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Gesundheitsmagazin

Achtsamkeit

Achtsamkeit für Kinder

Veröffentlicht am:26.10.2020

5 Minuten Lesedauer

Aktualisiert am: 09.01.2023

Von Unruhe bis zu depressiven Symptomen: Bereits auf die Kleinen wirkt sich alltäglicher Stress negativ aus. Der Kinder- und Jugendpsychiater Professor Michael Schulte-Markwort erklärt, wie die Wahrnehmung der eigenen Bedürfnisse helfen kann.

Achtsamer Junge liegt auf einer Wiese.

© iStock / Vesnaandjic

Michael Schulte-Markwort, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in der Praxis „Paidion – Heilkunde für Kinderseelen“

© Nina Grützmacher

Aufstehen, zur Schule gehen, Hausaufgaben machen und danach zum Sport oder zum Musikunterricht. Zwischendrin bleibt für vielleicht etwas Zeit für Freizeit und Freunde.  Der Tagesablauf mancher Kinder ist durchgetakteter als der von Managern. Prof. Dr. med. Michael Schulte-Markwort, ärztlicher Direktor der Marzipanfabrik sowie Supervisor der Praxis Paidion in Hamburg, steht dem skeptisch gegenüber. Im Interview verrät er, welche Folgen fehlende Achtsamkeit hat und wie Kinder lernen können, wieder mehr auf ihre Bedürfnisse zu hören.

Was bedeutet Achtsamkeit für Kinder?

Der Wechsel in eine neue Kita-Gruppe. Ein Berg an Hausaufgaben, der nach dem Schultag wartet. Prüfungen, die über die Abschlussnote entscheiden – Stress beginnt nicht erst im Erwachsenenalter. Immer mehr Kinder und Jugendliche fühlen sich im Alltag stark unter Druck gesetzt und überfordert. Dadurch leidet ihr seelisches und körperliches Wohlbefinden.

Einige Kinder können schlechter schlafen, andere bekommen Hautausschlag oder müssen gegen Versagensängste ankämpfen. Doch mithilfe von Achtsamkeitsübungen können Groß und Klein lernen, ihre Bedürfnisse besser wahrzunehmen, ausgeglichener zu werden und so die auf ihren Schultern gefühlte Last zu reduzieren. Das Gute: Es braucht dafür meist nur ein paar Minuten pro Tag und eine gemütliche Umgebung.

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Welche Situationen können für Kinder belastend sein?

Auch wenn Stress meist als unangenehm empfunden wird, besitzt er auch eine nützliche Seite. „Strukturen und Anforderungen, die einen anspornen und bei der Bewältigung wichtiger Aufgaben helfen, sind zunächst einmal gut. Erst wenn diese Anforderungen zu groß werden, entsteht negativer Stress“, erklärt Professor Michael Schulte-Markwort.

Der Facharzt für Kinder-und Jugendpsychiatrie und -psychosomatik weiß aus seiner Berufserfahrung, dass ein zu hoher Leistungsanspruch nicht immer nur vonseiten der Eltern oder der Lehrkräfte erfolgt. Einige Schüler sind perfektionistisch veranlagt und haben hohe Ansprüche an sich selbst.

„Sie sind von innen heraus so motiviert, dass sie gar nicht aufhören können und sich selbst einem enormen Leistungsdruck aussetzen“, sagt Professor Schulte-Markwort. Doch nicht nur wachsende Herausforderungen können belastend für Kinder sein. Auch Langeweile oder Leerlauf können für innere Unruhe sorgen. Was soll ich mit der freien Zeit anfangen? Habe ich etwas vergessen oder nicht gut genug erledigt? Solche Gedanken können Stress verursachen.

„Achtsamkeit lehrt einen, sich selbst ernst zu nehmen.“

Professor Michael Schulte-Markwort
Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychosomatik

Welche Folgen hat fehlende Achtsamkeit?

Einigen Kindern und Jugendlichen fällt es einfach schwer, sich überhaupt zu entspannen. Dabei ist nicht immer sofort erkennbar, ob zu hohe Anspannung der Grund dafür ist. „Jeder reagiert mit anderen Symptomen. Das können zum Beispiel Kopf- oder Bauchweh sein oder zu wenig oder gar zu viel Appetit. Bei einigen Kindern kann Stress dazu führen, dass sie erschöpfungsdepressiv werden“, sagt Professor Schulte-Markwort. „Die möglichen Folgen sind so vielfältig wie die menschliche Seele. Es gibt nicht das eine Symptom, das für alle zutrifft und den Stress direkt erkennen lässt.“

Schon bevor die Last übermächtig wird und sich äußerlich oder innerlich manifestiert, kann der große und kleine Nachwuchs lernen, achtsamer mit sich zu sein. So nehmen Kinder ihre Bedürfnisse und Grenzen besser wahr, können stressresistenter werden. „Achtsamkeit gilt der Psychohygiene und lehrt einen, sich selbst ernst zu nehmen. Ein wichtiger Effekt ist zunächst die Konzentration auf sich selbst, die Wahrnehmung und Sensibilisierung des eigenen Körpers. Und damit automatisch mehr Aufmerksamkeit für den Zusammenhang von Körper und Seele“, erklärt der Experte.

Für die Kinder bedeutet das ein Erfolgserlebnis: Wenn sie achtsam mit sich umgehen, zum Beispiel ihre Atem- und Körperübungen machen, merken sie, dass sie sich wohler und ausgeglichener fühlen. Langfristig können sie sogar leistungsstärker werden – und das, ohne negativen Druck zu empfinden.

Wie erlernen Kinder Achtsamkeit?

Doch nicht jedes Kind schafft es, längere Zeit innezuhalten und sich auf sich selbst zu konzentrieren. Wie Achtsamkeit erlebt werden kann, hängt vom Alter, von der Persönlichkeit und vor allem davon ab, woran das Kind Spaß hat.

„Für die Jüngeren sind spielerische Aspekte wichtig. Vorschulkinder können zum Beispiel tief einatmen und die Luft auf unterschiedliche Weise wieder auspusten. Schnell, langsam, sogar laut oder leise“, sagt der Kinder-und Jugendpsychiater. Das vermittelt ihnen ein Gefühl dafür, wie ihr Körper reagiert und wozu er imstande ist. Aber auch, womit sie sich gut fühlen. Je älter die Mädchen und Jungen werden, desto leichter fällt es ihnen, sich auf Traumreisen zu begeben und in sich hineinzuhorchen.

Achtsames Mädchen guckt verträumt im Himmel.

© iStock / Suzi Media Production

Achtsamkeit hilft Kindern, die Ruhe im Park zu genießen.

Der Experte empfiehlt: „Eltern sollten gemeinsam mit ihrem Kind ausprobieren, welche Übung ihm gefällt, und können das immer dem Alter anpassen. Es ist sehr wichtig, dass Achtsamkeit und Entspannung nicht unter Druck erfolgen, sonst ist es Stress.“ Unterstützend kann eine entspannte Atmosphäre wirken, etwa eine warme Umgebung, angenehmes Licht oder sogar ein wohlriechender Duft. Wie lange der achtsame Moment andauern soll, ist ebenfalls individuell.

„Wichtig ist, dass Eltern nicht nur von außen zuschauen, sondern mit- und auch vormachen, achtsam zu sein.“

Professor Michael Schulte-Markwort
Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychosomatik

Für Kindergarten- oder Vorschulkinder genügt meist schon eine Minute. Doch es sind keine Grenzen gesetzt, solange sie mit Spaß dabei sind. „Vor allem bei spielerischen Übungen machen Kinder gerne länger mit. Hinzu kommt, dass sie dabei den Kontakt zu Mutter und Vater genießen.“ Damit Kinder Achtsamkeit als einen wichtigen Aspekt ihres Lebens empfinden, sollte sie ein fester Bestandteil des Alltags- und Familienlebens sein. „Das können Rituale sein wie das Tischgebet oder sich an den Händen zu fassen. Oder aber eine kurze Achtsamkeitsübung vor den Hausaufgaben zu machen“, erklärt Professor Schulte-Markwort.

Das lenkt den Fokus auf das gemeinsame Essen oder den Beginn der Aufgaben. Kinder besinnen und konzentrieren sich dadurch leichter. „Wichtig ist aber, dass Eltern nicht nur von außen zuschauen, sondern mit- und auch vormachen, achtsam zu sein.“ So fällt es den Kleinen leichter, ihren eigenen aufmerksamen Weg zu finden, auf dem sie ausgeglichener und stressfreier den Hürden entgegengehen.

Achtsamkeitsübungen für Kinder

  • Atemübung, circa drei bis acht Jahre

    Die Kinder legen sich auf den Rücken auf eine bequeme Unterlage, zum Beispiel auf ein Bett oder eine Matte, und haben ein Kuscheltier oder Spielzeug auf dem Bauch. Jetzt atmen sie langsam ein und aus, beobachten dabei, wie das Spielzeug den Bewegungen der Bauchdecke folgt. Effekt: Die Kleinen verstehen leichter, wie Luft durch den Körper strömt.

  • Liegeübung, circa fünf bis zehn Jahre

    Die Kinder legen sich erst auf den Rücken, dann nach links, rechts und auf den Bauch. Sie schauen, welche Position ihnen am besten gefällt, und testen, welche Muskeln sie in dieser Position noch bewegen können. Effekt: Die Kinder nehmen eigene Vorlieben und ihren Körper besser wahr.

  • Körperreise, ab zehn Jahren

    Die Kinder und Jugendlichen nehmen eine entspannte Haltung ein. Mit der nächsten Einatmung gehen sie in ihren Körper, wandern den linken Arm hinab und stellen sich vor, wie das Blut bis in die Fingerspitzen fließt. Der Arm fühlt sich warm an und entspannt. Dasselbe mit dem rechten Arm und beiden Beinen wiederholen. Effekt: Die Konzentration auf sich selbst wirkt sehr entspannend und erholsam.

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