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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Entgeltfortzahlung - Schwangerschaftsabbruch
Entgeltfortzahlung - Schwangerschaftsabbruch
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Der Arbeitgeber braucht nicht bloß bei Krankheit Entgelt fortzuzahlen. Die Arbeitsunfähigkeit kann auch auf einer anderen medizinischen Ursache beruhen. Das EFZG gibt Arbeitnehmerinnen in § 3 Abs. 2 Satz 1 zum Beispiel einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn die unverschuldete Arbeitsunfähigkeit i. S. des § 3 Abs. 1 EFZG infolge eines nicht rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruchs eintritt.
2. Begriff: Schwangerschaftsabbruch
Das ZEIT-Lexikon definiert "Schwangerschaftsabbruch" als "gynäkolog. Eingriff zum Abbruch einer intakten Schwangerschaft." Folge des Eingriffs ist die Tötung des Embryos. Ein Schwangerschaftsabbruch erfolgt
in den ersten Schwangerschaftswochen mit der sogenannten "Abtreibungspille",
bis zum dritten Schwangerschaftsmonat durch Absaugen des Uterusinhalts oder
Ausschabung,
danach durch Einbringen von Prostaglandinen, die eine Spontanausstoßung der Leibesfrucht auslösen, oder
eine operative Entfernung der Leibesfrucht.
Der Schwangerschaftsabbruch ist keine Krankheit oder Erkrankung. Er stellt aber eine medizinische Maßnahme dar, die zu einer Arbeitsunfähigkeit führen kann. Damit Arbeitnehmerinnen für diese Arbeitsunfähigkeit keine Entgelteinbußen haben, gibt § 3 Abs. 2 Satz 1 EFZG ihnen einen Entgeltfortzahlungsanspruch. Auch hier ist die Wartezeit aus § 3 Abs. 3 EFZG zu berücksichtigen (s. dazu auch das Stichwort Entgeltfortzahlung - Wartezeit).
3. Voraussetzung: Rechtsmäßigkeit des Eingriffs
Der Schwangerschaftsabbruch ist vom Grundsatz her eine Straftat. § 218 Abs. 1 Satz 1 StGB sagt: "Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Der Tatbestand des § 218 StGB ist nicht verwirklicht, wenn
die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 StGB nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen (§ 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB);
der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird (§ 218a Abs. 1 Nr.2 StGB) und
seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind (§ 218a Abs. 1 Nr. 3 StGB).
§ 218b StGB regelt die Strafbarkeit eines Schwangerschaftsabbruchs
ohne ärztliche Feststellung oder
mit unrichtiger ärztlicher Feststellung.
§ 218c StGB ahndet ärztliche Pflichtverletzungen beim Schwangerschaftsabbruch - insbesondere die fehlende Aufklärung über die Bedeutung und die Folgen des Eingriffs - als Straftat. § 219 StGB schreibt die Beratung von Schwangeren in einer Not- oder Konfliktlage vor. § 3 Abs. 2 Satz 2 EFZG bestätigt die Wirkung des Satzes 1 auch "für einen Abbruch der Schwangerschaft, wenn die Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durch einen Arzt abgebrochen wird, die schwangere Frau den Abbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff von einer anerkannten Beratungsstelle hat beraten lassen."
4. Rechtsfolgen des Schwangerschaftsabbruchs
Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 EFZG - und § 3 Abs. 2 Satz 2 EFZG - gilt als "unverschuldete Arbeitsunfähigkeit" auch eine "Arbeitsverhinderung, die infolge ... eines nicht rechtswidrigen Abbruchs der Schwangerschaft eintritt." Der Schwangerschaftsabbruch tritt damit an die Stelle des Tatbestandsmerkmals "Krankheit" aus § 3 Abs. 1 EFZG. Einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gibt es aber nur, wenn mit dem Schwangerschaftsabbruch eine Arbeitsunfähigkeit verbunden ist. Die begünstigte Arbeitnehmerin muss - um im Wortlaut des § 3 Abs. 1 EFZG zu bleiben - durch den Schwangerschaftsabbruch an ihrer Arbeitsleistung verhindert sein.
Das Gesetz stellt für den Schwangerschaftsabbruch die Fiktion fehlenden Verschuldens auf (BAG, 14.12.1994 - 5 AZR 524/89). Es braucht daher keine besondere Prüfung vorgenommen zu werden. Aber: Das Gesetz fingiert nur, dass der "nicht rechtswidrige" Schwangerschaftsabbruch als unverschuldet i. S. des Gesetzes gilt. Es ersetzt damit ein subjektives Tatbestandsmerkmal ("ohne dass ihn ein Verschulden trifft") durch eine Fiktion, die ihrerseits nur an objektive Tatsachen anknüpft. Das wiederum schließt aus, an die Stelle derart objektiver Umstände, nämlich der Nicht-Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs, lediglich subjektives Nicht-Verschulden treten zu lassen, wenn die Voraussetzungen für eine objektive Nicht-Rechtswidrigkeit nicht erfüllt sind (BAG, 14.12.1994 - 5 AZR 524/89).
So lange die Arbeitsunfähigkeit auf dem ärztlichen Eingriff beruht, wird unwiderleglich vermutet, dass die Arbeitnehmerin kein Verschulden trifft. Etwas anderes gilt in Fällen, in denen sich eine Arbeitnehmerin nicht an die Anweisungen des Arztes hält.
Beispiel:
Arbeitnehmerin N ist in der sechsten Woche schwanger. Sie lässt die Schwangerschaft abbrechen. Die Gynäkologin gibt ihr nach dem Eingriff auf, sich in der folgenden Woche zu schonen. Das tut N nicht. Stattdessen geht sie am Wochenende aus und feiert ausgelassen auf mehreren Parties. Es kommt zu Komplikationen. Eine zweiwöchige Arbeitsunfähigkeit ist die Folge. Hätte N die Anweisungen ihrer Ärztin befolgt, wäre die Arbeitsunfähigkeit nicht eingetreten. N hat die Arbeitsunfähigkeit nach dem Schwangerschaftsabbruch schuldhaft herbeigeführt. Ihr Arbeitgeber braucht für die beiden Wochen keine Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EFZG zu leisten.
Beruft sich ein Arbeitgeber auf das Verschulden der Arbeitsunfähigkeit, muss er dieses Verschulden darlegen und beweisen. Dabei hat er allerdings ein Problem: Er kennt die persönlichen Lebensumstände seiner Mitarbeiterin nicht und ist nicht in der Lage, die Tatsachen, die für ein Verschulden sprechen, im einzelnen darzulegen. Deshalb ist der Arbeitnehmer verpflichtet, sie auf Verlangen des Arbeitgebers nach bestem Wissen und Gewissen zu offenbaren. Er ist über § 242 BGB zur Mitwirkung und zur Aufklärung gehalten (BAG, 07.08.1991 - 5 AZR 410/90).
Praxistipp:
Es ist für den Arbeitgeber bereits äußerst schwierig, überhaupt den sogenannten "Anfangsverdacht" für eine verschuldete Arbeitsunfähigkeit zu bekommen. Die Mitarbeiterin selbst wird sich kaum outen. Gelegentlich hört der Arbeitgeber etwas über Dritte - die aber in keinem Fall in einen Prozess hineingezogen werden möchten. Vor diesem Hintergrund ist es schwer, ein Arbeitsgericht zu überzeugen. Der Arbeitgeber sollte es sich also reichlich überlegen, ob er die Anspruch ausschließende Verschuldensfrage stellt. Auch wenn der Arbeitnehmer zur Mitwirkung verpflichtet ist: der Verdacht des Verschuldens muss sich aus objektiven Tatsachen ergeben.
Zu beachten: Die Schwangere trägt nicht die Darlegungs- und Beweislast für die Rechtmäßigkeit des Schwangerschaftsabbruchs. Das widerspricht dem Schutzkonzept der Beratungsregelung.
Die Höhe des fortzuzahlenden Entgelts ergibt sich aus § 4 EFZG. Die Verfassungsmäßigkeit des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung wegen Arbeitsunfähigkeit infolge eines Schwangerschaftsabbruchs wurde vom Bundesverfassungsgericht schon vor Jahren bestätigt: BVerfG, 18.10.1989 - 1 BvR 1013/89 - nach BAG, 05.04.1989 - 5 AZR 495/87.
5. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle sind einige der interessantesten Entscheidungen zum Theme Entgeltfortzahlung - Schwangerschaft in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet hinterlegt:
5.1 Nachweis
Soll eine Schwangerschaft wegen der sogenannten Notlagenindikation abbgebrochen werden, setzt die Rechtmäßigkeit des Abbruchs voraus, dass die Notlage in einem schriftlichen ärztlichen Attest nachgewiesen ist (BAG, 14.12.1994 - 5 AZR 524/89).
5.2 Rechtswidrigkeit
Schwangerschaftsabbrüche, die ohne Feststellung einer Indikation nach der Beratungsregelung vorgenommen werden, dürfen nicht für gerechtfertigt (nicht rechtswidrig) erklärt werden. Es entspricht unverzichtbaren rechtsstaatlichen Grundsätzen, dass einem Ausnahmetatbestand nur dann eine rechtfertigende Wirkung zukommen kann, wenn das Vorliegen seiner Voraussetzungen unter staatlicher Verantwortung festgestellt werden muss. Das Grundgesetz lässt es nicht zu, für die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs, dessen Rechtmäßigkeit nicht festgestellt wird, einen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren (BVerfG, 28.05.1993 - 2 BvF 2/90).
5.3 Totgeburt
"Eine Entbindung im Sinne von§ 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchGliegt - negativ - auch dann nicht vor, wenn die Schwangerschaft wegen einer medizinischen Indikation - wie auch immer - abgebrochen und daraufhin - dem Zweck des Schwangerschaftsabbruchs entsprechend - ein totes Kind geboren wird" (LAG München, 14.07.2004 - 5 Sa 241/04 - Leitsatz). Die Entgeltfortzahlungsregelung in § 3 Abs. 2 Satz 1 EFZG schließt in diesen Fällen die Annahme einer Entbindung i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG systematisch aus, weil in Fällen einer Entbindung die Mutterschutzregelungen gemäß §§ 11 ff. MuSchG in Betracht kämen.