.03.2021 - 6 Sa 284/20 | |
Verstößt ein langjährig beschäftigter Arbeitnehmer durch eine Trunkenheitsfahrt außerhalb der Arbeitszeit schuldhaft gegen arbeitsvertragliche Nebenpflichten und erscheint eine Wiederholung als wenig wahrscheinlich, ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Abmahnung nicht von vornherein entbehrlich. | LAG Rheinland-Pfalz, 06.09.2021 - 1 Sa 299/20 |
6.3 Verfahren
Will der Arbeitgeber wegen Selbstverschuldens keine Entgeltfortzahlung leisten, muss er beweisen, dass der Arbeitnehmer besonders leichtfertig, grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat (st. Rechtsprechung, siehe z.B. BAG, 07.08.1991 - 5 AZR 410/90).
Daher kommt es darauf an, den Sachverhalt möglichst genau zu ermitteln. Da der Arbeitgeber jedoch selbst nur selten über die Details informiert ist, kann es sinnvoll sein, den Mitarbeiter dazu zu hören. Er ist zumindest dann zur Mitwirkung verpflichtet, wenn die Lebenserfahrungen und die Umstände des Falles für ein Verschulden des Arbeitnehmers sprechen. Verweigert der Arbeitnehmer dann die erforderlichen Auskünfte, kann davon ausgegangen werden, dass die Arbeitsunfähigkeit verschuldet ist (LAG Schleswig-Holstein, 01.04.2019 – 1 Ta 29/19).
7. Rechtsfolgen der Verweigerung
Lehnt der Arbeitgeber wegen Selbstverschuldens die Entgeltfortzahlung ab, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Krankengeld. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung geht gesetzlich auf die leistungspflichtige Krankenkasse über (§ 115 SGB X). Die Krankenkasse kann den übergegangenen Anspruch vor dem Arbeitsgericht weiterverfolgen.
8. Ausschlussfristen
Viele Ansprüche unterliegen infolge (tarif)vertraglicher Klauseln einer Ausschlussfrist. Wird der Anspruch dann nicht innerhalb der vereinbarten Frist und ggf. der vereinbarten Form geltend gemacht, verfällt er. Dies gilt - trotz der Unabdingbarkeit des Anspruchs (§ 12 EFZG) auch für die Entgeltfortzahlung (BAG, 25.05.2005 – 5 AZR 572/04). Der Anspruch kann jedoch nach § 4 Abs. 1 EFZG i.V.m. § 3 S. 1 MiLoG in Höhe des gesetzlichen Mindestlohnes nicht verfallen (BAG, 20.06.2018 – 5 AZR 377/17). Entgegenstehende Klauseln sind unwirksam. Dies bewirkt, dass dem Arbeitnehmer auch nach Ablauf der Ausschlussfrist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohnes verbleibt.
Siehe auch
Arbeitsunfähigkeit - AuslandserkrankungEntgeltforzahlung - BehandlungsfehlerEntgeltfortzahlung - AllgemeinesEntgeltfortzahlung - AnwendungsbereichEntgeltfortzahlung - DritthaftungEntgeltfortzahlung - LeistungsverweigerungsrechtEntgeltfortzahlung – Mutterschutz und künstliche Befruchtung