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Gesundheitsmagazin

Stress

Strategien zur Stressbewältigung bei akutem und chronischem Stress

Veröffentlicht am:23.03.2022

8 Minuten Lesedauer

Eine Prise Stress macht uns leistungsfähiger. Zu viel Stress setzt jedoch dem Körper und der Psyche zu. Woran erkenne ich aber, dass meine persönliche Grenze erreicht ist, und wie kann ich mich selbst unempfindlicher gegen Stress machen?

Eine ältere Frau nimmt sich zur Stressbewältigung eine Auszeit, mit einer Tasse Kaffee in der Natur.

© iStock / xavierarnau

Porträt von Diplom-Psychologin Bettina Löhr, Trainerin, Referentin und Coach, spezialisiert auf den Bereich Prävention und Stressmanagement.

© Andreas Kaluza (Concept Tomorrow)

Diplom-Psychologin Bettina Löhr ist Trainerin, Referentin sowie Coach und auf den Bereich Prävention und Stressmanagement spezialisiert. Im Interview verrät sie, warum Menschen ganz unterschiedlich auf belastende Situationen reagieren und welche Bewältigungsstrategien bei Stress helfen.

Warum reagieren Menschen so unterschiedlich auf belastende Situationen?

Viele Faktoren beeinflussen, wie ich auf eine bestimmte Situation reagiere – ob ich gestresst bin oder nicht. Jemand, der in einer gut besuchten Bäckerei arbeitet, lange zur Arbeitsstelle pendelt oder kleine Kinder hat, ist im Alltag ohnehin viel gefordert. In belastenden Situationen kann eine solche Person, die viel um die Ohren hat, leichter gestresst reagieren. Hierbei kommt es aber nicht nur auf die tatsächliche Belastung, sondern auch auf die eigenen Ressourcen bei der Stressbewältigung an.

Neben Umweltfaktoren sind das auch Faktoren, die in uns selbst schlummern. Mit welchen mentalen Mustern bin ich aufgewachsen – haben sportliche oder schulische Leistungen eine große Rolle gespielt? Daraus kann sich später der Wunsch ableiten, alles perfekt zu machen. Menschen, die besonders hohe Ansprüche an sich haben, können in belastenden Situationen gestresst reagieren. Sie haben einfach zu große Angst, etwas nicht perfekt umzusetzen.

Auch Verhaltensmuster, mit denen wir aufwachsen, bestimmen unsere Reaktion. Haben wir als Kind miterlebt, dass unser Vater in belastenden Situationen sehr aufbrausend war, passiert uns im Erwachsenenalter vielleicht dasselbe.

Woran erkenne ich, ob ich gestresst bin?

Zunächst einmal sollten wir uns bewusst machen, dass ein Leben ohne Stress nicht möglich ist. Stress gehört zum Leben dazu, und das ist auch gut so. Schließlich sichert er unser Überleben. Wenn wir uns gestresst fühlen, befindet sich unser Körper in Alarmbereitschaft – das Herz schlägt schneller, die Muskeln sind besser durchblutet und wir haben mehr Energie zur Verfügung. Das alles hilft uns dabei, in Gefahrensituationen zu flüchten oder zu kämpfen und unser Überleben zu sichern.

Heute müssen wir in der Regel zwar nicht mehr vor gefährlichen Tieren flüchten, der körperliche Stress, zum Beispiel bei einer Konfrontation mit dem Chef, bleibt aber der gleiche. Eine Prise Stress kann uns also zu Höchstleistungen verleiten, macht uns im ersten Moment belastbarer und schützt uns außerdem vor Erkrankungen, weil das Immunsystem hochfährt. Andauernder Stress konfrontiert unseren Körper aber ständig mit Stresshormonen – der sogenannte „Kampf- oder Flucht-Modus“ kann dadurch krank machen.

Wenn wir uns das bewusst machen, können wir im Anschluss unseren persönlichen Stressspiegel erkunden. Mit der Selbstbeobachtung entdecken wir zunächst die vier Stressebenen:

  • Körperliche Ebene: Ist mein Körper angespannt, schlägt mein Herz schneller oder schwitze ich mehr?
  • Gedanken: Plagen mich Gedanken wie „Das schaffe ich sowieso nicht“ oder „Mir ist das alles zu viel“?
  • Gefühle: Fühle ich mich ausgelaugt, kraftlos und überfordert?
  • Verhalten: Arbeite ich hastig, bin ich gereizt oder unterbreche ich andere im Gespräch?

Wenn ich auf einer oder mehreren Stressebenen Hinweise auf Stress finde, sollte ich eine Pause einlegen und die stressauslösenden Faktoren wie zum Beispiel den Termindruck reduzieren.

Welche Faktoren spielen bei der Stressbewältigung eine Rolle?

Bei der Stressbewältigung spielen drei Faktoren eine sehr wichtige Rolle. Zunächst sind da die Stressoren, also die Bedingungen, die bei mir Stress auslösen können. Dazu zählen beispielsweise Zeitdruck, Störungen oder soziale Konflikte. Ob die Stressoren aber tatsächlich Stress auslösen, hängt von meiner Bewertung ab. Genau das ist unsere Chance für Veränderung. Nehmen wir ein einfaches Beispiel aus dem Alltag. Es sind 35 Grad draußen – während die eine Person die Gelegenheit nutzt, um ins Freibad zu gehen, stöhnt die andere über das heiße Wetter.

Über Entspannung und Genuss, soziale Kontakte und Hobbys können wir zudem unsere Reaktion auf Stressoren abmildern, was zu höherer Belastbarkeit führt.

Wir haben drei Ansatzpunkte bei der Stressbewältigung: Ich kann Stressoren abbauen, die Situationen anders bewerten oder die Stressreaktion beeinflussen.

In der Praxis könnte die Stressbewältigung beispielsweise so aussehen:

  • Ich stehe früher auf, um nicht in Zeitnot zu kommen.
  • Ich delegiere Aufgaben, um den Terminkalender zu leeren.
  • Ich suche Unterstützung und bitte zum Beispiel die Großeltern, die Kinder zeitweise zu betreuen.
  • Ich mache eine Weiterbildung, um den beruflichen Herausforderungen zu trotzen.
  • Ich setze meine Ansprüche an mich selbst herab – nicht alles muss perfekt sein.
  • Ich sorge für Regeneration und positives Erleben.

Grundsätzlich habe ich die Möglichkeit, auf allen vier Stressebenen anzusetzen. Wenn ich in mich hineinspüre und merke, dass mein Körper sehr angespannt ist, helfen neben Entlastung auch regelmäßige Pausen und Entspannungsübungen. Schließlich lassen sich nicht alle Stressoren im Leben einfach abschalten.

Eine Frau sitzt am Küchentisch und schreibt Notizen zur Stressbewältigung in ein Notizheft.

© iStock / FreshSplash

Um Stress bewältigen zu können, ist es wichtig, die eigenen Stressoren zu identifizieren – so können Lösungswege gefunden werden. Ein Dokumentieren der Stressoren kann dabei hilfreich sein.

Welche Bewältigungsstrategien helfen in akuten Stresssituationen?

Wenn wir uns in einer akuten Stresssituation wiederfinden, können wir zunächst beim Körper anfangen. Um Stresshormone abzubauen, eignet sich vor allem Bewegung – zum Beispiel die Runde um den Block in der Mittagspause, die Hände ausschütteln oder nach dem Feierabend Fahrrad fahren. Außerdem können wir die Aufmerksamkeit auf unsere Atmung lenken, indem wir zwei Sekunden einatmen, zwei Sekunden die Luft anhalten und vier Sekunden ausatmen. Auch kurze Meditationseinheiten helfen mir, den Stress loszulassen und den Fokus auf meine Bedürfnisse zu richten. Bei akutem Stress spielen aber nicht nur körperliche Symptome wie Herzrasen oder ein verkrampfter Magen eine Rolle, sondern auch quälende Gedanken wie „Wie soll ich das bis morgen schaffen!“.

Mit der sogenannten 10-10-10-Notfallregel kann ich mich in akuten Stresssituationen gedanklich ein Stück weit lösen. Dazu beantworte ich folgende Fragen:

  • Was würde ich über die Situation in 10 Tagen denken?
  • Wie würde ich die Situation in 10 Wochen beurteilen?
  • Was würde ich über die Situation in 10 Monaten denken?

Mit dieser Übung arbeiten wir ganz gezielt an unserer Bewertung von Situationen. Häufig lautet die Antwort auf die Fragen: „Dann habe ich das schon längst vergessen.“ Genau durch diesen Satz kann sich die Situation für mich merklich entspannen.

„Um Stresshormone abzubauen, eignet sich vor allem Bewegung – zum Beispiel die Runde um den Block in der Mittagspause, die Hände ausschütteln oder nach dem Feierabend Fahrrad fahren.“

Diplom-Psychologin Bettina Löhr
Trainerin, Referentin sowie Coach, spezialisiert auf den Bereich Prävention und Stressmanagement

Wie gehe ich mit chronischem Stress um?

Bei chronischem Stress ist es besonders wichtig, die Stressoren zu identifizieren und an ihnen zu arbeiten. Was stresst mich und wie könnten Lösungsmöglichkeiten aussehen? Auch hier können Atemtechniken und Meditationsübungen dabei helfen, Stress abzubauen und neuem Stress vorzubeugen. Außerdem können wir uns eine Art Energiefass in uns vorstellen. In einem körperlich und mental entspannten Zustand ist es gut gefüllt, aber wir entnehmen daraus ständig etwas Energie – für den Straßenverkehr, die Steuererklärung, die Arbeit und die Auseinandersetzung mit Familienangehörigen. Daher sollten wir uns mehrmals am Tag fragen, wie viel im Fass noch drin ist – 70 Prozent, 50 Prozent oder vielleicht nur noch 20 Prozent? Mit allem, was uns Spaß macht, können wir das Fass täglich wieder auffüllen. Zum Beispiel mit Verabredungen, Sport, einem guten Film oder interessanten Gesprächen.

Warum ist es sinnvoll, individuelle Lösungsansätze zu suchen?

Stress ist zunächst einmal etwas sehr Persönliches. Was mich beispielsweise stresst, bringt andere Menschen vielleicht gar nicht aus der Ruhe. Deshalb ist es wichtig, dass jeder Mensch seinen eigenen Weg findet, um mit seinem persönlichen Stress umzugehen. Hier gibt es kein Patentrezept, das jedem hilft. Ich empfehle gestressten Menschen deshalb, sich auf die Suche nach den eigenen Stressoren zu begeben. Dabei kann das Führen eines Stresstagebuchs helfen.

Kann ich mich selbst resistenter gegen Stress machen?

Auf jeden Fall! Hier lautet das Stichwort Resilienz. Der Begriff steht für innere Widerstandskraft. Wir alle kennen Menschen, die Schicksalsschläge scheinbar leichter hinnehmen und sich danach relativ schnell wieder aufraffen – sie sind resilienter als andere Menschen. Auch wenn sich der Grundstein für Resilienz häufig im Kindheitsalter setzt, zum Beispiel durch elterliche Vermittlung von Optimismus, ein Teil ist auch angeboren, können wir ein Leben lang daran arbeiten. Zum Beispiel, indem wir uns selbst und anderen ein Lächeln schenken, Zeit mit Personen verbringen, die uns guttun, oder uns Ziele für den nächsten Tag setzen.

„Auch wenn sich der Grundstein für Resilienz häufig im Kindheitsalter setzt, zum Beispiel durch elterliche Vermittlung von Optimismus, können wir ein Leben lang daran arbeiten.“

Diplom-Psychologin Bettina Löhr
Trainerin, Referentin sowie Coach, spezialisiert auf den Bereich Prävention und Stressmanagement

Kann ich Stress wirksam vorbeugen?

Ja, jeder kann, und zwar jeden Tag aufs Neue, Stress vorbeugen. Dafür eignen sich verschiedene Schritte, die wir nach und nach in einem für uns selbst festgelegten Zeitraum abarbeiten können.

  1. Selbstbeobachtung: Ich nehme mir ein Blatt Papier oder einen Notizblock und notiere regelmäßig (z. B. alle zwei Stunden oder immer abends vor dem Zubettgehen), was mich gestresst hat und wie ich darauf reagiert habe. So lerne ich meine Stressoren und meine Stressreaktionen kennen.
  2. Lösungswege entwickeln: In diesem Schritt mache ich eine Art Brainstorming und überlege, wie ich den größten Stressoren begegnen kann. Dazu kann ich mir auch Inspirationen von anderen Menschen holen.
  3. Konkrete Schritte planen: Meine möglichen Lösungswege plane ich in diesem Schritt ganz konkret. Dazu überlege ich mir, wann und wie ich die Neuerungen einführe. Stelle ich beispielsweise meinen Wecker ab morgen fünf Minuten früher? Dann sollte ich das genauso notieren. Nach und nach kann ich so mehrere Lösungswege durchplanen.
  4. Umsetzung von Lösungswegen: Nicht nur planen, sondern auch durchsetzen – das ist wichtig, damit die Stressbewältigung funktioniert. Hat der eine Lösungsweg den Stress nicht reduziert, ist der nächste dran.
  5. Bilanz ziehen: Nachdem wir mehrere Lösungswege ausprobiert haben, finden wir heraus, welche am besten zu uns und in unseren Alltag passen und welche wir dauerhaft übernehmen, um unseren Stress auch auf lange Sicht zu reduzieren.

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