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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Betriebsrat - Beschlüsse
Betriebsrat - Beschlüsse
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Der Betriebsrat entscheidet als Kollegialorgan per Beschluss. Bei fast allen Entscheidungen ist eine Beschlussfassung des gesamten Betriebsratsgremiums erforderlich. So ist der Arbeitgeber in der Regel nur dann verpflichtet, die dem Betriebsrat durch seine Aufgabenwahrnehmung entstehenden Kosten zu tragen, wenn dem ein ordnungsgemäßer Beschluss der Betriebsrats vorausgeht (LAG München, 10.08.2016 – 11 TaBV 51/16).
In § 33 BetrVG sind Einzelheiten über die Beschlussfassung und die Beschlussfähigkeit des Betriebsrats geregelt. § 33 BetrVG gilt auch für den Betriebsausschuss und die anderen Ausschüsse des Betriebsrats. Dagegen findet § 33 BetrVG nicht auf die Beschlussfassung und -fähigkeit des Gesamtbetriebsrats und des Konzernbetriebsrats Anwendung. Zwar treffen auch der Gesamt- und Konzernbetriebsrat ihre Entscheidungen per Beschluss, jedoch nach einem anderen Verfahren, in dem nicht jedes Mitglied eine Stimme hat, sondern die Anzahl der Stimmen sich nach der Betriebsgröße richtet (§ 47 Abs. 7 BetrVG, § 55 Abs. 3 BetrVG).
Der Vorsitzende hat nach einer erfolgten Beschlussfassung den Betriebsrat im Rahmen der gefassten Beschlüsse zu vertreten (§ 26 BetrVG), und auch für eine Umsetzung der Beschlüsse zu sorgen, und zwar auch dann, wenn er selbst gegen die Beschlussfassung gestimmt hat. Ein Beschluss kann aber nachgeholt werden, z.B. wenn dringende Handlungen erforderlich waren, das Gremium aber nicht mehr rechtzeitig zusammenkommen konnte.
Die Regelungen des BetrVG über die Beschlussfassung und die Beschlussfähigkeit des Betriebsrats sind zwingendes Recht, von dem weder die Tarifvertrag noch durch Betriebsvereinbarung abgewichen werden kann.
Voraussetzung für einen ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschluss ist, dass
der Betriebsrat beschlussfähig war und
die Mehrheit der anwesenden Mitglieder dem Antrag zugestimmt hat
und die Beschlussfassung in einer ordnungsgemäßen Betriebsratssitzung gefasst wurde.
Diese Vorgaben werde im Grunde vom Betriebsrätemodernisierungsgesetz nicht verändert.
2. Beschlussfassung - Mehrheitsentscheid
Einzelheiten über das Verfahren bei Abstimmungen, insbesondere ob geheim oder offen abgestimmt wird, sind im Betriebsverfassungsgesetz nicht geregelt. Der Betriebsrat kann in einer Geschäftsordnung Einzelheiten selbst festlegen (§ 36 BetrVG), was vor allem bei virtuellen Sitzungen und Abstimmungen sinnvoll ist, oder auch vor jeder Beschlussfassung über die Modalitäten der Stimmabgabe entscheiden.
Nach § 33 Abs. 1 BetrVG werden die Beschlüsse des Betriebsrats, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder gefasst. Mitglieder, die an einer Beschlussfassung per Video- oder Telefonkonferenz teilnehmen, gelten in diesem Zusammenhang ausdrücklich als anwesend, § 33 Abs. 1 S. 2 BetrVG.Bei Stimmengleichheit ist ein Antrag abgelehnt.
Praxistipp:
Die Bestellung sog. Beauftragter des Betriebsrats, die nicht in einer Organstruktur zusammengefasst sind, kann durch Mehrheitsbeschluss des Betriebsrats gemäß § 33 BetrVG erfolgen, ohne das ein Minderheitenschutz gewährleistet werden muss (LAG Baden-Württemberg, 26.07.2010 - 20 TaBV 3/09).
In einigen wenigen anderen Fällen schreibt das BetrVG zwingend die absolute Mehrheit vor, d.h. nicht nur die Mehrheit der anwesenden Mitglieder des Betriebsrats, sondern die Mehrheit der Betriebsratsmitglieder muss zustimmen. Die absolute Mehrheit ist vorgeschrieben bei:
Rücktritt des Betriebsrats, § 13 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG,
Übertragung von Aufgaben auf Arbeitsgruppen in Betrieben mit mehr als 100 Arbeitnehmern § 28a BetrVG,
Aufstellen einer schriftlichen Geschäftsordnung, § 36 BetrVG,
Beauftragung des Gesamtbetriebsrats, eine Angelegenheit für den Betriebsrat mit der Unternehmensleitung für ihn zu behandeln, § 50 Abs. 2 BetrVG,
Übertragung von Aufgaben auf den Betriebsausschuss zur selbstständigen Erledigung unter Beachtung des Schriftformerfordernisses (§ 27 Abs. 2 BetrVG).
Praxistipp:
In persönlichen Angelegenheiten (Kündigung, Versetzung, Ausschluss nach § 23 Abs. 1 BetrVG) hat das betroffene Betriebsratsmitglied kein Stimmrecht, da eine Befangenheit in eigenen Angelegenheiten besteht.
3. Beschlussfähigkeit
Voraussetzung für einen wirksamen Beschluss des Betriebsrats ist, dass der Betriebsrat überhaupt beschlussfähig ist. Der Betriebsrat ist nur dann beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der Betriebsratsmitglieder an der Beschlussfassung entweder in Präsenz oder mittels Video-/Telefonkonferenz teilnimmt; eine Stellvertretung durch Ersatzmitglieder ist zulässig, § 33 Abs. 2 BetrVG.
Ersatzmitglieder dürfen jedoch nur dann zur Sitzung eingeladen werden und an der Beschlussfassung teilnehmen, wenn das gewählte Mitglied entweder verhindert ist, z.B. aufgrund Urlaubs oder Krankheit, oder aufgrund einer Interessenkollision an der Abstimmung nicht teilnehmen darf. Nach einer "Faustregel" dürfen Ersatzmitglieder nur geladen werden, wenn das gewählte Mitglied nicht im Hause ist. Nimmt ein Ersatzmitglied an der Beschlussfassung teil, obwohl kein Verhinderungstatbestand besteht, kann der Beschluss unwirksam sein und vom Arbeitgeber angefochten werden.
Es genügt für die Beschlussfähigkeit des Betriebsrats nicht, dass die Hälfte der Betriebsratsmitglieder anwesend ist. Erforderlich ist vielmehr, dass mindestens die Hälfte seiner Mitglieder an der Beschlussfassung teilnimmt.
Die Beschlussfähigkeit des Betriebsrats muss zum Zeitpunkt einer jeden Abstimmung vorliegen. Es reicht nicht aus, dass der Betriebsrat zu Beginn seiner Betriebsratssitzung beschlussfähig war.
4. Beschlussfassung in einer Betriebsratssitzung
Weitere Voraussetzung für einen wirksamen Beschluss des Betriebsrats ist die Beschlussfassung in einer ordnungsgemäßen Betriebsratssitzung nach vorheriger Einladung. Die Sitzung kann in Präsenz oder gem. § 30 BetrVG auch in Form einer Video- oder Telefonkonferenz stattfinden.
Ist die Mitgliedschaft im Betriebsrat von zwei Arbeitnehmern wegen ihres erfolgten Ausscheidens aus dem fortbestehenden Betrieb nach § 24 Nr. 4 BetrVG erloschen, so sind sie nicht berechtigt, an der nach ihrem Ausscheiden erfolgten Beschlussfassung des Betriebsrates mitzuwirken. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Entscheidung der verbliebenen Betriebsratsmitglieder anders ausgefallen wäre, wenn sie ohne die Anwesenheit und mögliche Einflussnahme der beiden ehemaligen Betriebsratsmitglieder beraten und entschieden hätten (LAG Hamm, 11.10.2007 - 13 TaBV 36/07).
Der Betriebsrat kann nicht aufgrund eines sogenannten Vorratsbeschlusses im Vorhinein die Einleitung aller möglicher Beschlussverfahren beschließen und eine Art von "Generalvollmacht" erteilen, ohne dass zuvor überhaupt Verhandlungen mit dem Arbeitgeber stattgefunden haben und das Ergebnis dieser Verhandlungen bekannt ist (LAG Hamm, 16.05.2007 - 10 TaBV 101/06)
Praxistipp:
Zu beachten ist zudem ein mögliches Stimmrecht der JAV gem. § 67 BetrVG, sofern ein zur Abstimmung stehender Beschluss die Interessen der Jugendlichen und Auszubildenden betrifft, während die Schwerbehindertenvertretung gem. § 32 BetrVG zwar zu jeder Betriebsratssitzung einzuladen ist, allerdings ohne dort ein Stimmrecht zu haben, §§ 29 Abs. 2, 32 BetrVG.
5. Beschlussfassung in virtuellen Betriebsratssitzungen
Nach Einführung des Betriebsrätemodernisierungsgesetz sind Betriebsratssitzungen nun dauerhaft per Video- oder Telefonkonferenz zulässig, § 30 BetrVG. Damit können auch Beschlüsse wirksam in virtuellen Sitzungen gefasst werden. Teilnehmer einer virtuellen Betriebsratssitzung gelten gem. § 33 Abs. 1 BetrVG als anwesend und damit als abstimmungsberechtigt.
An den Grundsätzen der Beschlussfassung hat sich jedoch nichts geändert. Auch in einer Videokonferenz können Beschlüsse nur mit Mehrheit der abstimmungsberechtigten Mitglieder gefasst werden.
Praxistipp:
Ob und wie oft das digitale Format genutzt wird, entscheidet allein der Betriebsrat. Der Arbeitgeber ist in keinem Fall berechtigt, die Herbeiführung eines Beschlusses mittels Video- oder Telefonkonferenz zu verlangen, denn das BetrVG enthält keine dahingehende Rechtsgrundlage. Im Gegenteil, nach § 30 Abs. 2 BetrVG hat der Betriebsrat den Vorrang von Präsenzsitzungen sogar sicherzustellen. Der Arbeitgeber hat keinen Einfluss darauf, ob und wie die Mitarbeitervertretung dies umgesetzt.
Macht der der Betriebsrat von seinem Recht Gebrauch, seine Sitzungen per Videokonferenz abzuhalten, muss ihm der Arbeitgeber die technische Ausrüstung bereitstellen, wie z.B. Notebooks oder Tablets und kann sich nicht drauf berufen, das Gremium müsse seine Tätigkeiten am Firmensitz erbringen (Hessisches LAG 21.05.2021 - 16 TaBVGa 79/219). Zwar bezieht sich dieses Urteil noch auf die inzwischen nicht mehr geltende Übergangsregelung des § 129 BetrVG, dürfte jedoch dem Grunde nach mit Blick auf den geänderten § 30 BetrVG unverändert anwendbar sein.
6. Niederschrift der Beschlussfassung
Die Wirksamkeit von Betriebsratsbeschlüssen hängt in der Regel nicht davon ab, dass der Beschluss in die Sitzungsniederschrift oder das Protokoll aufgenommen wurde. Die Niederschrift ist nicht Teil der Beschlussfassung selbst (BAG, 30.09.2014 – 1 ABR 32/12). § 34 BetrVG schreibt zwar die Aufnahme des Wortlauts der gefassten Beschlüsse in das Protokoll jeder Sitzung, auch bei virtuellen Sitzungen, vor, jedoch bezieht sich diese Vorschrift auf den Mindestinhalt des Protokolls, nicht auf die formelle Wirksamkeit eines Beschlusses. Aus Gründen der Rechtssicherheit und aus Beweisgründen empfiehlt sich allerdings die Niederschrift des Betriebsratsbeschlusses, insbesondere wenn anlässlich des gefassten Beschlusses weitere Korrespondenz mit dem Arbeitgeber geführt werden muss.
Die Anfertigung einer Niederschrift ist für die Wirksamkeit eines in der Betriebsratssitzung gefassten Beschlusses nur erforderlich, wenn dies gesetzlich vorgegeben ist, z.B.: § 27 Abs. 2 Satz 3, §§ 36 und 50 Abs. 2 Satz 3 BetrVG.
7. Handlungen ohne Beschluss
Gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt und deshalb von der Rechtsprechung sehr unterschiedlich bewertet ist die Frage, welche und wie weitreichende Folgen es haben kann, wenn ein Betriebsratsvorsitzender ohne vorherigen Beschluss des Gremiums handelt.
Regelmäßig wird die Auffassung vertreten, dass ein Vorsitzender z. B. ohne Beschluss des Betriebsrates keine Betriebsvereinbarung wirksam unterzeichnen kann, mit der Folge, dass die Betriebsvereinbarung auch nicht zustande kommt (LAG Düsseldorf 27.04.2018 – 10 TaBV 64/17). Diese Haltung dürfte dem Sinn und dem Geist der gesetzlichen Bestimmungen durchaus entsprechen, denn „Ego-Trips“ eines Vorsitzenden soll es nicht geben.
Demgegenüber steht eine aktuelle Rechtsprechung, die bei Handlungen eines Vorsitzenden ohne vorherigen Beschluss des Gremiums von einer Anscheinsvollmacht ausgeht, mit der Folge, dass die vorgenommenen Handlungen nicht nur wirksam sind, sondern der Betriebsrat als Gremium auch für die Folgen haftet, wenn nicht umgehend entsprechende Schritte eingeleitet würden (LAG Düsseldorf, 15.04.2021 - 11 Sa 490/20). Hintergrund ist die Annahme, dass dem Betriebsrat ja die Aktivitäten des Vorsitzenden bekannt sei und alle Beteiligten von einer Genehmigung ausgehen dürften, wenn der Betriebsrat passiv bleibe und nichts unternehme. Das BAG wird sich wohl mit dieser Problematik beschäftigen und für Klarheit sorgen müssen.
Arbeitgebern ist zu raten, sich zu vergewissern, ob wirklich ein Beschluss des Betriebsrats vorliegt – selbst wenn nicht abgestimmte Handlungen eines Vorsitzenden einen kurzfristigen Vorteil bieten können.
8. Aussetzung von Beschlüssen
Unter den Voraussetzungen des § 35 BetrVG können Beschlüsse des Betriebsrats zeitweilig ausgesetzt werden.
9. Streitigkeiten
Über Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Beschlussfähigkeit und über Streitigkeiten über die Ordnungsgemäßheit des Betriebsratsbeschlusses entscheiden die Arbeitsgerichte im Beschlussverfahren.
Eine Anfechtung der Betriebsratsbeschlüsse nach § 19 BetrVG kommt nicht in Betracht. Ebenso ist eine Nachprüfung der Betriebsratsbeschlüsse oder eine Anfechtung des Arbeitgebers aus Gründen der sachlichen Zweckmäßigkeit ausgeschlossen.
Allerdings kann durch ein Arbeitsgericht die Nichtigkeit eines gefassten Beschlusses feststellen. Dazu müssen aber grobe oder schwere Verstöße bei der Beschlussfassung vorliegen, kleinere Formfehler machen einen Beschluss nicht unwirksam.
Nichtig sind die Beschlüsse des Betriebsrats beispielsweise, wenn sie
einen rechtswidrigen Inhalt (Verstoß gegen Gesetz, Verordnung, Tarifvertrag oder BV) haben oder
nicht ordnungsgemäß zustande gekommen sind.