Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Die Inhalte des Bereichs „Fachwissen SV“ geben Ihnen kostenlos Auskunft zu allen Themen der Sozialversicherung. Sie sind ein exklusives Angebot für eingeloggte Nutzer.
Jetzt einloggen:
Sie sind noch nicht registriert?
BFH, 26.06.1958 - IV 135/57 U - Beteiligter an einem Steuerprozess; Voraussetzungen des Steuerprozesses
Bundesfinanzhof
Urt. v. 26.06.1958, Az.: IV 135/57 U
Beteiligter an einem Steuerprozess; Voraussetzungen des Steuerprozesses
Fundstellen:
BFHE 67, 470 - 472
BStBl III 1958, 452
BFH, 26.06.1958 - IV 135/57 U
Amtlicher Leitsatz:
Voraussetzung des Steuerprozesses ist die Bekanntgabe der Rechtsmitteleinlegung an die Beteiligten; beteiligt ist stets derjenige, an den die angefochtene Entscheidung gerichtet ist. Der Mangel der Bekanntgabe ist ein im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu beachtender Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens.
Zusammenfassung:
Voraussetzung des Steuerprozesses ist die Bekanntgabe der Rechtsmitteleinlegung an die Beteiligten; beteiligt ist stets derjenige, an den die angefochtene Entscheidung gerichtet ist. Der Mangel der Bekanntgabe ist ein im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu beachtender Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens.
Tatbestand
1
Der Beschwerdeführer (Bf.) betreibt eine private Sprach- und kaufmännische Fachschule (Berufsfachschule), die von der Aufsichtsbehörde als einer öffentlichen Schule gleichwertig anerkannt worden ist. Das Finanzamt hielt ihn im Hinblick auf das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 492/53 U vom 7. Juli 1955 (Bundessteuerblatt 1955 III S. 323, Slg. Bd. 61 S. 324) für gewerbesteuerpflichtig.
2
Der Steuerausschuß gab dem Einspruch statt; er verneinte die Gewerbesteuerpflicht der Privatschule mit Rücksicht auf Abschn. 14 Abs. 6 der Gewerbesteuer-Richtlinien (GewStR) 1951. Die Privatschule des Steuerpflichtigen sei als den öffentlichen Schulen gleichwertig anerkannt. Der Inhaber der Privatschule arbeite nicht mit der Absicht einer Gewinnerzielung.
3
Die vom Vorsteher des Finanzamts eingelegte Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht ließ sich hierbei im wesentlichen von folgenden Erwägungen leiten: Eine freie Berufstätigkeit im Sinne von § 18 Abs. 1 Ziff. 1 des Einkommensteuergesetzes liege nicht vor, wenn, wie im Streitfalle, zu einem erheblichen Teil fremde Lehrkräfte beschäftigt würden. Hierdurch werde die Arbeitskraft des Inhabers und Leiters der Schule zum Teil ersetzt oder vervielfältigt. Es lägen die begrifflichen Merkmale eines Gewerbebetriebes vor, insbesondere die Absicht der Gewinnerzielung und die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr. Im Jahre 1954 sei ein Gewinn in Höhe von 20.719,19 DM erzielt worden. Ein derartiger Gewinn könne nicht anders als planmäßig erstrebt worden sein. Die Schule beteilige sich auch nach außen am allgemeinen wirtschaftlichen Leben, an dem sie auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts teilnehme; sie trete auch sonst in der Öffentlichkeit hervor, z.B. durch Werbeschreiben und Verleih von Lehrmitteln. Den GewStR komme gegenüber dem Gesetz keine entscheidende Bedeutung zu.
4
Hiergegen wendet sich der Bf. mit der Rechtsbeschwerde (Rb.), mit der er vor allem das Verfahren der Vorinstanz rügt. Er macht geltend, daß er nach der Aufhebung des von ihm angefochtenen Gewerbesteuermeßbescheides durch die Einspruchsentscheidung vom 10. Oktober 1956 der Meinung sein konnte, die Sache sei endgültig erledigt; er habe seitdem von der Angelegenheit nichts mehr gehört. Erst durch die Zustellung des Urteils des Finanzgerichts habe er erfahren, daß vom Vorsteher des Finanzamts Berufung eingelegt worden sei. Die Begründung dieser Berufung sei ihm bis heute unbekannt. Er habe keine Gelegenheit gehabt, zu dem Berufungsschriftsatz Stellung zu nehmen. Dies wäre um so mehr erforderlich, als es sich bei dem finanzgerichtlichen Verfahren um die letzte Tatsacheninstanz handle. Nur vorsorglich wird außerdem die Verletzung des materiellen Rechts gerügt.
Entscheidungsgründe
5
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
6
Aus den Akten des Finanzgerichts ergibt sich, daß die Berufungsschrift des Vorstehers des Finanzamts nebst dem für den Steuerpflichtigen bestimmten Zweitstück dem Finanzgericht vorgelegt worden ist. Das für den Steuerpflichtigen bestimmte Zweitstück des Berufungsschreibens befindet sich noch bei den Akten des Finanzgerichts. Diese lassen auch nicht erkennen, daß die Einlegung der Berufung dem Steuerpflichtigen auf andere Weise vor dem Erlaß des Urteils bekanntgemacht worden ist.
7
Das Verfahren der Vorinstanz verletzt den durch Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland geschützten Anspruch des Steuerpflichtigen auf rechtliches Gehör und setzt sich darüber hinaus über die notwendigen Voraussetzungen des finanzgerichtlichen Verfahrens hinweg. Zu diesen gehört unabdingbar, daß die Beteiligten vor Erlaß des Urteils von der Anhängigkeit eines sie berührenden Verfahrens Kenntnis erhalten. Ohne diese Bekanntgabe fehlt es an der ordnungsmäßigen Ingangsetzung des Berufungsverfahrens. Der richterliche Spruch erfordert begrifflich in der Regel das Vorhandensein von mindestens zwei Beteiligten. Hieran fehlt es aber, wenn der Steuerpflichtige mangels Bekanntgabe der Berufung des Vorstehers des Finanzamts nicht zu dem finanzgerichtlichen Verfahren hinzugezogen worden ist. Es handelt sich hierbei nicht nur um einen auf Rüge hin zu beachtenden Verfahrensmangel gemäß § 288 Ziff. 2 der Reichsabgabenordnung (AO), sondern um einen von Amts wegen zu beachtenden Rechtsverstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens. Beim Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung muß die Vorentscheidung ohne Eingehen auf den streitigen Steueranspruch selbst aufgehoben werden (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs II A 104/20 vom 28. April 1920, Slg. Bd. 2 S. 315). Die Fassung des Gesetzes über die Beteiligten im Verfahren (§ 266 AO) ist nicht eindeutig und unvollständig. Nach dem Wortlaut wäre bei einer vom Vorsteher des Finanzamts eingelegten Berufung der Steuerpflichtige nicht beteiligt, da er die Berufung nicht eingelegt hat (Ziff. 1 des § 266 AO) und auch nicht zu den Personen gehört, die als Beteiligte zugezogen werden oder dem Verfahren beitreten können (Ziff. 3 a.a.O.). An dem Verfahren über die Berufung ist jedoch stets derjenige beteiligt, an den die angefochtene Entscheidung gerichtet ist.
8
Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben, ohne daß es eines Eingehens auf die Frage der Gewerbesteuerpflicht bedarf. Bei der dem Finanzgericht für das vorliegende Rechtsbeschwerdeverfahren zu übertragenden Kostenentscheidung wird die Vorschrift des § 314 AO zu beachten sein.