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BFH, 02.07.1997 - I R 11/97 - Eröffnung des Konkursverfahrens; Festsetzung von Steuern; Anmeldung von Steuerforderungen; Gewerbesteuermeßbescheid
Bundesfinanzhof
Urt. v. 02.07.1997, Az.: I R 11/97
Eröffnung des Konkursverfahrens; Festsetzung von Steuern; Anmeldung von Steuerforderungen; Gewerbesteuermeßbescheid
Fundstellen:
BFHE 183, 365 - 368
BB 1997, 2573-2574 (Volltext mit amtl. LS)
BFH/NV 1998, 241-242
BStBl II 1998, 428-429 (Volltext mit amtl. LS)
DB 1998, 708 (Volltext mit amtl. LS)
DStRE 1997, 1017-1018 (Volltext mit amtl. LS)
EWiR 1998, 191-192 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
FR 1998, 76-77
HFR 1998, 93-94
INF 1998, 58-59
KFR 1998, 73
KÖSDI 1998, 11389 (Kurzinformation)
KTS 1998, 210
NJW 1998, 630-631 (Volltext mit amtl. LS)
NVwZ 1998, 322 (amtl. Leitsatz)
NWB 1999, 1922
NWB DokSt 1998, 1366
NZG 1998, 159-160
NZI 1998, 135-136
SteuerBriefe 1998, 137
ZIP 1997, 2160-2161 (Volltext mit amtl. LS)
ZKF 1998, 253
BFH, 02.07.1997 - I R 11/97
Amtlicher Leitsatz:
1. Eine Finanzbehörde darf nach Eröffnung des Konkursverfahrens bis zum Prüfungstermin Steuern, die zur Konkurstabelle anzumelden sind, nicht mehr festsetzen.
2. Dies gilt auch für Steuerbescheide - wie z.B. Gewerbesteuermeßbescheide - , in denen ausschließlich Besteuerungsgrundlagen ermittelt und festgestellt werden, die ihrerseits die Höhe von Steuerforderungen beeinflussen, die zur Konkurstabelle anzumelden sind (Änderung der Rechtsprechung).
3. Wird eine angemeldete Steuerforderung im Prüfungstermin bestritten, so ist ein Grundlagen- bzw. Meßbescheid unmittelbar gegenüber dem Konkursverwalter zu erlassen. Ein bereits bei Konkurseröffnung gegen einen Grundlagen- bzw. Meßbescheid anhängiges Einspruchsverfahren kann dann fortgeführt werden.
4. Hat der Gemeinschuldner vor Konkurseröffnung Einspruch gegen einen Gewerbesteuermeßbescheid eingelegt, wird das Einspruchsverfahren gemäß § 240 ZPO mit der Konkurseröffnung unterbrochen.
Tatbestand:
1
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist der Konkursverwalter über das Vermögen der E-GmbH (Gemeinschuldnerin). Der Konkurs wurde am 20.7.1993 eröffnet.
2
Am 29.4.1993 hatte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) gegenüber der Gemeinschuldnerin einen Gewerbesteuermeßbescheid für Zwecke der Vorauszahlungen ab 1993 erlassen. Die Gemeinschuldnerin hatte diesen Bescheid mit Schreiben vom 17.5.1993 unter Hinweis auf einen zu erwartenden Verlust und den negativen Einheitswert zum 1.1.1993 begründet. Das FA wies den Einspruch am 12.11.1993 als unbegründet zurück. Es richtete die Einspruchsentscheidung unmittelbar an den Kläger, ohne ihn vorher an dem Rechtsbehelfsverfahren beteiligt zu haben.
3
Der Kläger erhob am 15.12.1993 Klage, der das Finanzgericht (FG) stattgab. Es hob die Einspruchsentscheidung vom 12.11.1993 auf. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 362 veröffentlicht.
4
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 240 der Zivilprozeßordnung (ZPO).
5
Es beantragt, das Urteil des FG Köln vom 20.9.1996 3 K 6267/93 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
6
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
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1. Die §§ 347 ff. der Abgabenordnung (AO 1977) enthalten keine Regelungen über die Unterbrechung des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens durch Konkurseröffnung. Sie sind insoweit lückenhaft. Die bestehende Gesetzeslücke ist nach allgemein vertretener Auffassung in entsprechender Anwendung des § 240 ZPO zu schließen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10.6.1970 III R 128/67, BFHE 99, 348, BStBl II 1970, 665; vom 10.12.1975 II R 150/67, BFHE 118, 412, BStBl II 1976, 506; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 363 AO 1977 Rdnr. 1; von Wedel in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 363 AO a.F., Rdnrn. 10, 17; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 363 Anm. 1; Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 9. Aufl., § 363 Rdnr. 11).
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2. In analoger Anwendung des § 240 ZPO wird ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren bis zur Aufhebung des Konkursverfahrens oder bis zu seiner Aufnahme durch den Konkursverwalter unterbrochen, wenn es die Konkursmasse betrifft. Zu diesen Tatbestandsvoraussetzungen hat das FG den Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 FGO), daß das im Streitfalle interessierende außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren einen Gewerbesteuermeßbescheid betrifft, der vor Konkurseröffnung gegen die Gemeinschuldnerin erging und von dieser angefochten wurde. Der angefochtene Gewerbesteuermeßbescheid beinhaltete die Feststellung einer Besteuerungsgrundlage für Zwecke der Erhebung von Gewerbesteuervorauszahlungen gegenüber der Gemeinschuldnerin ab 1993. Er ist Grundlagenbescheid für einen von der zuständigen Gemeinde zu erlassenden Gewerbesteuervorauszahlungsbescheid. Insoweit bezieht er sich - wenn auch nur mittelbar - auf einen gegen die Gemeinschuldnerin gerichteten vermögensrechtlichen Anspruch und damit auf das der Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen der Gemeinschuldnerin. Die mittelbare Auswirkung auf das Vermögen der Gemeinschuldnerin reicht aus, um die Konkursmasse i.S. des § 240 ZPO als betroffen anzusehen (vgl. Entscheidung des Reichsgerichts vom 24.11.1899 II 216/99, RGZ 45, 374; Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.11.1953 VI ZR 203/52; Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 146 KO Nr. 4; Zöller/Greger, Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., § 240 Rdnr. 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 55. Aufl., § 240 Anm. 11; Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 20. Aufl., § 240 Rdnr. 4). Betrifft aber der angefochtene Gewerbesteuermeßbescheid die Konkursmasse, so schreibt § 240 ZPO die Unterbrechung als Rechtsfolge zwingend vor.
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3. Soweit der Senat in seinen Urteilen vom 17.7.1985 I R 117/84 (BFHE 144, 198, BStBl II 1985, 650) und vom 8.10.1986 I R 155/84 (BFH/NV 1987, 564) teilweise eine andere Auffassung vertreten hat, hält er daran nicht länger fest. Nach Eröffnung des Konkursverfahrens darf die Finanzbehörde bis zum Prüfungstermin Steuern, die zur Konkurstabelle anzumelden sind, nicht mehr festsetzen. Ein trotzdem erlassener, mit einem Leistungsgebot versehener Steuerbescheid ist grundsätzlich unwirksam. Dies gilt auch für Steuerbescheide - wie z.B. Gewerbesteuermeßbescheide-, in denen Besteuerungsgrundlagen ausschließlich zu dem Zweck ermittelt und festgestellt werden, um Steuerforderungen zur Konkurstabelle anmelden zu können. Wird eine angemeldete Steuerforderung im Prüfungstermin bestritten, so ist sie im Regelfall durch Bescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO 1977 festzustellen. Dieses Verfahren führt jedoch dann zu einer Verschiebung sachlicher Zuständigkeiten, wenn das steuerliche Verfahrensrecht die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen in einem Grundlagenbescheid oder in einem Meßbescheid zwingend vorschreibt. Um die an sich sinnvolle Zuständigkeitsverteilung zu erhalten, hat die Rechtsprechung schon bisher zugelassen, daß ausnahmsweise noch nach Konkurseröffnung Grundlagen- bzw. Meßbescheide erlassen werden. Ein entsprechendes Interesse besteht jedoch nur dann, wenn die angemeldete Forderung bestritten wird. Vor einem Bestreiten im Prüfungstermin reicht es aus, wenn die anmeldende Finanzbehörde über die Besteuerungsgrundlage durch das Feststellungs-FA informiert wird, um die anzumeldende Forderung berechnen zu können.
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Ist ein Grundlagenbescheid bereits vor Konkurseröffnung ergangen und vom Gemeinschuldner angefochten worden, so darf die Rechtsfolge des § 240 ZPO nicht außer Acht gelassen werden. Es ist der Sinn der Vorschrift, sicherzustellen, daß die anzumeldenden Forderungen im Interesse der Konkursmasse im Prüfungstermin bestritten werden können. Dieses Ziel kann nicht erreicht werden, wenn den Finanzbehörden die Befugnis eingeräumt wird, Grundlagenbescheide außerhalb des Konkursverfahrens zu erlassen. Deshalb tritt nach § 240 ZPO für alle anhängigen Verfahren ein Stillstand ein. Das FA kann das in § 141 KO vorgeschriebene Prüfungsverfahren nicht dadurch unterlaufen, daß es die Besteuerungsgrundlagen gesondert feststellt oder über den vom Gemeinschuldner eingelegten Einspruch gegenüber dem Konkursverwalter entscheidet. Es darf erst dann einen Grundlagenbescheid bzw. eine Einspruchsentscheidung erlassen, wenn der Konkursverwalter die auf der festgestellten bzw. festzustellenden Besteuerungsgrundlage beruhende Steuerforderung bestreitet. Dies entspricht der in § 146 KO geregelten Möglichkeit der Aufnahme des Verfahrens.
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4. Für den Streitfall gilt nichts anderes. Es ist ungeklärt, ob die zuständige Gemeinde einen Vorauszahlungsbescheid für Gewerbesteuer 1993 erlassen und die entsprechende Forderung zur Konkurstabelle angemeldet hat. Es ist ferner ungeklärt, ob der Kläger die angemeldete Forderung bestritten hat. Sollte die Forderung angemeldet und die Anmeldung vom Kläger nicht bestritten worden sein, würde für den Erlaß der Einspruchsentscheidung kein Rechtsschutzbedürfnis mehr bestehen. Es reicht deshalb aus, den Erlaß einer solchen nur dann als zulässig anzusehen, wenn es zwischen dem Kläger und der zuständigen Gemeinde zu einem Streit über das Bestehen einer Konkursforderung kommen sollte.