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BFH, 11.10.1961 - VII 146/60 U - Einordnung eines Abhilfebescheid gem. § 94 der Abgabenordnung (AO) als eine einer gerichtlichen Entscheidung des Finanzgerichts gleichzusetzende Maßnahme
Bundesfinanzhof
Urt. v. 11.10.1961, Az.: VII 146/60 U
Einordnung eines Abhilfebescheid gem. § 94 der Abgabenordnung (AO) als eine einer gerichtlichen Entscheidung des Finanzgerichts gleichzusetzende Maßnahme
Fundstellen:
BFHE 73, 798 - 800
BStBl III 1961, 556
DB 1961, 1572 (amtl. Leitsatz)
NJW 1962, 80 (Volltext mit amtl. LS)
BFH, 11.10.1961 - VII 146/60 U
Amtlicher Leitsatz:
- 1.
Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu der mit Ablauf des 30. September 1957 außer Kraft getretenen RAGebO vom 7. Juli 1879, wonach der Abhilfebescheid nach § 94 AO eine einer gerichtlichen Entscheidung des Finanzgerichts gleichzusetzende Maßnahme ist, kann für das neue Recht (BRAGebO vom 26. Juli 1957, BGBl I S. 861, 907) keine Geltung mehr haben.
- 2.
Die Anregung des Kammervorsitzenden des Finanzgerichts, einer Berufung nach § 94 AO abzuhelfen, ist keine Entscheidung im Sinne des § 117 Abs. 2 BRAGebO.
Zusammenfassung:
- 1.
Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu der mit Ablauf des 30. September 1957 außer Kraft getretenen RAGebO vom 7. Juli 1879, wonach der Abhilfebescheid nach §94 AO eine einer gerichtlichen Entscheidung des Finanzgerichts gleichzusetzende Maßnahme ist, kann für das neue Recht (BRAGebO vom 26. Juli 1957, BGBl I S. 861, 907) keine Geltung mehr haben.
- 2.
Die Anregung des Kammervorsitzenden des Finanzgerichts, einer Berufung nach §94 AO abzuhelfen, ist keine Entscheidung im Sinne des§117 Abs. 2 BRAGebO.
Aus den Gründen
1
Streitig ist,
- 1.
...
- 2.
ob außer der Prozeß- und der Erledigungsgebühr auch die Verhandlungsgebühr zuzubilligen ist, wenn ein beim Finanzgericht anhängiger Rechtsstreit auf Anregung des Kammervorsitzenden des Finanzgerichts nach § 94 AO seine Erledigung findet.
2
Der Bf. hatte in einer Lohnsteuersache durch einen als Bevollmächtigten zugezogenen Rechtsanwalt Sprungberufung eingelegt. Auf Anregung des Kammervorsitzenden des Finanzgerichts hob das Finanzamt den angefochtenen Bescheid gemäß § 94 AO unter Übernahme der Kosten durch die Staatskasse auf. Dem Antrag auf Kostenerstattung nach § 316 AO gab das Finanzamt insoweit statt, als es für die Mitwirkung des zugezogenen Rechtsanwalts die Prozeß- und die Erledigungsgebühr, nicht jedoch die außerdem beanspruchte Verhandlungsgebühr zubilligte. Erinnerung und Berufung hatten keinen Erfolg.
3
Mit der Rb., die das Finanzgericht, dessen Entscheidung in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1960 Nr. 358 abgedruckt ist, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache zugelassen hat, wird die Verletzung materiellen Rechts gerügt und zur Begründung im wesentlichen folgendes vorgetragen:
- 1.
...
- 2.
Das Urteil des Bundesfinanzhofs II 186/55 S vom 6. Februar 1957 (BStBl 1957 III S. 118), wonach eine Erledigung nach § 94 AO eine einer gerichtlichen Entscheidung des Finanzgerichts gleichzusetzende Maßnahme sei, habe auch für das jetzt geltende Gebührenrecht Gültigkeit. Die Auffassung des Finanzgerichts, daß diese Gleichsetzung nicht mehr möglich sei, weil die Erledigung nach § 94 AO die Erledigungsgebühr nach § 24 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGebO) auslöse, sei unrichtig; die Erledigungsgebühr sei Ersatz der nach § 117 Abs. 1 BRAGebO auf Grund der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht ansetzbaren Vergleichsgebühr nach § 23 BRAGebO, nicht aber Ersatz für die nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs erwachsende Verhandlungsgebühr.
4
Die Rb. kann keinen Erfolg haben.
5
1.
...
6
2.
Ob im Streitfall eine Verhandlungsgebühr zuzubilligen ist oder nicht, bestimmt sich nach § 117 Abs. 2 BRAGebO, wonach in Verfahren vor Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Rechtsanwalt, wenn ohne mündliche Verhandlung entschieden worden ist, die gleichen Gebühren erhält wie in einem Verfahren mit mündlicher Verhandlung, hängt also davon ab, ob eine Entscheidung im Sinne des § 117 Abs. 2 BRAGebO ergangen ist. Der Bf. glaubt diese Frage unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs II 186/55 S vom 6. Februar 1957 (BStBl 1957 III S. 118, Slg. Bd. 64 S. 312), in dem ausgesprochen ist, daß der Abhilfebescheid nach § 94 AO eine einer gerichtlichen Entscheidung des Finanzgerichts gleichzusetzende Maßnahme ist, bejahen zu sollen. Diese noch zu der mit Ablauf des 30. September 1957 außer Kraft getretenen Gebührenordnung für Rechtsanwälte (RAGebO) vom 7. Juli 1879 ergangene Rechtsprechung des seinerzeit für Kostenfragen zuständigen II. Senats kann nach Auffassung des erkennenden, nunmehr für diese Fragen zuständigen Senats für das neue Recht keine Geltung mehr haben. Denn bei der eindeutigen Trennung des Verwaltungsverfahrens (§§ 118, 119 BRAGebO) von dem gerichtlichen Verfahren (§§ 114, 117 BRAGebO) in der am 1. Oktober 1957 in Kraft getretenen BRAGebO kann unter Entscheidung im Sinne des § 117 Abs. 2 BRAGebO nur eine Entscheidung des Gerichts verstanden werden; es besteht keine Möglichkeit mehr für die Gleichsetzung des verwaltungsmäßigen Abhilfebescheids nach § 94 AO mit einer gerichtlichen Entscheidung (vgl. hierzu Fließbach in Steuer und Wirtschaft, 1958, Spalten 457 ff.; Klempt-Meyer, Rechtsmittelverfahren und Rechtsmittelkosten in Steuerstreitsachen, 2. Aufl., S. 184; Boeker, Kostenerstattung im steuerlichen Rechtsmittelverfahren, 1957, S. 54; Riedel-Sußbauer, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 1957, § 114 Anm. 8; Gerold, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 2. Aufl., § 117 Anm. 3). Wie Fließbach, a.a.O., zutreffend ausführt, stellte die Zubilligung der Verhandlungsgebühr in den Fällen des § 94 AO gewissermaßen einen Ausgleich für die Versagung der Vergleichsgebühr dar, für den nach Einführung der Erledigungsgebühr (§ 24 BRA-GebO), die bei Abhilfebescheiden nach § 94 AO in Betracht kommt, kein sachliches Bedürfnis mehr besteht.
7
Zu prüfen bleibt noch die Frage, ob eine Entscheidung des Gerichts im Sinne des § 117 Abs. 2 BRAGebO vorliegt, wenn, wie es im Streitfalle geschehen ist, der Kammervorsitzende unter Hinweis auf die Sach- oder Rechtslage dem Finanzamt die Akten mit dem Anheimgeben zurückgibt, der Berufung nach § 94 AO abzuhelfen. Riedel-Sußbauer, a.a.O., § 114 Anm. 8, und Thier, Die anwaltlichen Gebühren in Steuer- und Zollsachen, 3. Aufl., S. 169, bejahen dies unter Bezugnahme auf die Urteile des Finanzgerichts Karlsruhe vom 22. März 1956 ("Entscheidungen der Finanzgerichte" 1956 Nr. 264) und des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 5. Juli 1956 ("Entscheidungen der Finanzgerichte" 1956 Nr. 337). Nach Auffassung des Senats ist die Frage zu verneinen. Die genannten Urteile sind noch zu der außer Kraft getretenen RAGebO ergangen und suchten, ebenso wie das später ergangene oben erwähnte Urteil des Bundesfinanzhofs vom 6. Februar 1957 nach einem Wege, um dem Steuerpflichtigen die Erstattung der Verhandlungsgebühr zukommen zu lassen, da sie nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gehindert waren, die Vergleichsgebühr zuzubilligen. Alle diese Erwägungen sind nach Einführung der Erledigungsgebühr (§ 24 BRAGebO) überholt. Wenn der Kammervorsitzende des Finanzgerichts dem Finanzamt die Akten mit dem Anheimgeben zurückgibt, der Berufung nach § 94 AO abzuhelfen, so gibt das Gericht eine Anregung, eine Empfehlung, aber es entscheidet nicht. Das Finanzamt ist nicht verpflichtet, dieser Anregung zu folgen. Ob es das tun will oder nicht, ist allein seiner Entscheidung überlassen (so auch Lauterbach, Kostengesetze, 14. Aufl., BRAGebO § 117 Anm. 3 A, und Entscheidung des Finanzgerichts Nürnberg vom 29. April 1960, "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1961 Nr. 43).
8
Nach alledem ist der Senat der Auffassung, daß im Streitfalle die Erstattung der Verhandlungsgebühr zu Recht abgelehnt worden ist.