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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Heimarbeit - Mitbestimmung
Heimarbeit - Mitbestimmung
Inhaltsübersicht
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- 2.
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Information
1. Allgemeines
Der Auftraggeber von Heimarbeit ist in den meisten Fällen wegen des fehlenden Betriebs kein "richtiger" Arbeitgeber. Die Heimarbeiter selbst sind sogenannte arbeitnehmerähnliche Personen, weil sie in keine betriebliche Organisationseinheit eingegliedert sind (s. dazu Gliederungspunkt 2.). Das allgemeine Arbeitsrecht ist auf sie nur dort anzuwenden, wo es ausdrücklich so vorgesehen ist oder ihre besondere wirtschaftliche Abhängigkeit einen wirksamen Schutz erfordert.
Praxistipp:
Heimarbeiter, die nach dem BetrVG als Arbeitnehmer gelten, haben sowohl das aktive wie auch das passive BetrVG-Wahlrecht, wenn die dort hinterlegten weiteren Voraussetzungen erfüllt sind. Und obwohl Heimarbeiter keine Arbeitnehmer i.S.d. KSchG sind: § 29a HAG gibt Heimarbeitern, die BetrVG-Mandatsträger sind, einen besonderen Kündigungsschutz. Auch hier verlangt die Kündigung - wie bei "echten" Arbeitnehmern - einen wichtigen Grund und die Zustimmung des Gremiums Betriebsrat zur Kündigung.
In Heimarbeit Beschäftigte, die in keine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert sind, bleiben auch betriebsverfassungsrechtlich außen vor. In § 5 Abs. 1 Satz 2 BetrVG steht allerdings: "Als Arbeitnehmer gelten auch die in Heimarbeit Beschäftigten, die in der Hauptsache für den Betrieb arbeiten." Über diese BetrVG-Bestimmung kommen einige Heimarbeiter dann doch in den Genuss betriebsverfassungsrechtlicher Ansprüche und Rechte (s. dazu Gliederungspunkt 3.). Soweit es das Verhältnis von Betriebsvereinbarungen und Vereinbarungen i.S.d. § 17 HAG betrifft, gelten die zu §§ 77 Abs. 3 u. 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG - Tarifvorbehalt, Tarifvorrang, Tarifüblichkeit - entwickelten Grundsätze (s. dazu auch die Stichwörter Tarifvertrag - Tarifüblichkeit und Tarifvertrag - Tarifvorbehalt).
2. Heimarbeiter, die "in der Hauptsache für den Betrieb arbeiten"
Wer zum Kreis der "in Heimarbeit Beschäftigten" gehört, steht in § 1 Abs. 1 HAG und § 2 Abs. 1 u. 2 HAG (s. dazu auch das Stichwort Heimarbeit - Beschäftigte). Heimarbeiter sind allerdings keine Arbeitnehmer i.S.d. Arbeitsrechts, sondern "nur" arbeitnehmerähnliche Personen.
Dort, wo das Arbeitsrecht Heimarbeiter Arbeitnehmern gleichstellt, wird das in den jeweiligen Gesetzen ausdrücklich angesprochen. So sagt § 5 Abs. 1 Satz 2 BetrVG beispielsweise, dass als Arbeitnehmer auch die in Heimarbeit Beschäftigten gelten, die "in der Hauptsache für den Betrieb arbeiten".
Beispiele:
- (1)
Heimarbeiter H1 bekommt seine Heimarbeit von Auftraggeber A1 geliefert. A1 beschäftigt 15 Heimarbeiter, die er von seiner "Zentrale" aus beliefert. In dieser "Zentrale" arbeitet A1 vorwiegend allein und wird nur bei der buchhalterischen Tätigkeit von seiner Ehefrau unterstützt.
- (2)
Heimarbeiter H2 bekommt seine Heimarbeit von Auftraggeber A2. A2 führt einen Produktionsbetrieb mit mehr als 250 Mitarbeitern und hat einen Betriebsrat. A2 gibt einzelne Verpackungs- und Montagetätigkeiten an einen Pool von Heimarbeitern heraus. Zu diesem Pool gehört auch H2. Er arbeitet nicht nur überwiegend, sondern ausschließlich für A2.
H1 aus dem Beispielsfall (1) arbeitet nicht einmal für einen "Betrieb" i.S.d. Betriebsverfassungsrechts. A1 hat keine betriebliche Organisation, auf die das BetrVG anzuwenden wäre. H1 ist damit auch kein Arbeitnehmer i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Bei H2 im Beispielsfall (2) sieht das anders aus. Auftraggeber A2 hat einen richtigen Betrieb und einen Betriebsrat. H2 arbeitet sogar ausschließlich für A2, er zählt damit zu den Arbeitnehmern i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 BetrVG.
§ 5 Abs. 1 Satz 2 BetrVG enthält keine eigene Definition des Begriffs der in Heimarbeit Beschäftigten. Heimarbeiter i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 BetrVG müssen nur
überwiegend ("in der Hauptsache")
oder gar ausschließlich
für den Betrieb des Auftraggebers arbeiten. Der zeitliche Umfang der Tätigkeit für den Betrieb, die es zu beurteilen gilt, muss im Verhältnis zum Umfang der Tätigkeit für sonstige Betriebe überwiegen. Auf die Höhe des erzielten Entgelts kommt es nicht an. Die in Heimarbeit Beschäftigten werden betriebsverfassungsrechtlich mit der Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nur einem Betrieb zugeordnet.
3. Betriebsverfassungsrechtliche Anmerkungen
Soweit in Heimarbeit Beschäftigte, das heißt
Heimarbeiter und
Hausgewerbetreibende,
Arbeitnehmer i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 BetrVG sind, gelten für sie die Bestimmungen des BetrVG.
3.1 Wahlrecht
Wahlberechtigt sind nach § 7 Satz 1 BetrVG alle Arbeitnehmer des Betriebs, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Arbeitnehmer des Betriebs sind nach § 5 Abs. 1 Satz 2 BetrVG auch die in Heimarbeit Beschäftigten, soweit sie in der Hauptsache für den Betrieb des Arbeitgebers arbeiten. Damit haben alle in Heimarbeit Beschäftigten, die die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 2 BetrVG erfüllen, das aktive Wahlrecht (§ 7 Satz 1 BetrVG).
3.2 Wählbarkeit
Wählbar sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG alle Wahlberechtigten, die dem Betrieb sechs Monate angehören oder als in Heimarbeit Beschäftigte in der Hauptsache für den Betrieb gearbeitet haben.
Beispiel:
In Auftraggeber A's Betrieb finden in der Zeit vom 01.03. bis 31.05. die turnusmäßigen Betriebsratswahlen statt. Seine Heimarbeiter sind nur dann wählbar, wenn sie vorher sechs Monate "in der Hauptsache für den Betrieb gearbeitet haben." Wer vorher zeitlich überwiegend für andere Auftraggeber tätig gewesen ist, scheidet aus dem Kreis wählbarer Arbeitnehmer aus. Heimarbeiter H arbeitet schon seit fünf Jahren für A, aber nur sporadisch. Sein Hauptauftraggeber ist jemand anderer. Nachdem sich H mit seinem bisherigen Hauptauftraggeber überworfen hat, arbeitet er seit Februar überwiegend nur noch für A. Im Zeitpunkt der Betriebsratswahlen hat A zwar schon mehr als fünf Jahre für A gearbeitet, aber noch nicht länger als sechs Monate "in der Hauptsache für den Betrieb". H darf zwar wählen, er darf sich aber nicht zur Wahl für ein Betriebsratsamt aufstellen lassen.
Natürlich ist es juristisch nicht zu beanstanden, auch der Gruppe der in Heimarbeit Beschäftigten ein passives Wahlrecht zu geben. In der Praxis sollte man sich allerdings fragen, ob diese Arbeitnehmer ihr Betriebsratsamt tatsächlich sinnvoll ausüben können - fehlt ihnen doch oft der Einblick in die betrieblichen Arbeitsabläufe und Zusammenhänge.
3.3 Betriebsratstätigkeit
Mitglieder des Betriebsrats sind nach § 37 Abs. 2 BetrVG von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist (Vergütungsanspruch für Arbeitsversäumnis). Was für "normale" Arbeitnehmer einfach und nachvollziehbar ist, bereitet bei Heimarbeitern Probleme:
Beispiel:
Betriebsratsmitglied M1 ist Arbeitnehmer in Arbeitgeber A's Betrieb. M1 bekommt einen Stundenlohn von 17,40 EUR. Betriebsratsmitglied M2 ist Heimarbeiter. Zurzeit bekommt er für jedes Teil, das er fertigt, einen Stücklohn von 3,10 EUR. M2 teilt sich seine Arbeitszeit selbst ein. Je nach Lust und Laune arbeitet er mal morgens, mal mittags, nachmittags, abends oder nachts. A's Betriebsrat findet am Mittwoch in der Zeit von 14:00 Uhr bis 17:00 Uhr zu einer 3-stündigen Betriebsratssitzung zusammen. M1 bekommt diese drei Stunden nach § 37 Abs. 2 BetrVG mit (3 x 17,40 EUR =) 52,20 EUR bezahlt. Bei M2 steht nicht einmal fest, ob er am Mittwochnachmittag in der Zeit von 14:00 Uhr bis 17:00 Uhr überhaupt gearbeitet hätte. Sein für den Mittwoch vorgesehenes Pensum arbeitet M2 nach der Betriebsratssitzung ab 19:00 Uhr ab.
Bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung für Arbeitsversäumnis gibt es unterschiedliche Ansätze. Sinnvoll erscheint der Rückgriff auf ein Referenzeinkommen, das ein vergleichbarer Heimarbeiter in der maßgeblichen Zeit im Durchschnitt erzielt hätte. Ein anderer Lösungsansatz wäre die Berechnung eines individuellen Durchschnittsentgelts des zu vergütenden Betriebsratsmitglieds.
3.4 Kündigung und sonstige personelle Maßnahmen
Die in Heimarbeit Beschäftigten, die betriebsverfassungsrechtlich Arbeitnehmer sind (§ 5 Abs. 1 Satz 2 BetrVG), sind auch in Personalangelegenheiten wie "normale" Arbeitnehmer geschützt:
3.4.1 Kündigung
In allen mitbestimmten Betrieben ist der Betriebsrat nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vor jeder Kündigung zu hören. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam (§ 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG). Bei in Heimarbeit Beschäftigten, die Arbeitnehmer i.S.d. § 5 Abs.1 Satz 2 BetrVG sind, hat der Arbeitgeber damit vor einer Kündigung seinen Betriebsrat anzuhören. Und das, obwohl das KSchG für die in Heimarbeit Beschäftigten gar nicht gilt.
Der Betriebsrat kann der Kündigung eines in Heimarbeit Beschäftigten nach Maßgabe des § 102 Abs. 3 BetrVGwidersprechen. Das darf er beispielsweise tun, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Heimarbeiters soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat (§ 102 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG). Während "normale" Arbeitnehmer beim Widerspruch des Betriebsrats nach § 102 Abs. 5 BetrVG einen betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch haben, scheidet so ein Anspruch bei in Heimarbeit Beschäftigten aus. § 102 Abs. 5 BetrVG verlangt als weitere Voraussetzung eine Kündigungsschutzklage nach dem KSchG - und dieses KSchG ist auf Heimarbeiter als arbeitnehmerähnliche Personen nicht anzuwenden.
Für die Kündigung von Heimarbeitern, die BetrVG-Mandatsträger sind, gilt § 29a HAG. Diese Heimarbeiter haben den gleichen Kündigungsschutz wie "normale" Arbeitnehmer als BetrVG-Mandatsträger.
3.4.2 Sonstige personelle Maßnahmen
Der Betriebsrat hat nach § 99 Abs. 1 BetrVG in Unternehmen mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern bei jeder
Einstellung,
Eingruppierung,
Umgruppierung und
Versetzung
mitzubestimmen.
Die Ausgabe von Heimarbeit ist Einstellung, sodass der Betriebsrat hier ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG hat. Die Zuordnung der verschiedenen Arbeitsgänge in der Heimarbeit in die aufgrund der bindenden Festsetzungen nach § 19 HAG vorgegebenen Entgeltgruppen und die Zuweisung der Tätigkeiten an die in Heimarbeit Beschäftigten sind Eingruppierungen i.S.d. § 99 Abs. 1 BetrVG und damit mitbestimmungspflichtig (BAG, 20.09.1990 - 1 ABR 17/90). Eine bindende Festsetzung nach § 19 HAG ist eine im Betrieb geltende Vergütungsordnung, die nach § 19 Abs. 3 Satz 1 HAG die Wirkung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags hat (BAG, 20.09.1990 - 1 ABR 17/90).
Der Betriebsrat kann seine Zustimmung zu einer nach § 99 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtigen personellen Maßnahme unter anderem dann verweigern, wenn sie gegen eine Bestimmung in einem Tarifvertrag verstoßen würde (§ 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG). Insoweit darf der Betriebsrat auch die Ausgabe von Heimarbeit blockieren, wenn der Arbeitgeber dabei gegen bindende Festsetzungen i.S.d. § 19 HAG verstößt.