Grenzmanagement: Klarheit schützt Gesundheit
Arbeit ist dank Digitalisierung heute überall und jederzeit möglich. Was nach maximaler Flexibilität klingt, lässt die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben verschwimmen. Arbeitgeber können Unternehmen und Beschäftigte vor Entgrenzung schützen.
Warum klare Grenzen wichtig sind
Immer mehr Beschäftigte arbeiten mobil, häufig auch im Homeoffice, und gestalten ihre Arbeitszeiten individuell. Beschäftigtenfreundliches Grenzmanagement bedeutet die bewusste Gestaltung einer Trennlinie zwischen Beruf und Privatleben, ohne die Flexibilität einzuschränken. Wenn dies gelingt, kann das Motivation, Konzentration und langfristige Leistungsfähigkeit stärken. „Erholung am Feierabend ist notwendig, um kognitive und energetische Ressourcen wieder aufzufüllen“, sagt Professorin Dr. Sandra Ohly, Wirtschaftspsychologin an der Universität Kassel. „Fehlen diese Zeiten der Nicht-Erreichbarkeit, leidet langfristig auch die Qualität der Arbeit.“
Herausforderungen durch Digitalisierung
Die Technik an sich sowie Smartphones, Messenger, Videocalls und E-Mails sind nicht das Problem. Das Diensthandy selbst stresst nicht. Was wirklich stresst, sind laut Ohly die Arbeitsmenge und die Art, wie die Berufstätigen mit digitalen Kanälen umgehen. Wer abends erschöpft auf ungelesene Nachrichten blickt, empfindet das dahinterliegende Arbeitspensum, unklare Zuständigkeiten oder fehlende Priorisierung als „zu viel“.
„Hinzu kommt“, so Ohly, „dass digitale Tools zumeist zügig eingeführt werden. Neue Systeme verlangen, Routinen zu verändern und zu lernen, mit anderen Strukturen umzugehen. Das kostet Zeit und Energie und kann gerade bei hoher Arbeitsdichte zusätzlich belasten.“ Das zeigt sich etwa bei neuen Kollaborationstools, die Kommunikationswege und Abläufe verändern. Auch digitale Dokumentationssysteme oder KI-gestützte Planungsprogramme fordern Beschäftigte heraus. Solche Umstellungen brauchen Zeit und bedeuten zunächst oft mehr Aufwand, bevor sie entlastend wirken.
Fehlzeiten-Report 2025 der AOK
Dass all dies reale Folgen hat, zeigen Daten des Fehlzeiten-Reports 2025. Psychische Erkrankungen machen inzwischen 12,5 Prozent aller Krankmeldungen von AOK-versicherten Beschäftigten aus. Die durchschnittliche Krankheitsdauer pro Fall liegt bei 28,5 Tagen und ist damit die längste aller Erkrankungsgruppen. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre stieg die Zahl der Ausfalltage aufgrund psychischer Erkrankungen um 43 Prozent.
Viele der ursächlichen Belastungen stehen in engem Zusammenhang mit Dauerstress, fehlender Abgrenzung und mangelnder Erholung. Der Bericht macht zugleich deutlich, dass die Einführung neuer Technologien – etwa künstlicher Intelligenz – von vielen Beschäftigten zwar nicht als Bedrohung wahrgenommen wird, das Wissen darüber aber gering ist. Darin liegt auch eine Chance: Wer den digitalen Wandel aktiv gestaltet, kann Belastungen vorbeugen und Gesundheit fördern.
Strategien für Arbeitgeber
Grenzmanagement beginnt beim Menschen. Unternehmensindividuelle Strategien helfen, die eigene Erreichbarkeit bewusst und gesund zu gestalten.
Dazu gehört unter anderem, dass Beschäftigte nicht allein gelassen werden. „Es hilft nichts, wenn man sich einzeln abgrenzt. Entscheidend sind gemeinsame Vereinbarungen im Team“, betont Ohly. Erst wenn klar ist, wann Kolleginnen und Kollegen erreichbar sind und wann nicht, entsteht Planungssicherheit für alle.
Führung und Verantwortung
Führungskräfte haben eine Schlüsselrolle. Denn wer E-Mails spätabends versendet, setzt ein Signal. Wer dagegen eigene Grenzen vorlebt und kommuniziert, stärkt die Teams. „Führungskräfte profitieren selbst von klaren Regeln“, sagt Ohly. Hinzu kommt, dass sie häufig die einzige Instanz sind, die strukturelle Veränderungen anstoßen können – etwa durch technische Lösungen. Ebenso wichtig ist die Integration in betriebliche Strukturen, da nur so gelebte Praxis entsteht:
Organisatorische Maßnahmen
- Abschaltzeiten und Pausenfunktionen definieren: automatische E-Mail-Pausen und -Filter, Benachrichtigungsstopps außerhalb definierter Zeiten.
- Fokuszeiten signalisieren: Statusanzeigen nutzen, um konzentriertes Arbeiten zu ermöglichen.
- Kommunikationskanäle strukturieren: Dringende und nicht dringende Kommunikation klar trennen.
- Integration in BGM und HR: Grenzmanagement in Richtlinien, Schulungen und Gesundheitsangebote einbinden.
Mit Grenzmanagement beginnen
Grenzmanagement ist ein umfassender strategischer Hebel. Sinnvolle erste Schritte können so aussehen:
Erste Schritte für Teams und Führungskräfte
- Klare Kern- und Ruhezeiten festlegen: keine dienstlichen E-Mails oder Chats nach Feierabend; Reaktionszeiten transparent machen und Kanalregeln definieren.
- Digitale Pausen und Fokuszeiten einführen: Benachrichtigungen stummschalten, feste Phasen für konzentriertes Arbeiten planen.
- Achtsamkeit und Pausenkultur fördern: feste Pausen einplanen, Fokuszeiten schützen, Erholungsrituale unterstützen.
- Bewusste Trennung von Arbeit und Freizeit: Feierabendrituale, räumliche Abgrenzung im Homeoffice, Geräte ausschalten.
- Führungskräfte-Schulungen anbieten: Kurztrainings zu digitalem Stressmanagement, Vorbildverhalten und Teamkommunikation.
- Technische Lösungen nutzen: automatische Pausenfunktionen, Benachrichtigungsstopps oder E-Mail-Filter aktivieren.
- Evaluation und Anpassung: regelmäßig Rückmeldungen einholen, Wirkung prüfen und Maßnahmen nachschärfen.
Forschungsergebnisse und Unternehmensmehrwert
Studien zeigen laut Ohly: Maßnahmen wirken dann nachhaltig, wenn individuelles Verhalten, Teamabsprachen und organisationale Rahmenbedingungen ineinandergreifen. Für Unternehmen lohnt sich systemische Verankerung von Grenzmanagement gleich mehrfach, denn sie trägt dazu bei, Fehlzeiten zu senken, Motivation und Zufriedenheit zu erhöhen, Leistungsfähigkeit zu sichern und die Arbeitgebermarke zu stärken. „Zentraler Indikator für den Erfolg solcher Maßnahmen ist die Zufriedenheit mit der eigenen Work-Life-Balance. Wer diese regelmäßig erfasst, kann Fortschritte messbar machen“, betont Ohly.
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So unterstützt die AOK
Vertiefende Informationen, praktische Werkzeuge und wissenschaftlich geprüfte Materialien finden Sie im Themenspezial „New Work“ des AOK-Fachportals für Arbeitgeber. Dort erhalten Sie Unterstützung, um Grenzmanagement und gesunde Arbeitsgestaltung Schritt für Schritt in Ihrem Unternehmen umzusetzen.
Führungskräfte setzen den Ton für gesundes Arbeiten. Wer selbst Grenzen wahrt, Pausen einhält und Erholung vorlebt, stärkt das ganze Team. Das AOK-Programm „Gesund führen“ unterstützt Sie dabei, eine Arbeitskultur zu fördern, die Belastungen reduziert und gesunde Routinen fest verankert.
Wertschätzung, Sinn und echte Zusammenarbeit sind zentrale Ressourcen der neuen Arbeitswelt. Ansätze aus der Positiven Psychologie helfen, Druck zu reduzieren und Motivation zu stärken. Im AOK-Fachportal für Arbeitgeber finden Sie wissenschaftlich fundierte Methoden und praxisnahe Impulse für eine gesunde Teamkultur.
Stand
Erstellt am: 16.12.2025
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