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Gesundheitsmagazin

Stress

Expertentipps zum Umgang mit Stress – für Kinder und Familien

Veröffentlicht am:30.09.2020

6 Minuten Lesedauer

Aktualisiert am: 14.12.2022

Stress ist omnipräsent und hat einen schlechten Ruf – teilweise zu Unrecht. Gäbe es keinen Stress, wäre der Mensch vermutlich längst ausgestorben. Doch anhaltender Stress ist ungesund. Mit welchen Maßnahmen man ihm begegnen kann, verrät ein Experte.

Wenn Stress im Kopf entsteht, hilft es, kurz abzuschalten.

© AOK

Professor Dr. Mazda Adli, Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin und Leiter des Forschungsbereichs Affektive Störungen an der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

© Annette Koroll

Wer mag schon Stress? Er ruft heftige Reaktionen im Körper hervor und hat daher einen üblen Ruf. Teilweise zu Unrecht, sagen Stressforscher und -forscherinnen. Körperliche Höchstform ist nämlich erst in stressigen Situationen möglich. „Stressreaktionen befördern unsere Anpassungsfähigkeit, indem Energie bereitgestellt wird“, sagt der Psychiater und Stressforscher Professor Dr. Mazda Adli. „Akuten Stress halten wir deshalb gut aus, dafür sind wir quasi gemacht.“ Problematisch wird es, wenn man dauerhaft gestresst ist. Was jeder darüber wissen sollte, beantwortet Professor Adli hier. 

Prof. Dr. Mazda Adli ist Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin und Leiter des Forschungsbereichs Affektive Störungen an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Außerdem ist er Psychiater und Stressforscher.

Wann sprechen Sie von chronischem Stress?

Dauerhaften Stress erleben wir zum Beispiel bei einer Belastung, deren Ende nicht in Sicht ist. Wir können einen Kontrollverlust erfahren, weil wir uns ausgeliefert fühlen. Es ist ein sehr belastendes Gefühl, wenn wir keine Idee haben, wie sich alles weiterentwickeln wird.

Demnach müssen viele in der Corona-Krise unter chronischem Stress gelitten haben, oder?

Davon ist auszugehen, weil nichts vorhersehbar ist, was mit dem Virus zu tun hat. Und wenn wir dauergestresst sind und keine Gegenmaßnahmen ergreifen, kann es auch unsere Gesundheit belasten. Man kann daher von toxischem Stress sprechen, weil ein Übermaß an Stresshormonen wie Giftstoffe wirken kann.

Die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol läuft auf Hochtouren, wie eine Achterbahn, die nicht mehr zu stoppen ist. Eine Fehlsteuerung des Stresssystems.

Welche gesundheitlichen Folgen hat diese Fehlsteuerung des Stressystems?

In Tests konnte herausgefunden werden, dass chronischer Stress unter anderem das Nervensystem schädigt, weil bestimmte Neuronen zugrunde gehen. Die häufigste Folge davon sind Depressionen.

Aber auch Stoffwechselstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und jede Menge psychischer Anspannungen, die sich in Familien bemerkbar machen, stehen im engen Zusammenhang mit Dauerstress. Die Familie ist ein empfindliches System.

Warum reagiert das System Familie so empfindlich auf Stress?

Weil in dieser Gemeinschaft niemand seinen Stress allein hat, sondern sich jede individuelle Stressreaktion auch auf alle anderen Familienmitglieder auswirken kann. Man muss sich das vorstellen wie ein komplexes System kommunizierender Röhren. Wenn an einer Stelle der Wasserstand nicht stimmt, wirkt sich das auf alle aus.

Besonders Kinder können äußerst sensibel auf eine angespannte Stimmung zu Hause reagieren, weil sie Ängste und Sorgen in ihrer direkten Umgebung meist ungefiltert mitbekommen. Ich rate Eltern deshalb in der Regel, die eigenen Ängste oder Unsicherheiten möglichst untereinander oder im Freundeskreis zu besprechen. Gerade in diesem Jahr, wo es viele Gründe für tiefe Verunsicherungen gibt, die Stressreaktionen triggern können.

„Besonders Kinder können äußerst sensibel auf eine angespannte Stimmung zu Hause reagieren.“

Prof. Dr. Mazda Adli
Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin und Leiter des Forschungsbereichs Affektive Störungen an der Charité – Universitätsmedizin Berlin

Sie meinen die Stresssituationen in den Corona-Jahren?

Genau. Durch das ungewohnte Leben auf engem Raum waren viele Familien für einen längeren Zeitraum massiven Stressbelastungen ausgesetzt. Psychologen und Psychologinnen sprechen vom Dichtestress, einer besonderen Form von sozialem Stress.

Zudem zeigt eine Studie der Universität Koblenz-Landau, dass viele Eltern die Beziehung zu ihren Kindern durch das Homeschooling belastet sahen. Und wenn sich auch vieles gelockert hat und vielerorts wieder Normalität eingekehrt ist – Stresserlebnisse können uns nachhaltig beeinträchtigen.

Dreikköpfige Famile hat den Stress im Alltag im Griff und lacht gemeinsam.

© iStock / Geber86

Prof. Dr. Mazda Adli: „Wo Liebe und Freude herrschen, hat der Stress keine Chance.“

Wird denn Stress von Frauen und Männern gleichermaßen erlebt?

Generell läuft eine Stressreaktion bei allen Menschen sehr ähnlich ab. Männer haben jedoch im Durchschnitt eine stärkere Cortisolausschüttung. Zudem wurde in Stresstests mit bildgebenden Verfahren gezeigt, dass bei Männern Hirnareale aktiv sind, die erhöhte Aufmerksamkeit zeigen, bei Frauen aber sind es Areale, die für Emotionssteuerung zuständig sind.

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Was müssen Kinder über Stress wissen?

Dass Stress zum Leben dazugehört. Und dass sie deshalb keine Angst vor Stress zu haben brauchen, weil es eine natürliche Reaktion ist, dieses Gefühl, unter Druck zu stehen. Dieses Wissen ist deshalb so wichtig, weil Angst ein schlechter Begleiter ist. Verspüren wir sie, wollen wir meist vor dem Problem davonlaufen, und das bewirkt bei Stress oft das genaue Gegenteil.

Was löst bei Kindern Stress aus?

Natürlich kann auch eine Überforderung in der Schule Kinder unter Druck setzen, aber noch häufiger leiden sie unter sozialen Stressreaktionen. Wenn sie zum Beispiel das Gefühl haben, sie werden von einer Gruppe ausgeschlossen, oder wenn sie Kritik zu erwarten haben.

Auch das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, kann Stress bei Kindern auslösen. Sozialer Stress liegt immer dann vor, wenn unser sozialer Status infrage gestellt wird und das ist bei Kindern zum Beispiel schon dann der Fall, wenn sie das Gefühl haben, das Geschwisterkind würde bevorteilt werden.

„Eine gelingende Kommunikation ist die wichtigste Maßnahme, um Stress in den Griff zu bekommen.“

Prof. Dr. Mazda Adli
Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin und Leiter des Forschungsbereichs Affektive Störungen an der Charité – Universitätsmedizin Berlin

Und was sollten Eltern in dem Fall tun, um Stress in der Familie zu reduzieren oder gar zu bewältigen?

Es ist, wie gesagt, sehr wichtig, über das Thema Stress zu sprechen, weil er eben einfach zum Leben dazugehört. Wir müssen davor nicht weglaufen. Dieses Wissen bringt Kindern bereits eine enorme Erleichterung, denn was erlaubt ist, brauchen sie nicht zu befürchten. Eine solche Sichtweise kann auch uns Erwachsenen helfen.

Wie können Eltern Kindern dieses Wissen am besten vermitteln?

Durch Gespräche. Eine gelingende Kommunikation ist die wichtigste Maßnahme, um Stress in den Griff zu bekommen. Das gilt genauso für den Stress der Eltern, egal, ob es sich dabei um den Leistungsdruck im Job, um familiäre Überforderungen oder Beziehungsstress handelt.

In der Familie geht es auch häufig um Autonomiestress, um das ständige Ringen um Bindung und Freiheit. Nur gemeinsame, in Ruhe geführte Gespräche können hier Abhilfe schaffen. Und stressfreie Inseln. Jede Stunde, die eine Familie etwas Schönes zusammen unternimmt, ist Gold wert.

Die AOK ist bei stressbedingten Problemen an Ihrer Seite

6 Tipps gegen Stress im Alltag

1. Sport

Ist der Stress erst einmal da, hilft vor allem ordentlich Bewegung. Der Grund: In Belastungssituationen schießen Stresshormone ins Blut, und der Blutzucker schnellt in die Höhe. Wenn man sich bewegt, dann fressen die Muskeln den Zucker, und die Stresshormone schwinden gleich mit.

2. Gedanken

Stress entsteht im Kopf: Mit Gedanken wie „das schaffe ich nie“, oder „das kann ja nur schiefgehen“ setzt man sich selbst unnötig unter Druck. Verzichtet man hingegen darauf, ein persönliches Versagen schon im Vorhinein auszumalen, wird Stress weniger Raum gegeben.

3. Liebe

Dazu gehört nicht nur das Zusammensein mit geliebten Menschen, auch außerhalb der Familie, sondern ebenso lieb gewordene Gewohnheiten und alles, was einem Freude bereitet. Wo Liebe und Freude herrschen, hat der Stress keine Chance.

4. Konflikttraining

Konflikte in der Familie sollten nicht ausgetragen werden, wenn bereits alle gestresst sind. Um sich in Konfliktlösung und Kompromissbereitschaft üben zu können, sind stressfreie Inseln notwendig. Wenn die Familie angenehme Aktivitäten unternimmt, können dabei auch Konflikte thematisiert werden.

5. Stress

Stress hilft tatsächlich gegen Stress. Vorausgesetzt, man gibt Körper und Geist Gelegenheit, sich zu erholen. Ähnlich wie in der Sauna, wo das Wechselbad von Hitze und Kälte die Abwehrkräfte stärkt, reagiert der Körper auch auf andere Reize mit einer Überkompensation.

Auf die Anspannung folgt eine tiefe Entspannung. Nach und nach gewöhnt sich der Körper an die Belastungsschübe, und wir sind besser gewappnet gegen den Druck.

6. Organisation

Weil Stress meist dann entsteht, wenn man unter Zeitdruck gerät und der Überblick verloren geht, sollte man sich generell mehr in Organisation üben.

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