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Gesundes Gaming: Wie Videospiele die kognitiven und motorischen Fähigkeiten stärken

Veröffentlicht am:28.12.2021

5 Minuten Lesedauer

Computerspiele sind vielen Eltern ein Dorn im Auge. Eine häufige Sorge: Das Zocken könnte zu mangelnden Sozialkompetenzen oder Persönlichkeitsstörungen führen. Doch Gaming kann durchaus positive Effekte auf kognitive und motorische Fähigkeiten haben.

Ein Junge zockt am PC.

© iStock / sakkmesterke

Porträt von Prof. Dr. Jürgen Gallinat

© UKE Hamburg

Welche Spiele sich positiv auswirken können und was sie genau bewirken, lesen Sie im Interview mit Prof. Dr. Jürgen Gallinat, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie im UKE Hamburg. Er setzt für seine psychiatrischen und neurologischen Studien schon seit vielen Jahren Videospiele ein.

Was passiert beim Gaming in unserem Körper?

Spielen an sich ist eine natürliche Handlung unseres Organismus. Es entwickelt, trainiert und verbessert unsere Fähigkeiten. Ganz entscheidend dabei ist der Spaß daran. Heute wissen wir, dass Spaß auch eine neurologische Grundlage hat, dazu gehört zum Beispiel, dass während des Spielens Dopamin ausgeschüttet wird. Ein Neurotransmitter, der motivierend und antriebssteigernd wirkt. Probanden, die für unsere Studien 30 Minuten täglich Videospiele spielten, betonten häufig die positiven Effekte des Spielens. Sie fühlten sich vitaler, waren aufmerksamer und aktiver.

Welche positiven Effekte kann Gaming auf unsere kognitiven oder motorischen Fähigkeiten haben?

Wir haben in mehreren kontrollierten Studien gesunde Probanden 8 Wochen lang etwa 30 Minuten täglich ein Videospiel namens „Super Mario“ spielen lassen. Mit seiner Spielfigur muss man hier durch einen Parcours navigieren, um bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Eine andere Gruppe las zur gleichen Zeit ein Buch auf einem digitalen Lesegerät. Vor und nach einer achtwöchigen Trainingsphase à 30 Minuten täglich haben wir ein MRT vom Kopf jedes Probanden angefertigt, um zu schauen, ob es eine Veränderung der Hirnstruktur geben könnte.

Wir fanden heraus, dass sich nach acht Wochen Videospielen mehrere Areale des Gehirns vergrößert hatten, besonders der Hippocampus, eine Hirnregion, die vor allem für Gedächtnisbildung, aber auch für räumliche Navigation bedeutsam ist. Auch der präfrontale Cortex hat sich vergrößert. Eine Region, die zum Beispiel mit strategischen Überlegungen, Entscheidungsfindungen, aber auch mit Reaktionszeit und Aufmerksamkeit zu tun hat. Selbst Teile des Kleinhirns, die für die Feinmotorik der Finger an der Hand zuständig sind, vergrößerten sich. Für die lesenden Probanden traf dies nicht zu.

Was uns aber sehr erstaunt hat, war folgende Erkenntnis: Je mehr Spaß die Leute an dem Spiel hatten, desto größer wurden auch die entsprechenden Hirnregionen. Spaß ist also nicht nur eine nette Beigabe für Videospiele, sondern wichtig für die Plastizität des Gehirns. Das bedeutet auch, dass wir Spielziele oder das nächste Level eher erreichen, wenn wir Spaß daran haben. Einfach gesagt, wer Spaß an etwas hat, lernt auch schneller.

„Wir fanden heraus, dass sich nach acht Wochen Videospielen mehrere Areale des Gehirns vergrößert haben.“

Prof. Dr. Jürgen Gallinat
Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie im UKE Hamburg

Ein Junge hat Spaß bei Videospielen.

© iStock / blackCAT

Spaß beim Videospielen kann womöglich zu besseren Effekten führen.

Warum setzt man Videospiele in der Psychiatrie ein?

In klinischen Studien kommen Videospiele beispielsweise bei Patienten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zum Einsatz – einer sehr komplexen Erkrankung mit verschiedenen psychischen Symptomen im Gefolge traumatisierender Ereignisse. In einer Studie untersuchten wir in Kooperation mit dem Bundeswehrkrankenhaus Berlin Soldaten mit einer PTBS. Zusätzlich zu ihrer psychotherapeutischen Behandlung trainierten diese Soldaten täglich 30 Minuten in einem Zeitraum von 6 Wochen ein Videospiel namens „Tetris“. Ein Spiel, bei dem Figuren räumlich gedreht werden, um diese in eine Fassung zu bringen.

Die Gruppe der Soldaten mit einem sechswöchigen Videospieltraining hatten anschließend weniger Symptome als die Gruppe der Soldaten ohne das Videospiel. Diese Symptomreduktion bezog sich zum einen auf die posttraumatische Belastungsstörung, aber auch auf die Ängstlichkeit und Depressivität der Patienten. Zudem konnten wir mittels MRT nachweisen, dass sich ihr Hippocampus vergrößert hatte. Das Besondere daran war vor allem: Je größer der Hippocampus wurde, desto deutlicher ließ die Symptomatik nach. Das hat uns weiter ermuntert, daran zu forschen, ob dies auch bei Patienten mit Schizophrenie oder Demenz funktionieren kann.

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Gibt es bestimmte Spiele, die unsere Fähigkeiten fördern?

Für Studienzwecke wurden „Super Mario“ und „Tetris“ eingesetzt, welche Spiele eignen sich noch, um die kognitiven und motorischen Fähigkeiten zu verbessern? 

Laut unseren Studien sind Jump-and-Run-, Puzzle- oder Logikspiele, wohldosiert, durchaus geeignet. Hierdurch wird vor allem der Hippocampus gefordert, der wichtig für Navigationsfähigkeit und Orientierung ist. Hinzu kommt, dass der Hippocampus eine besonders plastische Hirnregion ist, also beispielsweise neue Nervenzellen generiert. Das ist bei vielen anderen Hirnregionen heute noch nicht so klar. Für unsere Forschung versuchen wir deshalb, Spielinhalte zu entwickeln, die ganz gezielt auf bestimmte Hirnregionen einwirken können, um hierdurch auch bestimmte Symptome zu lindern.

Auch wenn Logik- oder Jump-and-Run-Spiele besser für den Hippocampus geeignet sind als actionbasierte Rollenspiele, sollte man einen Punkt nicht außer Betracht lassen: Alles, was man übertreibt oder überdosiert, neigt zu unerwünschten Effekten. Unsere Studien sagen also nicht aus, dass ein Kind sechs bis acht Stunden am Tag Videospiele spielen sollte. Denn im Umkehrschluss geht alles, was man in dieser Zeit nicht trainiert und nicht gelernt hat, eben auch verloren. Und dann nützt es wenig, wenn man zwar seinen Hippocampus in räumlicher Navigation trainiert hat, aber keine sozialen Fertigkeiten erworben hat.

Bei Videospielen ist tatsächlich die Dosis entscheidend. Denn dann sind sie nicht nur „des Teufels“, sondern können auch gute Effekte erzielen. Der Gesamtkontext ist hier ebenfalls entscheidend. Ist Videospielen bei Kindern und Teenagern in den familiären Kontext eingebettet, geregelt und Thema der familiären Diskussionen, ist es möglich, eventuelle Fehlentwicklungen zu vermeiden oder frühzeitig zu erkennen.

„Ungeeignet ist exzessives, nicht kontrolliertes Spielen, welches darüber hinaus andere wichtige Aktivitäten verhindert.“

Prof. Dr. Jürgen Gallinat
Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie im UKE Hamburg

Wie verhält es sich mit den negativen Effekten, machen Videospiele wirklich aggressiv?

Wir haben auch dazu eine Studie durchgeführt. Eine Gruppe spielte „Grand Theft Auto“ („GTA“), ein Videospiel, in dem man aggressives Agieren benötigt, um das Spielziel zu erreichen. Eine andere Gruppe spielte in der gleichen Zeit ein „Siedler“-Spiel, bei dem man ein Dorf oder eine Stadt aufbauen und entwickeln muss und keinerlei Aggressionen notwendig sind. Wir haben dann, wieder nach acht Wochen Training, verschiedene Messungen vorgenommen, um aggressive Gedanken oder Impulse abbilden zu können. Wir konnten aber keine Unterschiede in der Aggressivität zwischen beiden Gruppen feststellen, weder nach Trainingsende noch einige Wochen später. Man muss allerdings erwähnen, dass es sich hier um Erwachsene handelte und wir nicht sagen können, dass dies bei Jugendlichen genauso wäre. Aber: Es ist nicht klar beantwortbar, ob Videospiele aggressiv machen. Unsere Daten deuten nicht darauf hin.

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