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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Gewerkschaft - Allgemeines
Gewerkschaft - Allgemeines
Inhaltsübersicht
- 1.
- 2.
- 3.
- 4.
- 5.
- 6.Rechtsprechungs-ABC
- 6.1
- 6.2
- 6.3
- 6.4
- 6.5
- 6.6
- 6.7
- 6.8
- 6.9
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Information
1. Allgemeines
Der Stellenwert von Gewerkschaften im Arbeitsleben ist beachtlich. Die Arbeitnehmerorganisationen nehmen nicht bloß auf individual- und kollektivrechtliche Ebenen Einfluss. Das Recht - und die Pflicht - zur Wahrung und Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen reicht bis nach Berlin: Gewerkschaften regen Gesetzesvorhaben an und werden in das Gesetzgebungsverfahren einbezogen - was auf der anderen Seite selbstverständlich auch für Arbeitgeberverbände gilt. Wer von beiden in der Bundeshauptstadt mehr oder schneller Gehör findet, ist oft keine Frage der Vernunft - sondern eine der sozialpolitischen Ausrichtung der jeweils Regierenden. Man denke hier nur an die letzte große Reform des Betriebsverfassungsrechts unter der rot/grünen Koalition.
Praxistipp:
Arbeitnehmer stellen sich immer wieder die Frage, welche Vorteile ihnen eine Gewerkschaftsmitgliedschaft bringt. Wofür zahlen sie ihre Beiträge? Was haben sie davon? Nun, auf diese Fragen gibt es keine allgemeingültige Antwort. Sicher - die Gewerkschaften vertreten ihre Mitglieder vor den Arbeits- und Sozialgerichten und sorgen für angemessene Arbeitsbedingungen. Vom Ergebnis der Tarifverhandlungen profitieren jedoch auch Nichtorganisierte und effektiven Rechtsschutz gibt es mit einer Rechtsschutzversicherung auch bei Fachanwälten für Arbeits- und Sozialrecht. Da sind Kosten und Nutzen einer Mitgliedschaft sorgfältig abzuwägen.
Unsere Verfassung gibt in Art. 9 Abs. 1 GG allen Deutschen das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist jedermann in Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG und für alle Berufe gewährleistet (dazu mehr in Gliederungspunkt 2.). In der Bundesrepublik gibt es eine Vielzahl von Gewerksschaften, die wichtigsten Einzelgewerkschaften sind im Deutschen Gewerkschaftsbund - DGB - organisiert (s. dazu Gliederungspunkt 3.). Zu ihren Aufgaben gehören die politische Einflussnahme ebenso wie der Abschluss von Tarifverträgen (mehr dazu in Gliederungspunkt 4.). § 17 AGG gibt Gewerkschaften sogar eine besondere Aufgabe bei der Umsetzung und Kontrolle der gesetzlichen Benachteiligungsverbote (dazu: Gliederungspunkt 5.). Interessante Entscheidungen zu gewerkschaftlichen Themen werden im Rechtsprechungs-ABC - Gliederungspunkt 6. - vorgestellt.
2. Die rechtliche Stellung der Gewerkschaften
Alle Deutschen haben nach Art. 9 Abs. 1 GG das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Verboten sind Vereinigungen,
deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen
oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder
den Gedanken der Völkerverständigung richten (Art. 9 Abs. 2 GG).
Das Recht, zur Wahrung und Förderung der
Arbeits- und
Wirtschaftsbedingungen
Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und alle Berufe gewährleistet (Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG). Weder das Grundgesetz noch andere Regelwerke schreiben den Gewerkschaften vor, in welcher Rechtsform sie sich organisieren.
Gewerkschaften sind in der Regel nicht rechtsfähige Vereine. Für Vereine gelten insoweit die §§ 21 bis 53 BGB. Auf Vereine, die nicht rechtsfähig sind, finden die Vorschriften über die Gesellschaft - §§ 705 bis 740 BGB - Anwendung (§ 54 Satz 1 BGB). Der Verzicht von Gewerkschaften auf eine Eintragung ist historisch zu verstehen. Für ihre innere Struktur sind die jeweiligen Satzungen maßgeblich.
3. Der Aufbau der Gewerkschaften
Es gibt in der Bundesrepublik unterschiedliche Gewerkschaften. Die wichtigsten sind die so genannten DGB-Gewerkschaften, die im Deutschen Gewerkschaftsbund - dem DGB eben - organisiert sind. Der DGB ist der Dachverband folgender Einzelgewerkschaften:
IG Bauen-Agrar-Umwelt
IG Bergbau, Chemie, Energie
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
IG Metall
Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten
Gewerkschaft der Polizei
Transnet
ver.di
Im öffentlichen Dienst gibt es als Nicht-DGB-Gewerkschaft den Deutschen Beamtenbund - DBB. In vielen Branchen haben sich christliche Gewerkschaften etabliert. Angestellte Ärzte werden durch den Marburger Bund vertreten.
Ob eine "Gewerkschaft" wirklich eine Gewerkschaft ist, setzt einiges voraus: Eine tariffähige Gewerkschaft muss frei gebildet, gegnerfrei, auf überbetrieblicher Grundlage organisiert und unabhängig sein sowie das geltende Tarifrecht für sich verbindlich anerkennen. Zudem muss sie in der Lage sein, durch Ausüben von Druck auf den Tarifpartner zu einem Tarifabschluss zu kommen. Man spricht hier auch von "Mächtigkeit" oder "Durchsetzungsfähigkeit" (BAG, 06.06.2000 - 1 ABR 21/99).
Bei den DGB-Gewerkschaften gibt es in der Regel folgende Untergliederung:
Deutscher Gewerkschaftsbund - Spitzenorganisation
Einzelgewerkschaften - Bundesverwaltung
Einzelgewerkschaften - Landesbezirke
Einzelgewerkschaften - Regionalbezirke
Einzelgewerkschaften - örtliche Vertretung
Die Gewerkschaften sind demokratisch strukturiert. Es gibt auf allen Ebenen Mitglieder- und Delegiertenversammlungen. So besteht beim DGB beispielsweise der Bundeskongress, der von den Mitgliedern der Einzelgewerkschaften gewählt wird. Für die unterschiedlichsten Zwecke wurden zudem Gesellschaften, Stiftungen und anderes mehr gegründet.
4. Die Aufgaben der Gewerkschaften
Art 9 Abs. 3 GG umreißt das Aufgabengebiet der Gewerkschaften nur grob. Die Wahrung und Förderung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen findet auf vielen Gebieten statt (s. dazu das Stichwort Gewerkschaft - Rechtsgrundlagen).
Gewerkschaften
nehmen Einfluss auf die Sozialpolitik und die Gesetzgebung in der Bundesrepublik;
gestalten die Rechtspolitik mit und sorgen durch Veröffentlichungen für die entsprechende wissenschaftliche Untermauerung;
sind auch im vereinten Europa aufgestellt und beeinflussen so die Arbeits- und Sozialpolitik der EU;
wirken an Arbeitsschutzvorschriften mit;
vertreten ihre Mitglieder außergerichtlich in arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten (s. dazu das Stichwort Gewerkschaft - Rechtsschutz);
vertreten ihre Mitglieder in arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten in erster und zweiter Instanz vor den Arbeits- und Landesarbeitsgerichten, den Sozial- und Landessozialgerichten und auch vor dem Bundessozialgericht (s. dazu das Stichwort Gewerkschaft - Rechtsschutz);
sind maßgeblich an der Gestaltung von Tarifverträgen und tariflichen Arbeitsbedingungen beteiligt (s. dazu das Stichwort Gewerkschaft - Tarifträger);
dürfen zur Durchführung ihrer tariflichen Forderungen und Vorstellungen Arbeitskämpfe führen (s. dazu die Stichwörter Arbeitskampf - Allgemeines ff.);
benennen ehrenamtliche Richter für die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit (s. dazu das Stichwort Gewerkschaft - Rechtsgrundlagen);
haben wichtige Aufgaben bei der Wahl von Betriebsräten (Gewerkschaft - Rechtsgrundlagen);
steuern und unterstützen Betriebsräte vor Ort;
unterhalten Bildungseinrichtungen zur Arbeitnehmer-Weiterbildung und zur Schulung von Betriebsräten und anderen BetrVG-Mandatsträgern;
sind in vielen ehrenamtlichen Gremien, u.a. auch bei der Bundesagentur für Arbeit und den ihr nachgeordneten Agenturen tätig;
haben Benennungs- und Entsendungsrechte für zahlreiche Ausschüsse in Selbstverwaltungskörperschaften;
sorgen durch Vertrauensleute in den Betrieben vor Ort für regen Informationsaustausch und beeinflussen so auch die Willensbildung in den Betrieben (s. dazu auch das Stichwort Gewerkschaft - Vertrauensleute);
tragen durch Veranstaltungen etc. zur Mitgliederpflege bei;
tun vieles, vieles mehr.
Die Aufzählung ist bei Weitem nicht vollständig. Unterm Strich kann man festhalten, dass sich die Gewerkschaften ihre Aufgaben in vielen Fällen selbst suchen. Sie treten in allen
bildungspolitischen,
kulturellen,
sozialen und
wirtschaftlichen
Bereichen an. Gewerkschaften müssen sich - auch ungefragt - einmischen. Das ist ihre Aufgabe. Sie sind aus dem öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken - auch wenn ihre Mitgliederzahlen seit Jahren rückläufig sind (s. dazu das Stichwort Gewerkschaft - Mitgliederentwicklung). In gewissem Rahmen dürfen Gewerkschaften im Betrieb auch für sich werben (Gewerkschaft - Werbung im Betrieb).
5. Gewerkschaften und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
Das AllgemeineGleichbehandlungsgesetz (AGG) sagt in § 2 Abs. 1 Nr. 5 AGG, dass Benachteiligungen aus einem in § 1 AGG genannten Grund nach Maßgabe des Gesetzes unzulässig sind in Bezug auf: "die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme solcher Vereinigungen."
Nach § 17 Abs. 2 AGG haben Gewerkschaften das Recht, grobe Verstöße des Arbeitgebers gegen AGG-Bestimmungen nach Maßgabe des § 23 BetrVG zu verfolgen. Die Vorschriften des zweiten AGG-Abschnitts gelten entsprechend für die Mitgliedschaft oder die Mitwirkung in einer
Tarifvertragspartei,
Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören oder die eine überragende Machtstellung im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich innehat, wenn ein grundlegendes Interesse am Erwerb der Mitgliedschaft besteht,
sowie deren Zusammenschlüssen (§ 18 Abs. 1 AGG).
Tarifvertragsparteien dürfen
weder beim Eintritt
noch beim Austritt und
auch bei der Betätigung innerhalb der Gewerkschaft
keine Benachteiligung wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale zulassen.
Wenn die Ablehnung einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG darstellt, besteht ein Anspruch auf Mitgliedschaft oder Mitwirkung in den in § 18 Abs. 1 AGG genannten Vereinigungen (§ 18 Abs. 2 AGG). § 18 Abs. 2 AGG stellt keinen allgemeinen Aufnahmeanspruch dar. Er betrifft nur Verstöße gegen § 7 Abs. 1 AGG. Ein "Kontrahierungszwang" besteht ohnehin nur in Ausnahmefällen.
Der BGH sagt dazu:
"Ein Anspruch auf Aufnahme in einen Verein kann nicht nur bei (BGH, 10.12.1984 - II ZR 91/84 - Leitsatz).
§ 18 Abs. 2 AGG rückt von der Entschädigungspflicht des § 15 AGG ab und regelt einen Anspruch auf Naturalrestitution.
6. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle sind einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema Gewerkschaft - Allgemeines in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet hinterlegt:
6.1 Altersgrenze für Vorsitzende
"Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und d der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass eine in der Satzung einer Arbeitnehmerorganisation für die Wählbarkeit in das Amt des Vorsitzenden dieser Organisation vorgesehene Altersgrenze in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fällt" (EuGH, 02.06.2022 - C-587/20 - Dänemark - Leitsatz - zu einem Fall, in dem das Satzungsrecht einer Gewerkschaft vorsah, dass Bewerber für das Amt des Vorsitzenden am Wahltag das 61. Lebensjahr noch nicht vollendet haben dürfen).
6.2 Arbeitnehmerverband
Mitarbeiter einer Gewerkschaft können zur Regelung tariflicher Angelegenheiten einen eigenen Verband gründen. Dem steht weder entgegen, dass so ein Verband mangels Mächtigkeit keine Tarifverträge abschließen kann noch dass die Mitarbeiter auf Grund ihrer Mitgliedschaft in der Gewerkschaft bereits Mitglied einer Koalition sind. Die Bildung einer Mitarbeitervertretung stellt keine mit der Gewerkschaft konkurrierende Organisation dar und berührt auch nicht deren Recht auf Betätigungsfreiheit nach Art. 9 GG.
Zu beachten ist zwar grundsätzlich, dass sich in einem solchen Fall besondere Loyalitätspflichten der Mitarbeiter auf Grund ihres speziellen Arbeitsvertrags und ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft bei der Ausübung ihres Streikrechts ergeben können - allein die bloße Möglichkeit eines solchen Konflikts oder den Zielen der Gewerkschaft zuwider laufenden Maßnahmen reicht nicht aus, um die Gründung eines Mitarbeiterverbandes zu verhindern (BAG, 17.02.1998 - 1 AZR 364/97).
6.3 Arbeitsrechtliche Sonderstellung?
Was war passiert? Gewerkschaft G verweigerte den Teilzeitwunsch von Mitarbeiterin M mit Bick auf ihre gewerkschaftliche Sonderstellung. Die Instanzgerichte ließen sie abblitzen, das BVerfG hat G's Verfassungsbeschwerde erst gar nicht zur Entscheidung angenommen – und das u.a. mit folgender Begründung in puncto Art. 9 Abs 3 GG: "Inwiefern die Gewerkschaft durch die Anwendung von § 8 TzBfG auf die bei ihr Beschäftigten in dieser Organisationsfreiheit beeinträchtigt wird, erschließt sich nicht. Aus der innerorganisatorischen Freiheit folgt entgegen der Annahme der Beschwerdeführerin nicht, von allgemeinen arbeitsrechtlichen Anforderungen befreit zu sein. Die Annahme, dass die Beschwerdeführerin mit der Umsetzung des hier angegriffenen Urteils Gefahr laufen könnte, Mitglieder zu verlieren, Tarifverträge nicht abschließen oder Arbeitskämpfe nicht mehr durchführen zu können, also in ihren Rechten als Koalition eingeschränkt zu werden, liegt daneben fern" (BVerfG, 29.07.2020 – 1 BvR 1902/19).
6.4 Aufsichtsrat - Tantiemen
Die Satzung einer Gewerkschaft sah in § 10 u.a. vor: "2. Das Mitglied ist verpflichtet, … d) Bezüge aus Aufsichtsratsmandaten und sonstigen Mandaten nach § 21 Abs. 2 abzuführen. Das Nähere regelt eine vom Gewerkschaftsrat zu erlassende Richtlinie." Dem von der Gewerkschaft auf Abführung der Tantiemen verklagten Gewerkschaftsmitglied hielt das BAG entgegen: "Hat die Gewerkschaft die Kandidatur eines ihrer Mitglieder zum Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft eingeleitet und unterstützt, kann sie durch ihre Satzung die Verpflichtung regeln, die aus der Wahrnehmung eines solchen Mandats bezogenen Tantiemen an eine gewerkschaftsnahe Organisation abzuführen" (BAG, 21.05.2015 - 8 AZR 956/13 - Leitsatz - mit dem Ergebnis, dass das gewerkschaftliche Aufsichtsratsmitglied nun 116.129,24 Euro nebst Zinsen abfuhren muss).
6.5 Ausschluss eines Mitglieds
Eine Gewerkschaft hat grundsätzlich das Recht, ein Mitglied aus wichtigem Grund auszuschließen. Das setzt jedoch voraus, dass der Gewerkschaft die Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zuzumuten ist. Der Ausschluss ist allerdings nicht unbegrenzt möglich, sondern nur innerhalb einer angemessenen Frist, nachdem der Ausschlussgrund (hier u.a. Unregelmäßigkeiten bei der Beitragszahlung und Kandidatur auf einer "freien Liste") bekanntgeworden ist. "Ein halbes Jahr" Kenntnis "ist zu lang", meint das OLG Frankfurt a.M. (OLG Frankfurt, 20.08.2018 - 4 U 234/17).
6.6 Beschlagnahme
Die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft gewährt kein unbeschränktes Recht auf ungestörte Rechtsberatung. Bei Abwägung zwischen der Koalitionsfreiheit und dem Interesse der Allgemeinheit an einer leistungsfähigen Strafjustiz wiegt das Strafverfolgungsinteresse bei der Beschlagnahme vertraulicher Gewerkschaftsunterlagen höher als das Interesse der Betroffenen an ungestörter Mitgliederberatung. Das Vertrauen von Gewerkschaftsmitgliedern in die Geheimhaltung von Informationen, die sie der Gewerkschaft geben, ist nicht so schützenswert wie beispielsweise bei einem Rechtsanwalt, da Angestellte der Gewerkschaft nicht in dem hohen Maße persönlich unabhängig sind wie Rechtsanwälte (LG Berlin, 03.05.1996 - 511 Qs 35/96 - bestätigt durch BVerfG, 01.10.1997 - 2 BvR 1056/96).
6.7 Betriebliche Altersversorgung
"Will ein gewerkschaftlicher Arbeitgeber künftige und damit noch nicht erdiente dienstzeitabhängige Zuwächse von Betriebsrentenanwartschaften verringern, muss er darlegen, dass aufgrund konkreter Anhaltspunkte ohne den Eingriff anzunehmen ist, dass gewerkschaftliche Handlungsspielräume, die über bereits bestehende und konkret geplante Maßnahmen gewerkschaftlichen Handelns hinausgehen, künftig eingeschränkt werden könnten. Die wirtschaftlich drohende Situation muss über die vorhandenen und bereits fest geplanten Maßnahmen als Ausdruck gewerkschaftlichen Tätigwerdens hinaus eine Einschränkung der gewerkschaftlichen Handlungsspielräume befürchten lassen. Gewerkschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten müssen dabei so beeinträchtigt werden, dass eine vernünftige Gewerkschaftspolitik dies zum Anlass nehmen kann, zu reagieren" (BAG, 03.05.2022 – 3 AZR 472/21 – Leitsatz).
6.8 Betriebsversammlung
Die Gewerkschaftseigenschaft setzt eine Tariffähigkeit voraus. Soweit es den Gewerkschaftsbegriff betrifft, gibt es keine tarif- oder betriebsverfassungsrechtlich unterschiedlichen Gewerkschaften. Der einheitliche Gewerkschaftsbegriff ist für die Arbeitsgerichte nicht disponibel. Und so sind auch Gewerkschaften i.S.d. Betriebsverfassungsgesetzes nur Arbeitnehmerkoalitionen, die auch tariffähig sind. Nicht tariffähige Arbeitnehmerkoalitionen haben daher kein Zutrittsrecht zu Betriebsversammlungen (BAG, 19.09.2006 - 1 ABR 53/05 - zu § 46 Abs. 1 BetrVG und dem Verband der Gewerkschaftsangehörigen - VGB).
6.9 BTÜ
Der Interessenverband "Bedienstete der Technischen Überwachung" (BTÜ) - gegen ihn war die ÖTV aktiv - ist keine Gewerkschaft im Rechtssinn (BAG, 06.06.2000 - 1 ABR 10/99).
6.10 CGM
Der Charakter einer tariffähigen Spitzenorganisation i.S.d. § 2 Abs. 3 TVG kann sich sowohl aus der Tariffähigkeit aller ihrer Mitgliedsorganisationen ergeben oder aus dem Umstand, dass die Spitzenorganisation die Voraussetzungen der Tariffähigkeit selbst erfüllt. Auf Arbeitnehmerseite ist für die Annahme einer Spitzenorganisation ist vorauszusetzen, dass sie in entsprechender Weise die Anforderungen erfüllt, die an die Tariffähigkeit einzelner Gewerkschaften gestellt werden. Insoweit ist eine Spitzenorganisation nicht tariffähig, wenn sie nicht über eine ausreichende soziale Mächtigkeit verfügt, wie sie eine Einzelgewerkschaft aufweisen muss, damit sie tariffähig ist (ArbG Berlin, 01.04.2009 - 35 BV 17008/08 - hier: fehlende Tariffähigkeit der "Christlichen Gewerkschaft Metall").
6.11 CGZP - 1
Die CGZP - die "Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen" - ist keine gewerkschaftliche Spitzenorganisation, die im eigenen Namen Tarifverträge schließen kann. Ihr fehlen dazu die tarifrechtlichen Voraussetzungen. Wenn eine gewerkschaftliche Spitzenorganisation selbst als Tarifvertragspartei Tarifverträge abschließen will, muss das zu ihren satzungsrechtlichen Aufgaben gehören. Weiter wird vorausgesetzt, dass die sich zusammenschließenden Einzelgewerkschaften selbst tariffähig sind und ihre Tariffähigkeit der Spitzenorganisation voll vermitteln. Beschränken sie die Abschlussbefugnis nur auf einen Teilbereich, reicht das nicht (BAG, 14.12.2010 - 1 ABR 19/10 - mit dem Hinweis, dass der Organisationsbereich einer Spitzenorganisation nicht über den ihrer Mitgliedsgewerkschaften hinausgehen darf).
6.12 CGZP - 2
Die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen war auch in der Vergangenheit nicht tariffähig. Sie ist zum einen keine Spitzenorganisation i.S.d. § 2 Abs. 3 TVG, zum anderen geht der in der CGZP-Satzung festgelegte Organisationsbereich für die gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung über den ihrer Mitgliedsgewerkschaften hinaus. Somit konnte die CGZP am 29.11.2004, am 19.06.2006 und auch am 09.07.2008 keine Tarifverträge schließen. Das führt zu dem Ergebnis, dass Leiharbeitnehmer, auf deren Arbeitsverhältnis die "Tarifverträge" der CGZP anwendbar sein sollten, möglicherweise Nachforderungen stellen können (ArbG Berlin, 30.05.2011 - 29 BV 13947/10).
6.13 CGZP - 3
Die Tariffähigkeit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen bestand auch am 22.07.2003 nicht, sodass die zu diesem Zeitpunkt geschlossenen "Tarifverträge" ebenfalls unwirksam sind. Auch damals ließ der der CGZP-Satzung nicht entnehmen, ob Tarifverträge im eigenen Namen oder ausschließlich im Namen ihrer Mitgliedsgewerkschaften abgeschlossen werden sollten (ArbG Berlin, 08.09.2011 - 63 BV 9415/08).
6.14 CGZP - 4
Die CGZP war auch bei Abschluss der "Tarifverträge" vom 29.11.2004, 19.06.2006 und 09.07.2008 nicht tariffähig und konnte keine Tarifverträge schließen (LAG Berlin-Brandenburg, 09.01.2012 - 24 TaBV 1285/11).
6.15 CGZP - 5
Das BAG hat die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg bestätigt und geht noch darüber hinaus: "Die am 11. Dezember 2002 gegründete Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) war nie tariffähig" (BAG, 22.05.2012 - 1 ABN 27/12 - Pressemitteilung). Begründung: Die CGZP ist keine Spitzenorganisation. Sie konnte im fraglichen Zeitraum keine Tarifverträge schließen. Ihr fehlt die Tariffähigkeit von der Gründung an.
6.16 CGZP - 6
§ 97 Abs. 5 ArbGG gibt dem Gericht auf, sein Verfahren bis zur Erledigung des Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG auszusetzen, wenn die Entscheidung des Rechtstreits davon abhängt, ob eine Vereinigung tariffähig oder die Tarifzuständigkeit dieser Vereinigung gegeben ist. Das kann beispielsweise anlässlich der Frage passieren, ob die CGZP "zum Zeitpunkt des Abschlusses der zwischen dem 01.07.2007 und 31.05.2008 einschlägigen Tarifverträge" tariffähig und -zuständig war. Nur: "Einer Aussetzung i.S.d. § 97 Abs. 5 ArbGG bedarf es nicht, wenn über den erhobenen Anspruch ohne Klärung der in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigenschaften entschieden werden kann. Dies setzt eine vorherige Prüfung der Schlüssigkeit und der Erheblichkeit des Parteivorbringens in Bezug auf die Klageforderung ebenso voraus wie die Durchführung einer ggf. notwendigen Beweisaufnahme" (BAG, 24.07.2012 - 1 AZB 47/11 - Leitsatz).
6.17 CGZP - 7
Für Leiharbeitnehmer gilt nach § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG, dass der Verleiher verpflichtet ist, sie zu den gleichen Arbeitsbedingungen zu beschäftigen wie seine Stammmitarbeiter und ihnen das gleiche Arbeitsentgelt zu zahlen (= "equal pay"). Aber: Gibt es für das Leiharbeitsverhältnis einen Tarifvertrag, muss die Verleiher diesen Tarifvertrag anwenden (§ 10 Abs. 4 Satz 2 AÜG) - auch wenn die Arbeitsbedingungen schlechter und die Vergütung geringer ist. Das Gleiche gilt, wenn zwischen nicht tarifgebundenen Vertragspartnern die Anwendung eines bestimmten Tarifvertrags vereinbart ist (§ 9 Nr. 2 AÜG). Verweist der Arbeitsvertrag auf die ungültigen CGZP-Verträge, ist das keine Vereinbarung i.S.d. § 9 Nr. 2 AÜG - mit dem Ergebnis, dass die Grundsätze des "equal pay" greifen (BAG, 13.03.2013 - 5 AZR 294/12).
6.18 CGZP - 8
Das BAG hatte mit Urteil vom 14.12.2010 - 1 ABR 19/10 festgestellt, dass die CGZP nicht tariffähig war. Mit Urteil vom 16.03.2011 - 1 ABR 86/10 (F) hat das BAG eine weitere Entscheidung getroffen, die mehrere Beschwerdeführer mit einer Verfassungsbeschwerde angegriffen haben. Die Verfassungsbeschwerde wurde u.a. mit einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör begründet, weil das BAG die Beschwerdeführer nicht als Beteiligte i.S.d. § 83 Abs. 3 ArbGG beigeladen habe.
Das BVerfG hat keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör festgestellt und die Verfassungsbeschwerde erst gar nicht zur Entscheidung angenommen. Soweit es die Beteiligtenfähigkeit der Beschwerdeführer betrifft, meint das BVerfG: Eine Beteiligtenfähigkeit entsteht nicht dadurch, dass ihnen durch die BAG-Entscheidung für die Zukunft ein Tarifpartner entzogen wird. Das Vorhandensein eines Tarifpartners ist keine geschützte Rechtsposition. Außerdem betreffe die BAG-Entscheidung bei einigen Beschwerdeführern nur die zukünftige Rechtsposition und beträfe sie nur dann, wenn sie nach dem 08.10.2009 mit der CGZP Tarifverträge abgeschlossen hätte (BVerfG 10.03.2014 - 1 BvR 1104/11).
6.19 CGZP - 9
"Die Tarifunfähigkeit einer Vereinigung (hier: der CGZP) ist keine Tatsache, deren 'Unkenntnis' den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist für den Anspruch des Leiharbeitnehmers auf gleiches Arbeitsentgelt hindern könnte, sondern eine im Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 97 ArbGG von den Gerichten für Arbeitssachen vorzunehmende rechtliche Bewertung" (BAG, 17.12.2014 - 5 AZR 8/13 - Leitsatz).
6.20 CGZP - 10
Das BVerfG hat mehrere Verfassungsbeschwerden, die sich gegen die BAG-Beschlüsse vom 22.05.2012 - 1 ABN 27/12 - und vom 23.05.2012 - 1 AZB 58/11 sowie einen Beschluss des LAG Berlin-Brandenburg vom 09.01.2012 - 24 TaBV 1285/11 - richteten (rückwirkende Feststellung der fehlenden Tariffähigkeit der CGZP), gar nicht zur Entscheidung angenommen. Begründung u.a.: weder das verfassungsrechtliche Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs noch das verfassungsrechtlich geschützte Rückwirkungsverbot sind verletzt.
"Die Beschwerdeführerinnen konnten nicht auf höchstrichterliche Rechtsprechung vertrauen, denn eine solche lag zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidungen nicht vor. Das Bundesarbeitsgericht hat in dem Beschluss vom 14.12.2010 - 1 ABR 19/10 - erstmals ausgeführt, dass Gewerkschaften einer Spitzenorganisation i.S.d. § 2 Abs. 2 und 3 TVG ihre Tariffähigkeit vollständig vermitteln müssen. Das entsprach nicht dem, was die Beschwerdeführerinnen für richtig hielten. Die bloße Erwartung, ein oberstes Bundesgericht werde eine ungeklärte Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne beantworten, begründet jedoch kein verfassungsrechtlich in Art. 20 Abs. 3 GG geschütztes Vertrauen ... [es folgt ein Hinweis auf BAG, 13.03.2013 - 5 AZR 954/11]. Die Beschwerdeführerinnen mussten damit rechnen, dass der CGZP die Tariffähigkeit fehlte" (BVerfG, 25.04.2015 - 1 BvR 2314/12).
6.21 CGZP - 11
Das BSG hat die BAG-Rechtsprechung zur Anwendung der CGZP-Tarifverträge übernommen, schränkt jedoch die praktische Auswirkung ein. Zwar hält das oberste Sozialgericht die Nachforderung von Beiträgen für Zeiten vor dem BAG-Beschluss zur Tarifunfähigkeit der "Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalservice-Agenturen" - CGZP - vom Grundsatz her für zulässig. Es weist aber gleichzeitgig auch darauf hin, dass die Höhe der Beitragsforderung und der Zeitraum, für den sie nachzuentrichten sind, genau geprüft werden müssen. Dazu müssen alle Sozialversicherungsträger und die betroffenen Beschäftigten als notwendig Beigeladene am Rechtsstreit beteiligt werden (BSG, 16.12.2015 - B 12 R 11/14 R - mit dem Hinweis, dass auch die Vorsatzfrage bei der Verjährung - 30 statt 4 Jahre - genau geprüft werden müsse).
6.22 DHV - Die Berufsgewerkschaft e.V. - 1
Die Tätigkeit der DHV erstreckt sich über das gesamte Bundesgebiet und § 2 ihrer Satzung sieht unter "Aufgaben und Ziele" vor: "Die DHV ist eine Gewerkschaft der Arbeitnehmer insbesondere in kaufmännischen und verwaltenden Berufen..." In einem Anhang zu § 2 sind im Einzelnen bezeichnete Branchen und Unternehmen aufgeführt. Nur: "Die Festlegung des Organisationsbereichs der DHV - Die Berufsgewerkschaft e.V. im Anhang ihrer ab dem 12. Juni 2009 und ab dem 23. Februar 2011 geltenden Satzungen ist unwirksam. Für Arbeitnehmer in den dort aufgeführten Unternehmen und Branchen, die außerhalb kaufmännischer und verwaltender Berufe tätig sind, ist die DHV nicht tarifzuständig" (BAG, 17.04.2012 - 1 ABR 5/11 Leitsatz).
6.23 DHV - Die Berufsgewerkschaft e.V. - 2
Die DHW sah in ihrer alten Satzung u.a. die Regelung vor, "Die DHV ist eine Gewerkschaft der Arbeitnehmer insbesondere in kaufmännischen und verwaltenden Berufen." Mit einer am 09.01.2013 eingetragenen Satzungsänderung galt: "Die DHV ist tarifzuständig für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den nachstehenden Bereichen ... [es folgt eine Aufzählung, die u.a. das Deutsche Rote Kreuz enthält]." Nach der früheren Satzung war die DHW für den Abschluss eines Tarifvertrags für die Arbeitnehmer der bei der DRK-Blutspendedienst West GmbH beschäftigten Arbeitnehmer - soweit die keinen kaufmännischen oder verwaltenden Beruf ausübten - unzuständig. Diese Zuständigkeit bekam sie erst mit der Satzungsänderung ab dem 09.01.2013 (BAG, 11.06.2013 - 1 ABR 32/12).
6.24 DHV - Die Berufsgewerkschaft e.V. - 3
Die Tariffähigkeit der DHV war bereits Gegenstand vieler Verfahren vor den Arbeitsgerichten der Nation (s.o.). Mit schöner Regelmäßig haben die Gerichte dann festgestellt, dass diese "Gewerkschaft" nicht tariffähig ist. Also hat man deren Satzung geändert - im Ergebnis aber ohne Erfolg. Nach Anträgen von IG Metall, ver.di und anderen wurde erneut festgestellt, dass die DHV selbst nach ihrer Satzungsänderung nicht tariffähig ist. Sie hat in den von ihr beanspruchten Zuständigkeitsbereichen - u.a. Banken, Einzelhandel, Krankenkassen und Versicherungen - einfach keine Durchsetzungskraft gegenüber den sozialen Gegenspielern. Sie kann keine Tarifverträge über Arbeitsbedingungen schließen, die unmittelbar und zwingend für tarifgebundene Arbeitnehmer gelten (LAG Hamburg, 22.05.2020 - 5 TaBV 15/18 - mit Hinweis auf BAG, 26.06.2018 - 1 ABR 37/16; LAG Hamburg, 04.05.2016 - 5 TaBV 8/15 u. ArbG Hamburg, 19.06.2015 - 1 BV 2/14).
6.25 Differenzierungsklausel
Grundsätzlich ist gegen eine tarifvertragliche Differenzierungsklausel, die Arbeitnehmern als Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaft eine Sonderleistung verspricht, nichts einzuwenden. Die Tarifmacht der Koalitionen ist aber überschritten, wenn eine so genannte Spannensicherungs- oder Abstandsklausel vereinbart wird, mit der die Exklusivklausel für Gewerkschaftsmitglieder noch dadurch abgesichert wird, dass etwaige Kompensationsleistungen des Arbeitgebers an nicht oder anders organisierte Mitarbeiter zwingend und unmittelbar einen entsprechenden zusätzlichen Zahlungsanspruch für die Gewerkschaftsmitglieder begründen. So eine Klausel ist unwirksam (BAG, 23.03.2011 - 4 AZR 366/09).
6.26 Durchsetzungskraft
Wenn im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren Streit über die Gewerkschaftseigenschaft einer Arbeitnehmerorganisation besteht, braucht das Verfahren nicht nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG ausgesetzt zu werden. Eine Gewerkschaft i.S.d. nordrhein-westfälischen Personalvertretungsrechts muss über eine hinreichende Durchsetzungskraft in personalvertretungsrechtlichen Zusammenhängen verfügen. Ein Berufsverband, dem nach Maßgabe des § 125 PersVG NW die personalvertretungsrechtlichen Aufgaben und Befugnisse von Gewerkschaften zustehen, braucht nicht selbst die Anforderungen an den personalvertretungsrechtlichen Begriff der Gewerkschaft zu erfüllen (BVerwG, 25.07.2006 - 6 P 17/05).
6.27 Einstellung
Die Einstellung eines Bewerbers darf vom Arbeitgeber nicht von der Nichtgewerkschaftszugehörigkeit des Arbeitnehmers abhängig gemacht werden. Dieses Arbeitgeberverhalten verstößt gegen das Grundrecht der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG und berechtigt den Betriebsrat, seine Zustimmung zur Einstellung nach § 99 BetrVG zu verweigern (BAG, 28.03.2000 - 1 ABR 16/99).
6.28 Eintritt während Nachbindung
Tritt der Arbeitgeber aus seinem Verband aus, ist er an die von diesem Verband geschlossenen Tarifverträge nach § 3 Abs. 3 TVG solange gebunden, bis die Tarifverträge enden - und das unmittelbar und zwingend. Tritt ein Arbeitnehmer während der Zeit der Nachbindung in die tarifvertragschließende Gewerkschaft ein, wirken diese Tarifverträge wegen § 4 Abs. 1 TVG nach - und das ebenso unmittelbar und zwingend. Damit wird eine frühere arbeitsvertragliche Abmachung, die Vereinbarungen unterhalb des Tarifvertragsniveaus enthält, verdrängt. Die Tarifgebundenheit hält solange an, bis die Tarifverträge enden (BAG, 06.07.2011 - 4 AZR 424/09).
6.29 Einwirkungsklage
Verhalten sich Mitglieder eines Tarif schließenden Arbeitgeberverbands - tatsächlich oder nach Meinung der Tarif schließenden Gewerkschaft - tarifwidrig, kann die Arbeitnehmervertretung eine so genannte Einwirkungsklage gegen den Arbeitgeberverband erheben. Ihm soll damit aufgegeben werden, i.S.d. tariflichen Regelung auf seine Mitglieder einzuwirken, von ihrem tarifwidrigen Verhalten abzulassen. Bei so einer Klage bedarf es keiner vorherigen Entscheidung über den Inhalt der tariflichen Regelung oder Verpflichtung, derentwegen die Gewerkschaft vor Gericht zieht. Das ist zumindest dann so, wenn in dem anhängig gemachten Verfahren sowohl über die Einwirkungspflicht als auch über die zum Streitgegenstand gemachte umstrittene Auslegungsfrage entschieden wird (BAG, 17.11.2010 - 4 AZR 118/09).
6.30 E-Mail ins Homeoffice?
Während der "Corona"-Pandemie haben viele Arbeitnehmer im Zuhause-Büro gearbeitet. Das hatte für sie den Vorteil, wegen eingeschränkter Kontakte einer geringeren Ansteckungsgefahr ausgesetzt zu sein. Auf der anderen Seite stand jedoch der Nachteil, im Homeoffice weniger betriebliche und gewerkschaftliche Informationen zu bekommen. Das brachte Gewerkschaft G auf den Gedanken, von Arbeitgeber A zu verlangen, dass er ihre Informationen vom Betrieb aus an die dienstlichen E-Mail-Adressen der bei ihm beschäftigten Mitarbeiter verschickt. A hielt das für keine gute Idee und weigerte sich, G's Wunsch zu entsprechen. Zu Recht: "Es besteht keine Verpflichtung des Arbeitgebers, E-Mails mit einem von einer Arbeitnehmervereinigung gestalteten Inhalt an alle bei ihm Beschäftigten zu versenden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber der Arbeitnehmervereinigung über das hauseigene Intranet die Möglichkeit gewährt, Information an alle bei ihm Beschäftigten zur Verfügung zu stellen" (ArbG Bonn, 11.05.2022 - 2 Ca 93/22 - Leitsatz).
6.31 Erholungsbeihilfe
Vereinbart eine Gewerkschaft im Rahmen von Tarifverhandlungen mit dem Arbeitgeber, dass für ihre Mitglieder bestimmte Zusatzleistungen erbracht werden (hier: Beitritt des Arbeitgebers zu einem Verein, der satzungsmäßig Erholungsbeihilfen an IG Metall-Mitglieder leistet), findet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz im Verhältnis zu nicht organisierten Arbeitnehmern keine Anwendung. Es besteht eine Angemessenheitsvermutung, die eine Überprüfung von Verträgen tariffähiger Vereinigungen ausschließt. Und das gilt unabhängig davon, ob die Leistungen für die Gewerkschaftsmitglieder in einem Tarifvertrag oder in einer schuldrechtlichen Koalitionsvereinbarung geregelt werden (BAG, 21.05.2014 - 4 AZR 50/13).
6.32 "Fair.die"
Der vereinfachte Fall: Bei der Betriebsratswahl in Arbeitgeber A’s Betrieb traten mehrere Listen an, u.a. eine mit dem Kennwort "Ver.di" und eine mit dem Kennwort "Fair.die". Der Wahlvorstand ließ beide Listen zu. Die Gewerkschaft ver.di focht dann allerdings die Betriebsratswahl an – und kam damit durch. Die vereinfachte Lösung: Die verwandten Kennwörter "Ver.di" und "Fair.die" führen zu einer Verwechselungsgefahr zwischen den Vorschlagslisten – die nach der BAG-Rechtsprechung nicht eintreten darf. Zudem darf eine Liste durch Verwendung eines Kennworts nicht den unzutreffenden Eindruck erwecken, dass hinter ihr eine Gewerkschaft stehe. Und das ist bei Verwendung des Kennworts "Fair.die" der Fall (LAG Düsseldorf, 31.07.2020 – 10 TaBV 42/19).
6.33 Frage nach der Mitgliedschaft
Fordert der Arbeitgeber seine Mitarbeiter aus Anlass der von Gewerkschaftsseite angekündigten Durchführung einer Urabstimmung über Streikmaßnahmen auf, unter Angabe von Namen und Personalnummer zu erklären, ob sie Mitglied der Gewerkschaft (hier: GDL) sind, ist das eine unzulässige Arbeitgeberaktion. Die von den Mitarbeitern verlangte Auskunft verschafft dem Arbeitgeber Kenntnis vom Umfang des Organisationsgrads und der Verteilung gewerkschaftsangehöriger Mitarbeiter in seinem Betrieb. Die Arbeitgebermaßnahme zielt darauf ab, den Verhandlungsdruck der Gewerkschaft unter Zuhilfenahme ihrer Mitglieder zu unterlaufen (BAG, 18.11.2014 - 1 AZR 257/13 - mit dem Hinweis, dass der Senat wegen des konkreten Unterlassungsantrags nicht darüber zu entscheiden hatte, ob der Arbeitgeber in einem tarifpluralen Betrieb ein grundsätzliches Fragerecht nach der Gewerkschaftszugehörigkeit hat).
6.34 Freistellungsanspruch - 1
Ein Gewerkschaftsmitglied kann von seinem Arbeitgeber nach Art. 9 Abs. 3 GG keine unbezahlte Freistellung von der Arbeit für die Zeit der Teilnahme an Ortsvorstandssitzungen verlangen. Die Sitzungsteilnahme ist zwar eine von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte koalitionsspezifische Betätigung. Der Arbeitnehmer hat mit Abschluss des Arbeitsvertrags jedoch über die ihm von Art. 9 Abs. 3 GG eingeräumte Grundrechtsposition verfügt und sich verpflichtet, seinem Arbeitgeber vertragsgemäß die Arbeitsleistung zu Verfügung zu stellen. Die Teilnahme an Ortsvorstandssitzungen führt auch nicht zu einem Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB - das Spannungsverhältnis zwischen Vertragstreue und Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung ist zu Gunsten der Vertragstreue zu entscheiden (BAG, 13.08.2010 - 1 AZR 173/09).
6.35 Freistellungsanspruch - 2
Über den fünftägigen Sonderurlaub hinaus hat ein Gewerkschaftsfunktionär keinen Anspruch auf weiteren Sonderurlaub, um an üblichen Gewerkschaftssitzungen - hier eine GdP-Bezirksvorstandssitzung - teilzunehmen. Zusätzlicher Urlaub kann nach der Sonderurlaubsverordnung nur in besonders begründeten Fällen verlangt werden. Wenn es keine außergewöhnlichen Beratungsgegenstände gibt und die Sitzungen von langer Hand geplant und mit dem üblichen Vorlauf organisiert sind, lässt sich kein besonders begründeter Fall annehmen (VG Koblenz, 24.11.2010 - 2 K 174/10.KO).
6.36 Gewerkschaftliche Altersversorgung
Die Versorgungsordnung der Deutschen Postgewerkschaft sieht in § 26 Abs. 1 Nr. 1 lit. d) Anhang II vor, dass der "Versorgungsfall für Wahlangestellte sowie Sekretäre/innen des Hauptvorstandes und der Bezirksvorstände" eintritt, "wenn sie unkündbar sind und das 60. Lebensjahr vollendet haben, jedoch nur auf Antrag", ist das eine nicht zu beanstandende Regelung. Diese Regelung betrifft aber nur Arbeitnehmer, die die dort aufgestellten Voraussetzungen erfüllen und zu dem darin angesprochenen Personenkreis gehören. Die bloß vergütungsmäßige Gleichstellung eines Abteilungssekretärs mit einem Sekretär des Bezirksvorstands reicht nicht, wenn nicht gleichzeitig auch eine Gleichstellung bezüglich anderer Vertragsinhalte mit den "BezirkssekretärInnen" erfolgt ist (BAG, 13.11.2012 - 3 AZR 577/10).
6.37 Klagerecht einer ausländischen Gewerkschaft
"Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens verbietet es die Richtlinie 96/71/EG (...) über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ausgelegt im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, dass eine Regelung des Mitgliedsstaats, in dem das Unternehmen, das Arbeitnehmer in einen anderen Mitgliedsstaat entsandt hat, seinen Sitz hat, nach der die Übertragung von Forderungen aus Arbeitsverhältnissen verboten ist, eine Gewerkschaft wie die Sähköalojen ammattiliitto ry daran hindern kann, bei einem Gericht dieses anderen Mitgliedsstaates, in dem die Arbeitsleistung erbracht wird, eine Klage zu erheben, um für die entsandten Arbeitnehmer auf sie übertragene Lohnforderungen einzuziehen, bei denen es um den Mindestlohn i.S.d. Richtlinie 96/71 geht, da diese Übertragung im Einklang mit dem in diesem anderen Mitgliedsstaat geltenden Recht steht" (EuGH, 12.02.2015 - C-396/13 1. Leitsatz - Finnland/Polen).
6.38 Kündigung eines Amtsträgers
Auch wenn die Amtsenthebung eines ehemaligen stellvertretenden Bundesvorsitzenden wirksam ist, heißt das nicht, dass damit auch die außerordentliche Kündigung seines Dienstvertrags unbeanstandet durchgeht. Die verlangt nämlich eine rechtzeitig ausgesprochene Kündigungserklärung des dafür zuständigen Hauptvorstands der Gewerksschaft und einen wichtigen Grund. Da der Dienstvertrag des Amtsenthobenen hier nicht an den Fortbestand seines Wahlamts gebunden war (Zweckbefristung), gab es kein automatisches Ende des Dienstverhältnisses. Folgerichtig musste es gekündigt werden. Dafür lieferte die Unterstützung des Antrag des insolvenzbedrohten aktuellen stellvertretenden Bundesvorsitzenden in einer Sitzung des geschäftsführenden Vorstands, ihm ein Darlehen zu gewähren, jedoch keinen wichtigen Grund. Auch wenn der Gewerkschaft der Antrag aus gewerkschaftspolitischen Gründen problematisch erscheinen könnte: für eine außerordentliche Kündigung reicht das nicht (OLG Frankfurt a. M., 02.09.2020 - 4 U 46/19 - mit dem Ergebnis, dass die Gewerkschaft dem Gekündigten noch knapp 170.000,00 EUR Vergütung nachzahlen musste ...).
6.39 medsonet - die Gesundheitsgewerkschaft
"medsonet - die Gesundheitsgewerkschaft" sieht sich nach ihrer Satzung für alle Bereiche des Gesundheitswesens und der sozialen Dienste als zuständig an, insbesondere für Arbeitnehmer in Krankenhäusern, Reha-Einrichtungen sowie Einrichtungen der ambulanten und stationären Alten- und Krankenpflege. Sie ist Mitglied im CGB - dem Christlichen Gewerkschaftsbund. Der Organisationsgrad von medsonet war stets gering, ihr fehlt die für Gewerkschaften verlangte soziale Mächtigkeit. "medsonet" war seit ihrer Gründung zu keinem Zeitpunkt tariffähig (BAG, 11.06.2013 - 1 ABR 33/12).
6.40 Neue Assekuranz Gewerkschaft - NAG
"Die Neue Assekuranz Gewerkschaft (NAG) e.V. ist keine tariffähige Gewerkschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 TVG" (LAG Hessen, 09.04.2015 - 9 TaBV 225/14 2. Leitsatz). Begründung: Die NAG erfüllt nicht die erforderlichen Mindestvoraussetzungen für eine Tariffähigkeit, so habe sie u.a. viel zu wenig Mitglieder, einen geringen Organisationsgrad und sei auch nicht in der Lage, eine leistungsfähige Organisation zu unterhalten. Die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie verlangt eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit. "Ansonsten würde Vereinigungen Vorschub geleistet, denen keine oder nur eine zu vernachlässigende Zahl an Arbeitnehmern angehören, und auf deren Verhandlungsangebot die Arbeitgeberseite letztlich nur deswegen eingeht, um die Arbeitsbedingungen der nichtorganisierten Arbeitnehmer durch Gleichstellungsabreden zu regeln und damit einer AGB-Kontrolle entziehen zu können."
6.41 Sonderbeitrag(sklausel)
Grundsätzlich ist es nicht zu beanstanden, wenn die Satzung einer Gewerkschaft eine sogenannte Sonderbeitragsklausel enthält. Nur: Wenn aus dieser Klausel nicht eindeutig hervorgeht und mit ihr auch nicht hinreichend bestimmbar ist, in welcher Höhe ein Mitglied über seine reguläre Beitragsschuld hinaus finanziell belastet wird, dann ist so eine Klausel unwirksam. Eine Sonderbeitragsklausel, die Mitgliedern nicht deutlich macht, bis zu welcher Höhe ein Sonderbeitrag erhoben wird, wenn sie wegen ihrer Mitgliedschaft ein Gewerkschaftsmandat (z.B. in einem Aufsichtsrat) wahrnehmen und dafür eine Vergütung bekommen, ist selbst dann unwirksam, wenn diese Klausel auf eine vom Vorstand beschlossene Sonderbeitragsordnung verweist (BGH, 21.05.2019 - II ZR 157/18 - mit wichtigen Ausführungen zur Auslegung einer Satzung).
6.42 Sonderbonus im Sozialplan
Arbeitgeber A und Betriebsrat B hatten anlässlich einer ersten großen Personalanpassung einen Sozialplan vereinbart. Darin galt für alle Mitarbeiter die Berechnungsformel: "Betriebszugehörigkeit x Monatsbrutto x 0,9". Mündlich war zwischen A und B vereinbart, dass alle Mitglieder der Gewerkschaft G einen erhöhten Abfindungsfaktor von 1,0 erhalten sollten, wenn sie keine Kündigungsschutzklage erheben. Bei einer zweiten großen Personalanpassung soll es eine ähnliche Regelung gegeben haben – wobei A in diesem Zusammenhang eine mündliche Zusage bestritt. So hatte der klagende Arbeitnehmer auf voller Linie Pech: Für die Wirksamkeit einer eventuellen Zusage A’s fehle bereits die erforderliche Schriftform (§ 77 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 BetrVG). Und als Gesamtzusage könne so ein Versprechen ohnehin nicht greifen, weil sie nicht für alle Mitarbeiter, sondern halt nur für Gewerkschaftsangehörige gelten sollte (LAG Düsseldorf, 29.06.2022 – 1 Sa 991/21 – mit weiteren Ausführungen zur fehlenden Rechtswirksamkeit).
6.43 Sonderrechte für Gewerkschaftsmitglieder - 1
Sieht ein Tarifvertrag vor, dass Gewerkschaftsmitglieder - hier von ver.di und NGG - eine höhere Sonderzahlung bekommen, ist so eine Regelung grundsätzlich nicht zu beanstanden. Die Tarifregelung schließt nicht an einen früheren Besitzstand an, sondern "differenziert lediglich in der Höhe der Leistung zwischen organisierten und nicht organisierten Beschäftigten". Die Tarifpartner dürfen Merkmale typisieren und generalisieren - und dabei Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, generalisierend vernachlässigen. Sollen Folgen einer Arbeitnehmer möglicherweise benachteiliegenden Regelung - hin zur ergebnisorientierten Sonderzahlung - für Gewerkschaftsmitglieder, "die sich in der Vergangenheit auf die Zahlung einer nicht ergebnisabhängigen Sonderzahlung eingerichtet hatten", gemildert werden, ist es zulässig, eine Regelung nur für die gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmer zu schaffen, die bis dahin einen Besitzstand erworben haben (BAG, 13.06.2012 - 10 AZR 247/11).
6.44 Sonderrechte für Gewerkschaftsmitglieder - 2
Hat ein Haustarifvertrag einen sozialplanähnlichen Inhalt, darf er für Leistungen, die der Arbeitgeber an tarifgebundene Arbeitnehmer zum Ausgleich wirtschaftlicher und sozialer Nachteile zahlen muss, eine Stichtagsregelung vorsehen, wonach nur die gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmer Anspruch auf diese Leistungen haben, die bereits im Zeitpunkt der tariflichen Einigung Mitglied der Gewerkschaft waren. Die hier im Haustarifvertrag verwendete Abmachung ist keine bloße Differenzierungsklausel, die lediglich zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und nicht beziehungsweise anders tarifgebundenen Arbeitnehmern unterscheidet. So eine Regelung verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der negativen Koalitionsfreiheit. Selbst die "Binnendifferenzierung" zwischen den Mitgliedern der Gewerkschaft - Beitritt vor oder nach dem Stichtag - schränkt weder die Handlungs- oder Vertragsfreiheit des Arbeitgebers noch die von Außenseitern ein (BAG, 15.04.2015 - 4 AZR 796/13).
6.45 Tarifzuständigkeit
Ist eine Gewerkschaft - wie die "DHV - Die Berufsgewerkschaft e.V." - nach dem Berufsgruppenprinzip organisiert, gelten für ihre Satzung die allgemeinen Bestimmtheitsanforderungen. Eine Annex-Zuständigkeit, die über den verlautbarten Satzungsinhalt hinausgeht, gibt es nicht. Insoweit hat der Antrag einer anderen Gewerkschaft - hier ver.di - auf Feststellung, dass diese Gewerkschaft für den Abschluss von Tarifverträgen nicht zuständig ist, Erfolg (BAG, 10.02.2009 - 1 ABR 36/08).
6.46 UFO
Die UFO, die "Unabhängige Flugbegleiter Organisation", hat die Fähigkeit, Tarifverträge abzuschließen. Sie ist damit eine Gewerkschaft im Rechtssinn (BAG, 14.12.2004 - 1 ABR 51/03 - mit dem Hinweis, dass diese Vereinigung bei einem Organisationsgrad von 32 Prozent der 20.000 Flugbegleiter auch hinreichend mächtig ist, Druck auf die Arbeitgeberseite auszuüben).
6.47 Unternehmensmitbestimmung
"Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer ist dahin auszulegen, dass die für eine durch Umwandlung geschaffene SE geltende Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer im Sinne dieser Bestimmung für die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat der SE in Bezug auf die von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Kandidaten einen getrennten Wahlgang vorsehen muss, sofern das anwendbare nationale Recht einen solchen getrennten Wahlgang in Bezug auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der in eine SE umzuwandelnden Gesellschaft vorschreibt; im Zusammenhang mit diesem Wahlgang muss die Gleichbehandlung der Arbeitnehmer dieser SE, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe sowie der in ihnen vertretenen Gewerkschaften gewahrt sein" (EuGH, 18.10.2022 - C-677/20 - Leitsatz - Deutschland).
6.48 Verbandsausschluss
Art. 9 Abs. 3 GG deckt im Rahmen der Koalitionsfreiheit auch Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Geschlossenheit der Koalition nach innen und außen. Dazu gehören auch Sanktionen. Dazu kann auch der Ausschluss eines Landesverbands aus einem Bundesverband gehören - wenn gewisse formelle und materielle Voraussetzungen erfüllt sind. Insbesondere ist aber zu berücksichtigen, dass der ausgeschlossen Verband selbst Grundrechtsträger des Art. 9 Abs. 3 GG ist und die kollidierenden Grundrechtspositionen dann in ihrer Wechselwirkung so zu erfassen und zu begrenzen sind, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (BVerfG, 09.01.2007 - 1 BvR 3068/06 - zum Ausschluss eines Landesverbandes aus dem Deutschen Journalistenverband DJV).
6.49 Wahlanfechtung (Schwerbehindertenvertretung)
Eine in der Dienststelle vertretene Gewerkschaft ist nach § 25 Abs. 1 Satz 1 PersVG SN berechtigt, die Wahl des Personalrats anzufechten. Dieses Anfechtungsrecht beruht darauf, dass den Gewerkschaften bei der Personalratswahl eigene Rechte zustehen. Aber: "Die in der Dienststelle vertretenen Gewerkschaften sind nach § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB IX, § 25 Abs. 1 Satz 1 PersVG SN nicht berechtigt, die Wahl der Schwerbehindertenvertretung anzufechten" (BAG, 29.07.2009 - 7 ABR 25/08 - mit dem Hinweis, dass die Gewerkschaften bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung keine eigenen Rechte haben und § 25 Abs. 1 Satz 1 PersVG SN insoweit nicht entsprechend angewendet werden kann).
6.50 Werbung im Betrieb
Manchmal passieren Sachen …, da verlangte der Betriebsrat vom Arbeitgeber, es zu unterlassen, im Betrieb beschäftigten Gewerkschaftsmitgliedern ohne seine vorherige Zustimmung oder einen entsprechenden Beschluss der Einigungsstelle zu untersagen, außerhalb der Arbeitszeit einen Informationsstand aufzubauen und gewerkschaftliches Informationsmaterial zu verteilen. Und dann? Dann ist er damit in drei Instanzen gescheitert: "Das von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Recht betriebsangehöriger Gewerkschaftsmitglieder, sich durch die Verteilung gewerkschaftlichen Informations- oder Werbematerials im Betrieb aktiv an der koalitionsgemäßen Betätigung ihrer Gewerkschaft zu beteiligen und diese dadurch bei der Verfolgung ihrer koalitionsspezifischen Ziele zu unterstützen, unterliegt nicht der Regelungsmacht der Betriebsparteien" (BAG, 28.07.2020 – 1 ABR 41/18 – Leitsatz).
Siehe auch