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BFH, 28.03.1985 - V B 73/84 - Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung
Bundesfinanzhof
Beschl. v. 28.03.1985, Az.: V B 73/84
Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung
Fundstelle:
BFH/NV 1986, 101
BFH, 28.03.1985 - V B 73/84
Tatbestand
1
Der Antragsteller (Ast.) ist selbständig tätig. Bis zum Veranlagungszeitraum 1973 unterwarf er seine Umsätze dem ermäßigten Steuersatz. Im Jahre 1975 fand beim Ast. eine Betriebsprüfung (Bp.) statt, die Mängel der Aufzeichnungen aufdeckte. Die Prüfungsfeststellungen ließen das FA ferner zu der Auffassung kommen, die Umsätze müßten nach dem Regelsatz versteuert werden. Die Steuerbescheide mit den Nachforderungen aufgrund der Bp. wurden 1978 - infolge einer Klagerücknahme - bestandskräftig.
2
Mit Schreiben vom 21. September 1982 hat der Ast. den Erlaß sämtlicher Steuerrückstände und Nebenforderungen beantragt. Zur Begründung führte er an: Der Erlaß sei zur Wiederherstellung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, zur Sicherung des Familienunterhalts sowie zur Aufrechterhaltung des Betriebes geboten. Ihm sei unter Hinweis auf die Steuerrückstände die selbständige Ausübung eines Gewerbes untersagt worden.
3
Das FA hat den Erlaßantrag abgelehnt. Die Beschwerde ist von der OFD als unbegründet zurückgewiesen worden. Über die hiergegen erhobene Klage hat das FG noch nicht entschieden.
4
Mit einem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung hat der Ast. beim FG begehrt, die Vollziehung der Steuerrückstände und der Nebenleistungen wegen der Jahre 1971 bis 1978 in einem Gesamtbetrag von . . . DM ohne Sicherheitsleistung einzustellen. Das FG hat den Antrag als unbegründet zurückgewiesen, weil der geltend gemachte Erlaßanspruch nicht hinreichend dargetan sei.
5
Mit der Beschwerde macht der Ast. geltend, das FG habe nicht hinreichend gewürdigt, daß auch die Finanzbehörden verantwortlich seien, wenn seine Vermögensverhältnisse sich als desolat darstellten.
6
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
7
Die Beschwerde des Ast. ist unbegründet; die tatsächlichen Grundlagen des erhobenen Anspruchs sind auch im Beschwerdeverfahren nicht hinreichend dargetan worden.
8
1.
Nach § 114 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Vereitelung eines Rechts des betreffenden Ast. vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Satz 2).
9
Diese gesetzlichen Grundlagen für den Erlaß von einstweiligen Anordnungen nach § 114 Abs. 1 FGO unterscheiden sich u.a. darin, daß im erstgenannten Falle (Satz 1) die Sicherung eines bestehenden Zustandes und im zweiten Falle (Satz 2) eine Verbesserung der bisherigen Rechtsposition in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erreicht werden kann (vgl. Beschlüsse vom 19. Juli 1978 I B 14/78, BFHE 125, 351, BStBl II 1978, 598, und vom 26. Februar 1975 I B 96/74, BFHE 115, 17, BStBl II 1975, 449). Dagegen stimmen beide Grundlagen insoweit überein, als auch für die einstweilige Anordnung gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO aufgrund der Verweisung in § 114 Abs. 3 FGO auf Vorschriften der ZPO der Ast. den Anspruch und den Grund für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung glaubhaft zu machen hat (vgl. §§ 920 Abs. 2 und 294 ZPO), wobei als Anspruch in diesem Sinne der Anspruch aus dem Rechtsverhältnis anzusehen ist, das vom Ast. in der Hauptsache verfochten wird oder werden soll (vgl. Beschluß vom 14. Juli 1971 II B 2/71, BFHE 102, 238, BStBl II 1971, 633).
10
2.
Seiner verfahrensmäßigen Last der hinreichenden Darlegung und Glaubhaftmachung ist der Ast. mindestens in Beziehung auf den Anordnungsanspruch nicht nachgekommen. Dabei kann unentschieden bleiben, auf welche der beiden gesetzlichen Grundlagen im Falle der Stattgabe eine einstweilige Anordnung zu stützen wäre. Als Anspruch im erörterten Sinne kommt allein das vom Ast. geltend gemachte Recht in Betracht, vom FA gemäß § 227 AO 1977 den Erlaß der bezeichneten Ansprüche aus Steuerschuldverhältnissen zu fordern. § 227 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sieht den Erlaß für Sachverhalte vor, bei denen die Einziehung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre, wobei der Erlaß den Finanzbehörden nicht strikt auferlegt, sondern in deren Ermessen gestellt wird.
11
In Rechtsprechung und Schrifttum werden unterschiedliche Auffassungen zur Frage vertreten, unter welchen Voraussetzungen der Erlaß einer einstweiligen Anordnung möglich ist, wenn der Anordnungsanspruch eine Ermessensentscheidung betrifft (vgl. Beschluß vom 5. und 13. Mai 1977 VII B 9/77, BFHE 122, 28, BStBl II 1977, 587, m.w. Nachw.). Durch die Rechtsprechung des BFH ist bisher nur geklärt worden, daß es nicht genügen soll, wenn das der Glaubhaftmachung des Anspruchs dienende Vorbringen für das Bestehen des Anspruchs nicht mehr an Gewißheit oder Wahrscheinlichkeit ergibt, als daß die angestrebte Ermessensentscheidung sich für rechtlich möglich halten läßt (vgl. BFHE 122, 28). Im vorliegenden Fall bedarf es keiner weiteren Klärung der angesprochenen Streitfrage, weil das Vorbringen des Antragstellers über das eben beschriebene - unzureichende - Maß nicht hinausreicht.
12
3.
Der Ast. hat den von ihm geltend gemachten Erlaßanspruch nicht ausreichend dargelegt. Insbesondere hat er nicht dazu Stellung genommen, warum er die nachberechneten und empfangenen USt-Beträge nicht vollständig an das FA abgeführt hat. Die allgemein gehaltenen Darlegungen des Ast. lassen es als möglich erscheinen, daß ein Anspruch auf Erlaß besteht, reichen aber für dessen Glaubhaftmachung nicht aus.
13
Das FA wird aber zu prüfen haben, ob dem Anliegen des Ast. nach § 258 AO 1977 abgeholfen werden kann. Mit der Zurückweisung der Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf einstweilige Anordnung ist über das Bestehen eines Anspruchs auf - wenigstens teilweisen - Erlaß keine Entscheidung getroffen. Nach Lage der Akten kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Festsetzung erheblicher Steuernachforderungen (ESt, USt und GewSt) zumindest teilweise auf fehlerhafter Rechtsberatung beruht.