Psychologie
Wie Armut und finanzielle Sorgen die Psyche belasten
Veröffentlicht am:04.06.2025
6 Minuten Lesedauer
Die Angst, Rechnungen nicht bezahlen zu können, und das ständige Bewusstsein, weniger zu haben als andere – das drückt mehr als nur aufs Gemüt. Armut kann psychisch krank machen. Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Armut und Gesundheit?

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Armut und finanzielle Probleme sind in Deutschland allgegenwärtig
„Arm am Beutel, krank am Herzen“ – so lässt Goethe seine Ballade der „Schatzgräber“ von 1797 beginnen. Das ist zwar lange her, aber er spricht damit etwas an, das auch heute gilt: Armut ist weit mehr als nur ein Mangel an finanziellen Mitteln. Armut ist eine enorme Belastung, die schwerwiegende Folgen für die Gesundheit haben kann. Wer in Armut lebt, lebt in ständiger Unsicherheit, wie es weitergehen soll. Dies führt zu Angst und Stress, was wiederum Depressionen, Schlafstörungen oder Suchtprobleme auslösen und auch körperliche Erkrankungen fördern kann.
Die Zahlen für Deutschland
In Deutschland gelten nach einer Erhebung von 2024 sechs Prozent der Bevölkerung als arm. Das sind etwa fünf Millionen Menschen. Arm bedeutet, dass die Lebensbedingungen eines Menschen aufgrund fehlender finanzieller Mittel erheblich eingeschränkt sind. 15,5 Prozent der Bevölkerung werden als armutsgefährdet eingestuft. Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Dabei wird auch berücksichtigt, wie viele Personen in einem Haushalt von einem Einkommen leben.
Verschiedene Formen von Armut
Über den Begriff „arm“ lässt sich trefflich streiten – und das wird in den Sozialwissenschaften und in der Politik auch getan. Nun ist es objektiv so, dass es armen Menschen in einem Industrieland wie Deutschland mit einer vergleichsweise gut ausgebauten sozialen Infrastruktur besser geht als hungernden Menschen in der Sahelzone oder anderen Krisenregionen dieser Welt. Diese Erkenntnis hilft den Betroffenen jedoch nicht weiter. Arm ist man im Verhältnis zu den anderen Menschen, mit denen man in einer Gesellschaft lebt. Und so gesehen sind in Deutschland trotz allen Wohlstands sehr viele Menschen arm. Das geht nicht spurlos an ihnen und ihrer Gesundheit vorbei.
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Warum ist Armut ein Krankheitsrisiko?
Selbst in einem Wohlfahrtsstaat wie Deutschland haben Menschen mit geringen finanziellen Ressourcen höhere Krankheitsrisiken als Menschen aus wohlsituierten Verhältnissen. Am deutlichsten zeigt sich dies in der statistisch geringeren Lebenserwartung armer Menschen. Wie gesund oder krank ein Mensch ist, hängt in Deutschland also auch von seinen finanziellen Möglichkeiten ab. Einfach und provokant formuliert: Armut ist höchst ungesund.
Warum dies so ist, lässt sich unter anderem mit diesen drei Ansätzen erklären:
Eingeschränkter Zugang zu gesundheitsförderlichen Ressourcen Geringe Nutzung von Vorsorgeangeboten Höhere Risikoneigung
Mögliche Folgen von Armut für die psychische Gesundheit
Was für körperliche Erkrankungen gilt, trifft in gleicher Weise auf die Psyche zu: Arme Menschen leiden auch häufiger an psychischen Erkrankungen. Insbesondere Angststörungen und Depressionen gehören zu den psychischen Leiden, die bei sozial Benachteiligten häufiger auftreten als bei sozial Bessergestellten. Dies ist unter anderem auf die dauerhafte Stressbelastung zurückzuführen, die mit langanhaltender Armut typischerweise einhergeht. Andererseits können psychische Erkrankungen auch Ursache für Armut sein, wenn sie beispielsweise zu einer Erwerbsunfähigkeit führen.
Stress entsteht zum Beispiel durch Zukunftsängste, aber auch durch Ausgrenzung. Wer jeden Euro umdrehen muss, für den ist die Teilhabe an vielen Dingen, die für andere selbstverständlich sind, nicht möglich: ins Kino oder Essen gehen, Urlaube, teure Markenartikel usw. Armut bedeutet auch: Ausschluss. Arme Menschen machen häufiger Ausgrenzungserfahrungen als Menschen, die nicht unter finanziellen Sorgen leiden. Das ist nicht nur stressig, sondern beeinträchtigt auch das Selbstwertgefühl.
Psychische Probleme schränken die Handlungsfähigkeit im Beruf oder im sozialen Leben ein. Jobverlust und sozialer Rückzug drohen. Vereinsamung wiederum begünstigt Depressionen oder Suchterkrankungen zusätzlich.
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Der gesundheitliche Teufelskreis der Armut
Psychische Probleme und körperliche Beschwerden verstärken sich oft wechselseitig. Wer wegen seiner Lebensumstände chronischen Stress oder andere psychische Belastungen durchlebt, hat ein höheres Risiko für körperliche Krankheiten. Ist man dann auch noch körperlich erkrankt, wird die Psyche durch die körperliche Beeinträchtigung zusätzlich belastet. Die Chancen auf einen Job mit guten Verdienstmöglichkeiten verschlechtern sich weiter, wodurch sich das Ausgangsproblem, die finanzielle Notlage, verfestigt. Es entsteht ein Teufelskreis von Armut und Krankheit.
Wege aus dem Teufelskreis – die politische Ebene
Gesundheitspolitisch müssen Gesundheit und soziale Schieflage zusammen betrachtet werden. Der Zugang zu medizinischen Angeboten wie Beratung, Vorsorge oder (Psycho-)Therapie muss für diejenigen erleichtert werden, die sie am dringendsten benötigen. Dazu müssen die Ressourcen des Gesundheitssystems nicht zwingend ausgebaut, sondern bedarfsgerecht eingesetzt werden. Das erfordert viel Organisation und Zeit.
Gesamtgesellschaftlich kann das Krankheitsrisiko der Armut nur durch die Beseitigung der Armut selbst ausgeschaltet werden. Um armutsbedingten psychischen Erkrankungen vollständig vorzubeugen, ist eine Bildungs- und Sozialpolitik nötig, die Armut beendet. Das ist einerseits utopisch und hilft andererseits den hier und jetzt Betroffenen nicht weiter.
Wege aus dem Teufelskreis – was kann ich selbst tun?
Für die psychische Gesundheit allgemein ist es wichtig, sich nicht zurückzuziehen und Kontakte zu Verwandten, Freunden und Freundinnen oder auch zu Menschen aus der Nachbarschaft aktiv zu pflegen. Hilfsbereite Menschen im Umfeld sind eine wertvolle Unterstützung und können vielleicht auch bei der Suche nach medizinischer Hilfe unterstützen.
Ein weiterer Schritt ist, bei körperlichen wie psychischen Problemen, medizinische Hilfsangebote tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Das heißt, sich einen Ruck zu geben und im Krankheitsfall auch wirklich zum Hausarzt oder zur Hausärztin zu gehen. Bei der Suche nach einer Psychotherapie hilft zum Beispiel auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung. Bei allgemeinen Fragen zu Armut kann man sich unter anderem an die Diakonie oder die Caritas in ihren Einrichtungen vor Ort, telefonisch oder online wenden.

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Psychisch besonders gefährdet: arme Kinder
Kinder leiden besonders, wenn die Familie in sozialer Not lebt. Sie sind häufiger krank und von Vernachlässigung bedroht. Doch Probleme gibt es nicht nur zuhause, sondern setzen sich in Kita oder Schule fort. Im Vergleich zu Kameraden und Kameradinnen aus wohlhabenderen Verhältnissen besitzen sie weniger, unternehmen weniger oder verreisen seltener. Das alles lässt die Psyche oft nicht unberührt. Benachteiligte Kinder sind ängstlicher, fühlen sich häufiger hilflos und haben weniger Selbstvertrauen als ihre bessergestellten Gleichaltrigen.
Bei der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zeigen sich soziale Unterschiede sehr viel deutlicher als bei körperlichen Erkrankungen. Beispielsweise haben Kinder und Jugendliche aus armen Familien ein 3,5-fach erhöhtes Risiko für psychische Auffälligkeiten und ein 2,8-fach erhöhtes Risiko für ADHS im Vergleich zu Gleichaltrigen aus finanziell bessergestellten Familien. Ein prekärer familiärer Hintergrund verstärkt zudem die Schwere und verlängert die Dauer psychischer Erkrankungen.
Folgen bis ins Erwachsenenalter
Kinder aus armen Verhältnissen neigen als Heranwachsende (wie manchmal schon ihre Eltern) zu gesundheitsschädlichem Verhalten: Sie rauchen häufiger, ernähren sich ungesünder und bewegen sich weniger als ihre sozial besser gestellten Altersgenossen und Altersgenossinnen. Dies wirkt sich bis ins Erwachsenenalter aus. Erwachsene, die in der Kindheit unter Armut gelitten haben, sind häufiger chronisch krank als solche aus stabilen Verhältnissen.
Eltern unterstützen, Kinder stärken
Deshalb muss die medizinische Versorgung von Kindern aus armen Familien verbessert werden. Noch besser ist es, schon früher anzusetzen und die familiären Beziehungen zu stabilisieren, um physische und psychische Gesundheitsproblemen bei Kindern, die in Armut leben, gar nicht erst entstehen zu lassen. Dazu ist es notwendig, die Eltern zu unterstützen und ihnen selbst Möglichkeiten zur Stressbewältigung anzubieten. Ziel ist es, dass die ganze Familie besser mit Konflikten und Stresssituationen umgehen kann. Wichtig ist auch hier: Die Betroffenen müssen sich helfen lassen wollen. Sich Hilfe zu holen ist keine Schwäche, sondern ein souveräner Umgang mit einer Situation, die die eigenen Kinder und einen selbst belastet.