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BSG, 25.07.2002 - B 10 LW 6/02 B - Befreiung von der Versicherungspflicht eines außerlandwirtschaftlichen Einkommens ; Anspruch eines Landwirtes auf Befreiung von Versicherungspflicht ; Zwangsläufige Zurückweisung einer Berufung wegen fehlerfreier Anwendung einer verletzten Verfahrensvorschrift
Bundessozialgericht
Beschl. v. 25.07.2002, Az.: B 10 LW 6/02 B
Befreiung von der Versicherungspflicht eines außerlandwirtschaftlichen Einkommens ; Anspruch eines Landwirtes auf Befreiung von Versicherungspflicht ; Zwangsläufige Zurückweisung einer Berufung wegen fehlerfreier Anwendung einer verletzten Verfahrensvorschrift
Verfahrensgang:
vorgehend:
LSG Nordrhein-Westfalen - 27.02.2002
Rechtsgrundlagen:
BSG, 25.07.2002 - B 10 LW 6/02 B
Der 10. Senat des Bundessozialgerichts hat
am 25. Juli 2002
durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Loytved,
die Richter Dau und Masuch sowie
die ehrenamtlichen Richter Heithecker und Behrens
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. Februar 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1
I
Der Kläger und mindestens ein von zwei weiteren Miterben bewirtschaften - seit vor 1995 - gemeinsam ein landwirtschaftliches Unternehmen mit 5,54 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche und 0,59 ha forstwirtschaftlicher Nutzfläche. Nach einem Hinweis der Beklagten auf eine mögliche Versicherungspflicht als Landwirt beantragte der Kläger im Juli 2000, ihn nach § 3 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) von der Versicherungspflicht zu befreien. Sein regelmäßiges Arbeitsentgelt ohne landwirtschaftliches Arbeitseinkommen überschreite 1/7 der Bezugsgröße (§ 3 Abs 1 Nr 1 ALG).
2
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 22. September 2000 eine Versicherungspflicht des Klägers nach dem ALG ab 1. Januar 1995 (In-Kraft-Treten des Agrarsozialen Reformgesetzes) fest und befreite ihn ab 1. Juli 1996 von dieser Versicherungspflicht. Zur Begründung heißt es darin: Für die Zeit davor fehlten die Befreiungsvoraussetzungen. Die Beitragsforderung sei bis Ende 1995 verjährt, für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1996 seien Beträge in Höhe von 6 × 311 DM = 1.866 DM nachzuzahlen. Der Kläger legte Widerspruch ein: Er sei nicht versicherungspflichtig, weil er nur zu 4/10 an der Erbengemeinschaft beteiligt sei. Auf ihn entfielen mithin nur 2,22 ha der Gesamtfläche; damit sei die Mindestgröße (von 4 ha; vgl § 1 Abs 2 und 5 ALG, § 84 Abs 5 ALG aF i.V.m. dem Mindestgrößenbeschluss der Vertreterversammlung der Beklagten vom 7. Dezember 1995) unterschritten. Außerdem betreibe er das landwirtschaftliche Unternehmen nicht in der Absicht, nachhaltig Gewinn zu erzielen (§ 1 Abs 7 ALG). Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Bescheid vom 30. Januar 2001).
3
Das Sozialgericht Münster hat die Klage abgewiesen; die Berufung hat es nicht zugelassen (Gerichtsbescheid vom 27. März 2001). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 1.000 DM nicht erreiche (§ 144 Abs 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz<SGG>). Die Beklagte habe dem Kläger bereits mit Bescheid vom 14. Februar 2001 einen Beitragszuschuss in Höhe von 1.464 DM gewährt, die Beitragsforderung habe deshalb - bereits vor Einlegung der Berufung - nur noch 372 DM zuzüglich 72 DM Säumniszuschläge, zusammen also 444 DM betragen (Urteil vom 27. Februar 2002).
4
Mit seiner gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil gerichteten Beschwerde macht der Kläger ua geltend, das LSG habe verfahrensfehlerhaft ein Prozess- statt eines Sachurteils erlassen. Die Berufung sei zulässig, weil die Versicherungspflicht selbst streitig gewesen sei. Die Beitragspflicht und hier konkret die Beitragsforderung von - noch - 444 DM seien lediglich Folgen der umstrittenen, mit den angegriffenen Bescheiden festgestellten Versicherungspflicht.
Gründe
5
II
Die Beschwerde des Klägers ist begründet.
6
Der gerügte Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) liegt vor. Das LSG hat die Berufung zu Unrecht als unzulässig angesehen und deshalb, statt in der Sache zu entscheiden, ein Prozessurteil gefällt.
7
Die Berufung ist nach § 144 Abs 1 Nr 1 SGG ausgeschlossen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Sach- oder Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 1.000 DM (jetzt 500 EUR) nicht übersteigt. Zwar betrug die mit dem Bescheid der Beklagten vom 22. September 2000 geltend gemachte Beitragsforderung (zu deren Charakter als "Geldleistung" iS des § 144 Abs 1 Nr 1 SGG vgl BSG SozR 3-1500 § 144 Nr 16), soweit sie den Kläger nach Abzug des Beitragszuschusses bei Einlegung der Berufung noch beschwerte, weniger als 1.000 DM. Das führt aber nicht zum Ausschluss der Berufung, weil die Beteiligten nicht allein über die noch geforderten Beträge als "Geldleistung" gestritten haben, sondern - in erster Linie - über die Versicherungspflicht des Klägers in der Alterssicherung der Landwirte.
8
Der Kläger hat den Bescheid vom 22. September 2000 idF des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2001 angegriffen, mit dem die Beklagte - als Voraussetzung für die Beitragspflicht und die konkret geltend gemachte Beitragsforderung - eine Versicherungspflicht des Klägers ab 1. Januar 1995 festgestellt hat. Würde dieser Bescheid bestandskräftig, so stände zwischen den Beteiligten fest, dass der Kläger als Mitglied der Erbengemeinschaft (Mitunternehmer) wegen der Bewirtschaftung des landwirtschaftlichen Betriebs mit einer Nutzfläche von 5,54 ha dem Grunde nach versicherungspflichtig in der Alterssicherung der Landwirte ist. Die daraus folgende Beitragspflicht ist zeitlich zwar bis zum 30. Juni 1996 begrenzt, weil der Kläger ab 1. Juli 1996 wegen seines außerlandwirtschaftlichen Einkommens von der Versicherungspflicht befreit ist. Darin erschöpft sich die rechtliche Wirkung des Bescheides aber nicht. Der Kläger ist dadurch gegenwärtig mit einer latenten Versicherungspflicht belastet, die sich bei jederzeit möglichem Wegfall des Befreiungsgrundes wieder aktualisieren würde. Außerdem ist er danach zu Auskünften und Mitteilungen an die Beklagte verpflichtet (§ 73 Abs 1 ALG i.V.m. § 196 Abs 1 SGB VI). Da der Feststellung der Versicherungspflicht mithin eine eigenständige Bedeutung zukommt und insoweit iS von § 144 SGG kein Bedarf für eine Berufungszulassung besteht, ist die Berufung gemäß § 143 SGG statthaft (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 158 Nr 1 S 4 mwN). Sonstige Gründe, welche die Berufung des Klägers als unzulässig erscheinen lassen könnten, liegen nicht vor.
9
Nach § 160a Abs 5 SGG kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn - wie hier - die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.
10
Der Senat konnte offen lassen, ob das BSG über die ausdrücklich in § 160a Abs 5 SGG eingeräumte Befugnis hinaus auch in der Sache selbst entscheiden darf, wenn eine fehlerfreie Anwendung der verletzten Verfahrensvorschriften zwangsläufig die Zurückweisung der Berufung zur Folge haben würde (vgl zur Parallelvorschrift des § 133 Abs 6 Verwaltungsgerichtsordnung<VwGO> BVerwG Buchh 310 § 133 nF VwGO Nr 22 und dazu Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl 2002, § 160a RdNr 19e mwN). Denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Frage der Versicherungspflicht des Klägers lässt sich nach den vom LSG im angegriffenen Urteil getroffenen Feststellungen nicht abschließend entscheiden.
11
Das LSG wird im wieder eröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.