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Klimaangst: Klimawandel und Zukunftsangst

Veröffentlicht am:02.11.2022

4 Minuten Lesedauer

Hitzesommer, Flutkatastrophen, globale Erwärmung: Der Klimawandel ist nicht mehr nur das Problem der Eisbären, sondern hat direkte Auswirkungen auf unser Leben. Das kann Ängste auslösen – hinsichtlich des Klimas und der Zukunft.

Frau mit Klimaangst schaut besorgt aus dem Fenster.

© iStock / franckreporter

Prof. Dr. Gerhard Reese, Professor für Umweltpsychologie an der Universität Koblenz-Landau.

© YOOL

Prof. Dr. Gerhard Reese ist Professor für Umweltpsychologie und lehrt an der Universität Koblenz-Landau. Er ist Leiter des Studiengangs „Mensch und Umwelt: Psychologie, Kommunikation, Ökologie“. Im Interview erzählt er, was man unter Klimaangst versteht und wie wir damit umgehen können.

Was ist Klimaangst?

Den Begriff Klimaangst oder „Climate Anxiety“ gibt es schon länger, ähnlich wie „Eco-anxiety“ oder „solastalgia“, die ähnliche Konzepte darstellen. Sie stehen nämlich alle in Zusammenhang mit dem Klimawandel. Unter Klimaangst verstehen wir grob die rationale und begründete Angst und tiefe Sorge vor der Klimakrise und ihren Konsequenzen.

Die systematische wissenschaftliche Untersuchung von Klimaangst im engeren Sinne ist erst vor wenigen Jahren gestartet.

  • In der Forschung untersuchen Umweltpsychologen, die sich mit diesen Konzepten befassen, zum einen die Prädiktoren von Klimaangst – sprich: Was führt dazu, dass Menschen Klimaangst verspüren? Sie untersuchen, welche psychologischen Aspekte für die Erklärung von Klimaangst relevant sind. Publizierte Forschung gibt es hierzu bisher allerdings kaum, weil das Feld noch relativ jung ist.
  • Zum anderen untersuchen sie die Konsequenzen von Klimaangst: Was macht das mit uns? Motiviert es uns, aktiv zu werden und etwas gegen den Klimawandel zu tun, oder führt die Angst dazu, dass wir den Kopf in den Sand stecken? Die Frage, unter welchen Bedingungen das eine oder das andere wahrscheinlicher wird, beschäftigt uns gerade.

Außerdem schauen sich Umweltpsychologen an, inwiefern sich Klimaangst von anderen Ängsten und psychologisch relevanten Störungen unterscheidet. Das tut sie natürlich alleine deshalb, weil es sich dabei um eine sehr rationale Angst handelt – anders als zum Beispiel in Deutschland Spinnenangst zu haben. Spätestens wenn Klimaangst den Alltag bestimmt und alltägliches Funktionieren beeinträchtigt, leidet das eigene Wohlbefinden.

Wie können Menschen mit ihrer Klimaangst umgehen?

Egal ob alt oder jung – Klimaangst ist völlig rational. Das Beste, was man tun kann, ist, mit anderen Menschen darüber zu sprechen, seine Ängste zu teilen und sich gemeinsam der Herausforderung zu stellen.

Angst kann aber auch motivieren und ist ja adaptiv. Das heißt, die Angst kann uns dazu bewegen, unser Verhalten entsprechend anzupassen. Ein Beispiel: In der Savanne Angst vor einem Tiger zu haben ist hoch adaptiv, steigert also die Überlebenschancen. Genauso kann es sein, dass Klimaangst Menschen motiviert, jetzt mal richtig etwas ändern zu wollen und solche Änderungen auch einzufordern. Bisherige Studien zeigen tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Klimaangst und umweltbewussteren Intentionen und Einstellungen. Allerdings kann man noch nichts über die Richtung sagen, in die sich diese Wirkung entwickeln kann – dafür fehlt noch experimentelle Forschung.

„Klimaangst ist völlig rational. Das Beste, was man tun kann, ist, mit anderen Menschen darüber zu sprechen, seine Ängste zu teilen und sich gemeinsam der Herausforderung zu stellen.“

Prof. Dr. Gerhard Reese
Professor für Umweltpsychologie an der Universität Koblenz-Landau

Welche Rolle spielt das Gefühl von Machtlosigkeit beim Thema Klimaangst?

Wie gesagt, die Studienlage ist hier noch sehr dünn. Wir fanden in einer aktuellen, aber noch nicht publizierten Studie heraus, dass die Risikowahrnehmung mit Klimaangst korreliert: Je stärker ich die Klimakrise als persönliches Risiko wahrnehme, umso höher die Klimaangst. Gefühlte Ohnmacht – oder fehlende Selbstwirksamkeit (der Glaube an sich selbst) – ist vielleicht ein weiterer Aspekt. Dass die Regierungen zu wenig gegen die Klimakrise tun, ist nach allen aktuellen Modellrechnungen ein Fakt, sodass die empfundene Machtlosigkeit gerade bei Menschen, die noch nicht wählen dürfen, sicherlich besonders stark ist. Aber dafür gibt es andere Wege: Kollektiver Protest und sichtbare öffentliche Positionierung und Aktion sind einige davon.

Junger Mann mit Klimaangst hält ein Schild aus Pappe in die Luft.

© iStock / Clara Murcia

Jungen Menschen, die unter Klimaangst leiden, kann es helfen, sich mit anderen Menschen auszutauschen und sich zu engagieren.

Wie halte ich Frustration aus, wenn mein Engagement keine sichtbaren Erfolge erzielt?

Dieses Gefühl wird viele immer wieder überkommen, aber gerade in der „Fridays for Future“-Bewegung und anderen gab es viele Momente des Gefühls „kollektiver Wirksamkeit“ – die Menschen wurden gehört. Die Klimakrise hat es vor allem durch „Fridays for Future“, aber auch jahrelange Arbeit von Umweltverbänden in die Medien, die gesellschaftliche Mitte, die Politik geschafft. Diese Erfolge sollte man sich immer wieder vor Augen führen, um die Motivation aufrechtzuhalten. Und: Frustration und Angst kann man auch für sich akzeptieren und äußern.

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Der Großteil junger Erwachsener empfindet Klimaangst

Mehr als die Hälfte junger Erwachsener unter 25 Jahren empfinden Klimaangst. Laut einer aktuellen Studie, die von 7 akademischen Einrichtungen aus 10 Ländern durchgeführt wurde, machen sich 59 Prozent der 16- bis 25-Jährigen große Sorgen über den Klimawandel. Der Aussage, dass die Zukunft beängstigend sei, stimmten 75 Prozent der Befragten zu. Diese Zukunftsängste scheinen auch persönliche Entscheidungen zu beeinflussen: In der Studie gaben vier von zehn jungen Menschen an, dass sie aufgrund der Klimakrise unsicher seien, ob sie einmal Kinder bekommen sollen.

Klimaangst kann die psychische Gesundheit beeinflussen, wenn sie so stark ist, dass das alltägliche Leben darunter leidet. Sie ist keine anerkannte psychische Krankheit, kann aber bereits vorhandene Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen verstärken.

Diese Tipps von Prof. Dr. Gerhard Reese können dabei helfen, mit den eigenen negativen Emotionen besser umzugehen:

  • Erkennen Sie Ihre Gefühle an. Angst ist nicht Schlechtes, sondern kann eine ganz normale Empfindung sein.
  • Werden Sie aktiv. Oft kann die Erfahrung, wie viel man selbst bewirken kann, gegen das Gefühl der Ohnmacht helfen.
  • Tauschen Sie sich mit Freunden und Freundinnen und Gleichgesinnten aus. Sie stehen nicht alleine vor einer unlösbaren Aufgabe.
  • Pflegen Sie einen gesunden Realismus. Zynismus ist ebenso unproduktiv, wie unrealistische Hoffnungen zu hegen.

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