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BAG, 09.07.1986 - 8 AZR 155/85 - Anspruch eines gekündigten Arbeitnehmers auf eine betriebliche Sonderzahlung bei Verlegung des Auszahlungstages dieser Zahlung durch den Arbeitgeber
Bundesarbeitsgericht
Urt. v. 09.07.1986, Az.: 8 AZR 155/85
Anspruch eines gekündigten Arbeitnehmers auf eine betriebliche Sonderzahlung bei Verlegung des Auszahlungstages dieser Zahlung durch den Arbeitgeber
BAG, 09.07.1986 - 8 AZR 155/85
Redaktioneller Leitsatz:
Wird von der im Tarifvertrag über betriebliche Sonderzahlungen für die Metallindustrie in Südbaden vom 30.10.1976 eingeräumten Möglichkeit der Regelung des Zeitpunktes der Auszahlung durch Betriebsvereinbarung Gebrauch gemacht, so hat der Arbeitnehmer der nach der Vorverlegung des Auszahlungszeitpunktes am Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis steht, einen Anspruch auf die betriebliche Sonderzahlung.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger für das Jahr 1984 eine tarifliche Sonderzahlung zu leisten.
2
Der Kläger war seit August 1955 bei der Beklagten als Diplomingenieur zu einem Monatsgehalt von zuletzt 4.447,00 DM brutto beschäftigt. Aufgrund eines am 13. Dezember 1983 geschlossenen Aufhebungsvertrages ist er am 30. Juni 1984 bei der Beklagten ausgeschieden. In dem Aufhebungsvertrag ist vermerkt, daß das Arbeitsverhältnis auf Veranlassung der Firma und aus betriebsbedingten Gründen aufgehoben wird.
3
Beide Parteien sind tarifgebunden. In dem auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Tarifvertrag über betriebliche Sonderzahlungen für die Metallindustrie in Südbaden vom 30. Oktober 1976 ist u.a. bestimmt:
"§ 2
1.
Arbeitnehmer, die jeweils am Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen 6 Monate angehört haben, haben je Kalenderjahr einen Anspruch auf betriebliche Sonderzahlungen. Ausgenommen sind die Arbeitnehmer, die zu diesem Zeitpunkt ihr Arbeitsverhältnis gekündigt haben.2.
Die Leistungen werden nach folgender Staffel gezahlt:nach 6 Monaten Betriebszugehörigkeit 20 Prozent
nach 12 Monaten Betriebszugehörigkeit 30 Prozent
nach 24 Monaten Betriebszugehörigkeit 40 Prozent
nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit 50 Prozent
eines Monatsverdienstes.
...........
§ 3 Zeitpunkt
1.
Der Zeitpunkt der Auszahlung wird durch Betriebsvereinbarung geregelt.2.
Falls dieser Zeitpunkt durch Betriebsvereinbarung nicht geregelt ist, gilt als Auszahlungstag im Sinne des § 2, Ziff. 1, der 1. Dezember.In diesem Falle ist es dem Arbeitgeber unbenommen, die Erfüllung der Zahlung vorher durchzuführen.
3.
Über Abschlagszahlungen können Regelungen in die Betriebsvereinbarung aufgenommen werden."
4
Die Geschäftsleitung und der Betriebsrat der Beklagten schlossen am 20. Januar 1984 eine Betriebsvereinbarung über die Auszahlung des tariflichen Urlaubsgeldes und der tariflichen Sonderzahlung. Hierin heißt es wörtlich:
"Geschäftsleitung und Betriebsrat haben heute vereinbart, daß die Auszahlung des tariflichen Urlaubsgeldes und der tariflichen Sonderzahlung (Weihnachtsgeld) einmalig in 1984 mit der Januar-Lohn- und Gehaltsabrechnung für Mitarbeiter, die im ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen, vorgenommen wird.
Die tarifliche Sonderzahlung basiert auf dem Januar-Lohn/Gehalt, ohne Überstunden. Im November wird die Sonderzahlung neu berechnet. Daraus sich ergebende Abweichungen werden ausgeglichen.
Bei Mitarbeitern, die im Laufe des Jahres 1984 ausscheiden, wird das Urlaubsgeld sowie die Sonderzahlung nach den tariflichen Bestimmungen zurückgefordert."
5
Die Beklagte zahlte an den Kläger für 1984 keine tarifliche Sonderzahlung.
6
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe die Sonderzahlung nach § 2 Abs. 1 des Tarifvertrages zu, da er zu dem durch die Betriebsvereinbarung bestimmten Auszahlungszeitpunkt noch im Arbeitsverhältnis zu der Beklagten gestanden habe. Er habe daher Anspruch auf 50 % eines Monatsverdienstes für Januar 1984.
7
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.223,50 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
8
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Sonderzahlung, da er am 1. Dezember 1984 nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten gestanden habe. Durch die Betriebsvereinbarung vom 20. Januar 1984 sei der Auszahlungszeitpunkt nicht in den Januar 1984 vorverlegt worden. Es sei vielmehr nur die Erfüllung vorgezogen worden, um eine günstigere Behandlung der Sonderzahlung bei den Sozialversicherungsbeiträgen zu erreichen.
9
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
10
Die Revision ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Sonderzahlung für 1984.
11
I.
Nach § 2 des Tarifvertrages über betriebliche Sonderzahlungen in der Eisen- und Metallindustrie in Südbaden besteht der Anspruch auf die Sonderzahlung dann, wenn der Arbeitnehmer am Auszahlungstag dem Betrieb mehr als sechs Monate ununterbrochen angehört. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger.
12
II.
Das Landesarbeitsgericht ist der Begründung in dem arbeitsgerichtlichen Urteil gefolgt und hat angenommen, der Kläger erfülle die Anspruchsvoraussetzungen für die Sonderzahlung nicht, da er am Auszahlungstage nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten gestanden habe. Auszahlungszeitpunkt sei nach dem Tarifvertrag der 1. Dezember. Durch die Betriebsvereinbarung vom 20. Januar 1984 sei dieser Auszahlungszeitpunkt nicht geändert worden.
13
III.
Dieser Auslegung kann nicht gefolgt werden.
14
Betriebsvereinbarungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wie Gesetze auszulegen (BAG 27, 187 = AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG 1972 Auslegung). Dabei ist maßgeblich auf den in der Betriebsvereinbarung selbst zum Ausdruck gelangten Willen der Betriebspartner abzustellen.
15
1.
In dem Betrieb der Beklagten galt nach § 3 Nr. 2 Satz 1 des Tarifvertrages bis einschließlich 1983 der 1. Dezember als Auszahlungstag für die Sonderzuwendung. Von der in § 3 Nr. 1 des Tarifvertrages vorgesehenen Möglichkeit, den Zeitpunkt der Auszahlung durch Betriebsvereinbarung zu regeln, hatten die Betriebspartner bis dahin keinen Gebrauch gemacht. Mit der Betriebsvereinbarung vom 20. Januar 1984 wurde für das Jahr 1984 eine andere Regelung getroffen. In ihr ist festgelegt, daß die Auszahlung der tariflichen Sonderzahlung mit der Januar-Lohn- und Gehaltsabrechnung erfolgt. Nach dem Wortlaut der Betriebsvereinbarung ist damit der Auszahlungszeitpunkt für die Sonderzuwendung 1984 auf den Tag vorverlegt, an dem der Januarlohn bzw. das Januargehalt ausgezahlt wird.
16
2.
Entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung ist auch davon auszugehen, daß die Betriebspartner den Auszahlungstag in den Januar 1984 vorverlegen wollten. Hierdurch ergaben sich für den Arbeitgeber und die Arbeitnehmer finanzielle Vorteile. Aufgrund einer Änderung des Sozialversicherungsrechts wären bei Auszahlung der Sonderzuwendung ab Februar 1984 die von Arbeitgeber und Arbeitnehmer abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge ab einer bestimmten Höhe der Zuwendung höher ausgefallen als nach bisherigem Recht. Aus diesem Grunde haben, wie gerichtsbekannt ist, viele Betriebe den Auszahlungszeitpunkt der Sonderzahlung vorverlegt, um die Sozialversicherungsbeiträge niedriger zu halten. Nur dadurch, daß der Auszahlungszeitpunkt in den Januar 1984 verlegt wurde und den Arbeitnehmern die Sonderzuwendung vor dem 1. Februar 1984 zufloß, konnten diese finanziellen Vorteile erreicht werden.
17
3.
Absatz 2 und Absatz 3 der Betriebsvereinbarung stehen dieser Auslegung nicht entgegen.
18
a)
Nach Absatz 2 der Betriebsvereinbarung basiert die tarifliche Sonderzahlung auf dem Januar-Lohn/Gehalt. Hierdurch haben die Betriebspartner den Berechnungszeitraum für die vorverlegte Auszahlung festgelegt. Sie haben weiter bestimmt, daß die Sonderzahlung im November neu berechnet und sich daraus ergebende Abweichungen ausgeglichen werden sollen.
19
Hieraus ist, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, nicht zu folgern, daß es sich bei der Auszahlung im Januar um eine bloße Abschlagszahlung auf eine später vorzunehmende Auszahlung handeln sollte. Nach § 3 Nr. 3 des Tarifvertrages über tarifliche Sonderzahlungen können in eine Betriebsvereinbarung zwar Regelungen über Abschlagszahlungen aufgenommen werden. Von einer Abschlagszahlung ist in der Betriebsvereinbarung vom 20. Januar 1984 aber nicht die Rede. Bei einer Abschlagszahlung wird in der Regel ein bestimmter Nettobetrag als Vorschuß auf einen später aus einem Bruttolohnbetrag zu errechnenden Nettolohnbetrag gezahlt. Vorliegend wurde die Sonderzuwendung jedoch nach dem Januar-Lohn/Gehalt berechnet und voll ausgezahlt. Mit der für November 1984 vorgesehenen Neuberechnung sollte sichergestellt werden, daß im Falle zwischenzeitlicher Erhöhung des Tariflohns die Sonderzahlung für 1984 nicht niedriger ausfiel, als wenn es auch für dieses Jahr bei dem bisher betriebsüblichen Auszahlungszeitpunkt geblieben wäre.
20
b)
Absatz 3 der Betriebsvereinbarung spricht ebenfalls nicht gegen die Vorverlegung des Auszahlungszeitpunktes. Dort ist bestimmt, daß von Mitarbeitern, die im Laufe des Jahres 1984 ausscheiden, die Sonderzahlung nach den tariflichen Bestimmungen zurückgefordert wird. Auch aus dieser Regelung folgt, daß der Auszahlungszeitpunkt vorverlegt worden ist. Die Benennung der im Jahr 1984 bereits im Januar gewährten Leistungen als "Sonderzahlung" bzw. "Urlaubsgeld" läßt erkennen, daß es sich nicht um Zahlungen vor Fälligkeit handeln sollte. Ob die Rückforderungsklausel wirksam war oder ob ihr unter dem Gesichtspunkt des § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG und des § 77 Abs. 3 BetrVG rechtliche Bedenken entgegenstehen, bedarf keiner Entscheidung, da die Wirksamkeit der übrigen Absätze der Betriebsvereinbarung davon nicht abhängt (vgl. Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 77 Rz 30).
21
Nach alledem ist davon auszugehen, daß die Betriebspartner den Auszahlungszeitpunkt für die Sonderzahlung 1984 in den Januar dieses Jahres vorverlegt haben.
22
IV.
Da der Kläger am Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten stand, hat er Anspruch auf die betriebliche Sonderzahlung.
23
1.
Die Ausnahmevorschrift in § 2 Ziff. 1 Satz 2 des Tarifvertrages, wonach die Arbeitnehmer ausgenommen sind, die zu diesem Zeitpunkt ihr Arbeitsverhältnis gekündigt haben, greift im Falle des Klägers nicht ein. Die Parteien hatten zwar zum Auszahlungszeitpunkt bereits die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses mit Wirkung zum 30. Juni 1984 beschlossen. Der Aufhebungsvertrag ist aber einer durch den Arbeitnehmer ausgesprochenen Kündigung nicht gleichzusetzen. Aus Ziff. 1 des Aufhebungsvertrages vom 13. Dezember 1983 geht hervor, daß der Aufhebungsvertrag auf Veranlassung der Beklagten und aus betriebsbedingten Gründen geschlossen worden ist. In einem solchen Fall ist die einverständliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses allenfalls einer vom Arbeitgeber erklärten ordentlichen Kündigung gleichzusetzen (vgl. hierzu BAG Urteil vom 18. Mai 1983 - 5 AZR 133/81 - AP Nr. 115 zu § 611 BGB Gratifikation).
Michels-Holl
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