Achtsamkeit

Was ist digitale Gewalt und welche Auswirkungen hat sie?

Veröffentlicht am:26.11.2025

20 Minuten Lesedauer

Große Teile unseres Lebens finden heute online statt – auch die negativen Seiten. Im Netz wird beleidigt, ausgegrenzt, bedroht. Das nennt man digitale Gewalt. Doch wo fängt sie an, was zählt alles dazu und was macht digitale Gewalt mit den Betroffenen?

Auf dem Sofa in einem Wohnzimmer sitzt eine junge Frau. Mit der rechten Hand hält sie ein Smartphone, mit der linken fasst sie sich ans Kinn. Sie blickt ernst auf das Display.

© iStock / Pekic

„Analoge“ und digitale Gewalt: Die Grenzen verschwimmen

Digitale Medien spielen im Leben der meisten Menschen eine bedeutende Rolle – privat und bei vielen auch im Beruf. Manche haben reine Online-Freundschaften, andere arbeiten im Homeoffice und viele Einkäufe sowie Behördengänge werden digital erledigt. Was wir in der digitalen Welt tun – chatten, daten, einkaufen – hat Konsequenzen in der analogen Welt.

Es gibt kaum noch eine klare Grenze zwischen digitaler und analoger Wirklichkeit. Dies gilt auch für Belästigungen, Bedrohungen, Hass oder Gewalt. All das gibt es im echten Leben und im digitalen Raum. Und: Die Gewalt, die Menschen in der digitalen Welt erleben, ist genauso real wie die analoge Gewalt.

Manchmal setzt sich Gewalt aus dem Offline-Leben in die Online-Welt fort. Beispiele sind Partnerschaftsgewalt oder Jugendliche, die einen Mitschüler oder eine Mitschülerin auf dem Schulhof mobben und ihn oder ihr auch noch digital nachstellen. Aber auch das Gegenteil ist möglich: Ein Konflikt beginnt zunächst virtuell mit Bedrohungen, und plötzlich steht jemand vor der Haustür seines Opfers.

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Was gilt als digitale Gewalt? Definition und „Tatorte“

Eine allgemeingültige Definition von digitaler Gewalt gibt es nicht. Der Begriff umfasst verschiedene Arten der Beleidigung, Herabsetzung, Belästigung, Diskriminierung, sozialen Isolation und Nötigung anderer Menschen, die online stattfinden.

Digitale Gewalt äußert sich beispielsweise in Gestalt von Drohungen, im ungefragten Zusenden von Bildern, der unbefugten Veröffentlichung persönlicher Daten oder der Verbreitung von Lügen über bestimmte Personen. Die Orte, an denen digitale Gewalt stattfindet, sind ebenso vielseitig: Das E-Mail-Postfach, soziale Netzwerke, Messenger-Apps, Chat-Räume oder Dialogfunktionen auf Gaming-Plattformen sind Orte, an denen es zu digitaler Gewalt kommen kann.

Da digitale Medien überall und jederzeit verfügbar sind, ist digitale Gewalt weder zeitlich noch räumlich begrenzt, wie es etwa bei gewalttätigen Vorkommnissen während der Schulzeit oder am Arbeitsplatz der Fall ist. Digitale Gewalt entfaltet schnell ihre Wirkung und erreicht ein großes Publikum. Verunglimpfungen, die im Internet veröffentlicht werden, können zudem nur schwer gelöscht werden.

Und während wir im echten Leben in der Regel wissen, wer uns beleidigt oder bedroht, bleibt bei Hass im Netz manchmal unklar, wer hinter den Angriffen steckt. Diese Anonymität senkt die Hemmschwelle der Täter und Täterinnen und erschwert die Möglichkeit der Rückverfolgung. Wenn man nicht weiß, wer einen belästigt oder bedroht, ist das besonders beunruhigend.

Der Medienratgeber für Familien

Ein Junge sitzt an einem Tisch vor einer Computertastatur. Er bedient die Maus mit der rechten Hand und die Tastatur mit der linken. Er trägt ein Headset und blickt auf den Monitor des PCs, der nicht abgebildet ist, aber sein Gesicht beleuchtet. Neben dem Tisch steht ein blau leuchtender Gaming-PC.

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Cybergroomer nutzen bevorzugt die Foren von Online-Games, um sich an Kinder heranzumachen – eine Form von digitaler Gewalt.

Formen von digitaler Gewalt

Digitale Gewalt lässt sich darin unterscheiden, um welche Gewaltform es sich handelt und auf welchem Weg die Gewalt ausgeübt wird. Bei den einzelnen hier vorgestellten Kategorien geht es deshalb nicht nur um die Art der Gewalt – wie beispielsweise Diskriminierung aus rassistischen Gründen oder sexuelle Belästigung –, sondern auch um die Form der Ausübung.

Um beim Beispiel der sexuellen Belästigung zu bleiben: Sie kann sich in anzüglichen Chat-Nachrichten und Bildern äußern oder ein Teilaspekt von Stalking sein. Diskriminierung hingegen findet häufig in Form von Mobbing oder Hate Speech statt. Mobbing wiederum kann mit diffamierenden Bildern und Texten erfolgen. Die einzelnen Formen lassen sich also nicht klar voneinander abgrenzen.

  • Gewalt mit Bildern und Videos

    Hier geht es darum, dass Fotos oder Videos ohne das Einverständnis oder die Kenntnis der Betroffenen angefertigt, eventuell manipuliert und verbreitet werden. Bilder können auch als Erpressungs- und Drohmittel dienen. Der Inhalt des Bildmaterials ist oft intimer oder sexueller Natur (zum Beispiel Nacktbilder oder „Rachepornos“ nach einer Trennung); das muss aber nicht zwingend der Fall sein. Ein neuerer Aspekt dieser Gewaltform ist mittels Künstlicher Intelligenz gefälschtes Bildmaterial (Deep Fakes). Deep-Fake-Bild- oder Videodateien wirken täuschend echt. Neben der Deep-Fake-Technik spielen auch einfache Face-Swap-Apps eine Rolle. Damit lassen sich Gesichter sehr einfach von Fotos in Videos kopieren.

    Auch das ungefragte Zusenden unerwünschter Bilder fällt in den Bereich digitaler Gewalt. Das bekannteste Beispiel hierfür sind Penisfotos, sogenannte Dick-Pics. Manche Männer betrachten dies offenbar als akzeptable Form des Online-Flirts, doch dabei handelt es sich um nichts anderes als digitale Gewalt. Wer ungefragt ein Dick-Pic erhält, fühlt sich in der Regel massiv belästigt oder bedroht. Übrigens: Unaufgefordert Dick-Pics zu verschicken ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat (§ 184 Abs. 1, 6 Strafgesetzbuch).

  • Mobbing über digitale Medien (Cybermobbing)

    Generell bedeutet Mobbing, dass eine oder sehr oft mehrere Personen einen anderen Menschen belästigen, bedrängen, diffamieren, lächerlich machen und quälen. Beim Cybermobbing geschieht dies online, zum Beispiel per E-Mail, in Chat-Gruppen, in den sozialen Medien oder in Online-Foren. Neben sprachlichen Angriffen kommen oft auch herabsetzende Fotos und Videos zum Einsatz, die häufig digital bearbeitet und verfälscht sind.

  • Stalking und Tracking über digitale Medien (Cyberstalking)

    Stalking ist das ständige und hartnäckige Verfolgen, Überwachen, Belästigen oder Bedrohen einer Person über einen längeren Zeitraum hinweg. Bei der Online-Variante des Stalkings, dem Cyberstalking, nutzen die Täter und Täterinnen digitale Medien wie E-Mails, Messenger-Apps, Chat-Beiträge oder soziale Netzwerke, um ihre Opfer zu belästigen und zu verfolgen. Oft handelt es sich um Beziehungstaten.

    Technisch versierte Cyberstalker und -stalkerinnen mit Zugriff auf die digitalen Geräte ihrer Opfer können dort sogenannte Spyware oder Stalkerware installieren. Das sind Programme, die Informationen sammeln und an Unbefugte übermitteln. Ferner gibt es GPS- beziehungsweise Bluetooth-Tracker und Tools zur Standortbestimmung. Auch simple, heimlich installierte Kinderschutzprogramme können missbräuchlich zum Tracken verwendet werden. Der Stalker oder die Stalkerin weiß dank digitaler Hilfsmittel dann immer, wo sich das Opfer in der analogen Welt aufhält. Diese sogenannte Stalkerware verbindet so analoge mit digitaler Gewalt.

  • Hassrede (Hate Speech)

    Posts und Kommentare, die beleidigen, abwerten, erniedrigen, diskriminieren, aufhetzen und/oder bedrohen, bezeichnet man als Hassrede. Das inhaltliche Spektrum von Hate Speech ist unbegrenzt. Typisch sind rassistische, gewaltverherrlichende, sexistische, antisemitische oder homophobe Äußerungen. In der digital vernetzten Welt verbreitet sich Hassrede, begünstigt durch die Algorithmen bestimmter Netzwerke, rasend schnell. Die Verantwortlichen agieren hierbei oft anonym. Besonders häufig betroffen sind Personen des öffentlichen Lebens, aber grundsätzlich kann jeder Mensch, der soziale Medien nutzt, Opfer von Hate Speech werden.

  • Identitätsdiebstahl und Identitätsmissbrauch

    Wenn sich jemand eine fremde Online-Identität aneignet und unter deren Namen aktiv wird, ist das digitaler Identitätsdiebstahl. Wer in sozialen Netzwerken eine andere Identität nutzt, verfolgt in der Regel das Ziel, das Opfer zu diskreditieren, zu diffamieren und/oder zu verletzen. Dazu erstellt jemand einen Account unter einem fremden Namen, lädt dann zum Beispiel unangemessene Inhalte hoch oder verbreitet Lügen und Beleidigungen.

    Eine weitere sehr effektive Methode, um andere per Identitätsdiebstahl zu belästigen, ist das massenhafte Bestellen von Produkten in Onlineshops. Diese werden an die Adresse der betroffenen Person geschickt. Diese muss sich dann mit den unerwünschten Sendungen herumärgern.

  • Digitales Bloßstellen (Doxing)

    Beim Doxing sammeln digitale Gewalttäter und -täterinnen systematisch private und personenbezogene Daten eines anderen Menschen und veröffentlichen diese anschließend im Internet. Dies können Adressen, Finanzdaten, Bilder, Informationen zu persönlichen Vorlieben, Partnerschaften oder Krankheiten sowie Details über Familienangehörige sein. Das Ziel besteht darin, die betroffene Person bloßzustellen, einzuschüchtern oder zu schädigen.

  • Missbrauch von Kindern

    In fantastischen Rollen virtuelle Welten erkunden und dabei andere Kinder kennenlernen – das macht für viele Kindern den Reiz von Online-Spielen aus. Dort, aber auch in anderen Foren oder Apps, erstellen sie eigene Profile, oft mit Fotos, und verraten Persönliches. Das nutzen Täter (meistens sind es Männer) aus. Anhand der Fotos und Profilangaben können sie gezielt ein Opfer aussuchen, um es zu kontaktieren. Dieses Vorgehen nennt man Cybergrooming. Oft geben sich die Täter als Gleichaltrige oder als verständnisvolle ältere Jugendliche aus, um das Vertrauen der Kinder zu gewinnen. Sie machen Komplimente und täuschen gemeinsame Interessen vor. Das Kind freut sich über die Aufmerksamkeit und öffnet sich. Nach und nach vertraut es dem Täter, der sich immer verständnisvoll zeigt. Der Täter will das Kind schließlich dazu bewegen, immer mehr preiszugeben und bittet es zum Beispiel um (intime) Fotos oder Ähnliches. Schickt das Kind tatsächlich ein Foto, liefert es sich dem Täter aus. Dieser hat nun ein Druckmittel und kann das Kind erpressen.

Familiencoach Matthias Jung erklärt, wie Eltern Medienkompetenz fördern, Handysucht vorbeugen und digitale Reize für Jugendliche verstehen.

Was sind die Folgen digitaler Gewalt?

Betroffene von digitaler Gewalt haben oft das Gefühl, dass die Bedrohung genauso allgegenwärtig ist wie die digitalen Medien in unserem Alltag. Im Gegensatz zu Mobbing am Arbeitsplatz hört digitale Gewalt nicht nach Feierabend auf. Im E-Mail-Postfach, in den Messenger-Diensten oder in den sozialen Medien piept und vibriert es rund um die Uhr.

Vielleicht unterschätzen manche Täter und Täterinnen das Ausmaß ihrer Taten. Sie handeln ja „nur“ virtuell. Doch auch digitale Gewalt kann dazu führen, dass sich Betroffene in ihrem Zuhause unsicher fühlen oder berufliche Nachteile erleiden. Mobbing und andere Formen von Gewalt – unabhängig davon, ob sie analog oder digital ausgeübt werden – bedeuten emotionale Belastung, Stress oder Angst. Die Allgegenwärtigkeit der Bedrohung bei digitaler Gewalt kann psychische Probleme zusätzlich begünstigen. Mögliche Folgen sind beispielsweise Panikattacken und psychische Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen.

Um digitaler Gewalt vorzubeugen oder sie zumindest zu erschweren, gibt es verschiedene Tipps, die im Magazinbeitrag zum Schutz vor digitaler Gewalt vorgestellt werden.

Fachlich geprüft
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