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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Transsexuelle
Transsexuelle
Inhaltsübersicht
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Information
1. Einführung
Der Mensch kommt in der Regel als Mann oder als Frau auf die Welt. Die Geschlechterrolle - die sexuelle Identität - kann sich jedoch im Lauf eines Lebens ändern. Das führt dazu, dass der Betroffene - bildlich gesprochen - im falschen Körper steckt. Ein Mann fühlt sich als Frau, eine Frau fühlt sich als Mann. Das alles kann - rechtlich wie optisch - angeglichen werden (s. dazu Gliederungspunkt 2.). Die geänderte sexuelle Identität eines Menschen bedeutet dann auch eine Änderung seiner Rechtsstellung als Arbeitnehmer/in. Gesetzliche Grundlage für Namensänderung und Geschlechtsumwandlung ist das Transsexuellengesetz (TSG): ein mittlerweile in die Jahre gekommenes Regelwerk, dem das BVerfG wiederholt Reformbedarf zugewiesen hat (u.a. in BVerfG, 11.01.2011 - 1 BvR 3295/07, s. dazu Gliederungspunkt 3.).
Praxistipp:
Transsexuelle, die sich erfolgreich neu auf eine Stelle bewerben, werden ihrem gelebten Geschlecht nach entweder als Arbeitnehmer oder als Arbeitnehmerin eingestellt. Vielfach bekommen Arbeitgeber und/oder Arbeitskollegen von der Transsexualität dieser neuen Mitarbeiter gar nichts mit. Herausfordernder ist der sichtbare Prozess einer Geschlechtsumwandlung im laufenden Arbeitsverhältnis, der sich langsam entwickelt und von Arbeitgeber und Kollegen begleitet wird. Transsexuelle Menschen sind dabei oft Spott und Unverständnis ausgesetzt. Das Sinnvollste ist es für alle Beteiligten: den Schritt akzeptieren und mitgehen. Auch die sexuelle Identität ist ein Merkmal, dessentwegen niemand benachteiligt werden darf.
AGG-Diskriminierungsverbote treffen auch Menschen, die sich nach ihren biologischen Merkmalen von Geburt an weder dem Geschlecht Mann noch dem Geschlecht Frau zuordnen lassen (s. dazu Gliederungspunkt 4.). Das Personenstandsrecht verwendet für diesen Personenkreis das Merkmal "divers". Arbeitsrechtlich liegt der Schwerpunkt im Umgang mit Transsexuellen und Menschen mit dem Merkmal "divers" beim Abschluss von Arbeitsverträgen, den Diskriminierungsverboten des AGG und im Kündigungsschutz - wobei Transsexualität oder Diversität allein niemals Kündigungsgrund i.S.d. KSchG ist (s. dazu Gliederungspunkt 5.). Es muss schon eine Beeinträchtigung betrieblicher Interessen erkennbar sein. Auch die Rechtsprechung hat immer wieder mal Anlass, sich mit dem Thema Transsexualität zu befassen (dazu mehr im Rechtsprechungs-ABC unter Gliederungspunkt 6.).
2. Hintergrund
Transsexuelle sind Menschen, die sich nicht mit ihrer angeborenen Geschlechtsrolle identifizieren können. Sie sind - im Gegensatz zu Menschen mit dem Merkmal "divers" - biologisch Mann oder Frau, leben aber psychisch im falschen Körper. Das grundgesetzlich garantierte allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährt ihnen in Art. 2 Abs. 1 GG das Recht auf sexuelle Selbstverwirklichung. Zudem darf niemand, da alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind (Art. 3 Abs. 1 GG), wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat schon vor Jahren entschieden, dass Art. 12 EMRK, wenn er von Mann und Frau spricht, nicht auf eine Geschlechtsbestimmung nach rein biologischen Kriterien abstellt. Seit Verabschiedung der EMRK haben die Medizin und andere Wissenschaftssparten radikal neue Erkenntnisse über Transsexualität gewonnen. Insoweit kann eine staatliche Regelung, die für eine Eheschließung auf das nach der Geburt registrierte Geschlecht abstellt, für Transsexuelle eine Einschränkung bedeuten, die gegen ihre Rechte aus Art. 12 EMRK verstößt (EGMR, 11.07.2002 - 28957/95).
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hat u. a. das Ziel, Benachteiligungen wegen des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung zu verhindern oder zu beseitigen (§ 1 AGG). Das AGG gilt nach § 2 AGG auch für Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen. Der Arbeitgeber ist nach § 12 AGG verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen wegen eines in § 1 AGG genannten Grunds zu treffen. Tarifvertragsparteien, Arbeitgeber, Beschäftigte und ihre Vertretungen haben im Rahmen ihrer Möglichkeiten an der Verwirklichung des in § 1 AGG genannten Ziels mitzuwirken. Der zweite AGG-Abschnitt enthält eine Vielzahl einzelner Arbeitgeber- und Arbeitnehmerpflichten.
Ins Geburtenregister wird nach § 21 Abs. 1 Nr. 3 PStG auch das "Geschlecht des Kindes" - in der Regel halt männlich oder weiblich - eingetragen. Nun gibt es Menschen, die das Licht der Welt mit einer Geschlechtsanomalie erblicken. Für sie sagt § 22 Abs. 3 PStG: "Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so kann der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe oder mit der Angabe 'divers' in das Geburtenregister eingetragen werden" (s. dazu nachfolgend Gliederungspunkt 4.).
3. Das Transsexuellengesetz
Gesetzliche Grundlage für Namensänderung und Geschlechtsumwandlung ist das TSG. Dieses Gesetz aus dem Jahr 1980 ist nach wie vor nicht auf der Höhe der Zeit. Das Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG) ermöglichte früher gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften, sodass eine äußerlich wahrnehmbare Geschlechtsumwandlung bei Transsexuellen als Voraussetzung für die Beziehung zweier (ursprünglich) gleichgeschlechtlicher Menschen mehr und mehr in Frage zu stellen ist (s. dazu BVerfG, 11.01.2011 - 1 BvR 3295/07). Mit dem Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen des gleichen Geschlechts vom 20.07.2017 (BGBl. I 2017, S. 2787 f.) wurde die Grundlage für eine BGB-Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Menschen geschaffen (s. dazu § 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB).
3.1 Namensänderung
Die Vornamen einer Person sind auf ihren Antrag gerichtlich zu ändern, wenn
"sie sich auf Grund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht, sondern dem anderen Geschlecht als zugehörig empfindet und seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steht, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben" (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 TSG),
"mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sich ihr Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird" (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 TSG) und
"sie .. Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist" (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 lit. a)) oder zu den nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) bis d) privilegierten Ausländern gehört.
Der Antrag ist beim zuständigen Amtsgericht zu stellen. Das Verfahren ist in den §§ 2 ff. TSG hinterlegt.
Sobald die stattgebende Entscheidung rechtskräftig ist,
ist der Antragsteller als dem anderen Geschlecht zugehörig anzusehen,
richten sich seine vom Geschlecht abhängigen Rechte und Pflichten nach dem neuen Geschlecht,
soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist, § 10 Abs. 1 TSG.
Ist die Entscheidung rechtskräftig, dürfen die früher geführten Vornamen ohne Zustimmung des Transsexuellen nicht offenbart oder ausgeforscht werden - es sei denn, dass besondere Gründe des öffentlichen Interesses dies erfordern oder ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird (§ 10 Abs. 2 TSG unter Hinweis auf die sinngemäße Anwendung des § 5 Abs. 1 TSG).
Etwas anderes als Transsexuelle sind sogenannte Zwitter oder Hermaphroditen. Die Eintragung eines Menschen mit diesen Attributen als Geschlechtsbezeichnung ist unzulässig. Ebenso ist die Eintragung "inter- oder intrasexuell" nicht erlaubt. Sie sind juristisch kein Kennzeichen für ein Geschlecht, sondern Oberbegriff für eine Störung der sexuellen Differenzierung (LG München I, 30.06.2003 - 16 T 19449/02). Seit dem 01.01.2019 kann für Kinder, die weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden können, die Angabe "divers" in das Geburtenregister eingetragen werden (s. dazu nachfolgend Gliederungspunkt 4.).
3.2 Biologische Voraussetzungen
§ 8 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 TSG verlangen in ihrer aktuellen Fassung noch, dass der/die Transsexuelle
"dauernd fortpflanzungsunfähig ist und"
"sich einem" ihre/seine "äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat, durch den eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht worden ist".
Bei einer Mann-zu-Frau Transsexuellen ist die Amputation des Penisschaftes und der Hoden sowie die Bildung von Neovulva, Neoklitoris und Neovagina mit der Schaffung eines neuen Harnausgangs erforderlich, bei Frau-zu-Mann Transsexuellen die operative Entfernung der Gebärmutter, der Eierstöcke und des Eileiters und oftmals eine Brustverkleinerung zur Angleichung an das Erscheinungsbild des männlichen Geschlechts. Ein Scheidenverschluss und der Aufbau einer Penisprothese werden nicht verlangt.
Aber:
§ 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG ist mit Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG nach Maßgabe der Entscheidungsgründe des BVerfG-Urteils vom 11.01.2011 - 1 BvR 3295/07 - nicht vereinbar.
§ 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG ist bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung nicht anwendbar (BVerfG, 11.01.2011 - 1 BvR 3295/07).
Da nach dem LPartG vom 16.02.2001 auch gleichgeschlechtliche Partner eine Lebensgemeinschaft eingehen konnten und seit dem 01.10.2017 eine BGB-Ehe schließen dürfen, ist § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG in dieser Form nicht mehr haltbar. Eine Änderung des § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG ist bis heute nicht erfolgt.
4. Weder Mann noch Frau
Es gibt Menschen, die auf Grund ihrer biologischen Eigenschaften weder dem Geschlecht Mann noch dem Geschlecht Frau zugeordnet werden können. Für sie hat das BVerfG am 10.10.2017 beschlossen:
"1. Das allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) schützt die geschlechtliche Identität. Es schützt auch die geschlechtliche Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen."
"2. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG schützt auch Menschen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, vor Diskriminierungen wegen ihres Geschlechts" (BVerfG, 10.10.2017 - 1 BvR 2019/16 - 1. und 2. Leitsatz).
Des Weiteren hat das BVerfG festgestellt:
"3. Personen, die auch dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, werden in beiden Grundrechten verletzt, wenn das Personenstandsrecht dazu zwingt, das Geschlecht zu registrieren, aber keinen anderen positiven Geschlechtseintrag als weiblich oder männlich zulässt" (BVerfG, 10.10.2017 - 1 BvR 2019/16 - 3. Leitsatz).
Der Gesetzgeber hat auf die BVerfG-Entscheidung reagiert und das Personenstandsgesetz (PStG) mit Wirkung ab 01.01.2019 geändert (Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben vom 18.12.2018, BGBl. I 2018, S. 2635 f.). § 22 Abs. 3 PStG hat nun folgende Fassung:
"Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so kann der Personenstandsfall auch ohne ein solche Angabe oder mit der Angabe 'divers' in das Geburtenregister eingetragen werden."
Die Bundesrepublik hat knapp 83 Millionen Einwohner. Die Anzahl der Menschen, auf die das Merkmal "divers" zutrifft, beträgt den Entscheidungsgründen des BVerfG zufolge etwa 160.000, das sind circa 0,19 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Praxistipp:
Die PStG-Änderung betrifft nur das Personenstandsrecht. Die Anerkennung des - wenn man so will - dritten Geschlechts hat aber auch Auswirkungen auf das Arbeitsrecht. AGG-widrig ist nicht nur eine Benachteiligung wegen des Geschlechts Mann/Frau. AGG-widrig ist auch die Benachteiligung von Personen, die keinem dieser beiden Geschlechter zugeordnet werden können. Stellenanzeigen sollten nun den Zusatz "m/w/d" enthalten.
Das Merkmal "divers" (= verschieden, einige, mehrere) hat nichts mit Transsexualität zu tun. Die arbeitsrechtlichen Aspekte dürften bei Menschen mit fehlender Zuordnung Mann/Frau ähnlich sein.
Mit dem Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung vom 12.05.2021 - BGBl. I 2021, S. 1082 ff. - hat der Gesetzgeber einen weiteren Schritt in Richtung sexuelle Selbstbestimmung gemacht. § 1631e Abs. 1 BGB schränkt die Personensorge in puncto Behandlungen ein, die allein in der Absicht erfolgen, "das körperliche Erscheinungsbild des Kindes an das des männlichen oder des weiblichen Geschlechts anzugleichen."
Und § 1631e Abs. 2 Satz 1 BGB sagt klar:
"In operative Eingriffe an den inneren oder äußeren Geschlechtsmerkmalen des nicht einwilligungsfähigen Kindes mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung, die eine Angleichung des körperlichen Erscheinungsbilds des Kindes an das des männlichen oder des weiblichen Geschlechts zur Folge haben könnten und für die nicht bereits nach Absatz 1 die Einwilligungsbefugnis fehlt, können die Eltern nur einwilligen, wenn der Eingriff nicht bis zu einer selbstbestimmten Entscheidung des Kindes aufgeschoben werden kann."
Die Einwilligung nach § 1631e Abs. 2 Satz 1 BGB bedarf der Genehmigung des Familiengerichts - "es sei denn, der operative Eingriff ist zur Abwehr einer Gefahr für das Leben oder für die Gesundheit des Kindes erforderlich und kann nicht bis zur Erteilung der Genehmigung aufgeschoben werden" (§ 1631e Abs. 3 Satz 1 BGB).
5. Arbeitsrechtliche Aspekte der Transsexualität
Der Umgang mit transsexuellen Menschen am Arbeitsplatz erfordert große Sensibilität. Das betrifft den geänderten Vornamen genauso wie die angepasste Kleidung. Nicht selten muss man sich als Arbeitgeber/Personaler Gedanken über die Fortsetzung oder über eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses machen.
5.1 AGG-Diskriminierung
Nach § 1 AGG soll eine Benachteiligung von Menschen unter anderem
wegen ihres Geschlechts oder
wegen ihrer sexuellen Identität
verhindert oder beseitigt werden. Eine Diskriminierung erfolgt wegen des Geschlechts, wenn das Merkmal Mann oder Frau Anlass einer Schlechterstellung ist. Die sexuelle Identität ist betroffen, wenn eine Diskriminierung auf der Transsexualität eines Menschen beruht.
Der Begriff "Transsexualität" wird im AGG nicht ausdrücklich genannt. Nach der Gesetzesbegründung (s. dazu BT-Drs. 16/1780, S. 31) werden vom AGG-Begriff "sexuelle Identität" sowohl homosexuelle Frauen und Männer als auch bisexuelle, zwischengeschlechtliche und transsexuelle Menschen erfasst. Das EU-Recht kennt den Begriff "sexuelle Identität" nicht. In der Richtlinie 2000/78/EG wird von "sexueller Ausrichtung" gesprochen. Transsexualität wird EU-rechtlich dem Begriff "Geschlecht" zugeordnet (s. dazu EuGH, 30.04.1996 - C-13/94). Bei EU-rechtskonformer Auslegung des § 1 AGG wird Transsexualität sowohl vom AGG-Merkmal "Geschlecht" als auch vom AGG-Merkmal "sexuelle Identität" erfasst (BAG, 17.12.2015 - 8 AZR 421/14).
Arbeitnehmer dürfen wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale nicht benachteiligt werden. Es sei denn, das Merkmal stellt "wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung dar", § 8 Abs. 1 AGG. Mehr dazu in den AGG-Stichwörtern des Arbeitsrechtslexikons.
5.2 Einstellung
Das Herzstück des Arbeitsrechts ist der Arbeitsvertrag. Er wird zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschlossen. Er bildet die Grundlage des Beschäftigungsverhältnisses. In vielen Berufen ist es völlig unerheblich, ob der Arbeitnehmer männlich, weiblich oder transsexuell ist. Die Arbeit kann von beiden Geschlechtern und Transsexuellen ausgeübt werden. Es gibt aber auch andere, empfindliche Bereiche, wo die sexuelle Identität eines Menschen schon Probleme machen kann.
Beispiel:
Arbeitgeber A betreibt ein Fachgeschäft für Miederwaren. Seine Zielgruppe sind Frauen ab 40. A stellt ausschließlich weibliche Mitarbeiter ein, weil seine Kundschaft es ablehnt, sich von einem Mann beraten und bedienen zu lassen. Die Einstellung einer transsexuellen "Verkäuferin" könnte A hier in Schwierigkeiten bringen.
Trotzdem: Es stellt nach Auffassung des BAG keine arglistige Täuschung dar, wenn ein transsexueller Mensch, dessen Geschlechtsumwandlung noch nicht erfolgt ist, bei der Einstellungsverhandlung sein wahres Geschlecht nicht angibt (BAG, 21.02.1991 - 2 AZR 449/90). § 5 TSG ("Offenbarungsverbot") schütze die transsexuelle Person nämlich vor einer grundlosen Aufdeckung ihres früheren Vornamens und diesem Zweck würde es zuwider laufen, wenn diese Person bei der Bewerbung - zumindest ungefragt und ohne nähere Kenntnis, dass eine vollständig weibliche oder männliche Identität unabdingbare Voraussetzung für eine Einstellung ist - ihre "vergangene" Identität offen legen müsste.
Möglicherweise kommt aber eine Anfechtung wegen Irrtums (§ 119 Abs. 2 BGB) in Betracht, wenn die Eigenschaft der Person als weiblich oder männlich verkehrswesentlich ist. Das hat das BAG für den Fall einer transsexuellen Arzthelferin bejaht (BAG, 21.02.1991 - 2 AZR 449/90).
5.3 Kündigung
Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist im KSchG-Anwendungsbereich sozial gerechtfertigt, wenn sie durch "Gründe, die in der Person ... des Arbeitnehmers liegen", bedingt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG; s. dazu auch die Stichwörter Kündigung - personenbedingt: Allgemeines ff. ). Personenbedingte Kündigungsgründe sind Anlässe, die in der Person des Arbeitnehmers liegen. Die sexuelle Identität eines Menschen ist zwar in seiner Person verankert, jedoch kann Transsexualität allein niemals ein belastbarer Grund für eine personenbedingte Kündigung sein.
Beispiel:
Arbeitnehmerin N ist eine Mann-zu-Frau Transsexuelle. Sie fällt wegen ihres äußeren, sehr femininen Erscheinungsbilds nicht als Mann auf. Um sich und anderen Transsexuellen Mut zu machen, veröffentlicht N auf einem Internet-Blog seit einigen Monaten Erfahrungsberichte. Arbeitgeber A erfährt davon und kündigt N. Er hält N's Geschlechtsumwandlung für unsittlich und "abnorm", wie er es nennt. N's Transsexualität ist kein Kündigungsgrund.
Wie bei allen anderen Kündigungsgründen, zum Beispiel bei Kündigung wegen
eines Verhaltens des Arbeitnehmers oder
eines dringenden betrieblichen Erfordernisses,
muss auch hier ein konkreter Bezug zum Arbeitsplatz vorhanden sein. Erst dann, wenn die Transsexualität eines Arbeitnehmers Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis hat - zum Beispiel eine Störung des Betriebsfriedens oder eine Verschlechterung oder gar den Abbruch von Kundenbeziehungen - ist bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen eine personenbedingte Kündigung möglich.
5.4 Benachteiligungsverbot und Gleichbehandlungsgebot
Natürlich darf auch ein transsexueller Arbeitnehmer nicht wegen seines (neuen) Geschlechts und seiner Transsexualität benachteiligt werden (vgl. zum Benachteiligungsverbot§§ 1 ff. AGG).
Der EuGH hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass Art. 5 Abs. 1 Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 09.02.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen im Hinblick auf das mit dieser Richtlinie verfolgte Ziel der Entlassung einer transsexuellen Person aus einem mit der Umwandlung ihres Geschlechts zusammenhängenden Grund entgegensteht (EuGH, 30.04.1996 - C 13/94). Es darf eben keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts - egal, welches ("m/w/d") - erfolgen.
Der Gleichheitssatz ist eines der Grundprinzipien des europäischen Gemeinschaftsrechts. Niemand, auch kein Transsexueller, muss es sich gefallen lassen, wegen seines Geschlechts diskriminiert zu werden. Eine solche Benachteiligung liegt nach Auffassung des EuGH vor, wenn eine Person entlassen wird, weil sie beabsichtigt, sich einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen, oder sich ihr bereits unterzogen hat, da sie dann im Vergleich zu den Angehörigen des Geschlechts, dem sie vor dieser Operation zugerechnet wurde, schlechter behandelt würde.
Mit Hinweis auf Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 76/207/EWG zeichnet der EuGH allerdings den Weg für eine gerechtfertigte Entlassung vor. Danach steht die Richtlinie nicht der Befugnis eines Mitgliedsstaates entgegen, "solche beruflichen Tätigkeiten und gegebenenfalls die dazu jeweils erforderliche Ausbildung, für die das Geschlecht aufgrund ihrer Art oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine unabdingbare Voraussetzung darstellt, von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen".
5.5 Zeugnis
Ein Arbeitnehmer hat bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 109 Abs. 1 GewO Anspruch auf ein Arbeitszeugnis. Dieses Arbeitszeugnis darf keine
Merkmale oder
Formulierungen
enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen.
Praxistipp:
Die Bezeichnung eines/einer Transsexuellen im Arbeitszeugnis ist einfach. Das umgewandelte - gewünschte - Geschlecht entscheidet. Der Frau-zu-Mann Transsexuelle wird mit "Herr ...", die Mann-zu-Frau-Transsexuelle mit "Frau ..." bezeichnet. Der weitere Zeugnistext wird dem gewählten Geschlecht entsprechend angepasst.
Ein transsexueller Mensch hat nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Neuerteilung eines Zeugnisses mit geändertem Namen und geändertem Geschlecht. Das ergibt sich aus der nachvertraglichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers - der sich hier bei Rückgabe des Originalzeugnisses nicht mal auf Verwirkung berufen kann (LAG Hamm, 17.12.1998 - 4 Sa 1337/98).
6. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige interessante Entscheidungen zum Thema Transsexuelle in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet vorgestellt:
6.1 Abwertende Äußerungen
"Der Begriff 'Bedingungen … für den Zugang zu [einer] Erwerbstätigkeit' in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass unter diesen Begriff Äußerungen einer Person fallen, wonach sie niemals Personen mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung einstellen noch in ihrem Unternehmen beschäftigen würde, die diese Person in einer Radio- oder Fernsehsendung zu einem Zeitpunkt machte, zu dem ein Einstellungsverfahren weder im Gange noch geplant war, sofern die Verbindung dieser Äußerungen zu den Bedingungen für den Zugang zu einer Erwerbstätigkeit in diesem Unternehmen nicht hypothetisch ist" (EuGH, 23.04.2020 - C-507/18 - 1. Leitsatz - Italien).
6.2 AGG-Entschädigung
Der Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 AGG ist zwar verschuldensunabhängig, setzt jedoch einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG voraus (§ 15 Abs. 2 TzBfG i. V. mit § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG). § 7 Abs. 1 Halbs. 1 TzBfG will, dass Beschäftigte nicht wegen eines der in § 1 AGG aufgeführten Merkmale benachteiligt werden. Das gilt nach § 7 Abs. 1 Halbs. 2 TzBfG sogar, "wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt." Zu den AGG-Merkmalen gehören u. a. das Geschlecht und die sexuelle Identität, somit - obwohl nicht ausdrücklich aufgeführt - auch die Transsexualität.
Transsexuell sind Personen, "die sich dem Geschlecht, dem sie aufgrund ihrer äußerlichen körperlichen Geschlechtsmerkmale zum Zeitpunkt der Geburt zugeordnet wurden, nicht (mehr) zugehörig fühlen, sondern sich mit dem 'Gegengeschlecht' identifizieren" (mit Hinweis auf EuGH, 30.04.1996 - C-13/94 - und BVerfG, 11.01.2011 - 1 BvR 3295/07). Ein Arbeitnehmer, der sich durch eine Diskriminierung wegen der Transsexualität für beschwert hält, braucht im AGG-Entschädigungsprozess bloß Indizien vorzutragen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass sie als eine solche Person wahrgenommen und deshalb benachteiligt wurde, wenn sie ihrer Darlegungslast aus § 22 AGG genügen will. Das begründet bereits - widerlegbar - die Vermutung, der Benachteiligende habe die Transsexualität i.S.v. § 7 Abs. 1 Halbs. 2 AGG angenommen und seine Annahme sei für seine Entscheidung mitursächlich gewesen (BAG, 17.12.2015 - 8 AZR 421/14).
6.3 Altersruhegeld
Art. 4 Abs. 1 RL 79/7/EWG - Richtlinie zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit - ist dahin auszulegen, dass er Rechtsvorschriften entgegensteht, die einer Person, die sich gemäß den Voraussetzungen des nationalen Rechts einer Geschlechtsumwandlung vom Mann zur Frau unterzogen hat, die Gewährung einer Ruhestandsrente versagt, weil sie noch nicht das 65. Lebensjahr erreicht hat, während diese Person mit 60 Jahren Anspruch auf eine solche Rente gehabt hätte, wenn sie nach dem nationalen Recht als Frau anzusehen gewesen wäre (EuGH, 27.04.2006 - C-423/04).
6.4 Anerkennung
Die Anerkennung eines Menschen als dem anderen Geschlecht zugehörig setzt nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG unter anderem voraus, dass dieser Mensch nicht verheiratet ist. Dieser § 8 Abs. 1 Nr. 2 TSG ist aber mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren und daher verfassungswidrig. Er räumt einem verheirateten Transsexuellen, der sich die geschlechtsändernden Operationen unterzogen hat, die Möglichkeit, die personenstandsrechtliche Anerkennung seiner neuen Geschlechtszugehörigkeit zu erhalten, nur ein, wenn er sich zuvor scheiden lässt. Das schränkt das von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Recht auf personenstandsrechtliche Zuordnung zum psychisch empfundenen und mittels Operationen auch physisch gewandelten Geschlecht in unzulässiger Weise ein (BVerfG, 27.05.2008 - 1 BvL 10/05).
6.5 Ausländer
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 TSG verstößt insoweit gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG), soweit er ausländische Transsexuelle, die sich rechtmäßig und nicht bloß vorübergehend in der Bundesrepublik aufhalten, von der Antragsberechtigung zur Änderung ihres Vornamens und zur Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 TSG ausschließt. Weiter vorausgesetzt, dass deren Heimatrecht keine vergleichbaren Regelungen kennt (BVerfG, 18.07.2006 - 1 BvL 1/04 u. 1 BvL 12/04).
6.6 Biologische Merkmale
§ 8 Abs. 1 Nr. 3 TSG verlangt die dauernde Fortpflanzungsunfähigkeit, § 8 Abs. 1 Nr. 4 TSG einen die äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff. "Es verstößt gegen Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, dass ein Transsexueller, der die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 Transsexuellengesetz erfüllt, zur rechtlichen Absicherung seiner gleichgeschlechtlichen Partnerschaft nur dann eine eingetragene Lebenspartnerschaft begründen kann, wenn er sich zuvor gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 des Transsexuellengesetzes einem seine äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat sowie dauernd fortpflanzungsunfähig ist und aufgrund dessen personenstandsrechtlich im empfundenen und gelebten Geschlecht Anerkennung gefunden hat" (BVerfG, 11.01.2011 - 1 BvR 3295/07).
6.7 Diskriminierung
§ 1 AGG sieht als unzulässige Differenzierungsmerkmale "Geschlecht" und "sexuelle Identität" vor.
"1. Art. 2 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG (...) sind dahin auszulegen, dass Tatsachen, wie sie dem Ausgangsverfahren zugrunde liegen, in Bezug auf einen Profifußballverein auch dann als 'Tatsachen, die das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten lassen', gewertet werden können, wenn die betreffenden Äußerungen von einer Person stammen, die sich als Hauptgeschäftsführer dieses Vereins darstellt und in den Medien und in der Gesellschaft als solcher wahrgenommen wird, ohne notwendigerweise rechtlich befugt zu sein, den Verein zu binden oder bei Einstellungen zu vertreten."
"2. Art. 10 Abs. 1 (...) ist dahin auszulegen, dass in dem Fall, dass Tatsachen, wie sie im Ausgangsverfahren zugrunde liegen, als 'Tatsachen, die das Vorliegen einer Diskriminierung' aufgrund der sexuellen Ausrichtung bei der Einstellung von Spielern durch einen Profifußballverein 'vermuten' lassen, gewertet werden können, die Beweislast, wie sie in Art. 10 Abs. 1 (...) geregelt ist, nicht dazu führt, dass ein Beweis verlangt wird, der unmöglich zu erbringen ist, ohne das Recht auf Achtung des Privatlebens zu verletzen."
"3. Art. 17 der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, nach der bei Feststellung einer Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung im Sinne dieser Richtlinie als Sanktion nur eine Verwarnung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende ausgesprochen werden kann, wenn diese Feststellung nach Ablauf der Verjährungsfrist von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt getroffen wird, zu dem sich der Sachverhalt zugetragen hat, dann entgegensteht, wenn eine solche Diskriminierung bei Anwendung dieser Regelung nicht unter materiell- und verfahrensrechtlichen Bedingungen sanktioniert wird, unter denen die Sanktion wirksam, verhältnismäßig und abschreckend wäre. Es ist Aufgabe des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob dies bei der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung der Fall ist, und gegebenenfalls das nationale Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen" (EuGH, 25.04.2013 - C-81/12 - Leitsätze - Rumänien).
6.8 Gendersternchen
Wenn man will, kann man alles in Zweifel ziehen, für unzulänglich und diskriminierend halten, sogar das "Gender*". Am Ende beschäftigen sich die Gerichte mit der Materie – und kommen zu einem ungewollten Ergebnis für die Klageerhebenden: "1. Die Verwendung des Gendersternchens in einer Stellenausschreibung diskriminiert mehrgeschlechtlich geborene Menschen nicht. 2. Ziel des Gendersternchens ist es, niemanden zu diskriminieren und die Vielfalt der Geschlechter deutlich zu machen. 3. Die Verwendung der Formulierung 'schwerbehinderte Bewerber*innen' an Stelle der Formulierung 'schwerbehinderte Menschen' stellt keine Diskriminierung wegen des Geschlechts dar" (LAG Schleswig-Holstein, 22.06.2021 - 3 Sa 37öD/21 - Leitsätze).
6.9 Interessenvertretung
"Die Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, wonach eine Vereinigung von Rechtsanwälten, deren satzungsmäßiger Zweck darin besteht, namentlich Personen mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung vor Gericht Beistand zu leisten sowie die Kultur und die Achtung der Rechte dieser Personengruppe zu fördern, aufgrund dieses Zwecks und unabhängig von ihrer etwaigen Gewinnerzielungsabsicht automatisch befugt ist, ein gerichtliches Verfahren zur Durchsetzung der Ansprüche aus dieser Richtlinie einzuleiten und gegebenenfalls Schadensersatz geltend zu machen, wenn Tatsachen eintreten, die den Tatbestand einer Diskriminierung im Sinne dieser Richtlinie gegenüber dieser Personengruppe erfüllen könnten und sich kein Geschädigter feststellen lässt" (EuGH, 23.04.2020 - C-507/18 - 2. Leitsatz - Italien).
6.10 Krankheitswert
Übt Transsexualismus über lange Jahre Leidensdruck aus, mit der Folge physischer und psychischer Beschwerden, die sogar in einem körperlichen Zusammenbruch münden, hat dieser Transsexualismus Krankheitswert. Dann ist es medizinisch vertretbar, eine operative Behandlung für medizinisch indiziert zu halten - vor allem dann, wenn eine einjährige Psychotherapie keinen Erfolg brachte. In diesem Fall hat die Krankenkasse des Versicherten für die Kosten der operativen Geschlechtsumwandlung aufzukommen (OLG Köln, 11.04.1994 - 5 U 80/93 - mit dem Hinweis: "Die Behandlungsbedürftigkeit einer Transsexualität in ihrer individuellen Ausprägung entzieht sich jedem Vergleich mit anderweitigen kosmetischen Operationen oder sonstigen hormonellen oder psychischen Störungen in der Ausprägung der Geschlechtsidentität eines Menschen und kann nur nach den ganz konkreten individuellen Gegebenheiten des Einzelfalls beurteilt werden").
6.11 Namensrechtsverletzung
"§ 7 Abs. 1 Nr. 3 des Transsexuellengesetzes" - Unwirksamkeit der Änderung des Vornamens, wenn der Antragsteller eine Ehe schließt, mit der Erklärung nach § 1310 Abs. 1 BGB - "verletzt das von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Namensrecht eines homosexuell orientierten Transsexuellen sowie sein Recht auf Schutz seiner Intimsphäre, solange ihm eine rechtlich gesicherte Partnerschaft nicht ohne Verlust des geänderten, seinem empfundenen Geschlecht entsprechenden Vornamens eröffnet ist" (BVerfG, 06.12.2005 - 1 BvL 3/03 - Leitsatz - mit der Wirkung, dass § 7 Abs. 1 Nr. 3 TSG bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Regelung, die homosexuell orientierten Transsexuellen ohne Geschlechtsumwandlung das Eingehen einer rechtlich gesicherten Partnerschaft ohne Vornamensverlust ermöglicht, nicht anwendbar ist).
6.12 Sonderurlaub
"Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass er einer Tarifvertragsbestimmung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, nach der ein Arbeitnehmer, der einen zivilen Solidaritätspakt mit einer Person gleichen Geschlechts schließt, von dem Anspruch auf Vergünstigungen wie Sonderurlaubstage und eine Gehaltsprämie ausgeschlossen ist, die Arbeitnehmer aus Anlass ihrer Eheschließung gewährt werden, wenn die nationale Regelung des betreffenden Mitgliedsstaats Personen des gleichen Geschlechts die Eheschließung nicht gestattet, da der betroffene Arbeitnehmer sich unter Berücksichtigung des Zwecks und der Voraussetzungen der Gewährung dieser Vergünstigungen in einer Situation befindet, die mit der eines Arbeitnehmers, der eine Ehe schließt, vergleichbar ist" (EuGH, 12.12.2013 - C-267/12 Frankreich).
6.13 Verwirkung
Der Arbeitgeber kann sich gegenüber dem Verlangen eines transsexuellen Menschen auf Berichtigung seines Arbeitszeugnisses solange nicht auf Verwirkung berufen, wie in seinem Betrieb eine Personalakte geführt wird und er auf zeugnisspezifische Angaben zurückgreifen kann. Das Gleiche gilt für die Zeit, in der er verpflichtet ist, aus steuerlichen Gründen Lohnunterlagen aufzubewahren. "Selbst dann, wenn die Personalakte der transsexuellen Person infolge Zeitablaufs vernichtet sein soll, kann ihr der Arbeitgeber die Neuerteilung eines Arbeitszeugnisses mit lediglich geändertem Namen bzw. geändertem Geschlecht nicht verweigern, weil das ursprünglich erteilte Zeugnis zurückzugeben ist, es mithin also nur hinsichtlich des geänderten Geschlechts und des geänderten Namens der transsexuellen Person und der sich daraus ergebenden grammatikalischen und rechtschreibmäßigen Abänderung 'umformulieren' muss" (LAG Hamm, 17.12.1998 - 4 Sa 1337/98).
6.14 Zugangsbedingungen
"Der Begriff 'Bedingungen … für den Zugang zu [einer] Erwerbstätigkeit' in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass unter diesen Begriff Äußerungen einer Person fallen, wonach sie niemals Personen mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung einstellen noch in ihrem Unternehmen beschäftigen würde, die diese Person in einer Radio- oder Fernsehsendung zu einem Zeitpunkt machte, zu dem ein Einstellungsverfahren weder im Gange noch geplant war, sofern die Verbindung dieser Äußerungen zu den Bedingungen für den Zugang zu einer Erwerbstätigkeit in diesem Unternehmen nicht hypothetisch ist" (EuGH, 23.04.2020 - C-507/18 - 1. Leitsatz - Italien).