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BFH, 17.11.2004 - VIII R 56/04 - Voraussetzungen für das Vorliegen einer Berufsausbildung; Studium als Teil der Berufsausbildung; Abbruch der Berufsausbildung durch Studium bei Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit und bestehender Immatrikulation
Bundesfinanzhof
Urt. v. 17.11.2004, Az.: VIII R 56/04
Kindergeld: Immatrikuliertes Kind bringt nichts, wenn es voll arbeitet
Die Eltern eines volljährigen Kindes, das einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgeht, können auch dann kein Kindergeld verlangen, wenn es an einer Universität eingeschrieben ist und somit die formalen Voraussetzungen eigentlich erfüllt sind. Allerdings kann die Immatrikulation nicht als „Berufsausbildung“ anerkannt werden, weil die sich für Eltern „typischerweise ergebende Unterhaltssituation“ durch die volle Erwerbstätigkeit des Kindes nicht gegeben ist.
Quelle: Wolfgang Büser
Voraussetzungen für das Vorliegen einer Berufsausbildung; Studium als Teil der Berufsausbildung; Abbruch der Berufsausbildung durch Studium bei Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit und bestehender Immatrikulation
Verfahrensgang:
vorgehend:
FG Niedersachsen - 22.06.2004 - AZ: 13 K 482/02
Rechtsgrundlage:
Fundstelle:
BFH/NV 2005, 693-694 (Volltext mit amtl. LS)
BFH, 17.11.2004 - VIII R 56/04
Redaktioneller Leitsatz:
- 1.
Das Kind eines potentiell Kindergeldberechtigten befindet sich in Berufsausbildung, wenn es auf den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen gerichtete Maßnahmen ergreift, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind.
- 2.
Ein Studium gehört unstreitig zur Berufsausbildung; setzt das Kind sein Studium aber gerade nicht mehr fort, sondern geht es einer Vollzeiterwerbstätigkeit nach, bricht es die Ausbildung ab. Unerheblich ist insoweit, ob es weiterhin als Studentin immatrikuliert ist.
Gründe
1
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist der Vater der 1977 geborenen Tochter J. J absolvierte nach Abschluss ihrer Schulausbildung zunächst eine Ausbildung als Werbekauffrau; vom Wintersemester 2000/2001 bis zum Wintersemester 2002/2003 war sie als Studentin an der Universität H immatrikuliert. In der Zeit von Januar bis September 2001 ging J außerdem einer Teilzeitbeschäftigung nach und erzielte einen Brutto-Arbeitslohn in Höhe von 8.406,75 DM. Ab Oktober 2001 war sie vollzeiterwerbstätig. In der Zeit von Oktober bis Dezember 2001 bezog sie Arbeitslohn in Höhe von 15.800,00 DM.
2
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) leistete bis einschließlich Januar 2002 laufend Kindergeldzahlungen für J. Mit Bescheiden vom 18. Juli 2002 hob er unter Berufung auf § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Kindergeld-Festsetzungen für das Jahr 2001 sowie für Januar 2002 auf, weil die Einkünfte und Bezüge der J den jeweils maßgeblichen Jahresgrenzbetrag überschritten, und forderte das danach zu Unrecht gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 1.810,60 EUR zurück.
3
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Es begründete seine Entscheidung damit, dass J sich während des ganzen Jahres 2001 in einer Ausbildung befunden habe. Da sie ihr Studium weder abgebrochen noch abgeschlossen habe, stelle die Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit keine Beendigung des Studiums dar. Allein die Nichtteilnahme oder beschränkte Teilnahme an Lehrveranstaltungen stelle nicht das Ende einer Studienausbildung dar; die Beendigung müsse vielmehr durch eine Handlung der Universität gegenüber dokumentiert werden. Der zu entscheidende Fall unterscheide sich von dem der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 23. November 2001 VI R 77/99 (BFHE 197, 383, BStBl II 2002, 484) zugrunde liegenden Sachverhalt dadurch, dass J --im Unterschied zu der Tochter des Klägers im bereits entschiedenen Fall-- schon mit dem Studium begonnen gehabt habe.
4
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und Satz 2 EStG. Er vertritt die Auffassung, dass seine Tochter durch die Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit im Oktober 2001 ihre Ausbildung beendet habe.
5
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das erstinstanzliche Urteil aufzuheben sowie die Bescheide vom 18. Juli 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. November 2002 dahin gehend zu ändern, dass das Kindergeld nur für die Monate Oktober 2001 bis Januar 2002 zurückgefordert wird.
6
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
7
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie zur Aufhebung des Bescheides des Beklagten betreffend das Jahr 2001 insoweit, als die Festsetzung des Kindergeldes für die Monate Januar bis September 2001 aufgehoben und das für diesen Zeitraum gezahlte Kindergeld zurückgefordert wird (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
8
Dem Kläger steht Kindergeld für seine Tochter J für die Zeit von Januar bis September 2001 zu. J befand sich --nur-- in diesen Monaten in einer Berufsausbildung; ihre Einkünfte und Bezüge überstiegen in diesem Zeitraum unstreitig nicht den maßgeblichen anteiligen Jahresgrenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 5 EStG (in der im Streitjahr geltenden Fassung) in Höhe von 10.530,00 DM (9/12 von 14.040,00 DM).
9
a)
In der Zeit von Januar bis September 2001 war J an der Universität H immatrikuliert und ging neben einer Teilzeitbeschäftigung ihrem Studium nach. Ihre Einnahmen während dieser Zeit betrugen lediglich 8.406,75 DM. Dieser Betrag ist um den anteiligen Arbeitnehmer-Pauschbetrag gemäß § 9a Satz 1 Nr. 1 EStG zu kürzen (zur Aufteilung des Arbeitnehmer-Pauschbetrages vgl. BFH-Urteil vom 1. Juli 2003 VIII R 96/02, BFHE 202, 540, BStBl II 2003, 759), so dass der anteilige Jahresgrenzbetrag in Höhe von 10.530,00 DM deutlich unterschritten ist.
10
b)
In der Zeit ab Oktober 2001 wurde J entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht mehr für einen Beruf ausgebildet. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH befindet sich in Berufsausbildung, wer auf den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen gerichtete Maßnahmen ergreift, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (BFH-Urteile vom 19. Februar 2002 VIII R 83/00, BFHE 198, 192, BStBl II 2002, 469, m.w.N.; vom 15. Juli 2003 VIII R 47/02, BFHE 203, 106 [BFH 15.07.2003 - VIII R 47/02], BStBl II 2003, 848). Ein Studium gehört zwar unstreitig zur Berufsausbildung; J setzte ihr Studium ab Oktober 2001 jedoch gerade nicht mehr fort, sondern ging einer Vollzeiterwerbstätigkeit nach. Damit hatte sie ihre Ausbildung abgebrochen. Unerheblich ist insoweit, dass J weiterhin als Studentin immatrikuliert war. Der BFH hat bereits entschieden, dass sich ein Kind, das schon immatrikuliert ist, sein Studium aber tatsächlich noch nicht aufgenommen hat, sondern zunächst weiterhin einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgeht, nicht in einer Berufsausbildung befindet (BFH-Urteil in BFHE 197, 383, BStBl II 2002, 484). Ein Kind, das noch immatrikuliert ist, aber das Studium tatsächlich bereits aufgegeben hat und statt dessen erwerbstätig ist, befindet sich in einer vergleichbaren Situation: Formal scheint die Voraussetzung der Berufsausbildung in Form eines Studiums gegeben zu sein, tatsächlich findet eine Ausbildung jedoch nicht statt. Einer --über die Aufnahme der Vollzeitbeschäftigung hinausgehenden-- nach außen erkennbaren Manifestation der Beendigung der Ausbildung bedarf es in diesem Fall entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht.
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