Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Die Inhalte des Bereichs „Fachwissen SV“ geben Ihnen kostenlos Auskunft zu allen Themen der Sozialversicherung. Sie sind ein exklusives Angebot für eingeloggte Nutzer.
Jetzt einloggen:
Sie sind noch nicht registriert?
BFH, 06.08.1958 - II 251/57 U - Anwendbarkeit des § 26 Abs. 1 Nr. 1 des baden-württembergischen Landesverwaltungsgesetzes vom 7. November 1955 auf Grunderwerbsteuersachen
Bundesfinanzhof
Urt. v. 06.08.1958, Az.: II 251/57 U
Anwendbarkeit des § 26 Abs. 1 Nr. 1 des baden-württembergischen Landesverwaltungsgesetzes vom 7. November 1955 auf Grunderwerbsteuersachen
Rechtsgrundlagen:
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 baden-württembergisches AO-Anpassungsgesetz vom 27. Juni 1955
§ 26 Abs. 1 Nr. 1 baden-württembergisches Landesverwaltungsgesetz vom 7. November 1955
Fundstellen:
BFHE 67, 277 - 281
BStBl III 1958, 379
BFH, 06.08.1958 - II 251/57 U
Amtlicher Leitsatz:
In Grunderwerbsteuersachen ist auch im Lande Baden-Württemberg gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 des baden-württembergischen AO-Anpassungsgesetzes vom 27. Juni 1955 nach wie vor das Einspruchsverfahren nach §§ 229, 259 AO gegeben; § 26 Abs. 1 Nr. 1 des baden-württembergischen Landesverwaltungsgesetzes vom 7. November 1955 ist insoweit nicht anwendbar.
Zusammenfassung:
In Grunderwerbsteuersachen ist auch im Lande Baden-Württemberg gemäß §1 Abs. 1 Nr. 1 des baden-württembergischen AO-Anpassungsgesetzes vom 27. Juni 1955 nach wie vor das Einspruchsverfahren nach §§229, 259 AO gegeben; §26 Abs. 1 Nr. 1 des baden-württembergischen Landesverwaltungsgesetzes vom 7. November 1955 ist insoweit nicht anwendbar
Tatbestand
1
Der Beschwerdegegner (Bg.) wurde durch Steuerbescheid des Finanzamts X. vom 2. Juni 1956 zu einer Grunderwerbsteuer herangezogen. Der gegen diesen Bescheid eingelegte Einspruch wurde durch Einspruchsentscheidung vom 27. Juli 1956 als unbegründet zurückgewiesen. Auf die Berufung hat das Finanzgericht die Einspruchsentscheidung aufgehoben und den Einspruch als unzulässig verworfen, weil nach § 26 des am 1. April 1956 in Baden-Württemberg in Kraft getretenen Landesverwaltungsgesetzes vom 7. November 1955 -LVerwG- (Gesetzblatt für Baden-Württemberg 1955 S. 225) gegen Verwaltungsakte der unteren Sonderbehörden die Verwaltungsbeschwerde gegeben sei. Demgemäß sei auch bei Steuern, die ausschließlich der Landesgesetzgebnng vorbehalten seien - dazu gehört nach Art. 105 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit Art. 70 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) die Grunderwerbsteuer -, nicht mehr der Einspruch nach §§ 229, 259 der Reichsabgabenordnung (AO), sondern die Verwaltungsbeschwerde an die Oberfinanzdirektion gegeben.
2
Gegen das Urteil des Finanzgerichts hat der Vorsteher des Finanzamts Rechtsbeschwerde (Rb.) eingelegt. Das Finanzamt macht geltend, daß die Vorschriften der AOüber das Einspruchsverfahren als Sondervorschriften trotz der Regelung im LVerwG nach wie vor gültig geblieben seien. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des baden-württembergischen Gesetzes über die Anwendung bundesrechtlicher Vorschriften des allgemeinen Abgabenrechts vom 27. Juni 1955 - AO-Anpassungsgesetz - (Gesetzblatt für Baden-Württemberg 1955 S. 102, Bundessteuerblatt - BStBl - 1955 II S. 128) sei im Land Baden-Württemberg auf öffentlich-rechtliche Abgaben, die der Gesetzgebung des Bundes nicht unterliegen und von den Landesfinanzbehörden verwaltet werden, die AO vom 22. Mai 1931 in der Fassung anzuwenden, die für die bundesrechtlich geregelten Steuern jeweils gilt. Demgemäß sei die AO nach wie vor auch im Land Baden-Württemberg bei Einsprüchen gegen Grunderwerbsteuerbescheide anwendbar. Das LVerwG enthalte im § 26 allgemeine Vorschriften, das AO-Anpassungsgesetz dagegen Sondervorschriften für die darin bezeichneten Steuersachen.
3
Das Finanzministerium des Landes Baden-Württemberg ist ersucht worden, sich gemäß § 287 Ziff. 2 AO an dem Verfahren zu beteiligen. Es hat seinen Beitritt erklärt und gleichfalls den Standpunkt eingenommen, daß die Vorschriften der AOüber das Einspruchsverfahren nach wie vor auch auf Grunderwerbsteuerbescheide anwendbar seien.
Entscheidungsgründe
4
Die Rb. führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Streitfalls an das Finanzgericht.
5
Dem Finanzgericht ist darin zuzustimmen, daß nach dem Wortlaut des § 26 LVerwG alle Verwaltungsakte, die von den unteren Verwaltungsbehörden oder den unteren Sonderbehörden erlassen werden, grundsätzlich nur mit der Verwaltungsbeschwerde angefochten werden können. Richtig ist außerdem, daß der Steuerbescheid des Finanzamts ein Verwaltungsakt ist und die Finanzämter den unteren Sonderbehörden zuzurechnen sind.
6
Andererseits ist in der Begründung zu § 42 des Regierungsentwurfs (Beilage 975 vom 9. November 1954 zu den Verhandlungen des Landtags von Baden-Württemberg) auf S. 1206 als Zweck des 4. Abschnitts des LVerwG, der die Bestimmungen über die Verwaltungsbeschwerde enthält, angegeben:
"... alle landesrechtlichen Vorschriften zu ersetzen, welche die Anfechtung von Verwaltungsakten durch die Verwaltungsbeschwerde und den Rekurs im Sinn des badischen Rechts geregelt haben."
7
Das Verwaltungsbeschwerdeverfahren innerhalb des Landes Baden-Württemberg war damals insofern uneinheitlich, als im Bereich des ehemaligen Landes Baden gemäß §§ 28 ff. der "Landesherrlichen Verordnung, das Verfahren in Verwaltungssachen betreffend" vom 31. August 1884 (Gesetz- und Verordnungsblatt 1884 S. 385) die als "Rekurs" bezeichnete Verwaltungsbeschwerde gegen Entscheidungen und Verfügungen aller staatlichen Behörden zugelassen war. Im Bereich des früheren Landes Württemberg-Hohenzollern waren dagegen Entscheidungen und Verfügungen der Verwaltungsbehörden gemäß §§ 4, 5 des Gesetzes zur Änderung des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof und vor den Verwaltungsbehörden vom 17. Oktober 1950 (Regierungsblatt für Württemberg-Hohenzollern - RegBl - 1950 S. 301) mit der Verwaltungsbeschwerde anfechtbar. In Nordwürttemberg konnte mit dem allgemeinen Beschwerde- und Rekursverfahren der anderen Landesteile lediglich das Einspruchs- und Beschwerdeverfahren gegen Beschlüsse und Verfügungen der Kreisverbandsbehörden nach Art. 40 des Gesetzes Nr. 33 (Kreisordnung vom 7. März 1946 RegBl 1946 S. 45) verglichen werden (siehe die Gesetzesbegründung).
8
Das Verfahren nach der AO wird in der Gesetzesbegründung nicht erwähnt; insbesondere wird nicht zu der Frage Stellung genommen, in welchem Verhältnis das Beschwerdeverfahren nach dem LVerwG zu dem in der AO geregelten Einspruchsverfahren stehen soll. Auch im Verwaltungsausschuß des Landtags und in der Verhandlung des Landtags selbst ist diese Frage nicht erörtert worden. Zuzugeben ist, daß bei buchstäblicher Auslegung des § 26 LVerwG die Auffassung des Finanzgerichts als begründet erscheint. Dazu sei bemerkt: Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in dem Urteil 2 BvH 2/52 vom 21. Mai 1952 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 1 S. 299, 312) den Rechtsgrundsatz aufgestellt, daß für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers maßgebend sei, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergebe, in den diese hineingestellt sei. Wie aber die Ausdrücke "objektivierter Wille", "Sinnzusammenhang" und "hineingestellt" ergeben, ist dennoch bei der Auslegung von Gesetzen nicht am buchstäblichen Ausdruck zu haften, sondern der wirkliche Wille des Gesetzes nach Sinn und Zweck zu erforschen. Zur Auslegung von Gesetzen siehe auch die in neuerer Zeit ergangenen Urteile des IV. Senats IV 10/57 U vom 12. Dezember 1957 (BStBl 1958 III S. 154, Slg. Bd. 66 S. 401) sowie des erkennenden Senats II 128/57 U vom 16. April 1958 (BStBl 1958 III S. 280).
9
Nach Sachlage ist anzunehmen, daß bei Schaffung des LVerwG die Frage unberücksichtigt blieb, welche Rechtsmittel gegen Steuerfestsetzungen der Finanzämter in Abgabesachen, die der ausschließlichen Landesgesetzgebung unterliegen, zulässig sein sollten. Nach der Gesetzesbegründung war lediglich beabsichtigt, uneinheitliche Regelungen innerhalb der verschiedenen Landesteile zu vereinheitlichen (wobei die Begründung die früheren Landesteile Baden, Württemberg-Hohenzollern und Nordwürttemberg erwähnt). Aus der Nichterwähnung des Rechtsmittelverfahrens nach der AO kann gefolgert werden, daß nicht die Absicht bestand, auf dem Sondergebiet des Einspruchsverfahrens gegen Steuerbescheide der Finanzämter eine Änderung eintreten zu lassen, zumal das Rechtsmittelverfahren insoweit seit der Einführung der AO (23. Dezember 1919) in allen Landesteilen Baden-Württembergs - wie überall im Anwendungsbereich der AO - bereits einheitlich war. Hätte es demgegenüber im Willen des Gesetzgebers gelegen, das Verfahren der AO in die Regelung durch das LVerwG einzubeziehen, so wäre entgegen dem in der Begründung angeführten Gesetzeszweck nicht nur in räumlicher, sondern auch in sachlicher Beziehung eine Vereinheitlichung vorgenommen worden.
10
Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht auch der Umstand, daß das AO-Anpassungsgesetz vom 27. Juni 1955, das LVerwG aber vom 7. November 1955 datiert und somit nahezu gleichzeitig im Landtag von Baden-Württemberg behandelt wurde. Die Nichterwähnung des AO-Anpassungsgesetzes im LVerwG berechtigt zu dem Schluß, daß der Landesgesetzgeber die durch das AO-Anpassungsgesetz geschaffene Regelung nicht schon wieder durch das wenige Monate später verkündete LVerwG außer Kraft setzen wollte. Jedenfalls ist im § 49 Abs. 2 LVerwG, der außer der Generalklausel auch eine Aufzählung der außer Kraft tretenden Vorschriften enthält, das AO-Anpassungsgesetz nicht aufgeführt. Eine Erwähnung dieses Gesetzes hätte aber, um es zu wiederholen, sehr nahegelegen, wenn tatsächlich die Anwendung der Vorschriften der AO ausgeschlossen werden und an die Stelle des Einspruchs die Verwaltungsbeschwerde treten sollte.
11
Schließlich hat der Gesetzgeber des Landes Baden-Württemberg die zur Entscheidung stehende Frage in der Zwischenzeit klargestellt. Durch Art. 4 des baden-württembergischen Gesetzes über die Neuordnung der Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 12. Mai 1958 (Gesetzblatt für Baden-Württemberg S. 131) ist im § 35 LVerwG die nachstehende Vorschrift als Abs. 2 eingefügt worden:
"(2)
Unberührt bleiben die Vorschriften des Gesetzes über die Anwendung bundesrechtlicher Vorschriften des allgemeinen Abgabenrechts vom 27. Juni 1955 (Gesetzblatt für Baden-Württemberg S. 102)."
12
In dem schriftlichen Bericht über die Beratungen des Rechtsausschusses, auf dessen Antrag diese Vorschrift in das vorbezeichnete Gesetz aufgenommen wurde, ist ausgeführt:
"Die Vorschrift zur Ergänzung des LVerwG wurde auf Vorschlag der Regierung beschlossen, um klarzustellen, daß das LVerwG mit seinen Bestimmungen über die Verwaltungsbeschwerde nicht das Gesetz über die Anwendung bundesrechtlicher Vorschriften des allgemeinen Abgabenrechts vom 27. Juni 1955 ändern wollte."
13
Durch die Neuregelung sollte somit schon geltendes Recht nur bestätigt, nicht aber eine vom bestehenden Recht abweichende Neuregelung geschaffen werden.
14
Nach allem lag es nicht im Sinn des baden-württembergischen Landesgesetzgebers, durch die Vorschrift des § 26 LVerwG die durch das AO-Anpassungsgesetz für einen Sonderbereich der Landesverwaltung getroffene Regelung zu ändern.
15
Die angefochtene Entscheidung war demnach aufzuheben und die Streitsache zur sachlichen Prüfung und Entscheidung an das Finanzgericht zurückzuverweisen. Diesem war auch die Feststellung des Streitwerts und die Entscheidung über die Kosten der Rb. zu übertragen. Sollte der Bg. im endgültigen Ergebnis unterliegen, so bestehen keine Bedenken, daß die Rechtsbeschwerdegebühr und die dem Bundesfinanzhof durch die Rb. erwachsenen Auslagen ganz erlassen werden.