Hirndoping am Arbeitsplatz: Risiken und Alternativen

Neuroenhancement (Hirndoping) bezeichnet die Einnahme von Substanzen, um Konzentration und Leistungsfähigkeit zu steigern, auch im Arbeitsalltag. Gründe dafür sind vor allem Zeitdruck oder Überlastung. Die Risiken und Folgen für die Gesundheit und damit für die tatsächliche Leistungsfähigkeit sind hoch. Mit Aufklärung, gesunden Arbeitsbedingungen und Alternativen können Unternehmen vorbeugen.

Leistungssteigernde Mittel

Aufmerksamkeit, Gedächtnisleistung, Wachheit, Stimmung: Mit Neuroenhancement lässt sich das alles steigern. Vor allem am Arbeitsplatz nimmt die Einnahme von Substanzen zu: 70 Prozent der Deutschen greifen dafür zu unterschiedlichen Mitteln, am häufigsten sind koffeinhaltige Getränke und Nahrungsergänzungspräparate. Gründe sind zumeist Leistungsdruck, Zeitmangel oder der Rhythmus der Arbeitszeit. Oft fehlt es an ausreichender Erholung und gesunden Bewältigungsstrategien. Schnelle Hilfsmittel erscheinen dann als einfache Lösung, um kurzfristig leistungsfähig zu bleiben.

 

Formen und Substanzen

Die Bandbreite an Neuroenhancern reicht von koffeinhaltigen Drinks bis zu verschreibungspflichtigen Substanzen. Frei verfügbar sind zum Beispiel hochdosiertes Koffein, Energydrinks und Nikotinprodukte sowie pflanzliche Stimulanzien und Nahrungsergänzungsmittel. Menschen greifen jedoch auch zu Medikamenten wie Methylphenidat, Amphetaminderivaten, Modafinil oder Betablockern, die bei ADHS, Narkolepsie oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen verschrieben werden. Wichtig ist die Abgrenzung zu medizinisch notwendiger Behandlung: Wer Medikamente aufgrund einer Erkrankung mit ärztlicher Verordnung einnimmt, betreibt kein Hirndoping.

 

Thema Cannabis

Auch gesellschaftliche Entwicklungen spielen eine Rolle: „Die Legalisierung von Cannabis könnte dazu führen, dass Menschen zunächst legale Substanzen nutzen, bevor sie zu illegalen greifen. Manche nutzen Cannabis bereits zur Stressreduktion oder um Kreativität zu fördern“, so Dr. Sebastian Sattler von der Universität Bielefeld.

Warum wird gedopt?

Der Soziologe weist darauf hin, dass die Ursachen für Hirndoping oft auch in der Organisation der Arbeit liegen: „Wenn Menschen das Gefühl haben, dass Anforderungen dauerhaft die vorhandenen Ressourcen übersteigen, steigt das Risiko für riskante Konsumstrategien.“ Häufige Gründe für Neuroenhancement sind darum:

  • Kurzfristige Mehrbelastung
  • Zeitlichem Druck besser gewachsen sein
  • Müdigkeit und Schlafdefizite ausgleichen
  • Schichtarbeit besser überstehen
  • Mithalten mit Kolleginnen und Kollegen
  • Druck aus Angst vor Fehlern oder Versagen kompensieren
  • Konsum der Substanzen im persönlichen Umfeld
  • Moralische Offenheit für Neuroenhancement

 

Effekte können variieren

„Nur weil in Medien oder Foren von Hirndoping die Rede ist, heißt das nicht, dass alle Menschen davon profitieren“, erklärt Sattler, der 2024 die größte repräsentative Studie zu Neuroenhancement in Deutschland veröffentlicht hat. „Effekte hängen stark von der Ausgangsleistung, von genetischen Faktoren und von der verwendeten Substanz ab. Es ist durchaus möglich, dass eine kognitive Funktion verbessert wird, während eine andere gleichzeitig schlechter wird oder auch gar kein gewünschter Effekt eintritt.“

 

Frühwarnzeichen erkennen

Führungskräfte können Anzeichen dafür, dass jemand leistungssteigernde Substanzen missbräuchlich nutzt, erkennen. „Zum Beispiel daran, dass jemand ständig über sehr wenig Schlaf berichtet, aber dennoch dauerhaft überdurchschnittlich leistungsfähig wirkt “, sagt Sattler. „Ein Anzeichen kann auch sein, dass jemand Informationen über Substanzen zum Besten gibt und von deren Wirkung stark überzeugt ist.“

Vorbeugen im Unternehmen

Das wirksamste Gegenmittel gegen riskantes Neuroenhancement liegt Sattler zufolge in den Strukturen und der Kultur eines Unternehmens sowie Aufklärung: „Eine gesunde Arbeitskultur, die das Wohlbefinden über die reine Produktivität stellt, ist einer der wirksamsten Schritte. Dazu gehören angemessene Arbeitszeiten, regelmäßige Pausen und Offenheit, wenn Anforderungen die vorhandenen Ressourcen übersteigen.“ Um riskantem Hirndoping effektiv vorzubeugen, empfiehlt der Experte:

Fünf Impulse für die Praxis

  1. Aufklärung starten: kurze Intranet-Infos oder Workshop-Reihe zu Risiken und Alternativen, niedrigschwellige Anlaufstellen schaffen
  2. Pausenkultur stärken: zwei Kurzpausen pro Halbtag verbindlich machen, Erholungsräume schaffen und gesunde Snacks (Obst, Nüsse, Wasser) in Pausenräumen und Besprechungen bereitstellen
  3. Führungskräfte schulen: Schulungen zu realistischen Erwartungen, Zeit- und Stressmanagement; Pausen vorleben und keine stillschweigende Anerkennung für Selbstausbeutung
  4. Gefährdungsbeurteilung erweitern: psychische Belastungen und Substanzgebrauch systematisch bei der betriebsinternen Beurteilung berücksichtigen
  5. Positive Fehlerkultur: Offene, konstruktive Kommunikation, die Druck reduziert und Anreize für Substanzgebrauch minimiert

Risiken und Wirkungen

Kurzfristig wirken viele Substanzen anregend: gesteigerte Aufmerksamkeit, höhere Belastbarkeit, mehr Durchhaltevermögen. „Jedoch bergen viele Substanzen auch Nebenwirkungen wie Herz-Kreislauf-Probleme oder Suchtgefahr“, so Sebastian Sattler. „Besonders problematisch wird es, wenn Menschen Nebenwirkungen ignorieren, Risiken bewusst kleinreden bis hin dazu, dass sie sich Substanzen illegal beschaffen.“ Besonders riskant sei Mischkonsum, da Wirkungen und Nebenwirkungen kaum kalkulierbar sind.

Problematische Folgen von Hirndoping

  • Nebenwirkungen: Herz-Kreislauf-Belastung, Schlafstörungen, Nervosität, Angst, Stimmungsschwankungen
  • Langfristige Folgen: Abhängigkeit, Toleranzentwicklung, körperliche und psychische Schäden
  • Arbeitsrisiken: Unfallgefahr, erhöhte Fehlerquote, nachlassende Qualität durch Erschöpfung

Kaffee kann kritisch sein

Auch alltägliche Mittel wie Kaffee fallen unter Neuroenhancement. „Die Empfehlungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit helfen hier weiter“, erklärt der Experte. „Einzeldosen bis drei Milligramm Koffein pro Kilogramm Körpergewicht – rund 200 Milligramm – gelten als unbedenklich. Über den Tag verteilt sind bis zu 400 Milligramm Koffein für gesunde Erwachsene noch im Rahmen.“ Das entspricht etwa 3,5 bis fünf Tassen Kaffee oder bis zu sieben Tassen Espresso. Idealerweise sollte man mindestens sechs Stunden vor dem Schlafengehen die letzte Tasse trinken.

Gesunde Alternativen

Nachhaltige Leistungsfähigkeit entsteht durch gesunde Strukturen, nicht durch Substanzen. „Aufklärung zu gesunden, nicht-substanzgebundenen Formen der Leistungssteigerung ist zentral“, sagt der Experte. „Dazu zählen Informationen zu Schlaf, Bewegung, Meditation, gesunder Ernährung – aber auch Angebote zu Resilienztraining und Strategien zum Umgang mit Belastungen.“

Besser als Hirndoping

  • Schlaf und Pausen: feste Ruhezeiten, klare Pausenstandards
  • Bewegung und Ernährung: kurze Aktivpausen, gesunde Snacks, stabile Energie statt Zucker- oder Koffeinspitzen
  • Arbeitsorganisation: Fokuszeiten, realistische Zielplanung, Prioritäten setzen
  • Stressbewältigung und Resilienz: Achtsamkeit, Meditation, Trainingsangebote

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Erstellt am: 15.10.2025

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