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Psychologie

Tic-Störung: Was steckt dahinter und wie finden Betroffene Hilfe?

Veröffentlicht am:25.07.2025

6 Minuten Lesedauer

Unwillkürliche Tics – ob Bewegungen oder Laute – können das Leben von Betroffenen beeinträchtigen. Was sind die Ursachen von Tic-Störungen? Wie werden sie diagnostiziert? Und welche Behandlungsansätze versprechen Linderung?

Ein kleiner Junge mit zusammengekniffenen Augen im Freien.

© iStock / AkilinaWinner

Was sind Tics?

Ständiges Blinzeln, häufiges Räuspern, unwillkürliche Bewegungen – Tics sind mehr als nur „nervöse Angewohnheiten“. Viele Menschen sind nur leicht betroffen. Aber für einige können Tics das Leben stark beeinträchtigen. Tic-Störungen umfassen ein breites Spektrum. Meist sind es kurze, plötzliche Bewegungen oder Laute in rascher Abfolge, die nicht zum Kontext passen und keinen ersichtlichen Zweck haben. Sie treten unwillkürlich auf und sind nur kurzzeitig willentlich unterdrückbar.

Man unterteilt Tic-Störungen in motorische und vokale Tics:

  • Vokale Tics:
    Zu den häufigsten vokalen Tics gehören beispielsweise Räuspern, Schniefen, Pfeifen, Tiergeräusche und in seltenen Fällen lautes Schreien. Komplexe vokale Tics können auch das Ausrufen von Wörtern oder Sätzen beinhalten, was für die Betroffenen und ihr Umfeld sehr belastend sein kann.
  • Motorische Tics:
    Motorische Tics können sich auf verschiedene Körperteile beziehen und in ihrer Intensität variieren. Sie treten vorrangig im Gesicht, am Nacken und an der Schulter auf. Beispiele sind das Blinzeln mit den Augen, ruckartige Bewegungen des Kopfes oder das unwillkürliche Hochziehen der Schultern.

Darüber hinaus unterscheidet man zwischen einfachen und komplexen Tics. Einfache Tics umfassen kurze, isolierte Bewegungen oder Lautäußerungen, wie beispielsweise kurzes Räuspern. Insbesondere bei schweren Verläufen können komplexe motorische Tics auftreten, die mehrere Muskelgruppen gleichzeitig beanspruchen. Sie äußern sich als scheinbar zielgerichtete Bewegungen wie Hüpfen, Drehen oder Aufstampfen, obwohl sie unwillkürlich sind.

Bei einigen Betroffenen treten zudem Echophänomene auf. Darunter versteht man das Nachahmen beobachteter Bewegungen oder gehörter Geräusche und Äußerungen. Seltener kommt es zum Aussprechen von Schimpfwörtern (Koprolalie) oder Zeigen obszöner Gesten (Kopropraxie). Letztere Phänomene fallen in der Öffentlichkeit besonders auf, bestehen aber oft nur aus einzelnen Wörtern oder Bruchstücken.

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Was ist eine funktionelle Tic-Störung?

In den letzten Jahren haben sogenannte „funktionelle Tic-ähnliche Beschwerden“ drastisch zugenommen. Funktionelle Tic-ähnliche Störungen sind Bewegungen oder Lautäußerungen, die Tics ähneln, aber sich der neurologisch bekannten Krankheit Tic-Störung nicht zuordnen lassen. Sie unterscheiden sich also in einigen Merkmalen von typischen Tic-Erkrankungen. Funktionelle Störungen gelten eher als körperliche Manifestion einer seelischen Problematik, sind aber selbstverständlich ebenfalls reale Störungen. Im Gegensatz zu Tics, die oft im Kindesalter beginnen, kommen funktionelle Tic-ähnliche Störungen meist erst nach der Pubertät vor. Sie treten vermehrt in der Öffentlichkeit auf und beziehen sich oft auf eine bestimmte Situation. Zudem zeigen sich funktionelle Tic-ähnliche Störungen häufiger an Rumpf und Armen, während Tics vor allem an Gesicht, Kopf und Schultern autreten. Trotz der Ähnlichkeiten ist es wichtig, funktionelle Tic-ähnliche Störungen und Tics voneinander abzugrenzen, da sie unterschiedliche Ursachen haben und eine andere Behandlung erfordern.

Wie entsteht eine Tic-Störung?

Verschiedene Faktoren können bei der Entwicklung von Tic-Störungen eine Rolle spielen. Dazu gehören:

  • Genetische Veranlagung: Die Forschung zeigt, dass genetische Faktoren die Entstehung von Tic-Störungen beeinflussen. Ähnlich wie bei anderen neuropsychiatrischen Störungen identifizierten Forscherinnen und Forscher Gene, die mit einem erhöhten Risiko für Tic-Störungen in Verbindung stehen.
  • Bakterielle Infektionen: Es gibt Hinweise darauf, dass Infektionen – insbesondere mit Streptokokken – wie Mittelohrentzündung, Scharlach oder Mandelentzündung, Tic-Störungen auslösen oder verstärken können. Ein Zusammenhang ist besonders wahrscheinlich, wenn die Tic-Störungen kurz nach der Infektion auftreten.
  • Risikofaktoren während der Schwangerschaft: Studien deuten darauf hin, dass Stress, Medikamenteneinnahme, Rauchen, Alkohol- und Drogenkonsum während der Schwangerschaft das Risiko für Tic-Störungen beim Kind erhöhen können.
  • Neurobiologische Aspekte: Tic-Störungen werden mit einer Störung in bestimmten Schaltkreisen im Gehirn in Verbindung gebracht. Diese Schaltkreise verbinden verschiedene Bereiche, darunter das Stirnhirn, die Basalganglien und das limbische System. Vermutlich spielt ein Ungleichgewicht von Neurotransmittern wie Dopamin eine Rolle.

Wie wird eine Tic-Störung diagnostiziert?

Oft vergehen Jahre, bis eine Tic-Störung diagnostiziert wird. Dabei kann die Diagnose selbst bereits eine große Erleichterung für Betroffene und ihre Familien sein. Umso wichtiger ist eine frühe Diagnose, um eine bestmögliche Unterstützung zu ermöglichen. Die meisten Tic-Störungen beginnen in der Kindheit und mildern sich beim Erwachsenwerden deutlich ab oder verschwinden dann sogar.

Eine Ärztin oder ein Arzt kann eine Tic-Erkrankung im Rahmen einer Sprechstunde feststellen. Die Diagnose basiert in der Regel auf einer sorgfältigen Untersuchung des Verlaufs und der Ausprägung der Symptome. Dabei werden Art, Häufigkeit, Intensität und Verteilung der Tics erfasst. Außerdem berücksichtigt die Ärztin oder der Arzt mögliche Risikofaktoren wie Tic-Störungen in der Familie oder vorausgegangene Streptokokken-Infektionen.

Um die Tics von anderen Erkrankungen abzugrenzen, wird bei der Untersuchung auch auf äußere Einflussfaktoren und sogenannte Vorgefühle geachtet. Diese gehen den Tics im Gegensatz zu anderen Bewegungsstörungen oft voraus. Vorgefühle äußern sich etwa als Kribbeln oder Wärme- beziehungsweise Kältempfindungen oder Spannungsgefühle in bestimmten Regionen des Körpers. Ein Fremdkörpergefühl im Hals kann beispielsweise einem Räusper-Tic vorausgehen. Wenn der Tic dann ausgeführt wird, tritt für den Moment ein Gefühl der Entlastung ein, bevor sich allmählich wieder innere Anspannung aufbaut. Hierin unterscheiden sich Tics auch von funktionellen Tic-Störungen, die anfallsartig und in längeren „Attacken“ auftreten.

Da jüngere Kinder ihre Tics oft nicht wahrnehmen, sind die Beobachtungen der Eltern besonders wichtig. Ein Fragebogen wie die „Yale Global Tic Schweregradskala“ (YGTSS), den die Eltern über Wochen hinweg zu Hause ausfüllen, kann bei der Erfassung des Schweregrades helfen.

Eine Mutter umarmt ihren Sohn von hinten auf dem Sofa, beide lachen herzlich.

© iStock / Dima Berlin

Die meisten Tic-Störungen beginnen in der Kindheit und verschwinden im Erwachsenenalter oft von selbst. Davon abzugrenzen sind funktionelle Tic-ähnliche Störungen, die meist erst nach der Pubertät auftreten.

Wie behandelt man eine Tic-Störung?

Die Behandlung einer Tic-Störung ist sinnvoll, wenn die Tics so schwer sind, dass sie Schmerzen oder Schlafprobleme verursachen. Auch wenn sie die Psyche und das Sozialleben belasten, sollte man über eine Therapie nachdenken. Wichtig zu wissen: Tics lassen sich bisher nicht ursächlich heilen, aber die Symptome können gelindert werden. Die Wahl der Therapiemethode hängt unter anderem von der Stärke der Beschwerden und der Fähigkeit zur Bewältigung der oder des Betroffenen ab. Das sind die wichtigsten Therapiebausteine: 

  • Psychoedukation: Eine ausführliche Aufklärung der Betroffenen und ihrer Familien über das Krankheitsbild ist wichtig. Oftmals wird die Diagnose einer Tic-Störung erst spät gestellt, daher kann eine verständliche Erklärung und Beratung bereits eine große Erleichterung sein. Auch Lehrerinnen, Lehrer und andere Bezugspersonen sollten einbezogen werden, um Verständnis zu fördern und Strategien für den Umgang mit den Tics zu entwickeln. Bei einer milden Ausprägung des Tics kann die Psychoedukation bereits eine ausreichende Behandlung sein.
  • Verhaltenstherapie: Bei stärker Betroffenen können psychotherapeutische Verfahren helfen, Kompensationsmechanismen zu erlernen. Besonders bewährt haben sich Verhaltenstherapien wie das „Habit Reversal Training“ (HRT) oder das „Exposure and Response Prevention Training“ (ERPT). Diese können die Tics um bis zu 30 Prozent reduzieren. Beide Methoden können sowohl bei Kindern und Jugendlichen als auch bei Erwachsenen angewendet werden.
  • Entspannungstechniken: Entspannungstechniken können begleitend bei der Behandlung von Tic-Störungen eingesetzt werden. Allein angewendet bringen sie jedoch meist keine Besserung. Da sie eine gute Mitarbeit erfordern, sind sie für jüngere Kinder oft weniger geeignet. Sie können aber hilfreich sein, wenn Kinder oder Jugendliche aufgrund starker Tics schwer zur Ruhe kommen.
  • Medikamentöse Therapie: Sie kommen bei schweren Tic-Störungen in Frage. Medikamente können die Tics zwar selten vollständig unterdrücken – sie können sie aber so weit lindern, dass psychosoziale Beeinträchtigungen vermindert werden. Die medikamentöse Einstellung erfolgt langsam, um unerwünschte Nebenwirkungen so weit wie möglich zu vermeiden. 
  • Tiefe Hirnstimulation: Die tiefe Hirnstimulation (THS) ist eine bisher experimentelle Methode für Menschen mit therapieresistenten schweren Tic-Störungen. Dabei setzt man Elektroden ein, um bestimmte Hirnregionen zu stimulieren. Forschende haben ein „Tic-Netzwerk“ im Gehirn identifiziert, das Regionen wie die Inselrinde oder die Basalganglien umfasst. Diese Erkenntnisse könnten helfen, die THS in Zukunft gezielter einzusetzen.

Wie unterscheiden sich Tic-Störung und Tourette-Syndrom?

Tic oder Tourette? Die Frage ist oft nicht leicht zu beantworten. Während das Tourette-Syndrom schätzungsweise bei etwa einem Prozent der Weltbevölkerung vorkommt, sind motorische und vorübergehende Tics deutlich häufiger. Man geht davon aus, dass etwa 10 bis 15 Prozent aller Grundschulkinder irgendwann einmal Tics entwickeln.

Für die Diagnose Tourette-Syndrom müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein: Es müssen sowohl motorische als auch vokale Tics über einen längeren Zeitraum (mindestens ein Jahr) vorhanden sein, die vor dem 18. Geburtstag begonnen haben. Neuere Studien deuten darauf hin, dass es keine klare Trennlinie zwischen chronischen Tic-Störungen und dem Tourette-Syndrom gibt, sondern eher fließende Übergänge.

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