Zum Hauptinhalt springen
AOK WortmarkeAOK Lebensbaum
Gesundheitsmagazin

Pflegeformen

Aktivierende Pflege: Die Kraft der Selbstständigkeit

Veröffentlicht am:01.12.2022

6 Minuten Lesedauer

Aktivierende Pflege fördert die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von pflegebedürftigen Menschen. Doch was versteht man darunter und sind auch Angehörige in der Lage, sie anzuwenden?

Junge Pflegerin mobilisiert einen älteren Mann im Sinne der aktivierenden Pflege.

© iStock / FG Trade

Was beinhaltet das neue Pflegeverständnis?

Der Begriff der Pflegebedürftigkeit hat sich in den letzten Jahren verändert. Vor allem richtet sich Pflege nun stärker darauf aus, die Selbstständigkeit des Pflegebedürftigen möglichst lange zu erhalten und zu fördern. Das neue Pflegeverständnis folgt drei wesentlichen Grundgedanken:

  1. Umfassende Hilfe bei der Bewältigung der Folgen von Krankheit und funktionellen Beeinträchtigungen: Pflegebedürftige Menschen sollen direkt oder indirekt dabei unterstützt werden, die Auswirkungen ihrer gesundheitlichen Probleme in verschiedenen Lebensbereichen zu bewältigen. Dazu gehören die Förderung der Mobilität, die Aktivierung kognitiver und emotionaler Prozesse und die Unterstützung Demenzkranker in ihrem Alltag. Außerdem gehören die Bewältigung von Inkontinenz durch bessere Selbstpflegekompetenz und die Unterstützung pflegender Angehöriger bei herausforderndem Verhalten der zu pflegenden Personen dazu.
  2. Erhalt und Förderung der Selbstständigkeit: Die Pflegebedürftigen sollen ihre körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte wiedergewinnen oder erhalten, etwa durch bestimmte Bewegungsübungen und in Form von aktivierender Pflege.
  3. Aufklärung, Beratung und Anleitung pflegebedürftiger Menschen und ihrer Angehörigen: Die Unterstützung im Umgang mit den Folgen von Krankheit und funktionellen Beeinträchtigungen gewinnt beim neuen Pflegeverständnis an Bedeutung. Die Selbtspflege- und die Pflegekompetenz Pflegebedürftiger und ihrer Angehörigen soll erhöht werden. Dazu gehören unter anderem Anleitungen und Aufklärung zu einer individuell passenden Tagesplanung und zu erwartbaren Veränderungen von Selbstständigkeit, Sensibilisierung für gesundheitliche Veränderungen und die Befähigung zur Kommunikation.

Was ist aktivierende Pflege?

Aktivierende Pflege ist kein fest definierter Begriff. Meist wird darunter eine Form der Pflege verstanden, bei der die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit des pflegebedürftigen Menschen gefördert wird. Nach dem Motto „Hilf mir, es selbst zu tun“ gewinnen Pflegebedürftige an Selbstvertrauen und sie können verloren gegangene Fähigkeiten wiedergewinnen und erhalten. Dieses pflegerische Konzept ist dabei fester Bestandteil des neuen Pflegeverständnisses und der „normalen“, professionellen Pflege.

Viele Pflegebedürftige verlieren im Alter zusehends an Kraft und Energie. Handgriffe und Tätigkeiten, die die Menschen ihr Leben lang ohne Probleme selbst ausführen konnten, sind nun scheinbar unmöglich. Der Verlust dieser Selbstständigkeit ist für die meisten Betroffenen schwer zu ertragen. Die Folgen sind häufig Resignation und Antriebslosigkeit. Die aktivierende Pflege soll dem entgegenwirken und somit die Lebensqualität steigern.

Diese aktivierende Pflege sollte außerhalb der typischen Versorgungssituation stattfinden und sich bewusst nicht auf Defizite beziehen, sondern das stärken, was der zu pflegenden Person noch möglich ist. Dadurch soll der Zustand der Betroffenen so lange wie möglich erhalten oder wieder verbessert werden. Diese gezielte Ressourcenförderung umfasst die folgenden Bereiche:

  • Mobilität
  • kognitive und kommunikative Fähigkeiten
  • Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
  • Selbstversorgung
  • Umgang mit krankheits-/therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
  • gegebenenfalls Gestaltung des Arbeitslebens
  • soziale Kontakte und Haushaltsführung.

Hilfe zur Selbsthilfe: Nach dieser Definition der aktivierenden Pflege wird deutlich, dass die pflegende Person viel mehr Aufwand und Mühe in die pflegerischen Tätigkeiten stecken muss als bei der sogenannten reinen Versorgungspflege.

Aktivierende Pflege: Vorteile liegen auf der Hand

Auf die Frage „Warum Aktivierung in der Altenpflege?“ gibt es eine eindeutige Antwort: Alle Menschen möchten so lange wie möglich selbstbestimmt leben und aktiv am Leben teilhaben. Wer eine aktivierende Pflege genießt, kann auf mehreren Ebenen von den positiven Auswirkungen profitieren:

  1. Die Selbstständigkeit bleibt länger erhalten oder kann weitgehend zurückgewonnen werden.
  2. Geistige Fähigkeiten werden gefördert und bleiben länger erhalten.
  3. Körperliche Fähigkeiten werden gefördert, beibehalten oder wiedererlangt.
  4. Die Lebensqualität nimmt zu.
  5. In vielen Fällen verbessert sich die Gesundheit.

Darüber hinaus werden Körper und Geist aktiviert, die Pflegebedürftigen fühlen sich dadurch weniger müde und sind ausgeglichener.

Was gehört zur aktivierenden Pflege?

Aktivierende Pflege setzt dort an, wo der zu pflegende Mensch aus eigener Kraft nicht mehr weiterkommt. Vor allem bei folgenden Tätigkeiten können Pflegende oder pflegerisch ausgebildete Angehörige unterstützen:

  • Tätigkeiten im Haushalt
  • Körperpflege
  • Toilettengang
  • An- und Ausziehen
  • Ernährung
  • Beschäftigung
  • Bewegung

Ein Beispiel für aktivierende Pflege aus dem Bereich Ernährung: Es geht nicht nur darum, dass die gepflegte Person Unterstützung beim Essen erhält. Aktivierende Pflege zielt darauf ab, langfristig wieder selbst einkaufen, Mahlzeiten zubereiten und Essen auch genießen zu können.

Wichtig ist, dass die gepflegte Person nur soweit unterstützt wird, wie es nötig ist oder sie es möchte. Das Ziel ist die Förderung von Selbstständigkeit und mehr Selbstbestimmung.

Passende Artikel zum Thema

Welche Konzepte der aktivierenden Pflege gibt es?

Bei der aktivierenden Pflege unterscheiden Gesundheitsexpertinnen und Gesundheitsexperten zwischen der sogenannten aktivierend-therapeutischen Altenpflege und der aktivierenden Pflege bei Demenz. Aktivierend-therapeutische Altenpflege richtet sich vorwiegend an Menschen mit alterstypischen Mehrfacherkrankungen. Sie ist sehr individuell und wird den Bedürfnissen der zu pflegenden Person angepasst. Bei der aktivierenden Pflege bei Demenz steht die Demenzerkrankung im Fokus.

Aktivierend-therapeutische Altenpflege: das Bobath-Konzept

Das Bobath-Pflege-Konzept bildet die Grundlage für die aktivierend-therapeutische Altenpflege. Pflegerinnen und Pfleger sowie Therapeutinnen und Therapeuten arbeiten gemeinsam mit der zu pflegenden Person daran, fehlende oder eingeschränkte automatische Bewegungen zu festigen oder wieder zu erlernen. In der Altenpflege sollen so die körperlichen Bewegungen und vor allem das Gleichgewicht verbessert werden.

Wer schon relativ selbstständig ist, wird von der pflegenden Person dazu ermutigt, die Dinge zu üben, die noch nicht so gut funktionieren, auch wenn das Ziel über einen anderen Weg erreichbar wäre. Ein Beispiel: Die gepflegte Person kann sich eigenständig über die rechte Seite vom Rücken in die Seitlage bringen und sich aufsetzen. Über die linke Seite funktioniert es nicht. Das Ziel „Aufsetzen“ wird natürlich über die rechte Seite schnell erreicht und daher auch bevorzugt darüber ausgeführt. Die pflegende Person ermutigt die Gepflegte oder den Gepflegten nun immer wieder, sich über die „schwächere“ linke Seite aufzusetzen und unterstützt dabei. Hat sich der Bewegungsablauf deutlich verbessert, nimmt sich die Pflegeperson bei der Unterstützung zurück.

Älterer Mann trainiert im Rahmen von aktivierender Pflege seine Armmuskulatur.

© iStock / Kiwis

Aktivierende Pflege beinhaltet auch Kräftigungs- und Beweglichkeitsübungen – mehr Selbstständigkeit und Sicherheit im Alltag ist dabei das Ziel.

Aktivierende Pflege bei Demenz: Pflegemodell nach Böhm

Prof. Erwin Böhm orientiert sich bei seinem Pflege-Konzept an den emotionalen Bedürfnissen der zu pflegenden Demenz-Patientinnen und -Patienten. Viele Menschen sehnen sich nach dem Gefühl, wichtig zu sein und weiterhin gebraucht zu werden. Diese Form der Pflege ist re-aktivierend, denn sie wird so umgesetzt, dass gewohnte, aber verlernte Fähigkeiten zurückerlangt werden.

Dazu bezieht Böhm die individuelle Lebensrealität aufgrund von Lebenslauf und Erfahrungen der gepflegten Person mit in den Pflegeprozess ein. Nach diesem sogenannten psychobiografischen Pflegemodell ermittelt die Pflegeperson zuerst, welche Gewohnheiten die betroffene Person früher fest in ihrem Alltag integriert hatte. Mit diesem Wissen kann sie den zu pflegenden Menschen anregen, bestimmte Dinge wie etwa Aufstehen, Waschen und Anziehen wieder selbstständiger zu bewältigen. Besonderer Wert wird bei dieser Form der Pflege darauf gelegt, dass die gepflegten Menschen ein stetiges Gefühl von Sicherheit durch Vertrautes und Bekanntes erhalten. In diesem sicheren Umfeld haben sie dann die Chance, sich wieder etwas mehr Selbstständigkeit zuzutrauen. So soll dem oder der an Demenz erkrankten Person der Alltag etwas erleichtert werden.

Wer kann aktivierende Pflege durchführen?

Aktivierende Pflege wird meist von ausgebildeten Pflegepersonen durchgeführt. Viele Menschen möchten aber bis ins hohe Alter zu Hause leben und werden von Angehörigen gepflegt. In diesem Fall sollten sich die pflegenden Familienmitglieder über einen Pflegekurs mit dem Schwerpunkt „aktivierende Pflege“ Fach- und praktisches Pflegewissen aneignen. Nur so ist die optimale Unterstützung der oder des zu pflegenden Verwandten gewährleistet.

Je mehr Pflege Angehörige benötigen, umso mehr Fachwissen ist erforderlich. Wer einen Angehörigen pflegt, kann sich dementsprechend weiterbilden. Die Kosten für Pflegekurse werden von den Pflegekassen übernommen. Die Pflege eines oder einer Verwandten ist sowohl körperlich, als auch psychisch eine Belastung. Deshalb empfiehlt es sich, immer wieder zu prüfen, wie es um die eigene Verfassung und die Gesundheit steht, um sich selbst vor Überforderung zu schützen. Wenn nötig, können die Aufgaben dann auch von einer professionellen Pflegeperson ganz oder teilweise übernommen werden.

Im Vorfeld wird mit einem Arzt oder einer Ärztin besprochen, welche körperlichen und geistigen Fähigkeiten die zu pflegende Person mitbringt und wo gegebenenfalls unterstützt werden muss. In diesen Prozess wird der oder die Gepflegte optimalerweise miteinbezogen. Denn schon hier beginnt die Eigenständigkeit: Bei welchen Tätigkeiten möchte die Person Hilfe? Wo sind mögliche Grenzen? Was erwartete die Person von der aktivierenden Pflege? All diese Fragen gilt es im Vorfeld zu klären. Aktivierende Pflege ist ein ständiger Prozess und lässt sich am besten gestalten, wenn alle Beteiligten gemeinsam daran arbeiten und darüber sprechen.


Waren diese Informationen hilfreich für Sie?

Noch nicht das Richtige gefunden?