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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Abfindung - Steuerrecht
Abfindung - Steuerrecht
Inhaltsübersicht
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Information
1. Einführung
Der Arbeitnehmer möchte, dass von der Abfindungszahlung des Arbeitgebers möglichst viel bei ihm ankommt. Die Abfindung ist jedoch Einkommen i.S.d. Steuerrechts. Das bedeutet: Sie ist zu versteuern - nicht wie laufendes Arbeitsentgelt, aber als außerordentliche Einkünfte i.S.d. § 34 EStG. Und der zählt Entschädigungen i.S.d. § 24 Nr. 1 EStG zum Kreis privilegierter Einnahmen (s. dazu nachfolgend Gliederungspunkt 2.).
Praxistipp:
Eine steuerlich begünstigte Abfindung i. S. des EStG wird für den Verlust von Einnahmen gezahlt, mit denen der Arbeitnehmer rechnen konnte. Zahlt der Arbeitgeber eine "Abfindung", um damit bereits erdiente Entgeltansprüche - z.B. rückständigen Arbeitslohn, Mehrarbeitsvergütung, Prämien, (anteilige) Sonderzahlungen, Urlaubsvergütung etc. - abzugelten, ist das keine Entschädigung i. S. § 24 Nr. 1 lit. a) EStG. Diese "Abfindungen" sind nicht als Entschädigung steuerbegünstigt.
Die Zeiten, in denen Abfindungen komplett oder mit einem Freibetrag zumindest teilweise steuerfrei waren, sind seit vielen Jahren vorbei. Heute läuft die Steuerprivilegierung über die so genannte "Fünftel-Regelung" des § 34 Abs. 1 EStG. Die Berechnung ist sehr kompliziert. Das Bundesfinanzministerium verschickt von Zeit zu Zeit Rundschreiben, in denen die steuerliche Behandlung von Entschädigungen i. S. des § 24 Nr. 1 EStG erläutert wird. Strittige Fragen entscheiden der Bundesfinanzhof und die Finanzgerichte - interessante Urteile werden im Rechtsprechungs-ABC vorgestellt (s. dazu Gliederungspunkt 3.).
2. Grundsätze der Besteuerung
Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit unterliegen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG der Einkommensteuer. Abfindungen werden zwar in der Regel für den Verlust der Arbeit (des Arbeitsplatzes) bzw. künftiger Verdienstmöglichkeiten gezahlt, dennoch gehören sie zu den Einkünften i.S.d. Steuerrechts. Sie sind auf Seiten des Arbeitnehmers aus Leistungen des Arbeitgebers entstehende Einkünfte.
Die Zeiten, in den Abfindungen völlig steuerfrei oder doch zumindest durch Freibeträge steuerlich privilegiert waren, sind seit dem 01.01.2006 Geschichte (die Streichung des alten § 3 Nr. 9 EStG ist verfassungsrechtlich nicht mal zu beanstanden, so: BFH, 01.08.2012 - IX R 16/12).
Abfindungen sind
keine ordentlichen,
sondern außerordentliche Einkünfte (s. dazu § 34 EStG).
Abfindungen sind "andere Einkünfte" i.S.d. § 24 Nr. 1 EStG. Sie sind "Entschädigungen, die gewährt worden sind a) als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen oder b) für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit".
Praxistipp:
"Arbeitgeber und Arbeitnehmer können den Zeitpunkt des Zuflusses einer Abfindung oder eines Teilbetrags einer solchen beim Arbeitnehmer in der Weise steuerwirksam gestalten, dass sie deren ursprünglich vorgesehene Fälligkeit vor ihrem Eintritt auf einen späteren Zeitpunkt verschieben" (BFH, 11.11.2009 - IX R 1/09 - Leitsatz)
Für außerordentliche Einkünfte sieht § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG vor: "Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist die auf alle im Veranlagungszeitraum bezogenen außerordentlichen Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach den Sätzen 2 bis 4 zu berechnen." Und das heißt:
"Die für die außerordentlichen Einkünfte anzusetzende Einkommensteuer beträgt das Fünffache des Unterschiedsbetrags zwischen der Einkommensteuer für das um diese Einkünfte verminderte zu versteuernde Einkommen (verbleibendes zu versteuerndes Einkommen) und der Einkommensteuer für das verbleibende zu versteuernde Einkommen zuzüglich eines Fünftels dieser Einkünfte" (§ 34 Abs. 1 Satz 2 EStG).
"Ist das verbleibende zu versteuernde Einkommen negativ und das zu versteuernde Einkommen positiv, so beträgt die Einkommensteuer das Fünffache der auf ein Fünftel des zu versteuernden Einkommens entfallenden Einkommensteuer" (§ 34 Abs. 1 Satz 3 EStG).
"Die Sätze 1 bis 3 gelten nicht für außerordentliche Einkünfte im Sinne des Absatzes 2 Nummer 1, wenn der Steuerpflichtige auf diese Einkünfte ganz oder teilweise § 6b oder § 6c anwendet" (§ 34 Abs. 1 Satz 4 EStG).
Die Anwendung der begünstigten Besteuerung nach § 34 EStG setzt voraus, dass die Entschädigungsleistungen in einem Veranlagungszeitraum zusammengeballt zufließen. Insoweit ist der Zufluss mehrerer Teilbeträge in unterschiedlichen Veranlagungszeiträumen grundsätzlich schädlich(BFH, 03.07.2002 - XI R 80/00). Ausnahme: der Zufluss ist nur gering.
Mehr dazu in den Stichwörtern Abfindung und Außerordentliche Einkünfte des Steuerlexikons. Weiterführende Hinweise stehen zudem in den BMF-Schreiben vom
01.11.2013, IV C 4 - S 2223/07/0018:005, BStBl 2013 I S. 1326 und
04.03.2016, IV C 4 - S 2290/07/10007:003, BStBl 2016 I S. 277.
Unterm Strich entscheidet in puncto Zusammenballung immer, ob es unter Einschluss der Entschädigung infolge der Beendigung des Dienstverhältnisses in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum zu einer über die normalen Verhältnisse hinausgehenden Ansammlung von Einkünften kommt (s. dazu BFH, 04.03.1998 - XI R 46/97).
3. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zur Besteuerung von Abfindungen in alphabetischer Reihenfolge nach Stichworten geordnet vorgestellt:
3.1 Einvernehmliche Beendigung
Wenn ein Arbeitgeber seinem Mitarbeiter anlässlich einer (einvernehmlichen) Auflösung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung zahlt, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, "dass der Arbeitnehmer die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht allein aus eigenem Antrieb herbeigeführt hat." Hätte er das getan, wird der Arbeitgeber wohl kaum Veranlassung gehabt haben, diesem Mitarbeiter eine Abfindung zu zahlen. Erklärt sich der Arbeitgeber dagegen zur Zahlung einer Abfindung bereit, lässt sich in der Regel annehmen, "dass dazu auch eine rechtliche Veranlassung bestand." Das lässt wiederum auf Seiten des Arbeitgebers ein beachtliches Eigeninteresse an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses unterstellen. "Dass der Arbeitnehmer unter solchen Umständen bei Abschluss des Vertrags über die Auflösung seines Arbeitsverhältnisses unter einem nicht unerheblichen tatsächlichem Druck stand, bedarf dann keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen mehr" (BFH, 13.03.2018 - IX R 16/17).
3.2 Entschädigung - 1
Entschädigungen i. S. des § 24 Nr. 1 lit. a) sind Leistungen, die "als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen" gewährt werden. Das heißt, dass sie an die Stelle weggefallener oder wegfallender Einnahmen treten. Sie müssen "unmittelbar durch den Verlust von steuerbaren Einnahmen bedingt sowie dazu bestimmt sein, diesen Schaden auszugleichen und auf einer neuen Rechts- oder Billigkeitsgrundlage beruhen" (s. dazu BFH, 10.07.2008 - IX R 84/07 - und BFH, 25.08.2009 - IX R 3/09). "Eine Entschädigung i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG i.V.m. § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG setzt ferner voraus, dass der Ausfall der Einnahmen entweder von dritter Seite veranlasst wurde oder, soweit er vom Steuerpflichtigen selbst oder mit dessen Zustimmung herbeigeführt worden ist, dass dieser unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck stand; der Steuerpflichtige darf das schadenstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben" (BFH, 13.03.2018 - IX R 16/17 - mit Hinweis auf BFH, 27.07.2004 - IX R 64/01).
3.3 Entschädigung - 2
Entschädigungen i. S. des § 24 Nr. 1 lit. a) EStG gehören "zu den tarifbegünstigten außerordentlichen Einkünften i.S. von § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG, wenn sie in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen ist und wenn durch die Zusammenballung von Einkünften eine erhöhte steuerliche Belastung entsteht" (s. dazu BFH, 08.04.2014 - IX R 28/13). Zusammengeballte Einkünfte liegen aber nur vor, "wenn der Steuerpflichtige unter Einschluss der Entschädigung infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum insgesamt mehr erhält, als er bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, also bei normalem Ablauf der Dinge, erhalten hätte" (BFH, 13.03.2018 - IX R 16/17 - mit Hinweis auf BFH, 09.10.2008 - IX R 85/07).
3.4 Ratenzahlung
Nach ständiger BFH-Rechtsprechung setzt die Annahme außerordentlicher Einkünfte i. S. des § 34 Abs. 1 und 2 EStG voraus, dass die "zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen" (stellvertretend: BFH, 09.10. 2008 - IX R 85/07). Oft verlangen Mitarbeiter jedoch, dass ihre Abfindung auf mehrere Veranlagungszeiträume verteilt wird. Dazu der BFH: "Erfolgt die Auszahlung einer Gesamtabfindung in mehreren Veranlagungszeiträumen in etwa drei gleich großen Teilbeträgen, kommt eine Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 1 EStG nicht in Betracht. Dies gilt unabhängig davon, dass die Ratenzahlung durch die Insolvenz der Arbeitgeberin verursacht ist" (BFH, 14.04.2015 - IX R 29/14).
3.5 "Sprinterprämie" steuerprivilegiert?
Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren in Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen bisweilen so genannte "Sprinterklauseln": Damit wird dem Mitarbeiter das Recht eingeräumt, vorzeitig auszusteigen – und nicht erst mit Erreichen des vereinbarten Beendigungstermins. Nutzt er diese Option, soll sich der ursprünglich vereinbarte Abfindungsbetrag erhöhen – in der Regel um den Betrag des Arbeitsentgelts, das der Arbeitgeber wegen des vorzeitigen Ausscheidens bis zum regulären Ausstieg des Mitarbeiters spart. Aber ist das dann noch eine steuerbegünstigte Abfindung "für den Verlust des Arbeitsplatzes"? Nun, die obersten hessischen Finanzrichter meinen: ja. Auch die "Sprinterprämie" sei ermäßigt zu besteuern. Das frühere Ausscheiden des Mitarbeiters liegt nämlich auch im Interesse des Arbeitgebers. Die infolge der "Sprinterklausel" vorgenommene Eigenkündigung des Mitarbeiters darf daher nicht für sich allein betrachtet werden – sie steht in untrennbarem Zusammenhang mit der arbeitgeberseitig veranlassten Auflösung des Arbeitsverhältnisses (FG Hessen, 27.07.2021 – 10 K 1597/20).
3.6 Zusätzliche Entschädigungsleistungen
"1. Entschädigungen, die aus Anlass der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gewährt werden, sind grundsätzlich einheitlich zu beurteilen. 2. Wird eine Entschädigung nicht zusammengeballt in einem Veranlagungszeitraum, sondern in zwei oder mehr Veranlagungszeiträumen ausgezahlt, scheidet grundsätzlich in sämtlichen Veranlagungszeiträumen eine Steuerermäßigung nach § 34 EStG aus. 3. Eine ermäßigte Besteuerung nach § 34 EStG ist ausnahmsweise auch in solchen Fällen geboten, in denen der Arbeitgeber oder ein Dritter neben einer Hauptentschädigungsleistung aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit ergänzende Entschädigungszusatzleistungen gewährt. 4. Die zusätzlichen Entschädigungsleistungen dürfen aber betragsmäßig nur einen ergänzenden Zusatz zur Hauptleistung bilden, diese also bei weitem nicht erreichen oder nur geringfügig sein" (BFH, 11.05.2010 - IX R 39/09 - Leitsätze).