Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Die Inhalte des Bereichs „Fachwissen SV“ geben Ihnen kostenlos Auskunft zu allen Themen der Sozialversicherung. Sie sind ein exklusives Angebot für eingeloggte Nutzer.
Jetzt einloggen:
Sie sind noch nicht registriert?
Vorstellungskosten
Vorstellungskosten
Inhaltsübersicht
- 1.
- 2.
- 3.
- 4.
- 5.
- 6.Rechtsprechungs-ABC
- 6.1
- 6.2
- 6.3
- 6.4
- 6.5
- 6.6
- 6.7
- 6.8
- 6.9
- 6.10
- 6.11
- 6.12
- 6.13
- 6.14
- 6.15
- 6.16
- 6.17
- 6.18
- 6.19
- 6.20
- 6.21
- 6.22
- 6.23
- 6.24
- 6.25
- 6.26
- 6.27
- 6.28
- 6.29
- 6.30
- 6.31
- 6.32
- 6.33
- 6.34
- 6.35
- 6.36
- 6.37
- 6.38
- 6.39
- 6.40
- 6.41
- 6.42
- 6.43
- 6.44
- 6.45
Information
1. Allgemeines
Der Wettbewerb um einen neuen Arbeitsplatz ist nicht kostenlos. Die Interessenten haben bisweilen einen recht hohen Aufwand, wenn es um ihre Bewerbung geht. Das fängt bei den Zeugniskopien für die Bewerbungsmappe an und geht über das Versandporto bis hin zu den Ausgaben für die persönliche Vorstellung an einem vielleicht weit entfernten Ort. Natürlich werden diese Kosten zunächst im eigenen Interesse des Bewerbers verursacht. Er will ja einen neuen Job. Es kann aber auch passieren, dass der Arbeitgeber dafür zur Kasse gebeten wird.
Praxistipp:
Wer als Arbeitgeber keine Vorstellungskosten übernehmen und tragen möchte, sollte das gleich mit der Einladung zum Vorstellungsgespräch klar machen. Erfolgt die Einladung schriftlich, sollte die Einladung eine darauf zielende Aussage enthalten. Erfolgt die Einladung mündlich, empfiehlt sich eine schriftliche Bestätigung des Termins mit dem deutlichen Hinweis darauf, dass etwaige Vorstellungskosten nicht erstattet werden.
Soweit der Arbeitgeber keine Vorstellungskosten erstattet, gehen sie zu Lasten des Bewerbers. Aufwendungen, die zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen dienen, sind allerdings so genannte Werbungskosten i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG. Dazu gehören auch die Bewerbungs- und Vorstellungskosten. Sie werden zwar einkommensmindernd berücksichtigt, im Ergebnis aber nicht 1 : 1 erstattet. Soweit keine höheren Werbungskosten nachgewiesen werden, kann steuerrechtlich nur der Arbeitnehmer-Pauschbetrag von 920 EUR nach § 9a Satz 1 Nr. 1 EStG angesetzt werden.
2. Rechtliche Grundlagen
Es gibt keine konkrete gesetzliche Regelung der Frage, welche Bewerbungskosten in welcher Höhe zu erstatten sind. Dieses Problem kann damit einzelvertraglich oder kollektivrechtlich geregelt werden. Fordert der Arbeitgeber den Bewerber zur Vorstellung auf, heißt es zunächst nach § 662 BGB:
"Durch die Annahme des Auftrags verpflichtet sich der Beauftragte, ein ihm vom Auftraggeber übertragenes Geschäft für diesen unentgeltlich zu besorgen".
Ansonsten hilft nur der Aufwendungsersatz nach § 670 BGB: "Macht der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auftrags Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, so ist der Auftraggeber zum Ersatze verpflichtet."
Praxistipp:
Es kommt für den Aufwendungsersatzanspruch des Bewerbers nicht darauf an, ob später tatsächlich ein Arbeitsvertrag geschlossen wird. Entscheidend ist, dass er sich im Anschluss an eine Aufforderung des Arbeitgebers vorstellt.
Bis zur Vorstellung beim zukünftigen Arbeitgeber ist der Bewerber sozusagen in eigener Sache tätig. Er trägt also die bis dahin entstehenden Bewerbungskosten selbst. Es sei denn, der interessierte Arbeitgeber verlangt für die Bewerbung etwas Besonderes von ihm, das dann über § 670 BGB zu ersetzen wäre.
Die Kosten der Vorstellung sind dagegen über § 670 BGB erstattungsfähig. Dabei ist es unerheblich, ob im Nachhinein tatsächlich ein Arbeitsverhältnis zustande kommt. Ein Anspruch nach § 670 BGB setzt allerdings voraus, dass der Bewerber vom Arbeitgeber zur Vorstellung aufgefordert wurde. Wer ohne weitere Veranlassung einfach "morgens auf der Matte steht", kann nicht mit Aufwendungsersatz rechnen. Das Gleiche gilt für Bewerber, die den Arbeitgeber mit einer Vorschlagskarte der Arbeitsagentur aufsuchen oder "mal eben wegen Ihrer Anzeige" vorbeikommen. Interessant ist auch die Variante, dass der Arbeitnehmer in seinem Bewerbungsschreiben selbst um ein Vorstellungsgespräch bittet und sich dazu anbietet. Dann nimmt der Arbeitgeber lediglich dieses Angebot mit der weiteren Folge an, dass in diesem Fall kein Anspruch auf Kostenerstattung entsteht.
3. Ausschluss von Erstattungsansprüchen
Der Erstattungsanspruch des Bewerbers gehört nicht in die Kategorie des strikten Rechts. § 670 BGB kann abbedungen werden. Wenn der Arbeitgeber den Anspruch des Bewerbers auf Erstattung von Vorstellungskosten ausschließen will, muss er das vor dessen Vorstellung tun - und zwar eindeutig.
Praxistipp:
Wer die Vorstellungskosten als Arbeitgeber nicht übernehmen will, sollte das am besten sofort in seiner Stellenannonce klar machen. Zum Beispiel mit dem Satz "Vorstellungs- und Reisekosten des Bewerbers/der Bewerberin werden, auch wenn die Vorstellung auf unsere Veranlassung hin erfolgt, nicht erstattet."
Eine weitere Chance, die Kostenerstattung abzulehnen, bietet das Einladungsschreiben: "Abschließend weisen wir darauf hin, dass wir Ihre Vorstellungskosten nicht übernehmen werden und Sie die Aufwendungen für die Teilnahme an dem Vorstellungsgespräch selbst tragen müssen." Ob man sich und seinem Unternehmen damit eine gute Visitenkarte ausstellt, mag jeder für sich selbst entscheiden.
Es reicht für den Ausschluss der Erstattung von Vorstellungskosten nicht aus, wenn der Arbeitgeber den Bewerber
nur auf die Möglichkeit hinweist, sich vorzustellen, oder
ihn bittet, zu einem unverbindlichen Gespräch vorbeizukommen.
Auch in diesen beiden Fällen geht die Initiative vom Arbeitgeber aus. Der Kostenerstattungsanspruch ist ausgeschlossen, wenn
der Bewerber nach seiner fachlichen und persönlichen Qualifikation für die angebotene Stelle gar nicht in Frage kommt oder
er sich den Vorstellungstermin durch Vortäuschen der erforderlichen Qualifikation erschlichen hat.
Zwischen den Extremen des vollen Ersatzes aller Vorstellungskosten und der Totalverweigerung gibt es auch noch einen Mittelweg: So kann man beispielsweise die Erstattung der Reisekosten auf ein Zweite-Klasse-Ticket beschränken und Verpflegungskosten pauschal nach den steuerrechtlichen Vorschriften abrechnen. Unter Berücksichtigung der vollen Abdingbarkeit des § 670 BGB sind hier viele Möglichkeiten denkbar. Was man in der Praxis allerdings auch berücksichtigen sollte: In vielen Fällen werden die Ansprüche gar nicht geltend gemacht...
4. Umfang der Vorstellungskosten
Wenn die Ersatzfähigkeit der Vorstellungskosten nicht ausgeschlossen oder beschränkt ist, ergibt sich ihr Umfang durch Auslegung der gesetzlichen Regelung. Es muss sich um Aufwendungen handeln, die der Beauftragte nach den Umständen für erforderlich halten durfte, § 670 BGB. Im Einzelnen können Kosten geltend gemacht werden für:
Fahrt
Übernachtung
Verdienstausfall (aber nur bei ausdrücklicher Zusage)
Verpflegung
Zeitaufwand (aber auch nur bei ausdrücklicher Zusage)
Grundsätzlich ist immer im Einzelfall zu entscheiden, ob die Kosten wirklich notwendig und angemessen waren.
Beispiel:
Interessent I bewirbt sich bei einem der großen Hamburger Magazine als Redakteur. Er wird zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Um den Start in der Hansestadt gleich gebührend vorzubereiten, fährt I von München aus mit dem ICE erster Klasse, mietet sich im Hotel Vier Jahreszeiten ein, lässt sich mit dem Taxi durch die Stadt chauffieren und verpflegt sich nur über die ersten Adressen aus dem Reiseführer. Aus dem Job wurde zwar nichts, aber die "Vorstellungskosten" von 2.300 EUR möchte er schon gern vom Verlag zurückhaben.
Das Magazin kann hier zu Recht den Rotstift ansetzen und Überlegungen anstellen, welche Aufwendungen I hier nach den Umständen denn tatsächlich für erforderlich halten durfte. Sicherlich musste er nach Hamburg reisen, dort essen und übernachten und sich innerhalb der Stadt bewegen. Dazu wäre eine Fahrt 2. Klasse Intercity, Mittelklassehotel und S-Bahn angemessen gewesen. Kurz kann man sagen: Der Bewerber soll sich auf Kosten des zukünftigen Arbeitgebers keinen schönen Tag machen, sondern sich vorstellen. Und nur die damit verbundenen notwendigen Auslagen sind erstattungsfähig.
Höhe und Art der zu erstattenden Vorstellungskosten richten sich auch vielfach nach der Qualität der ausgeschriebenen Stelle. Hätte das Hamburger Magazin in dem voraufgehenden Fall beispielsweise einen neuen Chefredakteur gesucht, brauchte man wahrscheinlich über die Angemessenheit von ICE, Taxi und 1st-Class-Hotel nicht weiter nachzudenken...
Benutzt der Bewerber sein privates Auto, darf er die Pkw-Benutzung nach den tatsächlich entstandenen Kosten abrechnen. Das ist im Einzelfall recht schwierig zu dokumentieren und so hat es sich in der Praxis durchgesetzt, mit der km-Pauschale des Steuerrechts - zurzeit 0,30 EUR pro gefahrenen Kilometer - zu arbeiten.
Praxistipp:
Der bisherige Arbeitgeber muss seinem Mitarbeiter im Fall des § 629 BGB nach einer Kündigung "auf Verlangen angemessene Zeit zum Aufsuchen eines anderen Dienstverhältnisses" gewähren. Außerhalb gekündigter Arbeitsverhältnisse besteht grundsätzlich kein Anspruch auf bezahlte oder unbezahlte Freistellung von der Arbeit. Der Arbeitnehmer kann für seinen Vorstellungstermin Urlaub nehmen. Der Arbeitgeber, der zur Vorstellung eingeladen hat, ist ohne besondere Vereinbarung nicht verpflichtet, etwaige Entgeltausfälle des Bewerbers zu tragen.
Die Arbeitsagentur kann für Arbeitslose, von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeit- und Ausbildungssuchende Bewerbungs- und Reisekosten als als Förderung aus dem Vermittlungsbudget übernehmen (§§ 44 ff. SGB III).
5. Verjährung u.a.
Der Anspruch auf Erstattung von Vorstellungskosten verjährt nach § 195 BGB innerhalb von drei Jahren (s. dazu das Stichwort Verjährung). Die Erstattung ist als Aufwandsentschädigung nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar.
6. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema Vorstellungskosten in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet hinterlegt:
6.1 Ablehnung wg. HIV-Infektion
Da hatte der potenzielle Arbeitgeber – die Berliner Feuerwehr – einen Bewerber abgelehnt, weil dessen (auch bei allen anderen Bewerbern durchgeführter) HIV-Test positiv war. Dem Bewerber wurde sogar amtlich mitgeteilt, dass er wegen des positiven HIV-Tests "dauerhaft feuerwehrdienstuntauglich" sei. Das missfiel dem abgelehnten Bewerber – und er verklagte das Land Berlin auf Schmerzensgeld, d.h. auf eine Entschädigung wegen immaterieller Schäden. Mit Erfolg. Das VG Berlin hat ihm eine AGG-Entschädigung von 2.500 EUR zugesprochen. Nach entsprechender Darlegung eines Sachverständigen ging das Gericht davon aus, dass HIV-positive Menschen, die sich in einer funktionierenden Therapie befänden, den Virus nicht mehr übertragen können und auch deren Leistungsfähigkeit prognostisch nicht eingeschränkt sei (VG Berlin, 23.09.2022 - 5 K 322/18).
6.2 AGG-Hopping
Es gibt Zeitgenossen, die sich gezielt auf AGG-widrige Stellenangebote bewerben und dann nach ihrer Ablehnung versuchen, den diskriminierenden Arbeitgeber mit horrenden Entschädigungsforderungen abzuzocken. Ein älterer, promovierter Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei, der sich auf eine mit "als Berufsanfänger oder Kollegen mit 1-3 Jahren Berufserfahrung" annoncierte Stelle bewarb und abgelehnt wurde, verlangte vom Arbeitgeber 60.000 EUR AGG-Entschädigung - aber ohne Erfolg. Zum einen hatte er sich schon vorher auf ähnliche Angebote beworben, in Wirklichkeit gar nicht die Absicht, die Stelle anzutreten, nicht mal die Anforderungen erfüllt und sich zudem mit einem kaum aussagekräftigen Schreiben beworben. Sein Entschädigungsverlangen war unter diesen Umständen so rechtsmissbräuchlich, dass die Frage, ob die Stellenausschreibung eine Diskriminierung enthalten habe, sogar offen bleiben konnte (LAG Berlin-Brandenburg, 31.10.2013 - 21 Sa 1380/13).
6.3 Auskunftsanspruch bei Ablehnung? - 1
Wer sich beworben und vorgestellt, den Job dann aber doch nicht bekommen hat, möchte gerne wissen, warum. Der EuGH sagt dazu: "Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/43/EG ... , Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG ... und Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG ... sind dahin auszulegen, dass sie für einen Arbeitnehmer, der schlüssig darlegt, dass er die einer Stellenausschreibung genannten Voraussetzungen erfüllt, und dessen Bewerbung nicht berücksichtigt wurde, keinen Anspruch auf Auskunft darüber vorsehen, ob der Arbeitgeber am Ende des Einstellungsverfahrens einen anderen Bewerber eingestellt hat".
"Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Verweigerung jedes Zugangs zu Informationen durch einen Beklagten ein Gesichtspunkt sein kann, der im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, heranzuziehen ist. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu prüfen, ob dies im Ausgangsverfahren der Fall ist" (EuGH, 19.04.2012 - C-415/10 - Leitsätze - Deutschland).
6.4 Auskunftsanspruch bei Ablehnung? - 2
Eine AGG-widrige Benachteiligung kann nicht allein deswegen vermutet werden, weil der Arbeitgeber ein standardisiertes Ablehnungsschreiben verwendet. Es gibt für den Arbeitgeber keine Verpflichtung, individuell auf die jeweilige Bewerbung einzugehen oder die Absage sachlich zu begründen. Grundsätzlich braucht der Arbeitgeber dem abgelehnten Bewerber auch keine Informationen darüber zu geben, welchen Bewerber er eingestellt hat und welche Kriterien dafür maßgebend waren.
"Nach der Rechtsprechung des EuGH ist von diesem Grundsatz nur dann eine Ausnahme zu machen, wenn eine Verweigerung von Informationen durch den Arbeitgeber die 'Verwirklichung der mit den Richtlinien 2000/43, 2000/78 und 2006/54 verfolgen Zielen zu beeinträchtigen droht'. Dies kann nur dann der Fall sein, wenn der abgelehnte Bewerber, dem grundsätzlich die Darlegungslast für die behauptete Benachteiligung wegen eines 'verpönten Merkmals' obliegt .., zumindest schlüssig darlegt, dass und warum es ihm durch die vom Arbeitgeber verweigerte Information unmöglich gemacht oder zumindest unzumutbar erschwert wird, Tatsachen gemäß § 22 AGG darzulegen, die eine unzulässige Benachteiligung vermuten lassen, oder warum die Verweigerung der Auskunft ein Indiz i.S.d. § 22 AGG für eine unzulässige Benachteiligung darstellt" (BAG, 25.04.2013 - 8 AZR 287/08 - unter Bezugnahme auf EuGH, 19.04.2012 - C-415/10).
6.5 Bewerber
"1. Bewerber iSv. § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG ist, wer eine Bewerbung beim Arbeitgeber eingereicht hat. Eingereicht ist eine Bewerbung dann, wenn sie dem Arbeitgeber zugegangen ist iSv. § 130 BGB. 2. Verstößt der öffentliche Arbeitgeber gegen seine Verpflichtung aus § 82 Satz 2 SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (aF), einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, kann dies lediglich die - vom Arbeitgeber widerlegbare - Vermutung iSv. § 22 AGG begründen, dass der erfolglose Bewerber die unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG wegen seiner (Schwer)Behinderung erfahren hat" (BAG, 23.01.2020 – 8 AZR 484/18 – Leitsätze).
6.6 Bewerbungsverfahrensanspruch
"1. Nach der Wertung des § 839 Abs. 3 BGB kann ein zu Unrecht abgelehnter Stellenbewerber einen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes grundsätzlich nur dann erfolgreich auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, wenn er sich im Vorfeld der Stellenbesetzung bemüht hat, seine Rechte aus Art. 33 Abs. 2 GG durch die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes zu wahren und dadurch den Eintritt des Schadens abzuwenden. 2. Zur Sicherung ihres Bewerbungsverfahrensanspruchs ist eine mittellose Partei nicht gehalten, auf eigene Kosten ein Eilverfahren zu betreiben, um dem Arbeitgeber die Besetzung der Stelle gerichtlich untersagen zu lassen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist die Durchführung eines Prozesskostenhilfeverfahrens, an das sich für den Fall, dass das Gericht Prozesskostenhilfe gewährt, ein Eilverfahren anschließt. 3. Lehnt das Arbeitsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab, obliegt es dem Bewerber im Regelfall, die Entscheidung im Wege der sofortigen Beschwerde anzufechten" (BAG, 27.07.2021 – 9 AZR 326/20 – Leitsätze).
6.7 Darlegungs- und Beweislast - 1
"Den öffentlichen Arbeitgeber trifft in einem Prozess die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der/die schwerbehinderte Bewerber/in offensichtlich fachlich ungeeignet i.S.v. § 82 Satz 3 SGB IX ist. Der öffentliche Arbeitgeber muss aber bereits im Verlauf des Auswahlverfahrens prüfen und entscheiden können, ob er einen schwerbehinderten Menschen zu einem Vorstellungsgespräch einladen muss oder ob er nach § 82 Satz 3 SGB IX von der Verpflichtung zur Einladung befreit ist. Diese Prüfung und Entscheidung muss der/die schwerbehinderte Bewerber/in dem öffentlichen Arbeitgeber durch entsprechende Angaben zu seinem/ihrem fachlichen Leistungsprofil in der Bewerbung bzw. den beigefügten Bewerbungsunterlagen ermöglichen. Kommt der/die Bewerber/in dieser Mitwirkungspflicht nicht ausreichend nach, geht dies regelmäßig zu seinen/ihren Lasten. Auch in einem solchen Fall besteht für den öffentlichen Arbeitgeber regelmäßig keine Verpflichtung, den schwerbehinderten Menschen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen" (BAG, 11.08.2016 - 8 AZR 375/15 - Leitsätze).
6.8 Darlegungs- und Beweislast - 2
Das Gesetz sieht in § 22 AGG für Diskriminierungsfälle eine besondere Beweislastregelung vor: "Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelehen hat." Und trotzdem gilt für Schwerbehinderte: "Der objektive Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, kann die Vermutung der Benachteiligung eines erfolglosen schwerbehinderten Bewerbers wegen der Schwerbehinderung nach § 22 AGG regelmäßig nur begründen, wenn der Bewerber den Arbeitgeber rechtzeitig über seine Schwerbehinderung in Kenntnis gesetzt hat" (BAG, 17.12.2020 - 8 AZR 171/20 - Leitsatz).
6.9 Darlegungs- und Beweislast - 3
Nicht jeder Bewerber meldet sich mit seiner Bewerbung tatsächlich auf die zu besetzende Stelle. Es gibt Zeitgenossen, die sich nur deswegen auf ein Stellenangebot melden, um abgelehnt zu werden und nach ihrer Ablehnung eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG einzufordern. Alter, ethnische Herkunft, Geschlecht und Rasse sind beliebte AGG-Merkmale, die auf den ersten Blick eine AGG-widrige (un)mittelbare Benachteiligung eines abgelehnten Bewerbers vermuten lassen können (s. dazu die Beweislastregel in § 22 AGG). Wendet der Arbeitgeber dann abwehrend Rechtsmissbrauch ein, ist er derjenige, der für das Vorliegen der den Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG ausschließenden Tatsachen - Annahme eines Rechtsmissbrauchs - die Darlegungs- und Beweislast trägt (BAG, 31.03.2022 – 8 AZR 238/21 – mit Hinweis auf BAG, 25.10.2018 – 8 AZR 562/16).
6.10 Entschädigung - 1
§ 82 Satz 2 SGB IX sagt für öffentliche Arbeitgeber: "Haben schwerbehinderte Menschen sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur für Arbeit oder einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen". Passiert das nicht, gilt: "1. Einstellungsbewerber werden im Sinne des § 7 Abs. 1 AGG benachteiligt, wenn ein öffentlicher Arbeitgeber ihnen die in § 82 Satz 2 SGB IX angeordnete Besserstellung gegenüber nicht schwerbehinderten Bewerberinnen und Bewerbern durch Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vorenthält, obwohl ihnen im Sinne von § 82 Satz 3 SGB IX die fachliche Eignung nicht offensichtlich fehlt" (BVerwG, 03.03.2011 - 5 C 16.10 - mit dem Hinweis, dass die fachliche Eignung anhand des in der Stellenausschreibung oder in der Bewerbungsaufforderung bekannt gemachten Anforderungsprofils festzustellen ist).
6.11 Entschädigung - 2
Die Entschädigungsklage eines abgelehnten 1956 geborenen Bewerbers auf eines Stellenanzeige, mit der zwei Mitarbeiter "im Alter zwischen 25 und 35 Jahren" gesucht wurden, kann nicht allein mit der Begründung abgelent werden, ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG komme schon deswegen nicht in Frage, weil der suchende Arbeitgeber nach den Stellenannoncen gar keinen neuen Mitarbeiter eingestellt hat. Für die Feststellung eines Entschädigungsanspruchs ist allerdings von Bedeutung, ob der die Entschädigung verlangende Bewerber für die ausgeschriebene Stelle objektiv geeignet war und seine Einstellung nur wegen des Alters unterblieben ist (BAG, 23.08.2012 - 8 AZR 285/11).
6.12 Entschädigung - 3
Der Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen die Verpflichtung aus § 82 Satz 2 SGB IX, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch zu laden, kann grundsätzlich als Indiz für die Benachteiligung des Schwerbehinderten wegen seiner Behinderung gewertet werden, wenn seine Bewerbung erfolglos gewesen ist. Bemerkt der Arbeitgeber seinen Fehler, wird ein möglicher Kausalzusammenhang zwischen der den Bewerber benachteiligenden Behandlung - Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch und Ablehnung - und dem Merkmal "Behinderung" allein durch eine nachträgliche Einladung zum Vorstellungsgespräch nicht beseitigt. "Besteht eine .. Vermutung für die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat" (BAG, 22.08.2013 - 8 AZR 563/12).
6.13 Entschädigung - 4
Ein Anspruch auf Entschädigung wegen einer AGG-widrigen Diskriminierung als (Schwer)Behinderter scheidet aus, wenn der Arbeitgeber von der Behinderung überhaupt nichts wusste. Dann kann die angebliche Benachteiligung schon nicht wegen einer Behinderung erfolgt sein. Wenn der Arbeitgeber keine Kenntnis von der (Schwer)Behinderung des Bewerbers hat und dessen (Schwer)Behinderung auch bei einer persönlichen Begegnung nicht offenkundig wird, hat der Bewerber den Arbeitgeber darüber zu informieren. Das tun nicht betriebsangehörige Bewerber im Bewerbungsschreiben und sollten darin auch den Grad der Behinderung oder ihre Gleichstellung mitteilen. Wird die Information im Lebenslauf hinterlegt, muss sie deutlich hervorgehoben werden (BAG, 26.09.2013 - 8 AZR 650/12 - mit dem weiteren Hinweis, dass der Bewerber den Lebenslauf in diesem Fall ausdrücklich zum Inhalt seines Bewerbungsschreibens machen muss).
6.14 Entschädigung - 5
Macht der Arbeitnehmer einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG geltend, setzt das einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG voraus. Für die Voraussetzungen des Entschädigungsanspruchs ist auf § 15 Abs. 1 AGG zurückzugreifen, da § 15 Abs. 2 AGG nur eine Rechtsfolgenregelung enthält. Das verlangt schon der systematische Zusammenhang der anzuwendenden Normen. Ist die objektive Nichteignung des abgelehnten Bewerbers für die ausgeschriebene Stelle offensichtlich, spielt es keine Rolle, wer dafür die Beweislast trägt. Auch wenn der Arbeitgeber diesen Bewerber nicht zu einem Vorstellungsgespräch einlädt, scheidet eine unmittelbare oder mittelbare Diskrimierung wegen eines AGG-Merkmals aus (BAG, 14.11.2013 - 8 AZR 997/12 - mit dem Hinweis, dass die offensichtliche Ungeeignetheit der Bejahung eines Entschädigungsanspruchs entgegensteht).
6.15 Entschädigung - 6
Ein Unternehmen, das Volontariatsstellen bei der "taz.die tageszeitung" finanzierte, hatte eine Volontär-Stelle ausdrücklich für Frauen mit Migrationshintergrund ausgeschrieben. Bewerbungen von Männern wurden von vornherein abgeleht. Ein zurückgewiesener Bewerber machte gegenüber dem Unternehmen seine AGG-Ansprüche wegen Benachteiligung geltend - und bekam ebenso Recht wie drei Monatsgehälter Entschädigung. Für seine Schlechterstellung gab es keinen sachlichen Grund. Sie erfolgte allein wegen des Geschlechtsmerkmals Mann. Und da es um eine Volontärstelle ging, konnte die geschlechtsspezifische Ausschreibung auch nicht mit dem Motiv, den Anteil von Frauen in Führungspositionen erhöhen zu wollen, gerechtfertigt werden (ArbG Berlin, 05.06.2014 - 42 Ca 1530/14).
6.16 Entschädigung - 7
Wird eine Stellenbewerberin wegen ihres vermeintlichen Übergewichts abgelehnt, ist das kein Tatbestand, der AGG-Entschädigungsansprüche auslöst. Übergewicht ist keins der in § 1 AGG genannten Diskriminierungsmerkmale und - zumindest in diesem Fall - auch keine Behinderung i.S.d. § 1 AGG. Da das Gericht nicht feststellen konnte, dass die Ablehnung allein wegen des Übergewichts erfolgte, kam auch kein Schadensersatz- oder Schmerzensgeldanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Betracht. Neben den Besonderheiten des Falls (Arbeitgeber war ein gemeinnütziger Verein mit dem Zweck Gesundheitsförderung) bestand für den Arbeitgeber keine Rechtspflicht, Einstellungsentscheidungen so zu treffen, dass er dabei das äußere Erscheinungsbild des Bewerbers völlig ausblendet (ArbG Darmstadt, 12.06.2014 - 6 Ca 22/13).
6.17 Entschädigung - 8
Der vereinfachte Fall: Lehrerin L bewarb sich um eine Stelle als Grundschullehrerin in Berlin. § 2 des Berliner Neutralitätsgesetzes verbietet Lehrkräften an öffentlichen Schulen, religiös geprägte Kleidungsstücke zu tragen. L trug bei ihrer Bewerbung ein muslimisches Kopftuch - und wurde deswegen als Bewerberin abgelehnt. Ihre Entschädigungsklage wies das ArbG Berlin zurück.
Das Gericht sah keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Berliner Neutralitätsgesetz. Dieses Gesetz gilt für alle Religionen und behandelt alle Religionen gleich - für berufsbildende Schulen lässt es sogar Ausnahmen zu. Damit hat L die Chance, sich dort als Lehrerin zu bewerben und als Lehrerin tätig zu sein. Das beklagte Land hat sich nur an das Neutralitätsgesetz gehalten und die Bewerbung zu Recht ablehnen dürfen (ArbG Berlin, 14.04.2016 - 58 Ca 13376/15).
6.18 Entschädigung - 9
"1. Die 'objektive Eignung' des Bewerbers/der Bewerberin ist kein Kriterium der 'vergleichbaren Situation' oder der vergleichbaren Lage i.S.v. § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG und deshalb nicht Voraussetzung für einen Anspruch nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG. 2. Schreibt der Arbeitgeber eine Stelle unter Verstoß gegen § 11 AGG aus, begründet dies die Vermutung i.S.v. § 22 AGG, dass der/die erfolglose Bewerber/in im Auswahlverfahren wegen eines Grundes i.S.v. § 1 AGG benachteiligt wurde. 3. § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG enthält einen formalen Bewerberbegriff. Auf die 'subjektive Ernsthaftigkeit' der Bewerbung kommt es nicht an" (BAG, 19.05.2016 - 8 AZR 470/14 - Leitsätze).
6.19 Entschädigung - 10
Der Arbeitgeber läuft bei einer Bewerberauswahl schnell Gefahr, sich AGG-widrig zu verhalten. Das kann selbst durch ein Verhalten passieren, das allenfalls auf eine mittelbare Diskriminierung schließen lässt - zum Beispiel mit der Stellenanzeige "Junior Sachbearbeiter Kreditorenbuchhaltung (m/w)" gesucht. Natürlich kann eine mittelbare Diskriminierung ausgeschlossen werden, beispielsweise in Fällen, in denen "Vorschriften, Kriterien oder Verfahren ... durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel .. zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich" sind (§ 3 Abs. 2 Halbs. 2 AGG). Für den Prozess gilt: "Die Darlegungs- und Beweislast für die die Rechtfertigung i.S.v. § 3 Abs. 2 Halbs. 2 AGG begründenden Tatsachen trägt der Arbeitgeber" (BAG, 15.12.2016 - 8 AZR 454/15 - Leitsatz).
6.20 Entschädigung - 11
Die 2-monatige Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG beginnt - soweit hier fallbezogen - bei einer Bewerbung "mit dem Zugang der Ablehnung". "Eine 'Ablehnung durch den Arbeitgeber' i.S.v. § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG setzt eine auf den Beschäftigten bezogene ausdrückliche oder konkludente Erklärung des Arbeitgebers voraus, aus der sich für den Beschäftigten aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers eindeutig ergibt, dass seine Bewerbung keine Aussicht (mehr) auf Erfolg hat. Ein Schweigen oder sonstiges Untätigbleiben des Arbeitgebers reicht grundsätzlich nicht aus, um die Frist des § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG in Lauf zu setzen" (BAG, 29.06.2017 - 8 AZR 402/15 - Leitsätze).
6.21 Entschädigung - 12
Die hier vorgestellte Entscheidung betrifft zwar nicht das Thema Erstattung von Vorstellungskosten, zeigt aber einige wichtige Grundsätze für das Ethos von Religionsgemeinschaften auf. Was war passiert? Nun, ein Werk der Evangelischen Kirche Deutschlands suchte - grob skizziert - einen Referenten für UN-Menschenrechtsfragen. In der Stellenanzeige stand u.a.: "Bitte geben Sie Ihre Konfession im Lebenslauf an." Die konfessionslose Klägerin K bewarb sich - bekam jedoch eine Absage und klagte deswegen erfolgreich eine Entschädigung wegen eines AGG-Verstoßes ein.
Der Arbeitgeber hat K wegen ihrer (Nicht)Religion AGG-widrig benachteiligt. Diese Benachteiligung ließ sich über § 9 AGG nicht neutralisieren. Er lässt eine unterschiedliche Behandlung wegen des AGG-Merkmals Religion nur zu, "wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach Art der Tätigkeit eine gerechtfertigteberufliche Anforderung darstellt." In K's Fall bestand keine wahrscheinliche und erhebliche Gefahr für das Ethos des Arbeitgebers - K wäre in dessen Meinungsbildungsprozess einbezogen gewesen und hätte nicht unabhängig handeln können (BAG, 25.10.2018 - 8 AZR 501/14).
6.22 Entschädigung - 13
"Die besondere Pflicht nach § 82 Satz 2 SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (aF)" (= § 165 Satz 3 SGB IX n.F.), "schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, trifft nur öffentliche Arbeitgeber iSv. § 71 Abs. 3 SGB IX aF" (= § 154 Abs. 2 SGB IX n.F.). "Hierzu zählt nach § 71 Abs. 3 Nr. 4 SGB IX aF auch jede sonstige Körperschaft, Anstalt und Stiftung des öffentlichen Rechts. Die besondere rechtliche Stellung der Körperschaft des öffentlichen Rechts iSv. § 71 Abs. 3 Nr. 4 SGB IX aF setzt einen entsprechenden staatlichen Hoheitsakt, nämlich die Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts voraus" (BAG, 16.05.2019 - 8 AZR 315/18 - Leitsätze).
6.23 Entschädigung - 14
Die gesetzliche Pflicht, schwerbehinderte oder gleichgestellte Arbeitnehmer zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, trifft nur öffentliche Arbeitgeber (heute: § 165 Satz 3 SGB IX, in diesem Fall noch § 82 Satz 2 SGB IX a.F.). Das ist auch bei internen Stellenausschreibungen so. Nur: Was gilt, wenn der Arbeitgeber zwei gleiche Stellen, die eine für Standort A, die andere für Standort B, ausschreibt? Muss er dann einen schwerbehinderten/gleichgestellten Bewerber zu zwei Vorstellungsgesprächen einladen? Das BAG meint nein – vorausgesetzt, der Arbeitgeber hat den Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch wegen der Stellenbesetzung am Standort A mit identischem Anforderungsprofil eingeladen, die Auswahlkommission war auch mit einem Vertreter des Standorts B besetzt und das Auswahlverfahren ist für beide Standorte nach identischen Kriterien durchgeführt worden (BAG, 25.06.2020 – 8 AZR 75/19 – mit dem Ergebnis: kein Entschädigungsanspruch des für den Standort B nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladenen Bewerbers gem. § 15 Abs. 2 AGG).
6.24 Entschädigung - 15
Der vereinfachte Fall: Arbeitgeber A, eine Krankenkasse, bot eine Stelle als "Mitarbeiter DRG-Abrechnung mit Qualitätssicherung (m/w)" an. Bewerber B wies in seiner Bewerbung deutlich auf seine Schwerbehinderung hin – wurde trotzdem nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Von der ursprünglich geforderten Entschädigung – zuletzt: 9.846,00 EUR – bekam B letztinstanzlich 5.100,00 EUR zugesprochen. Das Berufungsgericht hatte die Entschädigung mit 1.000,00 EUR zu gering angesetzt. "Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG hat eine Doppelfunktion. Sie dient einerseits der vollen Schadenskompensation und andererseits der Prävention, wobei jeweils der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist" (BAG, 28.05.2020 – 8 AZR 170/19 – 1. Leitsatz).
6.25 Entschädigung - 16
"Bei der Bestimmung der angemessenen Entschädigung für den erlittenen immateriellen Schaden nach § 15 Abs. 2 AGG steht den Tatsachengerichten nach § 287 Abs. 1 ZPO ein weiter Ermessensspielraum zu. Die Festsetzung der angemessenen Entschädigung durch das Tatsachengericht unterliegt infolgedessen nur einer eingeschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle. Das Revisionsgericht kann lediglich überprüfen, ob das Berufungsgericht die Rechtsnorm zutreffend ausgelegt, ein Ermessen ausgeübt, die Ermessensgrenze nicht überschritten hat und ob es von seinem Ermessen einen fehlerfreien Gebrauch gemacht hat, indem es sich mit allen für die Bemessung der Entschädigung maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und nicht von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen" (BAG, 28.05.2020 – 8 AZR 170/19 – 2. Leitsatz).
6.26 Entschädigung - 17
Wie das mit Briefen so ist … - am Ende streitet man sich sogar darüber, ob ein Schreiben den Empfänger überhaupt erreicht hat. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB gibt vor: "Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht." Was bedeutet das für ein Einladungsschreiben, mit dem der öffentliche Arbeitgeber seine Pflicht aus § 165 Satz 3 SGB IX erfüllen will? Es muss zu gehen. Mit der weiteren Folge für die AGG-Entschädigung: "Der Umstand, dass eine schriftliche Einladung zu einem Vorstellungsgespräch der sich bewerbenden schwerbehinderten oder gleichgestellten Person nicht entsprechend § 130 BGB zugegangen ist, kann die Kausalitätsvermutung nach § 22 AGG nur dann begründen, wenn der Arbeitgeber nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um einen ordnungsgemäßen und fristgerechten Zugang der Einladung zu bewirken" (BAG, 01.07.2021 – 8 AZR 297/20 – Leitsatz).
6.27 Ersatzfähigkeit
Ersatzfähige Ausgaben sind alle Aufwendungen, die der Bewerber den Umständen nach für erforderlich halten durfte. Das können beispielsweise die Fahrtkosten oder Mehrkosten für Übernachtung und Verpflegung sein (LAG Nürnberg, 25.07.1995 - 2 Sa 73/94 - mit dem Hinweis, dass es ausreicht, dass sich der Bewerber mit Wissen und Wollen des Arbeitgebers vorstellt).
6.28 Fahrtkosten
Grundsätzlich gehören zu den erstattungsfähigen Vorstellungskosten auch die Fahrtkosten, die durch Benutzung des eigenen Pkws entstehen. Sie können, wenn es keine abweichende Vereinbarung zwischen den Parteien gibt, nach den einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften für Dienstreisen abgerechnet werden (LAG Frankfurt a.M., 06.08.1980 - 10 Sa 849/79).
6.29 Fingierte Testbewerbung
Abgelehnte Bewerber kommen bisweilen auf die Idee, eine Testbewerbung zu fingieren, um damit eine mögliche AGG-Diskriminierung (hier: wegen des Merkmals Alter) aufzudecken und eine Entschädigungsforderung gegen den ablehnenden Arbeitgeber durchzusetzen. Vom Grundsatz her sind solche fingierten Bewerbungen nicht zu beanstanden. Sie müssen allerdings a) einen Auslöser haben, b) die Strafgesetze beachten und dürfen c) nicht rechtsmissbräuchlich erfolgen. Hat der Arbeitgeber bei der Bewerberauswahl nach Kriterien, die im Arbeitsleben üblicherweise Bedeutung haben (hier: aktuelle Praxiserfahrung) einen Spielraum, ist kein Platz für die Annahme einer Diskriminierungsvermutung (LAG Schleswig-Holstein, 09.04.2014 - 3 Sa 401/13).
6.30 Gendersternchen
"1. Die Verwendung des Gendersternchens in einer Stellenausschreibung diskriminiert mehrgeschlechtlich geborene Menschen nicht. 2. Ziel des Gendersternchens ist es, niemanden zu diskriminieren und die Vielfalt der Geschlechter deutlich zu machen. 3. Die Verwendung der Formulierung 'schwerbehinderte Bewerber*innen' an Stelle der Formulierung 'schwerbehinderte Menschen' stellt keine Diskriminierung wegen des Geschlechts dar" (LAG Schleswig-Holstein, 22.06.2021 - 3 Sa 37öD/21 - Leitsätze).
6.31 Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft
Bewirbt sich ein schwerbehinderter Arbeitnehmer auf eine Stelle und will er dabei seine SGB IX-Rechte sichern, muss er dem Arbeitgeber seine Schwerbehinderteneigenschaft bereits im Bewerbungsschreiben mitteilen. Es genügt nicht, der Bewerbung nur eine Kopie des Schwerbehindertenausweises beizufügen. Bewirbt sich der Schwerbehinderte bei einem Arbeitgeber für mehrere Stellen, muss jede Bewerbung den Hinweis auf die Schwerbehinderung enthalten. Unauffällige Informationen oder eine in den weiteren Bewerbungsunterlagen eingeheftete Schwerbehindertenausweiskopie sind keine ausreichende Information des angestrebten Arbeitgebers (BAG, 18.09.2014 - 8 AZR 759/13 - mit dem Hinweis, dass es in der Entscheidung des schwerbehinderten Menschen liegt, ob er seine Schwerbehinderung bei der Bewerbung nach SGB IX berücksichtigt haben möchte).
6.32 Rechtsmissbrauch - 1
Das Entschädigungsverlangen nach § 15 Abs. 2 AGG kann dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sein. Dies ist der Fall, sofern der Kläger/die Klägerin sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihm/ihr darum gegangen ist, nur den formalen Status als Bewerber/in i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen" (BAG, 11.08.2016 - 8 AZR 4/15 - Leitsatz).
6.33 Rechtsmissbrauch - 2
Das Gesetz gibt abgelehnten – und dabei benachteiligten – Bewerbern mit § 15 Abs. 2 AGG die Möglichkeit, wegen eines Schadens, der kein Vermögensschaden ist, eine Entschädigung zu verlangen. Für tatsächlich AGG-widrig Benachteiligte sicherlich eine daseinsberechtigte Anspruchsgrundlage. Wie viele Rechte kann aber auch das Recht aus § 15 Abs. 2 AGG missbraucht werden. Wer sich nur deswegen bewirbt, damit er einen Entschädigungsanspruch konstruieren kann, handelt missbräuchlich. Durch unredliches Verhalten begründete oder erworbene Rechte oder Rechtsstellungen sind nach § 242 BGB nicht schutzwürdig. Der Arbeitgeber kann dem Bewerber in diesem Fall den Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegenhalten (BAG, 31.03.2022 – 8 AZR 238/21 – mit Hinweis auf BAG, 25.10.2018 – 8 AZR 562/16 – und BAG, 17.03.2016 – 8 AZR 677/14).
6.34 Rechtsmissbrauch - 3
Das Entschädigungsverlangen eines abgelehnten Bewerbers kann dem durchgreifenden Einwand eines Rechtsmissbrauchs ausgesetzt sein. Ein Rechtsmissbrauch lässt sich aus dem gesamten zu würdigenden Verhalten des Bewerbers, angefangen von seinem Bewerbungsschreiben, seiner weiteren Korrespondenz und seinem Gebaren im Vorstellungsgespräch, mit Blick auf den Inhalt der Stellenausschreibung folgern. Legt er es darauf an, eine Absage zu provozieren, geht es ihm bloß darum, mit seiner Bewerbung nicht die Stelle, sondern nur die Voraussetzungen für die Zahlung einer AGG-Entschädigung zu schaffen, ist das – wenn keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen – ein Fall rechtsmissbräuchlichen Verhaltens. Und dieses rechtsmissbräuchliche Verhalten schließt dann eine AGG-Entschädigung aus (BAG, 31.03.2022 – 8 AZR 238/21).
6.35 Schadensersatz
"Nach Beendigung des Auswahlverfahrens und verbindlicher Stellenbesetzung können dem unterlegenen Bewerber Schadensersatzansprüche nach § 280 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 33 Abs. 2 GG zustehen. Diese setzen voraus, dass der öffentliche Arbeitgeber bei fehlerfreier Auswahl nach den Grundsätzen des Art. 33 Abs. 2 GG dem unterlegenen Bewerber das Amt hätte übertragen müssen. Die Art des vom Bewerber praktizierten Führungsstils kann ein geeignetes Auswahlkriterium gem. Art. 33 Abs. 2 GG sein.
Die Berücksichtigung dieses Kriteriums setzt voraus, dass die zu besetzende Stelle mit Personalführungsaufgaben verbunden ist. Der Arbeitgeber bestimmt die Art des Führungsstils, die er von seinen Führungskräften verwirklicht sehen möchte. Er darf bei fachlicher Gleichwertigkeit den Bewerber mit dem bevorzugten (hier: kooperativen) Führungsstil auswählen" (BAG, 19.02.2008 - 9 AZR 70/07 - Leitsätze).
6.36 Scheinbewerber
"Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf und Art. 14 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sind dahin auszulegen, dass eine Situation, in der eine Person mit ihrer Stellenbewerbung nicht die betreffende Stelle erhalten, sondern nur den formalen Status als Bewerber erlangen möchte, und zwar mit dem alleinigen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen, nicht unter den Begriff 'Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit' im Sinne dieser Bestimmungen fällt und, wenn die nach Unionsrecht erforderlichen Tatbestandsmerkmale vorliegen, als Rechtsmissbrauch bewertet werden kann" (EuGH, 28.07.2016 - C-423/15 Leitsatz Deutschland).
6.37 Schwerbehinderte Menschen - 1
Das Gesetz sieht in § 165 SGB IX besondere Pflichten für öffentliche Arbeitgeber vor. Dazu gehört auch die Verpflichtung, einen schwerbehinderten Bewerber zum Vorstellungsgespräch zu laden - mit Verzichtsmöglichkeit? "Die in § 82 Satz 2 SGB IX (in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung) bzw. § 165 Satz 3 SGB IX (in der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung) bestimmte Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers, schwerbehinderte Stellenbewerber/innen zum Vorstellungsgespräch einzuladen, gehört zu den Pflichten des Arbeitgebers, mit denen kein individueller Anspruch bzw. kein individuelles Recht der jeweiligen schwerbehinderten Bewerber/innen auf eine Einladung korrespondiert, auf den bzw. auf das diese rechtswirksam verzichten könnten." (BAG, 26.11.2020 - 8 AZR 59/20 - Leitsatz).
6.38 Schwerbehinderte Menschen - 2
"Soweit sich im öffentlichen Dienst eine Stellenausschreibung insbesondere (auch) an Bewerber/innen außerhalb des öffentlichen Dienstes richtet, es also in erster Linie um eine Ersteinstellung geht, kann der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes grundsätzlich bestimmen, dass die für die ausgeschriebene Stelle erforderliche fachliche Eignung durch eine bestimmte Mindestnote eines zulässig geforderten Ausbildungsabschlusses nachzuweisen ist" (BAG, 29.04.2021 – 8 AZR 279/20 – 1. Leitsatz).
6.39 Schwerbehinderte Menschen - 3
"Erfüllen schwerbehinderte bzw. ihnen gleichgestellte behinderte Menschen nach ihren Bewerbungsunterlagen zweifelsfrei eine zulässig bestimmte und im Anforderungsprofil ausdrücklich und eindeutig bezeichnete fachliche Eignungsanforderung – wie etwa die Absolvierung eines zulässig geforderten Ausbildungsabschlusses mit einer bestimmten Mindestnote – nicht, reicht dies allein nicht aus, um den Arbeitgeber nach § 165 Satz 4 SGB IX von der in § 165 Satz 3 SGB IX bestimmten Verpflichtung zu befreien, den/die Bewerber/in zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Den Arbeitgeber, der in solch einem Fall – gestützt auf § 165 Satz 4 SGB IX – von einer Einladung absehen will, trifft nicht nur die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der/die Bewerber/in fachlich offensichtlich ungeeignet ist, dh., dass das fachliche Leistungsprofil des/der Bewerbers/Bewerberin 'unzweifelhaft' nicht dem (fachlichen) Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle entspricht. Der Arbeitgeber muss auch darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass er andere Bewerber/innen, die ebenso insoweit das Anforderungsprofil nicht erfüllten, weder zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen noch letztlich eingestellt hat" (BAG, 29.04.2021 – 8 AZR 279/20 – 2. Leitsatz).
6.40 Schwerbehinderte Menschen - 4
Verstößt ein öffentlicher Arbeitgeber - hier ein sächsischer Landkreis - gegen Bestimmungen, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten Schwerbehinderter vorsehen, löst das regelmäßig die Vermutungswirkung des § 22 AGG aus. Vermutung i.S.d. § 22 AGG ist die Annahme, dass der schwerbehinderte Bewerber wegen seiner Schwerbehinderung im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren nicht berücksichtigt und damit wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert wurde. Zu den in Frage kommenden Bestimmungen gehört u.a. § 165 Satz 1 SGB IX, der öffentliche Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitsagenturen frühzeitig frei werdende und neu zu besetzende sowie neue geschaffene Arbeitsplätze zu melden. Dazu reicht die Veröffentlichung eines Stellenangebots über die Jobbörse der Bundesagentur allein nicht (BAG, 25.11.2021 - 8 AZR 313/20 - mit dem Ergebnis, dass hier allein die unterlassene Meldung der zu besetzenden Stelle schon die Vermutungswirkung und damit einen Entschädigungsanspruch des schwerbehinderten Bewerbers auslöste).
6.41 Schwerbehinderte Menschen - 5
"1. Nach § 165 Satz 1 SGB IX melden die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit frühzeitig nach einer erfolglosen Prüfung zur internen Besetzung des Arbeitsplatzes frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze. Der Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen diese Verpflichtung ist grundsätzlich geeignet, die Vermutung iSd. § 22 AGG zu begründen, dass der/die erfolglose schwerbehinderte Bewerber/in wegen der Schwerbehinderung benachteiligt wurde. 2. Eine ordnungsgemäße Meldung iSv. § 165 Satz 1 SGB IX setzt die Erteilung eines Vermittlungsauftrags an die nach § 187 Abs. 4 SGB IX bei der Agentur für Arbeit eingerichteten besonderen Stellen zur Durchführung der der Agentur für Arbeit zur Teilhabe behinderter und schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben gesetzlich übertragenen Aufgaben unter Angabe der Daten voraus, die für einen qualifizierten Vermittlungsvorschlag erforderlich sind" (BAG, 25.11.2021 - 8 AZR 313/20 - Leitsätze).
6.42 Ungeeigneter Bewerber
"Den öffentlichen Arbeitgeber trifft in einem Prozess die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der/die schwerbehinderte Bewerber/in offensichtlich fachlich ungeeignet i.S.v. § 82 Satz 3 SGB IX ist. Der öffentliche Arbeitgeber muss aber bereits im Verlauf des Auswahlverfahrens prüfen und entscheiden können, ob er einen schwerbehinderten Menschen zu einem Vorstellungsgespräch einladen muss oder ob er nach § 82 Satz 3 SGB IX von der Verpflichtung zur Einladung befreit ist. Diese Prüfung und Entscheidung muss der/die schwerbehinderte Bewerber/in dem öffentlichen Arbeitgeber durch entsprechende Angaben zu seinem/ihrem fachlichen Leistungsprofil in der Bewerbung bzw. den beigefügten Bewerbungsunterlagen ermöglichen. Kommt der/die Bewerber/in dieser Mitwirkungspflicht nicht ausreichend nach, geht dies regelmäßig zu seinen/ihren Lasten. Auch in einem solchen Fall besteht für den öffentlichen Arbeitgeber regelmäßig keine Verpflichtung, den schwerbehinderten Menschen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen" (BAG, 11.08.2016 - 8 AZR 375/15 - Leitsätze).
6.43 Unternehmensberater
"Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zur Vorstellung aufgefordert, so muss er ihm in aller Regel alle Aufwendungen ersetzen, die der Bewerber den Umständen nach für erforderlich halten durfte; dazu zählen Fahrtkosten (Kilometergeld) und Mehrkosten für Verpflegung und Übernachtung. Ging die Aufforderung zur Vorstellung von einem Unternehmensberater aus, so ist nach den Umständen anzunehmen, dass der Arbeitgeber ihn dazu beauftragt hat, wenn er an dem Vorstellungsgespräch teilnimmt" (BAG, 29.06.1988 - 5 AZR 433/87).
6.44 Verjährung
Die zweijährige Verjährung nach § 196 Abs. 1 Nr. 8 u. 9 BGB (Hinweis: seit dem 01.01.2002 verjähren Forderungen nach Ersatz von Vorstellungskosten innerhalb von drei Jahren, siehe dazu auch das Stichwort Verjährung) tritt auch dann ein, wenn der Bewerber nicht eingestellt wird (BAG, 14.02.1977 - 5 AZR 171/76).
6.45 Vorstellungsgespräch
"1. Nach § 82 Satz 2 SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (aF) hat der öffentliche Arbeitgeber schwerbehinderte Bewerber/innen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Eine Einladung ist nach § 82 Satz 3 SGB IX aF entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. 2. Schwerbehinderte Bewerber sollen durch das in § 82 Satz 2 SGB IX aF genannte Vorstellungsgespräch die Möglichkeit erhalten, ihre Chancen im Auswahlverfahren zu verbessern. Sie sollen die Chance haben, den Arbeitgeber von ihrer fachlichen und persönlichen Eignung zu überzeugen. 3. Der Begriff 'Vorstellungsgespräch' in § 82 Satz 2 SGB IX aF ist dahin auszulegen, dass er - auch bei mehrstufigen Auswahlprozessen - grundsätzlich alle Instrumente des Verfahrens der Personalauswahl unabhängig von ihrer Bezeichnung, der angewandten Methode und der konkreten Durchführungsform erfasst, die nach der eigenen Konzeption des Arbeitgebers erforderlich sind, um sich ein umfassendes Bild von der fachlichen und persönlichen Eignung des Bewerbers zu machen" (BAG, 27.08.2020 – 8 AZR 45/19 – Leitsätze).