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BFH, 13.07.1965 - VII 1/64 U - Erstattungsfähigkeit der Kosten einer in einer Steuersache mit Erfolg eingelegten Verfassungsbeschwerde
Bundesfinanzhof
Urt. v. 13.07.1965, Az.: VII 1/64 U
Erstattungsfähigkeit der Kosten einer in einer Steuersache mit Erfolg eingelegten Verfassungsbeschwerde
Rechtsgrundlage:
Fundstellen:
BFHE 83, 51 - 55
BStBl III 1965, 519
DB 1965, 1238 (Kurzinformation)
DStR 1965, 535 (Volltext mit amtl. LS)
BFH, 13.07.1965 - VII 1/64 U
Amtlicher Leitsatz:
Wer in einer Steuersache mit Erfolg Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht eingelegt hat, kann Erstattung der ihm vor dem Bundesverfassungsgericht erwachsenen Kosten nicht nach § 316 AO fordern.
Zusammenfassung:
Wer in einer Steuersache mit Erfolg Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht eingelegt hat, kann Erstattung der ihm vor dem Bundesverfassungsgericht erwachsenen Kosten nicht nach §316 AO fordern.
Tatbestand
1
Streitig ist, ob Kosten, die einer im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht mit der Verfassungsbeschwerde obsiegenden KG erwachsen sind, nach § 316 AO zu erstatten sind.
2
In einem steuerrechtlichen Rechtsmittelverfahren, in dem der Bf. eine KG vertreten hatte, wurde vom Bundesfinanzhof die Rb. gegen das Urteil des Finanzgerichts als unbegründet zurückgewiesen. Auf die Verfassungsbeschwerde hob das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung des Bundesfinanzhofs, die vorangegangenen Rechtsmittelentscheidungen und den Steuermeßbescheid auf und verwies die Sache wegen der Kostenentscheidung an den Bundesfinanzhof zurück. Dieser entschied durch Urteil vom 27. Februar 1962 wie folgt:
"Die Kosten des gesamten Rechtsmittelverfahrens hat das Land ... zu tragen. Der Wert des Streitgegenstandes wird für Einspruch, Berufung und Rechtsbeschwerde auf je 855 DM festgestellt."
3
Mit Schreiben vom 11. Mai und 4. Juni 1962 beantragte der Bf., der sich den Kostenerstattungsanspruch seiner Mandantin hatte abtreten lassen, einen Betrag von 1 321,60 DM an Anwaltsgebühren und Auslagen einschließlich derjenigen für die Vertretung vor dem Bundesverfassungsgericht unter Zugrundelegung eines von ihm angenommenen Streitwerts von 20 000 DM zu erstatten. Diesem Antrag entsprach die Geschäftsstelle des Finanzamts nur insoweit, als die Kosten sich auf das steuergerichtliche Verfahren bezogen. Die Erinnerung des Bf. gegen diese Entscheidung, soweit sie die Erstattung von Kosten, die im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht entstanden waren, ablehnte, blieb erfolglos.
4
Der Bf. legte Berufung ein. Nachdem das Bundesverfassungsgericht den Streitwert für das Verfahren vor ihm auf 10 000 DM festgestellt hatte, ermäßigte der Bf. den (restlichen) Erstattungsanspruch auf 901,04 DM. In der in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 1964 S. 84 Nr. 98 veröffentlichten Vorentscheidung wurde die Berufung mit der Maßgabe als unbegründet zurückgewiesen, daß im Kopf der Erinnerungsentscheidung der Bf (Rechtsanwalt) nicht als Vertreter der KG, sondern als der die Erinnerung Einlegende zu bezeichnen sei. Das Finanzgericht ließ die Rb. wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zu. Es führte insbesondere aus: Eine Entscheidung der Steuergerichte über die Kostenpflicht, auch über die Kostenerstattung nach §§ 316, 310 Nr. 2 AO, komme nur hinsichtlich der Rechtsmittel nach der AO in Betracht, wozu die Verfassungsbeschwerde nicht zähle; sie sei ein besonderer Rechtsbehelf mit einem anderen als in dem "Vorverfahren" verfolgten Ziel. Dementsprechend seien in § 307 Abs. 1 AO mit den "Kosten des gesamten Rechtsmittelverfahrens" nur die Kosten des gesamten steuerrechtlichen Rechtsmittelverfahrens gemeint. § 309 AO sei im Zusammenhang mit § 307 AO zu betrachten. Entgegen den Ausführungen von Kapp (Deutsches Steuerrecht 1962/1963 S. 205, 208 Ziff. 7) bestehe auch keine rechtliche Möglichkeit, auf dem Umweg über § 316 Abs. 1 AO eine Erstattung von Kosten, die im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht erwachsen seien, auf Grund steuerrechtlicher Vorschriften zu erreichen. Für die Kostenregelung des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht gelte die Sonderregelung des § 34 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG), insbesondere des § 34 Abs. 3 BVerfGG. Der Gedanke einer "Delegation" der Kostenentscheidung durch das Bundesverfassungsgericht an den Bundesfinanzhof treffe nicht zu.
5
Der Bf. hat Rb. eingelegt. Er stützt sie auf § 228 Nr. 1 AO. In der Vorentscheidung sei nicht deutlich zum Ausdruck gekommen, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil die Sache "wegen der Kostenentscheidung" an den Bundesfinanzhof zurückverwiesen habe. Das Finanzgericht habe ferner das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 27. Februar 1962 nicht beachtet; es sei jedoch an dieses Urteil gebunden. Das Finanzgericht schränke im Wege der Auslegung des Urteilstenors des Bundesfinanzhofs den Rechtsspruch des Bundesfinanzhofs ein; der Tenor eines Urteils sei jedoch nicht auslegungsfähig; er sei vielmehr wortgetreu durchzuführen. In dem Urteilstenor des Bundesfinanzhofs heiße es aber, das Land habe die Kosten "des gesamten Rechtsmittelverfahrens" zu tragen. Dies seien alle Kosten, die "der Rechtsmittelführerin" bis zum endgültigen Obsiegen erwachsen seien. Dazu gehörten auch die Kosten der Verfassungsbeschwerde, da nur durch sie der endgültige Erfolg erzielt worden sei und habe erzielt werden können. Der Bundesfinanzhof habe auch im Urteil vom 27. Februar 1962 ausgeführt: "Da die Bfin. im endgültigen Ergebnis obgesiegt hat, hat das Land ... die Kosten des gesamten Rechtsmittelverfahrens zu tragen." Wenn der Bundesfinanzhof nur die Kosten für das Verfahren vor dem Finanzgericht und dem Bundesfinanzhof dem Land hätte auferlegen wollen, so hätte es einer solchen Einschränkung im Urteilstenor bedurft. Im übrigen ergebe sich die Kostenerstattungspflicht auch aus §§ 309, 316 Abs. 1 AO. Da das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf Grund mündlicher Verhandlung ergangen sei, habe gemäß § 22 BVerfGG Vertretungszwang durch einen Rechtsanwalt bestanden. Auf den bisherigen Vortrag werde weiter Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
6
Die Rb. führt nicht zum Erfolg.
7
Der Bf. meint, auf Grund des für das Kostenfestsetzungsverfahren maßgebenden Urteils des Bundesfinanzhofs vom 27. Februar 1962 seien ihm auch die im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht erwachsenen Kosten zu erstatten. Dieser Auffassung vermag der erkennende Senat nicht beizutreten. Damit, daß der Bundesfinanzhof in dem bezeichneten Urteil erkannt hat: "Die Kosten des gesamten Rechtsmittelverfahrens hat das Land ... zu tragen", hat er nicht ausgesprochen, daß dazu auch die in dem erfolgreichen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht erwachsenen Kosten der KG zählten. Schon aus dem Wortlaut des - rechtskräftigen - Urteils läßt sich eine Berechtigung des Rechtsstandpunkts des Bf. nicht herleiten. Der Bf. irrt aber auch darin, daß das Urteil nicht auslegungsfähig sei; auch ein Urteil eines Steuergerichts ist auslegungsfähig. Der Sinnzusammenhang des Urteils stützt den Standpunkt des Bf. aber ebenfalls nicht. In dem Urteil wurde über die Frage der Kostentragungspflicht (§§ 307, 309 AO) entschieden, und zwar, wie die Bezugnahme auf § 309 AO in den Gründen des Urteils und die Streitwertfeststellung lediglich "für Einspruch, Berufung und Rb." im Tenor ergeben, über die Frage der Tragung der Kosten des (gesamten) Steuer rechtlichen Rechtsmittelverfahrens. Der Bf. übersieht bei seinen Ausführungen, daß der Bundesfinanzhof im Tenor und in den Gründen des Urteils ausdrücklich von den Kosten des gesamten Rechtsmittel Verfahrens spricht. Die Kosten des Verfahrens der Verfassungsbeschwerde sind jedoch, auch wenn sie im einzelnen Fall zur Durchsetzung des Rechtsstandpunkts des Steuerpflichtigen notwendig sind, keine Kosten des steuerrechtlichen "Rechtsmittel" verfahrens. Denn die Verfassungsbeschwerde ist kein "Rechtsmittel" im Sinne des gerichtlichen Verfahrensrechts, keine "Superrevision"; sie ist vielmehr ein besonderer Rechtsbehelf eigener Art mit einem besonderen Ziel, d.h. einem anderen als dem im "Vorverfahren" verfolgten, nämlich die Grundrechte und bestimmte grundrechtsähnliche Rechte (§ 90 Abs. 1 BVerfGG) zu schützen; vgl. hierzu die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 27. September 1951 1 BvR 61/51, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) Bd. 1 S. 4, 5; vom 11. Oktober 1951 1 BvR 23/51, BVerfGE Bd. 1 S. 9; vom 19. Dezember 1951 1 BvR 220/51, BVerfGE Bd. 1 S. 97, 103; vom 15. Januar 1958 1 BvR 400/51, BVerfGE Bd. 7 S. 198, 207; vom 27. Februar 1962 2 BvR 394/60, BVerfGE Bd. 14 S. 25, 29, 30; Geiger, Kommentar zum Gesetz über das Bundesverfassungsgericht, 1952, Anm. 6 e zu § 90 S. 280/1; Maunz/Sigloch/Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Gesetz über das Bundesverfassungsgericht, 1965, Anm. 15, 17 zu § 90; Mattern-Meßmer, Reichsabgabenordnung, 1965, Textziff. 2410; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, 2. Aufl., 1965 Anm. 2 zu § 316; Boeker, Der Betriebs-Berater 1964 S. 292/3; allgemein auch Engler, Neue Juristische Wochenschrift 1965 S. 999. Da die Verfassungsbeschwerde kein "Rechtsmittel" darstellt, kann sie auch kein "spezielles Rechtsmittel" sein. Sie eröffnet vor dem Bundesverfassungsgericht ein völlig neues Verfahren, das in § 34 BVerfGG auch kostenrechtlich besonders geregelt ist, und bei dem die rechtliche Möglichkeit der Kostenerstattung in § 34 Abs. 2, 3 BVerfGG besonders angesprochen ist. Grundsätzlich hat der Verfassungsbeschwerde Einlegende nach § 34 BVerfGG die ihm erwachsenen Kosten des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht zu tragen (Geiger, a.a.O., Anm. 2 zu § 34 S. 126; Engler, a.a.O.). Da die Vorschrift des § 34 Abs. 3 BVerfGG eine Ausnahmevorschrift "nur für außergewöhnliche Fälle" ist, in denen besondere Billigkeitsgründe eine Auslagenerstattung erfordern, spricht das Bundesverfassungsgericht nicht bereits dann stets eine Anordnung der Auslagenerstattung aus, wenn eine Verfassungsbeschwerde Erfolg gehabt hat (vgl. u.a. Beschluß vom 3. Juli 1957 1 BvR 270/53, BVerfGE Bd. 7 S. 75, 77). § 34 Abs. 3 BVerfGG gilt nur für das Bundesverfassungsgericht.
8
Der Hinweis auf § 309 und § 316 Abs. 1 AO geht fehl. Diese Vorschriften betreffen Kosten, die den Obsiegenden durch Rechtsmittelverfahren vor Steuerbehörden und Steuergerichten erwachsen sind. Davon macht entgegen der Meinung von Kapp (Deutsches Steuerrecht 1962/1963 S. 208/9 Ziff. 7) auch § 316 Abs. 1 AO keine Ausnahme. Allerdings hat sich, wenn die Verfassungsbeschwerde Erfolg hat, erwiesen, daß sie zur Erreichung des Zieles erforderlich war; es trifft aber nicht zu, daß es keine Rolle spiele, daß das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht "kein Instanzverfahren - keine Superrevision - darstellt".
9
Der Bf. betont, daß das Bundesverfassungsgericht durch sein Urteil die Sache "wegen der Kostenentscheidung" an den Bundesfinanzhof zurückverwiesen hat, und sieht darin eine Delegation der Entscheidung über die Kosten beim Bundesverfassungsgericht. Nach dem Dargelegten bedeutete die Zurückverweisung aber lediglich eine solche zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens vor den Steuerbehörden und den Steuergerichten. Eine Delegation im Sinne des Bf. kann daraus nicht hergeleitet werden. Das Gesetz (§ 34 Abs. 3 BVerfGG) sieht für das Bundesverfassungsgericht keine rechtliche Möglichkeit vor, Anordnungen einer Kostenerstattung an den Bundesfinanzhof zu delegieren. Das Bundesverfassungsgericht hat im Tenor seiner Entscheidung eine solche Delegation auch nicht ausgesprochen. Auch der vom Bf. erwähnte Beschluß des Landgerichts München I vom 12. August 1963 II Qs 131/63 (Anwaltsblatt 1964 S. 51) kann zu keiner anderen Entscheidung führen; der Rechtsstreit im vorliegenden Fall ist nicht nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung, sondern nach denen der AO zu entscheiden.