Gehirn & Nerven
Die Demenz, die Verhalten oder Sprache angreift
Veröffentlicht am:06.05.2025
6 Minuten Lesedauer
„Frontotemporale Demenz“ ist ein Wortungeheuer und eine beunruhigende Diagnose. Die seltene und schnell fortschreitende Erkrankung führt zunächst zu auffälligen Veränderungen im Verhalten, während das Gedächtnis lange unbeeinträchtigt bleibt.

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Demenz: Die Diagnose ist oft ein Schock
Demenz ist eine Krankheit, die meist im höheren Lebensalter auftritt und vor der viele große Angst haben. Schleichend sein Gedächtnis zu verlieren, die Fähigkeit, zu kommunizieren oder sein Verhalten zu kontrollieren — es lässt sich nicht beschönigen: Das sind alles andere als gute Aussichten.
Doch wenn man selbst oder ein nahestehender Mensch von beginnender Demenz betroffen ist, ist es sinnvoll zu wissen, was das bedeutet und auch, was mögliche Entwicklungen und Linderungsmöglichkeiten sein könnten. Insbesondere für pflegende Angehörige ist es wichtig zu wissen, worauf sie sich einstellen müssen.
Was ist die Frontotemporale Demenz?
Der Begriff „Demenz“ beschreibt nicht nur eine einzelne Krankheit, sondern eine ganze Gruppe von degenerativen Erkrankungen mit unterschiedlichen Mechanismen und Symptomen. Eine Untergruppe davon wird unter dem Begriff „Frontotemporale Demenz“ zusammengefasst.
Im Gegensatz zur Alzheimerschen Krankheit, im Volksmund kurz „Alzheimer“ genannt, sind bei dieser Form als erstes der Frontallappen und manchmal die Temporallappen des Gehirns befallen. Etwa drei bis fünf Prozent aller Fälle entfallen auf diese Untergruppe der Demenz.
Es leiden Sprache und Mitgefühl
Der Frontallappen befindet sich hinter der Stirn, über den Augen. Er ist zuständig für die Strukturierung von Handlungen: für Planung, für das Erkennen, was gerade wichtig ist, für Multitasking und für das Erkennen von Fehlern. Außerdem kontrolliert er unser Verhalten. Er sorgt dafür, dass wir sozial angemessen agieren, Mitgefühl zeigen, nicht beleidigend oder gewalttätig werden. Kurz: dass wir uns in die Gesellschaft einfügen. Auch an der Steuerung unserer Bewegungen und an unseren Sprachfähigkeiten ist er beteiligt.
Die Temporallappen sitzen unterhalb und seitlich des Frontallappens links und rechts im Gehirn. Sie sind wichtig für unsere Fähigkeit zu sprechen und sie sorgen dafür, dass wir
- Wörter und Sätze verstehen,
- Objekte erkennen und
- die Gefühle anderer wahrnehmen, um angemessen darauf reagieren zu können.
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Frontotemporale Demenz: Typische Symptome
Im Fall einer frontotemporalen Demenz lagern sich Proteine in Frontal- und/oder Temporallappen ab und sorgen dafür, dass dort Zellen absterben und dass Bereiche nicht mehr richtig funktionieren. Dafür können mehrere verschiedene Arten von Proteinen verantwortlich sein. Auch können sich die Orte im Gehirn unterscheiden, die als erste betroffen sind.
Probleme mit dem Gedächtnis sind bei frontotemporaler Demenz weniger auffällig. Sie können aber im Verlauf der Krankheit hinzukommen. Typisch für diese Art der Demenz ist auch, dass oft relativ junge Menschen betroffen sind. Häufig zeigt sie sich schon zwischen dem 45. und 65. Lebensjahr. Oft ist unklar, warum sich diese Demenz entwickelt. Aber in vielen Fällen spielt Vererbung eine Rolle.
Es gibt drei mögliche Gruppen von Symptomen, an denen die frontotemporale Demenz als erstes erkennbar wird.
Auffällige Veränderung im Verhalten
Die erste und häufigste Auffälligkeit ist ein verändertes Verhalten der erkrankten Person. Sie ist zum Beispiel ungewohnt impulsiv, scheint ihre guten Umgangsformen verloren zu haben oder reagiert nicht mehr angemessen auf die Gefühle anderer Menschen. Möglicherweise fällt es ihr schwer, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen oder sie verhält sich zwanghaft. Außerdem können Essattacken oder vermehrtes Trinken von Alkohol auf eine beginnende frontotemporale Demenz hinweisen – aber auch Passivität oder apathisches Verhalten.
Probleme mit der Sprache
Die zweite Symptomgruppe sind Sprachprobleme. Der betroffenen Person fällt es schwer zu sprechen, zu lesen und zu verstehen, was andere sagen. Sie sucht nach Wörtern, ihre Aussprache wird undeutlicher, sie wiederholt sich häufig oder sagt Dinge, die keinen Sinn ergeben. Manchmal kann sie auch Gesichter oder Gegenstände nicht mehr korrekt zuordnen. In manchen Fällen geht die Fähigkeit zu sprechen mit fortschreitender Krankheit komplett verloren.
Eingeschränkte Beweglichkeit
Bewegungsstörungen sind die dritte Symptomgruppe, die bei frontotemporaler Demenz auftreten kann. Die betroffene Person kann dann zum Beispiel ihre Arme und Hände nicht mehr einsetzen, obwohl die Kraft dafür eigentlich vorhanden wäre. Es fällt ihr schwer, Dinge zu tun, die genaue Bewegungen erfordern. Manchmal kommt es auch zu Schluckbeschwerden, zu Gleichgewichtsproblemen oder zu Schwierigkeiten, sich im Raum zu orientieren. Es fällt manchmal außerdem schwer, den Blick zu lenken.
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Diagnose: Wie lässt sich eine frontotemporale Demenz erkennen?
Erst einmal wird sich der oder die Untersuchende die Symptome schildern lassen. Dabei sind auch die Beobachtungen von Angehörigen wichtig, denn diesen fallen Änderungen im Verhalten oft früher auf als der oder dem Betroffenen selbst. Die Verhaltensauffälligkeiten oder Wesensänderungen stehen ja meist im Vordergrund.
Darauf folgen dann weitere Tests. Bei der körperlichen Untersuchung werden etwa Bewegungsfähigkeit, Muskelkraft, Sensibilität, Reflexe, Koordination und Gleichgewichtssinn beurteilt. Mit neuropsychologischen Tests werden zum Beispiel Wortflüssigkeit, Sprachverständnis und Sprachproduktion, Gedächtnis, Denkfähigkeit, Orientierung und Stimmung geprüft. Bildgebende Verfahren wie Computertomographie, Magnetresonanztomographie oder Positronenemissionstomographie (PET) können Auffälligkeiten in den entsprechenden Bereichen des Gehirns sichtbar machen.
Wichtig ist bei der Untersuchung auch, andere gesundheitliche Probleme auszuschließen, die ähnliche Symptome verursachen können, zum Beispiel die Folgen eines Schlaganfalls, ein Hirntumor, Depressionen, Psychosen oder andere Formen der Demenz. Eine Nervenwasseruntersuchung kann dabei helfen auszuschließen, dass der Patient oder die Patientin an der Alzheimerschen Krankheit leiden.
Vollmachten für Pflegende
Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht – wer demente Angehörige pflegt, sollte sich einige Vollmachten geben lassen, bevor die Krankheit zu weit fortgeschritten ist. Hier erfahren Sie, welche Vollmachten pflegende Angehörige haben sollten.

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Welche Therapien bei frontotemporaler Demenz gibt es?
Leider lässt sich das Fortschreiten einer frontotemporalen Demenz bislang noch nicht aufhalten. Allerdings gibt es Möglichkeiten, die Symptome zumindest auf Zeit zu lindern.
Was Arzt oder Ärztin verschreiben, hängt daher sehr davon ab, wie sich die Demenz bei einem Patienten oder einer Patientin auswirkt. Gegen Sprachschwierigkeiten kann Logopädie helfen, bei Problemen mit Bewegung und Koordination eine Ergotherapie. Wenn eine depressive Entwicklung oder das durch die Krankheit veränderte Verhalten für Probleme sorgen, wird zum Beispiel mit Antidepressiva oder Antipsychotika gearbeitet.
Es gibt leider keine Medikamente, die speziell gegen diese Form der Demenz wirken. Auch Mittel gegen die Alzheimersche Krankheit werden nicht empfohlen. Wenn es entsprechende motorische Symptome gibt, kommen aber manchmal Medikamente gegen die Parkinsonsche Krankheit zum Einsatz.
Hilfreich bei einer gestörten Orientierung sind auch eine helle, sichere und vertraute Umgebung sowie strukturierte Tage mit geregelten Abläufen. Regelmäßige Aktivitäten und Aufgaben können Betroffenen helfen, sich gebraucht zu fühlen.
Passende Angebote zum Thema
Deutsche Alzheimer Gesellschaft
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft hat auf ihrer Webseite Informationen zu Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen für Betroffene und Angehörige – auch im Fall von frontotemporaler Demenz.AOK-Familiencoach Pflege
Die AOK bietet außerdem den „Familiencoach“, ein Selbsthilfeprogramm für pflegende Angehörige. Es hilft dabei, die seelische Belastung für die betreuenden Personen zu lindern.
Was muss ich als Angehöriger oder Angehörige bedenken?
Die Pflege eines dementen Menschen kann sehr herausfordernd und belastend sein. Das gilt besonders bei frontotemporaler Demenz. Denn Betroffene sind unter Umständen kaum noch zu angemessenen Handlungen oder Verhaltensweisen zu bewegen. Auch können sie verletzend oder beleidigend werden. Dies ist zwar Ausdruck der Krankheit, kann aber dennoch schwer zu ertragen sein.
Zudem sind Bewegungseinschränkungen häufig mit Stürzen und anderen Unfällen verbunden. Und da sich Patienten und Patientinnen mit ihrem Verhalten oft selbst gefährden, müssen Pflegende sie und ihr Umfeld in vielen Fällen gut im Blick behalten.
Für Angehörige ist es deshalb wichtig, das eigene Leben, die eigenen Bedürfnisse und die persönlichen Grenzen nicht aus den Augen zu verlieren. Ab einem gewissen Stadium der Krankheit ist die Betreuung allein nicht mehr zu bewältigen. Deshalb sollte man rechtzeitig über häusliche Pflege und irgendwann auch über stationäre Pflege nachdenken. Arzt oder Ärztin, Pflegeeinrichtungen oder auch Selbsthilfegruppen für Angehörige können dabei helfen.
Die Lebenserwartung nach der Diagnose ist sehr unterschiedlich. Typisch ist eine Zeitspanne von acht bis zehn Jahren. Die Krankheit schreitet allerdings fort und die geistigen Fähigkeiten verschlechtern sich zunehmend. Deshalb sollte man wichtige finanzielle und rechtliche Dinge besprechen, so lange die Person dazu noch in der Lage ist. Auch sollte man sich Vollmachten und eine Patientenverfügung geben lassen, um später Entscheidungen im Sinne des oder der Kranken treffen zu können.