Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Die Inhalte des Bereichs „Fachwissen SV“ geben Ihnen kostenlos Auskunft zu allen Themen der Sozialversicherung. Sie sind ein exklusives Angebot für eingeloggte Nutzer.
Jetzt einloggen:
Sie sind noch nicht registriert?
BAG, 23.10.1996 - 3 AZR 924/94 - Versorgungsansprüche aus einer Lebensversicherung nach Betriebsaufspaltung; Überprüfung der Anwendbarkeit der Grundsätze über die Haftung im qualifiziert faktischen Konzern
Bundesarbeitsgericht
Urt. v. 23.10.1996, Az.: 3 AZR 924/94
Versorgungsansprüche aus einer Lebensversicherung nach Betriebsaufspaltung; Überprüfung der Anwendbarkeit der Grundsätze über die Haftung im qualifiziert faktischen Konzern
Rechtsgrundlagen:
§ 1 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG
§ 398 Satz 2 BGB
BAG, 23.10.1996 - 3 AZR 924/94
In dem Rechtsstreit
hat der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. Oktober 1996
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Heither,
die Richter Kremhelmer und Bepler sowie
die ehrenamtliche Richterin Martschin und den ehrenamtlichen Richter Dr. Kaiser
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Revision der Beklagten zu 1. und 2. gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 16. August 1994 - 6 Sa 1344/93 - wird zurückgewiesen.
- 2.
Die Beklagten zu 1. und 2. haben die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
1
In der Revision streiten die Beklagten zu 1. und 2. und der Streithelfer darüber, wer für Versorgungsansprüche des Klägers aus einer für ihn vom Arbeitgeber abgeschlossenen Lebensversicherung einstehen muß, die von seiner früheren Arbeitgeberin beliehen worden waren.
2
Der Kläger war bei der D KG, Bauunternehmung für Industrie-, Tief- und Straßenbau beschäftigt. Diese Gesellschaft hatte zu seinen Gunsten eine Direktversicherung über zuletzt 10.000,00 DM abgeschlossen.
3
Das Bauunternehmen wurde zum 1. Januar 1985 in die am 28. Dezember 1984 gegründete Betriebsgesellschaft D Straßen- und Tiefbau GmbH und die Besitzgesellschaft D KG, die spätere Beklagte zu 1. aufgeteilt. Persönlich haftende Gesellschafter der Kommanditgesellschaft waren die Brüder W und H D, die zusammen einen Gesellschaftsanteil von 63 % des Kapitals hielten. Das Stammkapital der Betriebsgesellschaft belief sich auf 300.000,00 DM, wovon W, H und R D jeweils 100.000,00 DM übernommen hatten. Alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer dieser Gesellschaft waren W und H D, die von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit waren.
4
Im Vorwort der Eröffnungsbilanz der D KG zum 1. Januar 1985 heißt es:
"Die Übertragung und Überlassung wesentlicher Betriebsgrundlagen von der KG auf die GmbH wurde in einem Pacht- und Überlassungsvertrag geregelt, der darauf abstellt, daß beide Unternehmen weiterhin eine wirtschaftliche Einheit bilden. Das Besitzunternehmen bedient sich für seine Zwecke des Betriebs der Kapitalgesellschaft. Deshalb wurden mit Ausnahme der geringwertigen Wirtschaftsgüter die Buchwerte der Wirtschaftsgüter in der Kapitalgesellschaft fortgeführt."
5
Den Mitarbeitern wurde mitgeteilt, an die Stelle der bisherigen Arbeitgeberin sei die D Straßen- und Tiefbau GmbH getreten, die das Bauunternehmen ab dem 1. Januar 1985 betreibe.
6
Am 10. Januar 1985 schlossen die Gesellschaften mit dem Kläger die folgende Vereinbarung:
1.
Der Arbeitnehmer war bis zum 31. Dezember 1984 bei der unter Ziffer 1 genannten Arbeitgeberin (alt) beschäftigt.2.
Mit Beginn mit dem 1. Januar 1985 begründet der Arbeitnehmer mit der unter Ziffer 2 genannten Arbeitgeberin (neu) ein neues Arbeitsverhältnis.3.
Die neue Arbeitgeberin übernimmt unter Entlassung der alten Arbeitgeberin aus jeglicher Haftung somit den Arbeitnehmer mit allen bei der alten Arbeitgeberin erdienten Rechten und Pflichten. Dies bedeutet, daß der Arbeitnehmer gegenüber der neuen Arbeitgeberin sämtliche erdienten Ansprüche aus Kündigungsschutz, Lohn-, Lohnnebenforderungen, Urlaub, Altersversorgung etc. erhält. Irgendwelche Nachteile entstehen dem Arbeitnehmer daher durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der alten Arbeitgeberin und Begründung des Arbeitsverhältnisses bei der neuen Arbeitgeberin nicht."
7
Unter dem 24. Mai 1985 schlossen die Besitzgesellschaft als Verpächterin und die Betriebsgesellschaft als Pächterin einen bis zum 31. Dezember 2005 unkündbaren Pacht- und Überlassungsvertrag. Der wertgesicherte monatliche Pachtzins belief sich auf 72.180,00 DM.
8
Am 3. Dezember 1987 wurde der Gesellschaftsvertrag der Besitzgesellschaft, der Beklagten zu 1., und deren Firma geändert. Die Kommanditistin A D schied aus der Gesellschaft aus. Sie übertrug ihre Kommanditeinlage auf die Herren W, H und R D zu gleichen Anteilen; W und H D - schieden als persönlich haftende Gesellschafter aus und traten gleichzeitig als Kommanditisten in die Gesellschaft ein. Einzige Komplementärin der Beklagten zu 1. mit einem Anteil am Gesellschaftskapital von Null DM wurde die Beklagte zu 2. Die Kommanditisten der Beklagten zu 1. waren als Geschäftsführer der Beklagten zu 2. von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit.
9
Mit Schreiben vom 11. April 1989 wandte die Betriebsgesellschaft sich an ihre Arbeitnehmer, darunter den Kläger:
"Direktlebensversicherung
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Firma D hat für Sie eine Lebensversicherung bei der Provinzialversicherung, Münster, abgeschlossen. Das Bezugsrecht aus dieser Versicherung steht nach den Bestimmungen des Statutes im Erlebensfall Ihnen und im Todesfall Ihren Erben zu.
Wie wir Ihnen auf der Betriebsversammlung am 18.11.1988 bereits mitgeteilt haben, haben wir die Möglichkeit, diese Versicherung zu beleihen und von der Provinzial ein zinsgünstiges Darlehen zu erhalten. Dieses Geld soll dazu verwendet werden, moderne Baumaschinen und Baufahrzeuge anzuschaffen. Ein leistungsfähiger Maschinenpark ist eine notwendige Voraussetzung, um in dem harten Wettbewerb bestehen zu können und das Bestehen der Firma und somit auch Ihre Arbeitsplätze zu sichern.
Zur Aufnahme des Darlehnes ist Ihre Zustimmung zu der Beleihung erforderlich. Ihre Rechte und Ansprüche werden durch die Beleihung nicht betroffen, zumal die Versicherung bei dem Kölner Pensions-Sicherungsverein rückversichert ist.
Ihr Kollege, Herr Br, hat im Auftrage des Betriebsrates die Unterlagen eingesehen und kann Ihnen die Richtigkeit unserer Angaben bestätigen. Wir überreichen Ihnen eine vorbereitete Erklärung mit der Bitte, diese möglichst umgehend unterschrieben zurückzugeben. Die Zweitschrift ist für Sie bestimmt.
Sollten Sie noch Fragen haben, stehen Ihnen die Herrn R D und B zu deren Beantwortung am Montag, den 17.04.1989, oder Dienstag, den 18.04.1989, nach Arbeitsende im Aufenthaltsraum des Bauhofes, R Straße, zur Verfügung."
10
Die formularmäßige Zustimmungserklärung, die der Kläger am 17. April 1989 unterzeichnete, hat den folgenden Wortlaut:
"Der Arbeitgeber hat als Versicherungsnehmer bei der Westfälischen Provinzial Versicherung, Münster, eine Gruppen-Lebensversicherung, Vertrag Nr. 8688, abgeschlossen. Bezugsberechtigt aus dieser Versicherung ist der Arbeitnehmer oder seine Erben gemäß Statut vom 01.09.1979.
Der Arbeitnehmer ist mit der Beleihung dieser Versicherung durch den Arbeitgeber einverstanden.
Der Arbeitgeber versichert, daß der Arbeitnehmer im Versicherungsfall die volle Versicherungssumme erhält und die Beleihung keinen Einfluß auf die Gewinnzuteilung durch die Versicherungsgesellschaft hat. Ferner bestätigt der Arbeitgeber, daß die Versicherung bei dem Pensions-SicherungsVerein, Köln, rückversichert ist."
11
Die Versicherungsgesellschaft belastete den Versicherungsvertrag des Klägers mit 7.772,00 DM. Insgesamt belief sich die Beleihung des Gruppenversicherungsvertrages, die 50 Arbeitnehmer betraf, auf 328.084,00 DM. Die Betriebsgesellschaft führte den an sie ausgezahlten Beleihungsbetrag an die Beklagte zu 1. ab, die hierfür Maschinen kaufte und sie der Betriebsgesellschaft zur Verfügung stellte.
12
Unter dem 20. Oktober 1989 erklärte die Beklagte zu 1.:
"Die Forderung der Firma D GmbH & Co. KG gegen die Firma D Straßen- und Tiefbaugesellschaft mbH (nachstehend D GmbH) ist in Höhe eines Teilbetrages von 800.000,00 DM (in Worten: DM achthunderttausend) ausschließlich aus Bilanzgewinnen oder einem eventuellen künftigen Liquiditätsüberschuß der Firma D GmbH zu tilgen, jedoch sind Bilanzgewinne zunächst zum Ausgleich aufgelaufener Verluste zu verwenden.
Der vorgenannte Teil der Forderung der Firma W - D GmbH & Co. KG gegen die Firma D - GmbH ist somit aufschiebend bedingt durch die Erwirtschaftung von Bilanzgewinnen oder durch einen Liquiditätsüberschuß."
13
Am 5. April 1990 wurde durch Beschluß des Amtsgerichts Bek,c- kum (- 8 N 24/90 -) das Konkursverfahren über das Vermögen der D Straßen- und Tiefbau GmbH eröffnet. Der Kläger schied aufgrund Kündigung des Konkursverwalters zum 30. September 1990 aus dem Arbeitsverhältnis aus.
14
Der Kläger, der dem Pensions-Sicherungs-Verein den Streit verkündet hat, hat sich etwaige Ansprüche des Streitverkündeten abtreten lassen. Er hat mit seiner Klage den Standpunkt eingenommen, die Beklagten müßten für die Beeinträchtigung seines Lebensversicherungsanspruches einstehen. Er hat behauptet, er habe sich mit der Beleihung nur einverstanden erklärt, weil ihm durch die Gemeinschuldnerin versichert worden sei, daß ihm durch die entsprechende Vereinbarung keine Nachteile entstünden. Es sei zwar darauf hingewiesen worden, daß man das Geld zur Anschaffung von Geräten und Maschinen benötige. Man habe aber weder die prekäre wirtschaftliche Situation der Gemeinschuldnerin offen gelegt, noch darauf hingewiesen, daß die Maschinen und Geräte für die Beklagte zu 1. angeschafft werden sollten.
15
Der Streitverkündete hat zusätzlich darauf hingewiesen, die Beklagte zu 1. hafte schon deshalb für die Forderung, weil sie weiterhin als Arbeitgeberin des Klägers anzusehen sei. Im übrigen hafteten die Beklagten zu 1. und 2. unter dem Gesichtspunkt der Durchgriffshaftung im Konzern. Die Besitzgesellschaft habe mit der Betriebsgesellschaft einen Konzern gebildet. Dabei sei die Betriebsgesellschaft von Anfang an unterkapitalisiert gewesen. Ein großer Teil der hohen Verschuldung der Betriebsgesellschaft ergebe sich aus den angesichts der Gesamtsituation überhöhten Pachtzinsforderungen der Beklagten.
16
Der Streithelfer des Klägers hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß die Beklagten bei Eintritt des Versicherungsfalles verpflichtet sind, den Kläger so zu stellen, als sei die Beleihung der zu seinen Gunsten bei der Westfälischen Proventialversicherung, Münster, bestehenden Gruppenlebensversicherung, Vertrags-Nr. 8688, abgeschlossenen Lebensversicherung in Höhe von 7.772,00 DM durch die D Straßen- und Tiefbaugesellschaft mbH nicht erfolgt.
17
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
18
Sie haben die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis des Klägers sei mit der Betriebsaufspaltung auf die Betriebsgesellschaft und spätere Gemeinschuldnerin übergegangen. Die Beklagte zu 1. habe sich seither nur noch mit der Verwaltung ihres Besitzes befaßt. Eine Durchgriffshaftung der Beklagten komme nicht in Betracht. Von einer Täuschung der Arbeitnehmer vor Beleihung der Direktversicherungen im Jahre 1989 könne keine Rede sein. Der Kläger habe gewußt, daß sich die Betriebsgesellschaft in finanziellen Schwierigkeiten befunden habe. Dies sei aus Betriebsratssitzungen und Betriebsversammlungen bekannt gewesen. Gleichwohl habe der Kläger der Beleihung zugestimmt. Dem Kläger sei auch niemals zugesichert worden, daß die Arbeitgeberin aus den durch die Beleihung der Versicherungsverträge erlangten Mitteln Maschinen und Geräte anschaffen sollte. Vielmehr habe man die Beklagte zu 1. mit Rücksicht auf ihre hohen Pachtzinsforderungen in die Lage versetzt, Maschinen anzuschaffen und diese der Arbeitgeberin des Klägers zur Verfügung zu stellen.
19
Das Arbeitsgericht hat die Klage gegen die Beklagten zu 1. bis 3. abgewiesen. Auf die Berufung der Streitverkündeten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil teilweise abgeändert und unter Zurückweisung der Berufung im übrigen gegenüber den Beklagten zu 1. und 2. nach dem Feststellungsantrag erkannt. Mit ihrer Revision verfolgen die Beklagten zu 1. und 2. ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Gründe
20
Die Revision der Beklagten zu 1. und 2. ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. In Anwendung der Grundsätze über die Haftung im qualifiziert faktischen Konzern ist die Beklagte zu 1. nach § 1 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG in Verbindung mit § 9 Abs. 2 BetrAVG, § 398 Satz 2 BGB anstelle der Gemeinschuldnerin verpflichtet, den Kläger so zu stellen, als wäre die für seine Altersversorgung abgeschlossene Lebensversicherung nicht beliehen worden. Hierfür haftet die Beklagte zu 2. als persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten zu 1. nach § 161 Abs. 2, § 128 HGB.
21
I.
Der Kläger kann verlangen, daß er bei Eintritt des Versicherungsfalles so gestellt wird, als wäre die Beleihung seiner Ansprüche aus der für ihn abgeschlossenen Direktversicherung nicht erfolgt (§ 1 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG). Sein Arbeitsverhältnis hat erst geendet, nachdem seine Versorgungsanwartschaft nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG unverfallbar geworden war.
22
II.
Dieser Anspruch des Klägers richtet sich allerdings nicht unmittelbar gegen die Beklagte zu 1., sondern gegen die Gemeinschuldnerin als die frühere Arbeitgeberin des Klägers. Entgegen der Auffassung der Streitverkündeten ist die D Straßen- und Tiefbau GmbH, die spätere Gemeinschuldnerin, im Jahre 1985 anstelle der Beklagten zu 1. Arbeitgeberin des Klägers geworden. Darauf, ob sich dies bereits aus § 613 a Abs. 1 BGB ergibt, kommt es nicht an. Der Arbeitgeberwechsel trat jedenfalls aufgrund des dreiseitigen Vertrages vom 10. Januar 1985 ein, an dem der Kläger, dessen frühere Arbeitgeberin und die D Straßen- und Tiefbau GmbH beteiligt waren.
23
Diese Vereinbarung war auch wirksam. Sie verstößt insbesondere nicht gegen § 4 BetrAVG. Die in Nr. 3 des Vertrages vom 10. Januar 1985 vereinbarte Übernahme der Verpflichtungen aus einer Versorgungszusage der früheren Arbeitgeberin durch eine den Arbeitnehmer weiterbeschäftigende neue Arbeitgeberin ist in § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG ausdrücklich gestattet.
24
III.
Die Beklagte zu 1. muß für den Anspruch des Klägers aus § 1 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG nach den Grundsätzen der Haftung im qualifiziert faktischen Konzern eintreten.
25
1.
Die Beklagte zu 1. und die frühere Arbeitgeberin des Klägers, die D Straßen- und Tiefbau GmbH, bildeten einen Konzern i.S. des § 18 Abs. 1 AktG mit der Beklagten zu 1. als herrschendem Unternehmen.
26
a)
Die rechtlich selbständige frühere Arbeitgeberin des Klägers war von der Beklagten zu 1. i.S. des § 17 Abs. 1 AktG abhängig.
27
Die Beklagte zu 1. übte mittelbar einen beherrschenden Einfluß auf die D Straßen- und Tiefbau GmbH aus.
28
Für die Annahme eines solchen Abhängigkeitsverhältnisses ist entscheidend, ob aus der Sicht des abhängigen Unternehmens für das herrschende Unternehmen die Möglichkeit besteht, dem abhängigen Unternehmen Weisungen zu erteilen oder deren Befolgung zu erzwingen; darauf, ob diese Beherrschungsmöglichkeit tatsächlich ausgeübt wird, kommt es nicht an (BGH Urteil vom 4. März 1974 - II ZR 89/72 - BGHZ 62, 193, 196, 201; OLG Düsseldorf Urteil vom 22. Juli 1993 - 6 U 84/92 - DB 1993, 2222, 2223[OLG Düsseldorf 22.07.1993 - 6 U 84/92]; KG Beschluß vom 5. April 1978 - Kart 22/77 - AG 1979, 158, 159; Geßler/Hefermehl, Eckardt/Kropff, AktG, § 17 Rz 30; MünchHandb-AG/Krieger, § 68 Rz 35, 37). Dabei muß der beherrschende Einfluß im Sinne des § 17 AktG gesellschaftsrechtlich bedingt oder wenigstens vermittelt sein (BGH Urteil vom 26. März 1984 - II ZR 171/83 - BGHZ 90, 381, 394 f.).
29
Diese Voraussetzungen waren im Verhältnis zwischen der Beklagten zu 1. und der D Straßen- und Tiefbau GmbH erfüllt. Die Beklagte zu 1. hatte die Möglichkeit einer maßgeblichen Einflußnahme auf die Geschäftsführung der früheren Arbeitgeberin des Klägers und hat sie auch tatsächlich ausgeübt. Durch die wirtschaftliche Abhängigkeit der D Straßen- und Tiefbau GmbH hat sich hieraus ein beherrschender Einfluß ergeben.
30
Nach der Betriebsaufspaltung im Jahre 1985 waren die Herren H und W D zunächst persönlich haftende Gesellschafter der Beklagten zu 1. Gleichzeitig waren sie alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer der D Straßen- und Tiefbau GmbH, bei der sie auch zwei Drittel des Stammkapitals hielten und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit waren. Durch diese Personenidentität bestand für die Beklagte zu 1. die Möglichkeit, auf die Geschäftsführung der GmbH Einfluß zu nehmen. Dies war mit der gewählten gesellschaftsrechtlichen Gestaltung auch so bezweckt. Nach dem Vorwort der Eröffnungsbilanz der Beklagten zu 1. ging es den Beteiligten darum, daß sich die Beklagte zu 1. für ihre Zwecke des Betriebes der GmbH sollte bedienen können.
31
Hieran hat sich durch die Änderung der Gesellschaftsverhältnisse bei der Beklagten zu 1. im Jahre 1987 nichts geändert. Die Herren H und W D blieben die für die Besitzgesellschaft handelnden Personen, die auch weiterhin von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit waren. Ihre wechselseitigen Einflußmöglichkeiten beruhten lediglich nicht mehr auf ihrer Geschäftsführerstellung bei der Beklagten zu 1., sondern bei der Beklagten zu 2., der Komplementärgesellschaft der Beklagten zu 1.
32
Die gesellschaftsrechtlich vermittelte Abhängigkeit der Betriebsgesellschaft von der Beklagten zu 1. ist in deren wirtschaftlicher Abhängigkeit zutage getreten. Der Pacht- und Überlassungsvertrag vom 24. Mai 1985 wurde für die Zeit bis zum 31. Dezember 2005 unkündbar abgeschlossen; der Pachtzins für die Pachtgegenstände belief sich insgesamt auf 72.180,00 DM monatlich. Die Betriebsgesellschaft wurde durch den Pachtvertrag verpflichtet, Verbindlichkeiten der Besitzgesellschaft zu übernehmen oder diese von Verbindlichkeiten freizustellen. Letztlich wurde der Einfluß der Beklagten zu 1. auch dadurch deutlich, daß sie sich von der Betriebsgesellschaft das aus der Beleihung der Lebensversicherungsverträge gewonnene Kapital für die Anschaffung von Baumaschinen hat zur Verfügung stellen lassen.
33
b)
Die aus der Abhängigkeit der Betriebsgesellschaft folgende Konzernvermutung (§ 18 Abs. 1 Satz 3 AktG) ist nicht widerlegt. Die Beklagte zu 1. und die D Straßen- und Tiefbau GmbH gehörten wirtschaftlich und nach ihren Interessen zusammen. Dies zeigen schon die einander entsprechenden, gesellschaftsvertraglich festgelegten Unternehmenszwecke sowie die hierin und im Vorwort zur Eröffnungsbilanz der Beklagten zu 1. zum Ausdruck gekommene Arbeitsteilung der beiden Unternehmen.
34
2.
Die sich aus dieser Interessenverbindung ergebenden konzerntypischen Risiken haben sich im Verhältnis zwischen der Beklagten zu 1. und der früheren Arbeitgeberin des Klägers (Betriebsgesellschaft) realisiert. Die Beklagte zu 1. muß deshalb nach den Grundsätzen über die Haftung im qualifiziert faktischen Konzern für die von ihr beherrschte GmbH in entsprechender Anwendung des § 303 AktG einstehen.
35
a)
Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts kann das herrschende Unternehmen auch in einem lediglich faktischen Konzern, wie dem von der Beklagten zu 1. geführten, in dem ein förmlicher Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag nicht abgeschlossen worden ist, entsprechend § 303 AktG haften. Bei dauernder und umfassender Geschäftsführung im beherrschten Unternehmen trifft das herrschende Unternehmen eine Einstandspflicht, wenn es nicht in dem gebotenen Umfang die Interessen des abhängigen Unternehmens berücksichtigt. Haftungsgrund ist der objektive Mißbrauch der beherrschenden Stellung durch Beeinträchtigung der Interessen des abhängigen Unternehmens über bestimmte, konkret ausgleichsfähige Einzeleingriffe hinaus (BGH Urteil vom 29. März 1993 - II ZR 265/92 - BGHZ 122, 123 [BGH 29.03.1992 - II ZR 265/91] = AP Nr. 2 zu § 303 AktG "TBB"; Urteil vom 13. Dezember 1993 - II ZR 89/93 - AP Nr. 5 zu § 303 AktG; im Anschluß an die Urteile vom 16. September 1985 - II ZR 275/84 - BGHZ 95, 330, 346[BGH 16.09.1985 - II ZR 275/84] "Autokran"; vom 20. Februar 1989 - II ZR 167/88 - BGHZ 107, 7, 15 "Tiefbau"; vom 23. September 1991 - II ZR 135/90 - BGHZ 115, 187, 192[BGH 23.09.1991 - II ZR 135/90] = AP Nr. 1 zu § 303 AktG, zu 2 a der Gründe, "Video"; BAG Urteil vom 14. Dezember 1993 - 3 AZR 519/93 - AP Nr. 29 zu § 16 BetrAVG, zu III 2 b der Gründe; Urteil vom 8. März 1994 - 9 AZR 197/92 - BAGE 76, 79, 83 = AP Nr. 6 zu § 303 AktG, zu II 1 a der Gründe; Urteil vom 1. August 1995 - 9 AZR 378/94 - AP Nr. 8 zu § 303 AktG, zu 2 der Gründe).
36
b)
Die Voraussetzungen für eine solche Haftung im qualifiziert faktischen Konzern sind bei der Beklagten zu 1. erfüllt. Sie hat es gegenüber der von ihr abhängigen früheren Arbeitgeberin des Klägers an der gebotenen Rücksichtnahme fehlen lassen.
37
Die D Straßen- und Tiefbau GmbH war seit 1985 durchgängig in einer äußerst schwierigen wirtschaftlichen Situation. Sie war stets mit rund 1 Mio. DM verschuldet. Ihre jährlichen Pachtzinsverbindlichkeiten gegenüber der Beklagten zu 1. beliefen sich auf über 700.000,00 DM. Mit der auf Veranlassung der Beklagten zu 1. im Jahre 1989 erfolgten Beleihung der Lebensversicherungsansprüche ihrer Arbeitnehmer ist die frühere Arbeitgeberin des Klägers weitere Verbindlichkeiten eingegangen. Das so beschaffte Kapital hat dieses Unternehmen dann aber nicht selbst in neue Maschinen investiert und so haftendes eigenes Anlagevermögen gebildet, sondern an die sie beherrschende Beklagte zu 1. abgeführt, die die Betriebsmittel für sich beschafft und der GmbH zur Verfügung gestellt hat. Hierdurch hat die Beklagte sich im Widerspruch zu § 19 Abs. 2 des Pacht- und Überlassungsvertrages eigenes Kapital erspart. Nach dieser Vertragsvorschrift war sie selbst zur Ersatzbeschaffung verpflichtet.
38
Der Beklagten zu 1. waren die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betriebsgesellschaft bekannt. Sie mußte deshalb damit rechnen, daß sie im Falle eines Konkurses mit einem Großteil ihrer Forderungen gegen die Betriebsgesellschaft ausfallen würde. Daß ihr dies gerade im Zusammenhang mit der Beleihung der Lebensversicherungsansprüche bewußt war, zeigt das von dem beherrschten Unternehmen stammende Schreiben vom 11. April 1989 an die betroffenen Arbeitnehmer. Wenn dort auf die Rückversicherung ihrer Versorgungsansprüche durch den Pensions-Sicherungs-Verein verwiesen wird, legt dies zusammen mit den übrigen Umständen die Annahme nahe, daß die Beklagte zu 1. im Jahre 1989 ihren beherrschenden Einfluß ausgeübt hat, um sich im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der früheren Arbeitgeberin des Klägers auf deren Kosten Anlagevermögen zu beschaffen. Ein solches Verhalten stellt einen objektiven Mißbrauch der beherrschenden Stellung im Konzern dar.
39
c)
Dieser Eingriff ist durch die Stundung eines Teilbetrages von 800.000,00 DM wegen nicht erfüllter Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit der Rangrücktrittserklärung vom 20. Oktober 1989 nicht ausreichend ausgeglichen worden. Die Verbindlichkeiten als solche, die angesichts der wirtschaftlichen Situation des abhängigen Unternehmens ohnehin nur einen begrenzten Wert hatten, sind erhalten geblieben.
40
3.
Als herrschendes Unternehmen in einem qualifiziert faktischen Konzern muß die Beklagte zu 1. den Kläger in entsprechender Anwendung des § 303 AktG nach § 1 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG so stellen, als wäre die Beleihung seiner Lebensversicherungsansprüche nicht erfolgt.
41
§ 303 AktG, der den Gläubigern des beherrschten Unternehmens nach seinem Wortlaut nur einen Anspruch auf Sicherheitsleistung durch das herrschende Unternehmen gibt, führt in entsprechender Anwendung auch zu einem Zahlungsanspruch, wenn die abhängige Gesellschaft vermögenslos geworden ist und die bestehende Forderung nicht erfüllen kann (BAG Urteil vom 6. Oktober 1992 - 3 AZR 242/91 - AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Konzern, zu II 5 der Gründe; Urteil vom 8. März 1994 - 9 AZR 197/92 - BAGE 76, 79, 87 = AP Nr. 6 zu § 303 AktG, zu II 3 der Gründe). Dementsprechend kann der Kläger von der Beklagten zu 1. auch verlangen, daß sie im wirtschaftlichen Ergebnis die Erfüllung des einmal begründeten Versicherungsanspruchs bei Eintritt des Versorgungsfalles nach § 1 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG sicherstellt, nachdem der Konkurs über das Vermögen der von der Beklagten zu 1. abhängigen früheren Arbeitgeberin des Klägers eröffnet worden ist. Bereits vor diesem Zeitpunkt, als der qualifiziert faktische Konzern zwischen der Beklagten zu 1. und der D Straßen- und Tiefbau GmbH noch bestand, ist der Anspruch aus § 1 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG i.S. von § 303 Abs. 1 AktG begründet worden. Für das Entstehen dieser Forderung ist der Grund gelegt worden, als die frühere Arbeitgeberin des Klägers auf Veranlassung der Beklagten zu 1. die Lebensversicherungsansprüche des Klägers belieh.
42
4.
Der Anspruch des Klägers ist nicht verfallen. Die Revision beruft sich zu Unrecht auf die Fristbestimmung in § 303 Abs. 1 AktG. Dabei kann dahinstehen, ob es sich hier um eine materielle Ausschlußfrist handelt. Jedenfalls betrifft die Fristregelung nicht den Anspruch gegen die abhängige Gesellschaft, für den das herrschende Unternehmen einstehen muß, sondern nur den in § 303 AktG unmittelbar geregelten Anspruch auf Leistung einer Sicherheit für einen solchen Anspruch. Im Falle des Klägers geht es nicht um einen Anspruch auf Sicherheitsleistung, sondern um die gegenüber dem beherrschten Unternehmen begründete und dort nicht mehr realisierbare Forderung selbst. Insoweit gilt die Fristregelung weder unmittelbar noch entsprechend.
43
IV.
Die Beklagte zu 2. haftet für die Einstandspflicht der Beklagten zu 1. neben dieser nach § 161 Abs. 2, § 128 HGB. Die Beklagte zu 2. ist persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten zu 1. geworden. Dem steht nicht entgegen, daß sie nach dem Gesellschaftsvertrag nicht mit einem Nominalbetrag am Gesellschaftskapital beteiligt worden ist. Eine solche Regelung ist zulässig (BGH Urteil vom 17. März 1966 - II ZR 282/63 - BGHZ 45, 204, 209; Urteil vom 6. April 1987 - II ZR 101/86 - LM Nr. 10 zu § 714 BGB, zu 3 der Gründe). Eine Festlegung eines Anteils von Null DM am Gesellschaftskapital berührt nur das Verhältnis der Gesellschafter zueinander und nicht die Haftung im Außenverhältnis.
Dr. Heither,
Kremhelmer,
Bepler,
Martschin,
Kaiser