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Gesundheitsmagazin

Gesund im Job

Videosprechstunde: Visite im Wohnzimmer

Veröffentlicht am:09.11.2020

5 Minuten Lesedauer

In Ländern wie Schweden oder den USA ist die Videosprechstunde längst im Alltag angekommen. In Deutschland dagegen hat sie sich nie so richtig durchsetzen können. Mit Beginn der Corona-Epidemie änderte sich das. Immer mehr Ärzte wissen die Vorteile dieser digitalen Behandlungsmethode zu schätzen, genau wie ihre Patienten.

© iStock / Ridofranz

ARA6QI – dieser Code ist alles, was ich brauche. Keine persönlichen Daten, keine Krankenkassenkarte. Er kommt in einer E-Mail, die im Spam-Ordner gelandet ist. Ich mache dem Filter keinen Vorwurf, auch für mich ist eine Videosprechstunde beim Arzt unbekanntes Terrain. Über einen Link komme ich zur Anmeldung. Der Code steht bereits im Eingabefeld. Ein Klick auf „Jetzt anmelden“ führt mich in den digitalen Warteraum. Meine Couch habe ich bisher nicht einmal verlassen.

Wann macht die Videosprechstunde Sinn?

Seit Juli 2017 ermöglicht das sogenannte E-Health-Gesetz die Online-Videosprechstunde in Deutschland, 2019 wurde sie zur Kassenleistung. Auf die Patienten kommen also keine Extrakosten zu. Bis Anfang dieses Jahres (2020) wurde das Angebot aber kaum wahrgenommen. Lediglich 1.700 Praxen nutzten die Videosprechstunde. Mit Corona änderte sich das schlagartig und die Zahl stieg nach Schätzungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung auf rund 25.000. 

„Ich war der Videosprechstunde eher konservativ gegenüber eingestellt, aber durch Corona hat sich vor allem ein Mehrwert für die Patienten ergeben“, sagt Dr. Kay Krumbiegel, Facharzt für Allgemeinmedizin. Seine Hausarzt-Praxis in Elmshorn nutzt das Angebot landesweit mit am häufigsten. „Die Praxen waren auf die Pandemie nicht vorbereitet und Ressourcen wie Masken sowie Desinfektionsmittel wurden knapp. Außerdem sollten eine Diabetikerin und ein Covid-19-Patient generell nicht im selben Wartezimmer sitzen. Schon gar nicht unter diesen Umständen.“ Aber nicht nur bei Corona-Erkrankten biete sich die Videosprechstunde an. Auch für die Begutachtung eines Heilungsprozesses nach Operationen oder für Befundmitteilungen, beispielsweise nach einer Blutentnahme, sei es nicht nötig, vor Ort zu sein. 

Mittlerweile finden rund zehn Prozent seiner Sprechstunden über Video statt. Mit überwiegend positivem Feedback: „Teilweise haben Patienten mich bewusst ausgewählt, weil ich die Videosprechstunde anbiete". Neben Hausärzten, von denen ungefähr jeder zweite die Möglichkeit der Videosprechstunde nutzt, sind es vor allem Psychologen, Psychiater und Psychotherapeuten, die auf das Angebot zurückgreifen.

Welche technischen Voraussetzungen sind nötig?

Technikaffinität oder eine besondere Ausrüstung muss der Patient nicht haben. Ein Smartphone oder ein Laptop mit Kamera reichen völlig aus. Dann einfach zum vereinbarten Termin den zugeschickten Link öffnen, und schon sitzt der Patient im Wartezimmer. Wo das ist, ob zu Hause oder bei der Arbeit, spielt keine Rolle, solange die Internetverbindung stabil ist.

Meins ist bei mir im Wohnzimmer und weit weniger infektiös als ein Wartezimmer beim Arzt. Bereits nach wenigen Minuten erhalte ich einen Videoanruf. Ich nehme an und sitze meinem Hausarzt gegenüber. Ich schildere meine Symptome: leichte Atemnot, Husten und Kopfschmerzen. Der Arzt bittet mich näher an die Kamera und stellt fest, dass ich keine blauen Lippen habe, was ein Symptom von Sauerstoffproblemen ist. Mit weiteren Fragen versucht er eine Corona-Infektion auszuschließen. Wie in einer klassischen Sprechstunde, nur mit weniger Risiko.

Wie sicher ist die Diagnose?

Mich abhören oder mich abtasten kann er allerdings nicht. Doch wie wichtig ist das überhaupt? Wenn das Patientengespräch beispielsweise auf eine Lungenentzündung hinweise, horche er eher zur Bestätigung nochmal in die Lunge rein. Meistens bestätigt ein Rasseln seine Diagnose. Höre er aber nichts, ändere das auch nichts.

„80 Prozent der Diagnose speist sich über das Gespräch. Das Abhören und das Abtasten dienen eher der Vertiefung der gewonnen Erkenntnis. Ändern tut es an der Arbeitsdiagnose oft nichts.“

Kay Krumbiegel
Facharzt für Allgemeinmedizin

Ist eine Krankschreibung möglich?

Das Ergebnis unterscheidet sich also in den wenigsten Fällen von denen einer klassischen Sprechstunde. Auch Rezepte und Krankschreibungen dürfen die Ärzte per Video ausstellen. Trotzdem gibt es immer noch Ärzte, die sich der sogenannten Telemedizin verschließen. Warum? „Rechtsunsicherheit könnte ein Grund sein. Es gibt keine Leitlinien, an die sich Ärzte halten können. Wir agieren immer nach bestem Gewissen, trotzdem kann mal etwas schief gehen. Und dann gibt es nichts, worauf wir uns berufen können“, sagt Kay Krumbiegel. Zudem muss der Arzt den Patienten einmal im Quartal persönlich treffen. Sieht er ihn nur im Videochat, bekommt er die Kosten nicht voll erstattet.

Wie sicher ist die Videosprechstunde?

Auch das Thema Datenschutz beunruhigt Ärzte und Patienten gleichermaßen. Dabei unterliegt die Videosprechstunde strengen europäischen Richtlinien: Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient darf nur über ein Programm laufen, das von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zertifiziert wurde. So wird eine verschlüsselte Direktverbindung zwischen Arzt und Patient gewährleistet. Zudem darf das Gespräch nur mit Einwilligung des Patienten stattfinden und nicht aufgezeichnet werden. Für die Anmeldung braucht es in der Regel keine persönlichen Daten, es sei denn, es handelt sich um einem Erstkontakt. Dann muss der Patient seine Krankenkassenkarte zur Identifizierung in die Kamera halten.

Ich fühle mich während unseres Gesprächs auf jeden Fall zu keiner Zeit unsicher. Auch an der Diagnose habe ich keine Zweifel, nur weil niemand in meinen Hals geguckt hat. Wegen einer leichten Erkältung verordnet mir der Arzt drei Tage Ruhe, bei Verschlechterung der Symptome soll ich ihn noch einmal aufsuchen, dann aber persönlich vor Ort. Und für diese Infos musste ich nicht einmal meine Wohnung verlassen. Die Digitalisierung, die in Deutschland so schleppend vorangeht, hat auch seinen Weg in die Medizin gefunden. Mit einer kleinen Ausnahme: Meine Krankschreibung kommt per Post.  


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