Psychologie

Was sind eigentlich „Incels“?

Veröffentlicht am:06.11.2025

6 Minuten Lesedauer

„Incel“ steht für „involuntary celibate“. Das heißt „unfreiwillig sexuell enthaltsam“. So definieren sich junge Männer, die online häufig mit frauenverachtenden Beiträgen auffallen. Was verbirgt sich dahinter? Und wie gefährlich ist das Phänomen?

Ein mänlicher Jugendlicher in schwarzem Kapuzenpullover sitzt im Dämmerlicht vor einem Laptop, er blickt auf das Handy, das er in der Hand hält.

© iStock / Imgorthand (Symbolbild)

Incel: eine Kultur junger Männer im Internet

Der Begriff „Incel“ kursiert seit einigen Jahren, vor allem unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen – und unter denen, die sich mit Gegenkulturen im Internet befassen. Spätestens die Serie „Adolescence“ brachte ihn ins breitere Bewusstsein. Sie erzählt von einem 13-jährigen Jugendlichen, der beschuldigt wird, eine Mitschülerin umgebracht zu haben.

„Incel“ bedeutet „involuntary celibate“, auf deutsch „unfreiwillig sexuell enthaltsam“. Im Internet schreiben sich junge Männer diesen Begriff zu, die darunter leiden, keine Partnerin zu finden. Es gibt Websites und Online-Foren, in denen sich Incels versammeln und sich gegenseitig Bestätigung geben. Sie kommunizieren dort sprachlich und inhaltlich oft extrem frauenfeindlich und menschenverachtend. Auch einige Gewalttäter hatten Bezüge zur Incel-Szene, etwa der Mann, der im Jahr 2019 einen Anschlag auf die Synagoge von Halle verübte.

Incels fügen sich mit ihrem Hass auf Frauen in die so genannte „Manosphere“ im Internet ein. Zu dieser gehören außerdem sogenannte „Pick-Up-Artists“, die versuchen, Frauen durch manipulative Techniken für sich zu gewinnen. Außerdem Aktivisten für Männerrechte und sogenannte „Men, who go their own Way“ – also Männer, die der Meinung sind, es sei das Beste, sich von Frauen generell fernzuhalten.

Wie Incels die Welt sehen

Was die Partnerwahl zwischen Männern und Frauen angeht, haben Incels ein sehr starres Weltbild. Sie gehen davon aus, dass es von Genetik, Biologie und gesellschaftlichen Umständen abhängt, welcher Mann und welche Frau ein Paar werden oder Sex miteinander haben. Sie glauben, es gebe Alpha-Männer mit besonders guten Genen, zu denen sich Frauen automatisch hingezogen fühlten. Einen freien Willen in dieser Hinsicht sprechen Incels den Frauen ab: Die Partnerwahl sei durch die Evolution so festgelegt. Für Frauen wird daher der entmenschlichende Begriff „Femoid“ verwendet – er beschreibt sie als eine Art Roboter. Auch andere abwertende Bezeichnungen werden häufig benutzt.

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Sich selbst sehen Incels gegenüber diesen Alpha-Männern als genetisch unterlegen und daher chancenlos an. Andererseits glauben sie, dass Frauen Männern Dinge wie Liebe, Sex, Aufmerksamkeit und Fürsorge schulden. Einige versuchen, durch das sogenannte „Looksmaxing“ gegen diese vermeintliche Tatsache anzuarbeiten: Sie trainieren ihren Körper, nehmen Steroide, auch kosmetische Eingriffe werden diskutiert.

Sehr viele Incels fügen sich aber in ihre vermeintlich vorbestimmte Rollen: Sie gehen davon aus, dass sie nichts an ihrer Situation ändern können und resignieren. Für diesen Zustand wird der vom Kinofilm „The Matrix“ inspirierte Begriff „Blackpill“ verwendet. Häufig wünschen sich Incels auch eine Vergangenheit zurück, in der Frauen wirtschaftlich abhängiger von Männern waren. Dieser Zustand, so die Incel-Logik, habe die Chancen von Nicht-Alpha-Männern verbessert, zu einer Partnerin und zu Sex zu kommen.

Wie gefährlich sind Incels?

Es gibt Zusammenhänge zwischen Gewaltverbrechen und der Incel-Szene. So hinterließ Elliot Rodger, der 2014 im kalifornischen Isla Vista sechs Menschen tötete, bevor er sich selbst umbrachte, ein Manifest, in dem er den Wunsch äußerte, auf diese Weise ein Alpha-Mann zu werden. Auch Stephan Balliet, der 2019 bei einem versuchten Anschlag auf die Synagoge von Halle zwei Menschen tötete, schrieb Texte, in denen sich Codes aus der Incel-Szene finden. Solche Taten werden von einem Teil der Szene in den Foren gefeiert, ebenso wie Gewalt gegen Frauen im Allgemeinen. Auch finden sich in der Szene Männer, die schon im echten Leben durch Belästigung oder andere Übergriffe gegen Frauen aufgefallen sind.

Allerdings heißt das nicht automatisch, dass eine Mehrheit der Incels Gewalt befürwortet. So befragten britische und amerikanische Forschende gut 500 Männer, die sich selbst als Incels definierten. Die deutliche Mehrheit hielt Gewalt gegenüber Menschen, die sie als schädlich empfanden, nie oder zumindest selten für angebracht.

Auch zwischen Rechtsextremismus und der Incel-Szene gibt es Überschneidungen. Dennoch lässt sich daraus nicht ableiten, die Mehrheit der Incels sei politisch weit rechts. Die schon erwähnte Umfrage ergab sogar eine durchschnittliche politische Einstellung leicht links der Mitte. Und nicht zuletzt ist die Incel-Szene multikulturell. Neben weißen gibt es auch schwarze oder asiatische Incels, auch die religiösen Hintergründe dieser Männer sind unterschiedlich.

Zwei junge Männer sitzten an einem sonnigen Tag draußen in einer öffentlichen Grünanlage und unterhalten sich lachend.

© iStock / miodrag ignjatovic (Symbolbild)

Der direkte Austausch mit Freunden oder anderen Menschen ist für Incels eine Möglichkeit, aus der geschlossenen Welt des Internets herauszufinden.

Wer wird ein Incel? Die psychologischen Hintergründe

In Umfragen wurden von Mitgliedern häufig Angstzustände und Depressionen genannt, auch Gedanken an Selbstmord und Selbstverletzung wurden häufig erwähnt.

Forschungsergebnisse legen nahe, dass es sich bei Incels oft um Männer handelt, die große Probleme haben, in der realen Welt Beziehungen zu anderen aufzubauen – gleich, ob es dabei um eine Partnerschaft oder eine Freundschaft geht. Nicht wenige Incels haben unter Mobbing gelitten. Ein negatives Selbstbild, Einsamkeit und Wut scheinen vorherrschende Gefühle zu sein. Auch Anzeichen für eine Autismus-Spektrum-Störung finden sich auffällig oft. Außerdem zeigen einige Incels Persönlichkeitsmerkmale, die für Störungen aus dem schizophrenen Spektrum typisch sind.

Hilfe bei Internet-Süchten

Abhängigkeiten im Zusammenhang mit PC, Smartphone und Internet können viele verschiedene Gesichter haben. Hilfsangebote in der Nähe lassen sich auf der Website der Initiative Erste Hilfe Internetsucht recherchieren.

Viele beschreiben den Rückzug ins Internet als eine Art Flucht, unter anderem in Onlinespiele und Pornographie. In Incel-Communities bestärken sich die Mitglieder gegenseitig in ihrer Haltung und finden, zumindest oberflächlich, Gleichgesinnte. Damit verbunden ist aber die Gefahr, sich in seinem Incel-Sein zu radikalisieren.

Den Zustand vieler Mitglieder der Szene beschreibt der Incel-Begriff „LDAR“ – „Lay down and rot“, auf deutsch „sich zurücklehnen und verrotten“. Darunter versteht man, nichts Konstruktives mehr zu tun, sondern seine Zeit im Internet zu verbringen, Kontakte zu vernachlässigen oder einfach im Bett zu bleiben.

Wie kommt man wieder aus der Incel-Szene heraus?

Therapeuten und Therapeutinnen stoßen bei der Interaktion mit Incels auf mehrere Probleme. Zum einen tun sich Incels schwer damit, im echten Leben Beziehungen aufzubauen. Das macht es kompliziert, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Und zum zweiten ist es Teil der Weltsicht von Incels, dass ihr Schicksal durch ihre Gene festgelegt ist. Also halten sie jeden Versuch, ihr Leben zu verbessern, häufig für sinnlos.

Es ist noch mehr Forschung nötig, um das Phänomen „Incel“ genauer zu verstehen und Incels zielgerichtet helfen zu können. Da sich ihr Leben aber oft auch notgedrungen zu einem großen Teil im Internet abspielt, regen Forschende an, den Incel-Websites und Foren virtuelle Räume entgegenzusetzen, in denen junge Männer einen wirklichen sozialen Austausch innerhalb einer Gemeinschaft finden: Plätze, an denen Probleme mit Beziehungen und männlicher Identität konstruktiver adressiert werden, könnten Incels helfen, aus ihren geschlossenen Welten auszusteigen. Oder erst gar nicht hereinzugeraten.

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