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Dranginkontinenz – gut behandelbar und gar nicht peinlich

Veröffentlicht am:06.12.2023

6 Minuten Lesedauer

Viele Menschen, die unter Inkontinenz leiden, schränken sich lieber ein, als ärztliche Hilfe zu suchen. Dabei lässt sich gerade eine Dranginkontinenz, die einen plötzlich und besonders häufig zur Toilette treibt, medizinisch gut kontrollieren.

Ein Wegweiser zeigt den Weg zu einer öffentlichen Toilette, die 400 Meter entfernt ist.

© iStock / Heiko119

Dranginkontinenz und andere Formen der Inkontinenz

Wenn erwachsene Menschen Probleme haben, Urin oder Stuhl willentlich zurückzuhalten, sprechen Medizinerinnen und Mediziner von Harn- oder Stuhlinkontinenz. Für Betroffene bedeutet eine Inkontinenz immer auch eine psychische Belastung. Die Lebensqualität leidet, wenn Aktivitäten im Freundeskreis oder in der Familie gemieden werden, weil nicht immer eine Toilette in der Nähe ist. Ein normaler Alltag ist so kaum möglich – umso wichtiger ist es, bei Inkontinenz medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Die Dranginkontinenz ist eine besondere Form der Harninkontinenz. Bei einer Dranginkontinenz entsteht schon bei geringen Urinmengen in der Harnblase das Bedürfnis, Wasser zu lassen. Der Harndrang setzt sehr plötzlich ein und ist meist sehr stark (imperativer Harndrang). Oft schaffen es Betroffene dann nicht mehr rechtzeitig zur Toilette und lassen ungewollt kleine Mengen Urin ab. Meist müssen die Betroffenen auch sehr häufig die Toilette aufsuchen. Insbesondere nächtlicher häufiger Harndrang ist wegen der damit verbundenen Störung des Nachtschlafs sehr belastend.

Andere Formen der Harninkontinenz sind:

  • Belastungsinkontinenz oder Stressinkontinenz: Beim Husten, Niesen oder Lachen geht ungewollt Urin ab. Das liegt meist an einem schwachen Blasenschließmuskel.
  • Mischinkontinenz aus Belastungs- und Dranginkontinenz
  • Reflexinkontinenz: durch eine Schädigung des Rückenmarks (zum Beispiel bei Querschnittslähmung) kann der Blasenschließmuskel nicht mehr willentlich gesteuert werden.
  • Überlaufinkontinenz: Ein gestörter Harnabfluss verursacht eine übervolle Blase. Typisches Symptom ist ein beständiger, tröpfchenweiser Harnverlust.

Bei Männern ist Dranginkontinenz die häufigste Inkontinenzform. Frauen leiden häufiger unter Belastungsinkontinenz, mit steigendem Alter nehmen Drang- und Mischinkontinenzen zu.

So funktioniert die Harnblase

Wenn wir getrunken haben, wird im Darmtrakt ein Großteil der Flüssigkeit aufgenommen und gelangt dann in den Blutkreislauf. Das Blut fließt bis zu 300-mal am Tag durch die Nieren. Diese filtern Stoffwechselprodukte und giftige Stoffe aus dem Blut heraus und kontrollieren den Wasser- und Elektrolythaushalt des Körpers. Am Schluss dieses Filterprozesses steht der sogenannte Sekundärharn, besser bekannt als Urin. Über die Harnleiter gelangt der Urin zur Harnblase. Dort wird er gesammelt, bis wir ihn beim Wasserlassen aus dem Körper ausscheiden – durchschnittlich rund 1,7 Liter Urin am Tag, im Einzelfall je nach Trinkmenge auch deutlich mehr oder weniger.

Die Harnblase ist ein dehnbares Organ. Sie kann bei Frauen ungefähr 500 Milliliter und bei Männern 700 Milliliter Urin speichern. In der Blasenwand sitzen Nerven, die dem Gehirn mitteilen, dass die Blase sich dehnt, also gefüllt ist. Dieses Signal – wir empfinden es als Harndrang – wird schon ab ungefähr 150 bis 250 Milliliter Flüssigkeit abgegeben. Gesunde Menschen haben also noch reichlich Zeit, bis die Blase vollständig gefüllt ist. Sie entscheiden bewusst, ob sie den Harndrang noch eine Weile unterdrücken oder eine Toilette aufsuchen wollen. Beim Wasserlassen ziehen sich die Muskelschichten in der Blasenwand zusammen, der Schließmuskel am Blasenboden entspannt sich, der äußere Schließmuskel der Blase wird willentlich geöffnet und der Urin fließt über die Harnröhre ab.

Das hört sich einfach an, aber hinter den Vorgängen des Wasserlassens und des Anhaltens von Urin steht ein komplexes Zusammenspiel zwischen Muskeln, Nerven und Hormonen, das durch Gehirn und Rückenmark kontrolliert wird. Außerdem braucht man dazu eine ausgebildete Beckenbodenmuskulatur. Die Koordination zwischen den Organen muss sich erst entwickeln, weswegen Babys und Kleinkinder noch nicht in der Lage sind, kontrolliert Wasser zu lassen.

Dranginkontinenz: Ursachen und Diagnose

Bei einer Dranginkontinenz können Menschen ihre Blase unter einem plötzlich aufttretenden Harndrang nicht mehr ausreichend kontrollieren. Ursache ist eine überaktive oder überempfindliche Blase. Diese Störungen der normalen Blasenfunktion können zum Beispiel bedingt sein durch:

Diese Faktoren begünstigen eine Drang- oder Mischinkontinenz zusätzlich:

Drei ältere Menschen in Sportkleidung sitzen auf einem Baumstamm und lachen, zwei von ihnen trinken Wasser.

© iStock / PeopleImages

Bei einer Dranginkontinenz wird empfohlen, über den Tag verteilt häufiger kleine Mengen Flüssigkeit zu trinken. Größere Trinkmengen können den Drang erhöhen.

So diagnostizieren Ärzte und Ärztinnen eine Dranginkontinenz

Eine Dranginkontinenz kann in vielen Fällen erfolgreich behandelt oder zumindest gelindert werden. Um die Ursache einer Harninkontinenz zu ermitteln, muss der Arzt oder die Ärztin zunächst feststellen, welcher Inkontinenztyp vorliegt und prüfen, welche chronischen Grunderkrankungen (zum Beispiel neurologische Erkrankungen) oder vorübergehenden Ursachen (zum Beispiel Blasenentzündung) die Beschwerden ausgelöst haben könnten.

Dazu wird er zunächst erfragen, seit wann die Inkontinenz besteht und wie sie sich genau bemerkbar macht. Dabei kann in bestimmten Fällen auch das Führen eines Blasentagebuchs (Miktionstagebuch) sinnvoll sein. Hier halten Sie fest:

  • was, wann und wie viel Sie trinken
  • wann und wie viel Sie willentlich Wasser lassen
  • wann und wie viel Urin unwillentlich abgeht

Diese Informationen bieten Medizinern und Medizinerinnen einen guten ersten Eindruck über die Probleme.

Auf Basis dieser Informationen erfolgt dann die weitere Diagnostik, die unter anderem beinhalten kann:

  • körperliche Untersuchung
  • Urin- und Blutuntersuchung
  • sogenannte urodynamische Untersuchungen zu Abklärung der Harnblasen- und Schließmuskelfunktion
  • Blasenspiegelung (Zystoskopie)
  • bildgebende Verfahren wie Ultraschall

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Wie wird eine Dranginkontinenz behandelt?

Die Behandlung der Dranginkontinenz hängt von ihrer Ursache ab. Wenn die Inkontinenz durch eine akute oder chronische Erkrankung wie eine Blasenentzündung oder Diabetes mellitus ausgelöst oder begünstigt wird, steht die Behandlung dieser Grunderkrankung im Vordergrund.

Zudem werden zur Behandlung der Inkontinenz bestimmte Lebensstiländerungen sowie ein Beckenboden- und Blasentraining empfohlen. Sind diese einfachen Strategien nicht ausreichend, können Medikamente und weitere Therapiemaßnahmen zum Einsatz kommen.

  • Lebensstiländerung

    Die Auswertung des Blasentagebuchs kann Hinweise darauf geben, was Sie an Ihrem Lebensstil ändern können, um die Dranginkontinenz zu verbessern. Manchen Betroffenen hilft beispielsweise eine Reduzierung des Konsums von Koffein, Alkohol, kohlensäurehaltigen Getränken oder künstlichen Süßstoffen. Bei Menschen, die zu Verstopfungen neigen, kann auch eine ballaststoffreichere Ernährung hilfreich sein, da Verstopfungen Inkontinenzprobleme verschärfen können. Menschen mit Übergewicht oder Adipositas sollten eine Gewichtsabnahme anstreben. Zudem ist eine über den Tag verteilte kontrollierte Flüssigkeitsaufnahme wichtig. Die Aufnahme großer Trinkmengen auf einmal kann Inkontinenzprobleme verstärken. Daher sollten am besten viele kleinere Mengen über den Tag verteilt getrunken werden. Sie können die Flüssigkeitszufuhr drei Stunden vor dem Schlafengehen reduzieren, um nächtlichen Urinabgang oder Toilettengänge zu vermeiden – aber achten Sie darauf, tagsüber ausreichend zu trinken.

  • Beckenbodentraining: Übungen helfen auch bei Dranginkontinenz

    Starke Beckenbodenmuskeln unterstützen das Zurückhalten des Urins. Beckenbodentraining stärkt die Beckenbodenmuskulatur durch gezieltes Anspannen und Entspannen der Muskeln.

  • Freeze and Squeeze

    Neben einem regelmäßigen Beckenboden-Training können Sie bei plötzlich einsetzendem Harndrang die „Freeze and Squeeze“-Technik probieren. Dazu bleiben Sie bei Einsetzen des Harndrangs zunächst ganz ruhig stehen oder sitzen und bewegen sich nicht (Freeze). Das hilft dabei, die Kontrolle zu behalten, denn hektisch auf die Toilette zu eilen verstärkt die ungewollten Blasenkontraktionen eher. Danach spannen Sie die Beckenbodenmuskulatur für ein bis zwei Sekunden an, entspannen sie wieder und wiederholen dies drei bis fünf Mal (Squeeze). Eine bewusste ruhige Bauchatmung kann zusätzlich helfen, den Harndrang abzuschwächen, um anschließend in Ruhe die Toilette aufsuchen zu können.

  • Blasentraining bei Dranginkontinenz

    Ein Blasentraining hat das Ziel, die bei einer Dranginkontinenz oder überaktiven Blase sehr häufigen Toilettengänge zu reduzieren. Dazu gehen Sie nach einem festen Zeitplan zur Toilette, den Ihr Arzt oder Ihre Ärztin Ihnen auf Basis des Blasentagebuchs vorschlägt. Sie versuchen, diesen Zeitplan unabhängig vom Harndrang einzuhalten. Tritt außerhalb dieses Zeitplan ein Harndrang auf, sollten Sie versuchen, diesen mit der „Freeze and Squeeze“-Technik zu kontrollieren. Wenn dies gut gelingt, verlängern Sie nach und nach die Abstände zwischen den Toilettengängen, bis im Idealfall ein Intervall von drei bis vier Stunden erreicht ist.

  • Medikamente und weitere Therapiemaßnahmen

    Ist mit diesen einfachen Maßnahmen keine ausreichende Besserung der Inkontinenz erreichbar, kann der Arzt oder die Ärztin die zusätzliche Einnahme von Medikamenten empfehlen. Sogenannte Anticholinergika dämpfen bei einer Dranginkontinenz die überaktive Blasenmuskulatur. Ergänzend oder alternativ können auch bestimmte Beta-Mimetika eingesetzt werden. Wenn diese Medikamente nicht helfen, kann unter Umständen Botulinumtoxin A, auch bekannt als Botox, zum Einsatz kommen. In die Blase injiziert, entspannt es die Blase, so dass der Harndrang gedämpft wird. Wenn auch dieser Ansatz erfolglos bleibt oder es zu Nebenwirkungen kommt, können andere invasive Maßnahmen erwogen werden: Beispielsweise eine sakrale Neuromodulation, bei der ein elektrischer Impulsgeber im oberen Gesäßbereich unter der Haut implantiert wird, der die unterschiedlichen Nervenimpulse, die mit dem Wasserlassen verbundenen sind, moduliert.

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