Anspruchsvoraussetzungen für Entgeltfortzahlung
Der Entgeltanspruch eines Arbeitnehmers bleibt grundsätzlich bis zur Dauer von sechs Wochen erhalten, wenn er durch eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit unverschuldet daran gehindert wird, seine Beschäftigung auszuüben. Dieser Grundsatz ist im Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) geregelt. Hier finden sich auch weitere Voraussetzungen und Besonderheiten.
Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung setzt ein bestehendes Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis voraus. Grundlage ist der Abschluss eines Arbeits- beziehungsweise Ausbildungsvertrags. Ist der Beschäftigte zum Ende eines Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig, erlischt mit diesem Zeitpunkt in aller Regel auch der Anspruch auf Entgeltfortzahlung.
Arbeitsverhinderung und Ursache der Arbeitsunfähigkeit
Arbeitnehmer erhalten immer dann Entgeltfortzahlung, wenn sie wegen Krankheit arbeitsunfähig sind. Die Ursache der Krankheit ist – abgesehen vom Selbstverschulden – ohne Bedeutung. Die Entgeltfortzahlung ist somit auch dann zu leisten, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer Berufskrankheit oder eines Sport-, Verkehrs- oder sonstigen Unfalls arbeitsunfähig ist.
Arbeitsunfähigkeit liegt dann vor, wenn der Arbeitnehmer daran gehindert ist, seine bisherige Berufstätigkeit auszuüben. Das gilt auch, wenn dies nur unter der Gefahr der Verschlimmerung möglich wäre. Eine bestehende Arbeitsunfähigkeit stellt der Arzt fest.
Beispiel: Eine angestellte Opernsängerin ist heiser
Die Opernsängerin kann bei Heiserkeit den geplanten Auftritt nicht wahrnehmen. Sie ist arbeitsunfähig.
Eine angestellte Reinigungskraft, die ebenfalls heiser ist, kann trotzdem ihre vereinbarte Reinigungstätigkeit ausüben. Sie ist nicht arbeitsunfähig.
Seit 1. Juli 2022 stellen die Krankenkassen die Daten über die Arbeitsunfähigkeit elektronisch (eAU-Verfahren) für den Abruf durch die Arbeitgeber zur Verfügung.
Seit 1. Januar 2023 ist der Abruf der elektronischen Arbeitsunfähigkeitbescheinigung (eAU-Verfahren), für alle Arbeitgeber obligatorisch. Die Vorlage einer Papierbescheinigung durch den Arbeitnehmer ist seit diesem Zeitpunkt nicht mehr vorgesehen.
Kein Selbstverschulden
Der Beschäftigte hat nur dann einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn ihn an der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit kein Selbstverschulden trifft.
Für das Vorliegen einer selbst verschuldeten Arbeitsunfähigkeit gilt im Entgeltfortzahlungsrecht ein eigenständiger Begriff: Sie liegt nur bei einem groben Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten vor. Dies bedeutet, dass nicht schon jede leichte Fahrlässigkeit bei der Entstehung einer Krankheit als Verschulden zu betrachten ist. Beweislast für das Vorliegen von Selbstverschulden trägt im Allgemeinen der Arbeitgeber.
Beispiel: Ein Arbeitnehmer erkältet sich
Ein Arbeitnehmer erkältet sich, weil er im Regen spazieren gegangen ist. Eine aus diesem Verhalten resultierende Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers ist nicht selbst verschuldet.
Die Rechtsprechung beurteilt regelmäßig bei verschiedenen Sachverhalten, ob Selbstverschulden eines Arbeitnehmers vorliegt. Hiernach liegt grundsätzlich ebenfalls kein Selbstverschulden vor bei:
- Trunkenheit und Sucht
- Selbsttötungsversuch
- Sportunfall
Dagegen kann Selbstverschulden – vorbehaltlich einer Einzelbeurteilung – angenommen werden bei:
- einer tätlichen Auseinandersetzung, wenn der Arbeitnehmer sie provoziert oder begonnen hat
- einer Verletzung der Unfallverhütungsvorschriften
- Missachtung einer ärztlichen Anordnung und pflichtwidrigem Verhalten
- Verkehrsunfällen, wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen die Pflichten als Verkehrsteilnehmer verstoßen hat (zum Beispiel Trunkenheitsfahrt)
Entgeltfortzahlung in der Coronapandemie
Auch bei einer Pandemie wie Corona besteht die Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung, wenn Quarantäne angeordnet wurde oder eine Infektionsgefahr besteht. Dann kommt eine Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) § 56 in Betracht. Auch in diesem Fall zahlt der Arbeitgeber das Entgelt zunächst an den Arbeitnehmer für die ersten sechs Wochen fort. Das Unternehmen bekommt auf Antrag eine Entschädigung von der zuständigen Behörde (Länderrecht). Seit dem 1. November 2021 wird für ungeimpfte Arbeitnehmer keine Quarantäne-Entschädigung nach dem IfSG mehr gezahlt.
Ist der Arbeitnehmer infolge der Viruserkrankung wie COVID19 arbeitsunfähig, so hat er Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung nach dem EFZG. Das gilt allerdings nur, wenn den Arbeitnehmer hinsichtlich der Erkrankung kein Verschulden trifft. Ein Verschulden kann vorliegen, wenn der Mitarbeitende im Rahmen einer Privatreise gegen eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts verstoßen hat. Der Arbeitnehmer ist in einem solchen Fall verpflichtet, auf Verlangen des Arbeitgebers die für die Entstehung der Krankheit erheblichen Umstände darzulegen.
Schwangerschaftsabbruch, Sterilisation, Organspende, Vorsorge- und Rehabilitationsmaßnahme
Als unverschuldete Arbeitsunfähigkeit gilt auch eine Arbeitsverhinderung, die infolge einer nicht rechtswidrigen Sterilisation oder eines nicht rechtswidrigen Abbruchs der Schwangerschaft eintritt. Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht auch bei Arbeitsunfähigkeit infolge der Spende von Organen oder Geweben. Dies gilt ebenso bei medizinischen Maßnahmen zur Vorsorge oder Rehabilitation. Voraussetzung ist hierbei, dass die Maßnahme von einem Sozialleistungsträger (zum Beispiel von einer Krankenkasse, einem Träger der Rentenversicherung oder einem Unfallversicherungsträger) bewilligt worden ist und in einer Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation durchgeführt wird.
Ende der Wartezeit bei neuen Arbeitsverhältnissen
Bei neu begründeten Arbeitsverhältnissen entsteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall erst nach vierwöchiger, ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses (Wartezeit). Ein Arbeitnehmer, der in den ersten vier Wochen des Arbeitsverhältnisses erkrankt, hat also erst ab Beginn der fünften Woche Anspruch auf die sechswöchige Entgeltfortzahlung. Während der Wartezeit ist die finanzielle Absicherung in aller Regel durch die Krankenkasse gewährleistet. In Tarifverträgen kann von der vierwöchigen Wartezeit abgesehen werden (zum Beispiel im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst).
Für den Entgeltfortzahlungsanspruch ist es nicht erforderlich, dass die Beschäftigung bereits aufgenommen wurde. Wenn die Arbeitsunfähigkeit nach Abschluss des Arbeitsvertrags, aber vor der vereinbarten Arbeitsaufnahme eintritt, beginnt die vierwöchige Wartezeit mit dem Tag der vereinbarten Arbeitsaufnahme. Nach der Wartezeit entsteht der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zur Dauer von sechs Wochen.