Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Die Inhalte des Bereichs „Fachwissen SV“ geben Ihnen kostenlos Auskunft zu allen Themen der Sozialversicherung. Sie sind ein exklusives Angebot für eingeloggte Nutzer.
Jetzt einloggen:
Sie sind noch nicht registriert?
BAG, 19.11.2003 - 7 ABR 16/03 - Wirksamkeit einer Betriebsratswahl; Berücksichtigungsfähigkeit von Leiharbeitnehmern bei der Ermittlung der Belegschaftsstärke; Unzulässigkeit eines erstmals in der Rechtsbeschwerdeinstanz gestellten Widerantrags
Bundesarbeitsgericht
Beschl. v. 19.11.2003, Az.: 7 ABR 16/03
Leiharbeitnehmer wählen zwar, zählen aber nicht
Weil Leiharbeitnehmer nicht zu den Beschäftigten eines Betriebes gehören, die für die Anzahl der Betriebsratsmitglieder von Bedeutung sind, ist eine Betriebsratswahl nichtig, auf der inklusive Leiharbeitnehmer 201 Arbeitnehmer gezählt werden (zwischen 201 und 400 Beschäftigten müssen 9 Mitglieder für den Betriebsrat abgestellt werden, zwischen 101 und 200 jedoch nur 7). Doch mitwählen dürfen die „Verliehenen“.
Quelle: Wolfgang Büser
Wirksamkeit einer Betriebsratswahl; Berücksichtigungsfähigkeit von Leiharbeitnehmern bei der Ermittlung der Belegschaftsstärke; Unzulässigkeit eines erstmals in der Rechtsbeschwerdeinstanz gestellten Widerantrags
Verfahrensgang:
vorgehend:
ArbG Wuppertal 2 BV 23/02 vom 04.07.2002
LAG Düsseldorf - 23.01.2003 - AZ: 11 TaBV 60/02
ArbG Wuppertal - 04.07.2002 - AZ: 2 BV 23/02
Rechtsgrundlagen:
BAG, 19.11.2003 - 7 ABR 16/03
Redaktioneller Leitsatz:
Leiharbeitnehmer sind keine Arbeitnehmer i.S.d. § 9 S. 1 BetrVG. Die Einräumung des aktiven Wahlrechts für Leiharbeitnehmer in § 7 Satz 2 BetrVG in der ab dem 28. Juli 2001 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23. Juli 2001 wirkt sich nicht auf die Ermittlung der Beschäftigtenzahl in § 9 BetrVG aus.
Ein erstmals in der Rechtsbeschwerdeinstanz gestellter Widerantrag ist grundsätzlich ebenso unzulässig und für die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts unbeachtlich wie eine erstmals in der Revisionsinstanz erhobene Widerklage. Von diesem Grundsatz wird im Revisionsverfahren eine Ausnahme für den Fall zugelassen, dass es sich nur um eine Änderung des Klageantrags iSv. § 264 Nr. 2 oder 3 ZPO handelt und der geänderte Antrag auf den vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt oder auf unstreitiges tatsächliches Vorbringen gestützt wird.
In dem Rechtsstreit
hat der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts
auf Grund der Beratung vom 19. November 2003
durch
den Vizepräsidenten des Bundesarbeitsgerichts Dörner,
die Richterin am Bundesarbeitsgericht Gräfl und
den Richter am Bundesarbeitsgericht Pods sowie
die ehrenamtlichen Richter Hökenschnieder und Hoffmann
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 23. Januar 2003 -11 TaBV 60/02 - wird zurückgewiesen.
Gründe
1
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
2
Der antragstellende Arbeitgeber betreibt unter anderem das Dialysezentrum in W. Dort fand am 10. April 2002 eine Betriebsratswahl statt. Aus ihr ging der zu 2) beteiligte Betriebsrat hervor. Am 15. März 2002 hatte der Wahlvorstand ein Wahlausschreiben erlassen, nach dem ein aus drei Mitgliedern bestehender Betriebsrat zu wählen war. In der Wählerliste waren insgesamt 23 Arbeitnehmer aufgeführt, darunter drei Ärzte, die Angestellte der K GmbH sind. Sie führen in Vertretung der leitenden Ärzte des Dialysezentrums abwechselnd die Visite durch, verordnen Rezepte und besprechen mit dem Riegepersonal medizinische Maßnahmen.
3
Nachdem das Ergebnis der Betriebsratswahl am 12. April 2002 bekannt gegeben worden war, hat der Arbeitgeber mit dem am 25. April 2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag die Unwirksamkeit der Wahl geltend gemacht. Es habe nur ein aus einer Person bestehender Betriebsrat gewählt werden dürfen, weil er nur 20 Arbeitnehmer beschäftige. Die drei Ärzte unterlägen nicht seinem Weisungsrecht, sondern dem ihrer Arbeitgeberin, der K GmbH.
4
Der Arbeitgeber hat beantragt
die Betriebsratswahl des Dialysezentrums W vom 10. April 2002 für unwirksam zu erklären.
5
Der Betriebsrat hat die Zurückweisung des Antrags beantragt und die Ansicht vertreten, bei der Tätigkeit der drei Ärzte in dem Dialysezentrum handele es sich um Arbeitnehmerüberlassung.
6
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat weiterhin die Zurückweisung des Antrags. Im Wege eines hilfsweisen Widerantrags begehrt er die Feststellung, dass die drei Ärzte berechtigt sind, an Betriebsratswahlen zum Betriebsrat des Arbeitgebers teilzunehmen. Der Arbeitgeber beantragt:
Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
7
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem
8
Antrag des Arbeitgebers zu Recht stattgegeben. Die Betriebsratswahl vom 10. April 2002 ist nach § 19 Abs. 1 BetrVG unwirksam, da gegen wesentliche Vorschriften des Wahlverfahrens verstoßen wurde. Der erstmals im Rahmen der Rechtsbeschwerde hilfsweise gestellte Widerantrag des Betriebsrats ist unzulässig.
9
1.Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Betriebsratswahl vom Arbeitgeber angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Diese Voraussetzungen liegen vor. Bei der Betriebsratswahl vom 10. April 2002 wurde gegen § 9 Satz 1 BetrVG verstoßen. Es hätte nur ein aus einem Mitglied bestehender Betriebsrat gewählt werden dürfen, da im Betrieb des Arbeitgebers nicht mehr als 20 Arbeitnehmer iSv. § 9 Satz 1 BetrVG beschäftigt waren. Die Betriebsratswahl ist daher unwirksam, weil sie auf einem wesentlichen Mangel iSv. § 19 Abs. 1 BetrVG beruht (vgl. BAG 29. Mai 1991 - 7 ABR 67/90 - BAGE 68, 74 = AP BetrVG 1972 § 9 Nr. 2 = EzA BetrVG 1972 § 19 Nr. 31, zu BII4 der Gründe).
10
2.
Nach § 9 Satz 1 BetrVG besteht der Betriebsrat in Betrieben mit in der Regel fünf bis 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern aus einer Person und bei 21 bis 50 wahlberechtigten Arbeitnehmern aus drei Mitgliedern. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts beschäftigte der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Wahlausschreibens am 15. März 2002 neben den drei Ärzten allenfalls 20 weitere Arbeitnehmer. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht offen gelassen, ob es sich bei den drei Ärzten um Arbeitnehmer eines anderen Arbeitgebers i.S.d.. § 7 Satz 2 BetrVG handelte, die zur Arbeitsleistung überlassen waren. Denn selbst wenn die Ärzte aus diesem Grund wahlberechtigt i.S.d.. § 7 Satz 2 BetrVG waren, wirkte sich das auf die Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer i.S.d.. § 9 Satz 1 BetrVG nicht aus.
11
a)
Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass sich die Einräumung des aktiven Wahlrechts für Leiharbeitnehmer in § 7 Satz 2 BetrVG in der ab dem 28. Juli 2001 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23. Juli 2001 (BGBl., l S. 1852) nicht auf die Ermittlung der Beschäftigtenzahl in § 9 BetrVG auswirkt. Eine Auslegung der Vorschrift ergibt, dass Leiharbeitnehmer durch die Einräumung des aktiven Wahlrechts nicht zu betriebsangehörigen Arbeitnehmern des Entleihers werden. Das hat der Senat am 16. April 2003 (- 7 ABR 53/02 - AP BetrVG 2002 § 9 Nr. 1 = EzA BetrVG 2001 § 9 Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) und am 22. Oktober 2003 (- 7 ABR 3/03 - zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) entschieden und ausführlich begründet. Daran hält der Senat fest.
12
b)
Die Rechtsbeschwerde hat keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen, die dem entgegenstehen. Vielmehr bleibt es dabei, dass nach dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn und Zweck der Vorschriften die betriebsverfassungsrechtliche Stellung der Leiharbeitnehmer abgesehen von der Einräumung des aktiven Wahlrechts im Entleiherbetrieb unverändert geblieben ist. Bereits aus der Gegenüberstellung von Arbeitnehmern des Betriebs in § 7 Satz 1 BetrVG und Arbeitnehmern eines anderen Arbeitgebers, die zur Arbeitsleistung überlassen werden, folgt, dass die überlassenen Arbeitnehmer gerade keine Arbeitnehmer des Betriebs sind. Nach der Gesetzesbegründung sollten Leiharbeitnehmer durch die Zuerkennung des aktiven Wahlrechts aus der Randbelegschaft an die Stammbelegschaft herangeführt werden, ohne sie in rechtlich unzutreffender Weise als Arbeitnehmer des Entleiherbetriebs einzustufen (BT-Drucks. 14/5741 S. 28). Demgegenüber soll durch § 9 BetrVG sichergestellt werden, dass die Zahl der Betriebsratsmitglieder in einem angemessenen Verhältnis zur Zahl der betriebsangehörigen Arbeitnehmer steht. Nur sie verursachen jeweils einen bei der Bemessung der Betriebsratsgröße zu beachtenden etwa gleich einzuschätzenden Arbeitsaufwand, während Leiharbeitnehmer nur partiell vom Betriebsrat des Entleiherbetriebs repräsentiert werden. Die Anhebung der Zahl der nach § 9 BetrVG zu wählenden Betriebsratsmitglieder durch das Betriebsverfassungsreformgesetz beruht nicht auf der Belastung des Betriebsrats durch die Repräsentation von Leiharbeitnehmern, sondern auf der Erweiterung seiner Aufgaben im Zusammenhang mit der Einführung und Anwendung neuer Techniken, moderner Produktions- und Arbeitsmethoden, Qualifizierung, Beschäftigungssicherung sowie Arbeits- und Umweltschutz (BT-Drucks. 14/5741 S. 36 Nr. 8).
13
3.
Der vom Betriebsrat erstmals im Rahmen der Rechtsbeschwerde gestellte hilfsweise Widerantrag ist unzulässig.
14
a)
Nach den § 92 Abs. 2 Satz 1, § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 559 Abs. 1 Satz 1
15
ZPO unterliegt der Beurteilung des Rechtsbeschwerdegerichts nur das Vorbringen der Beteiligten, das aus dem Tatbestand des angefochtenen Beschlusses oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Der Schluss der mündlichen Anhörung der Beteiligten vor dem Landesarbeitsgericht bildet damit grundsätzlich nicht nur bezüglich des tatsächlichen Vorbringens, sondern auch bezüglich der Anträge der Beteiligten die Entscheidungsgrundlage für das Rechtsbeschwerdegericht (vgl. BAG 25. Juni 1981 -2 AZR 219/79 - AP ZPO 1977 § 256 Nr. 1, zu 1 der Gründe; BGH 18. September 1958 - IIZR 332/56 - BGHZ28, 131, 137). Danach ist ein erstmals in der Rechtsbeschwerdeinstanz gestellter Widerantrag grundsätzlich ebenso unzulässig und für die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts unbeachtlich wie eine erstmals in der Revisionsinstanz erhobene Widerklage (vgl. BGH 23. Mai 1957 - II ZR 250/55 - BGHZ 24, 280, 285 [BGH 23.05.1957 - II ZR 250/55]; BGH 7. November 1957 - II ZR 280/55- BGHZ 26, 31, 37; Germelmann/Matthes/ Prütting/Müller-Glöge ArbGG 4. Aufl. § 74 Rn. 31).
16
b)
Von diesem Grundsatz wird im Revisionsverfahren allerdings eine Ausnahme für den Fall zugelassen, dass es sich nur um eine Änderung des Klageantrags iSv. § 264 Nr. 2 oder 3 ZPO handelt und der geänderte Antrag auf den vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt oder auf unstreitiges tatsächliches Vorbringen gestützt wird (BAG 26. Mai 1993 - 4 AZR 149/92 - APAVR Diakonisches Werk § 12 Nr. 2 = EzA BGB §242 Betriebliche Übung Nr. 28, zu 12 der Gründe; 17. Oktober 1972 - 1 AZR 86/72 - AP BGB § 630 Nr. 8 = EzA BGB § 630 Nr. 4, zu l 1 der Gründe). Ob aus denselben Erwägungen auch ein hilfsweiser Widerantrag in der Rechtsbeschwerdeinstanz zuzulassen ist, kann dahingestellt bleiben. Denn das Landesarbeitsgericht hat gerade keine Feststellung dazu getroffen, ob die drei Ärzte bei dem Arbeitgeber im Wege der Arbeitnehmerüberlassung eingesetzt worden sind und deswegen gemäß § 7 Satz 2 BetrVG berechtigt waren, an Betriebsratswahlen zum Betriebsrat des Arbeitgebers teilzunehmen. Vielmehr hat das Landesarbeitsgericht seine Annahme der Unwirksamkeit der Betriebsratswahl vom 10. April 2002 ausschließlich auf die vom Wahlvorstand unzutreffend ermittelte Belegschaftsstärke iSv. § 9 Satz 1 BetrVG gestützt.
Dörner zugleich für den erkrankten Richter Pods
Gräfl
Hökenschnieder
Hoffmann
Hinweis: Das Dokument wurde redaktionell aufgearbeitet und unterliegt in dieser Form einem besonderen urheberrechtlichen Schutz. Eine Nutzung über die Vertragsbedingungen der Nutzungsvereinbarung hinaus - insbesondere eine gewerbliche Weiterverarbeitung außerhalb der Grenzen der Vertragsbedingungen - ist nicht gestattet.