Zum Hauptinhalt springen
AOK WortmarkeAOK Lebensbaum
Gesundheitsmagazin

Organe

Synästhesie: wenn Töne süß schmecken

Veröffentlicht am:26.08.2022

3 Minuten Lesedauer

Wenn Buchstaben oder Zahlenfolgen vor dem inneren Auge Farben erzeugen, wenn Töne nicht nur klingen, sondern gleichzeitig schmecken, dann ist Synästhesie im Spiel: Verschiedene Sinneseindrücke vermischen sich zu einer Wahrnehmung.

Eine Frau mit Synästhesie bemalt eine große Leinwand mit bunten Farben.

© iStock / gorodenkoff

Was ist Synästhesie?

Der Begriff Synästhesie bedeutet so viel wie „mitempfinden, zugleich wahrnehmen“. Sinneswahrnehmungen, die normalerweise getrennt voneinander auftreten, sind bei diesem Phänomen auf unerwartete Weise aneinandergekoppelt. Ein bestimmter Reiz spricht nicht nur den Sinn an, der für ihn zuständig ist, sondern (mindestens) einen weiteren. Es entstehen Wahrnehmungskombinationen.

Das heißt im Detail: Normalerweise reagiert beispielsweise der Geruchssinn auf einen olfaktorischen Reiz, etwa eine duftende Blume oder frische Brötchen. Das Gehör wiederum nimmt Lärm oder eine Fahrradklingel wahr. Menschen mit Synästhesie riechen Gerüche oder hören Töne aber nicht nur, sie können sie auch „sehen“ oder „schmecken“. Diese Wahrnehmung ist immer spontan, sie erfolgt automatisch und kann nicht unterdrückt werden – so wie Menschen sich nicht dagegen wehren können, Geräusche zu hören. Jedoch ist es für Betroffene möglich, die Wahrnehmung kurzzeitig auszublenden, indem sie ihre Aufmerksamkeit ganz bewusst steuern. Dies ist jedoch nur mit großer Konzentration möglich. Für Personen mit Synästhesie fühlt sich die Kopplung ihrer Sinne normal an. Sie kennen es nicht anders.

Medizinerinnen und Mediziner schätzen, dass Synästhesie mindestens vier bis fünf Prozent der Bevölkerung betrifft. Die Zahlen können deutlich höher sein, da vor allem Menschen mit leichten Formen der Synästhesie sich nicht darüber im Klaren sind, dass ihre Wahrnehmung von der Norm abweicht. Wissenschaftlich befasst sich die Neuropsychologie mit dieser Gabe, da sie für die Bewusstseinsforschung neue Erkenntnisse liefern könnte.

An dieser Stelle finden Sie externen Inhalt von Instagram. Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass beim Anzeigen des Inhalts Daten an Instagram übermittelt werden. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Ist Synästhesie eine Krankheit?

Synästhesie ist keine Krankheit. Es handelt sich dabei nicht um eine psychische oder neurologische Störung, auch nicht um eine Halluzination. Für die Vermutung, dass Synästhesie dauerhaft durch exzessiven Drogenmissbrauch ausgelöst werden kann, gibt es bisher keinen Beleg.

Die Synästhesie ist vielmehr eine spezielle Variante der menschlichen Wahrnehmung. Da dieses Phänomen in Familien gehäuft auftritt, vermuten Forschende, dass Vererbung bei den Ursachen eine Rolle spielt. Laut Untersuchungen befinden sich unter Synästhetikern und Synästhetikerinnen gehäuft hochbegabte oder besonders kreative Menschen, aber auch Geräuschsensibilität und Aufmerksamkeitsstörungen sind bei ihnen öfter zu beobachten.

Ein Mann mit Synästhesie hört über Kopfhörer Musik.

© iStock / AsiaVision

Manche von Synästhesie betroffene Menschen sehen Musik förmlich vor sich. Sie können beim Hören Figuren, Linien oder Farben sehen, die sich mit der Musik verändern.

Wie entsteht Synästhesie?

Bei Menschen mit Synästhesie sind verschiedene Gehirnareale auf besondere Art und Weise miteinander verbunden. Wie die Kopplung zustande kommt, dazu gibt es bislang nur Hypothesen:

  • Ein Erklärungsversuch: Normalerweise werden in den Nervenverbindungen bestimmte Signale gehemmt. Bei Synästhetikerinnen und Synästhetikern ist das womöglich nicht der Fall.
  • Eine weitere Hypothese: Die Kopplung zwischen den Hirngebieten, die an der Synästhesie-Wahrnehmung beteiligt sind, geschieht über das limbische System, wo eine Verknüpfung vorliegen könnte, die nicht der Norm entspricht. Dieses Areal im Gehirn ist das Zentrum der Gefühle.

Bislang konnte keiner dieser Hypothesen belegt werden.

Passende Artikel zum Thema

Synästhesie-Beispiele: Wie äußern sich die Wahrnehmungen?

Sämtliche Verknüpfungen zwischen den Sinnen sind möglich. Manche Formen sind aber häufiger als andere. Typisch für synästhetische Wahrnehmungen sind:

  • Graphem-Farb-Synästhesie: Das Zuordnen von Farben zu bestimmten Zeichen, Zahlen oder Buchstaben ist die häufigste Form von Synästhesien. Ein bestimmter Buchstabe oder eine Zahl ist untrennbar mit einem bestimmten Farbeindruck verbunden – in einer Zahlenfolge von 1 bis 10 sehen synästhetisch begabte Menschen zum Beispiel die Ziffer 5 in Gelb, die Ziffer 6 in Rot. Die Verknüpfungen sind dabei vollkommen individuell.
  • Musik-Farben-Synästhesie: Manche Kunstschaffende mit Synästhesie lassen sich beim Malen oder Gestalten von Musik inspirieren. Beim Hören entstehen geometrische Figuren, Linien oder ein Farbenmix. Ein Musikstück hinterlässt nicht nur einen klanglichen, sondern auch einen bildlichen Eindruck. Verändert sich die Lautstärke oder das Tempo, können die Farben, Formen und Größen der Objekte variieren.
  • Sequenz-Raum-Synästhesie: Zeiteinheiten wie Wochentage, Monate, das Jahr oder auch Ziffern besitzen eine bestimmte räumliche Anordnung.
  • Gefühls-Synästhesie: Emotionale Zustände werden farbig oder als Form wahrgenommen.
  • Lexikal-gustatorische Synästhesie: Wörter können nach etwas schmecken oder haben eine Textur, die auf der Zunge spürbar ist.
  • Person-Farb-Synästhesie: Persönlichkeiten wird eine jeweils charakteristische Farbe zugeordnet. Auch die Zuordnung von Ziffern ist möglich.
  • Ticker-Tape-Synästhesie: Gesprochene, gehörte oder gedachte Worte erscheinen für Sekundenbruchteile als „Newsticker“ oder tauchen kurz vor dem inneren Auge auf.
  • Oft werden auch Geschmacksrichtungen, Gerüche oder Körperempfindungen, wie zum Beispiel Schmerz, durch eine synästhetische visuelle Empfindung begleitet.

Waren diese Informationen hilfreich für Sie?

Noch nicht das Richtige gefunden?