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Psychologie

Co-Abhängigkeit – Wenn die Sucht anderer das eigene Leben prägt

Veröffentlicht am:24.07.2023

6 Minuten Lesedauer

Die Sucht einer nahestehenden Person hat erhebliche Auswirkungen auf das eigene Leben. Es kann zu einer sogenannten Co-Abhängigkeit kommen. Mit diesen Tipps können co-abhängige Personen sich, aber auch der suchtkranken Person wirklich helfen.

Co-Abhängigkeit: Ein alkoholkranker Mann trinkt auf dem Sofa neben seiner müde und blass aussehenden Partnerin, die zur Seite wegschaut.

© iStock / Liubomyr Vorona

Was ist Co-Abhängigkeit?

Eine wissenschaftlich anerkannte Definition von Co-Abhängigkeit gibt es nicht. Ursprünglich bezieht sich Co-Abhängigkeit auf Angehörige alkoholkranker Menschen. Der Begriff taucht erstmals in den 1940er Jahren in den USA auf. Seitdem haben sich in der Fachwelt verschiedene Ansichten über Co-Abhängigkeit entwickelt. Für manche Experten und Expertinnen können alle Süchte und auch psychische Erkrankungen wie Depression oder eine narzisstische Persönlichkeitsstörung Co-Abhängigkeit verursachen. Andere weiten den Betroffenenkreis auf das gesamte soziale Umfeld der suchtkranken Person aus.

Co-Abhängigkeit ist ein komplexes und viel diskutiertes psychologisches Konzept. Oftmals sind bei einer Co-Abhängigkeit dieselben Verhaltensmuster zu erkennen. Beispielsweise ist häufig zu beobachten, dass die co-abhängigen Personen den suchtkranken Personen – und somit auch sich selbst – eigentlich nicht helfen, sondern eher schaden. Co-abhängige Verhaltensweisen unterstützen meist unbewusst die Sucht und können diese sogar verstärken, weshalb in der Fachwelt häufig auch von suchtförderndem Verhalten statt Co-Abhängigkeit gesprochen wird. Wichtig ist dabei festzuhalten, dass co-abhängige Personen niemals für die Sucht der anderen verantwortlich gemacht werden dürfen.

Wie äußert sich Co-Abhängigkeit?

Nicht jede Beziehung zu einer suchtkranken Person führt automatisch zu einer Co-Abhängigkeit. Die Grenzen sind jedoch fließend – co-abhängiges Verhalten findet oft unbewusst statt. So kann co-abhängiges Verhalten zum Beispiel auch am Arbeitsplatz vorkommen, wenn Kollegen oder Kolleginnen immer wieder für die suchtkranke Person einspringen oder sie immer wieder vor dem Chef oder der Chefin decken.

Beispiele für co-abhängiges Verhalten:

  • wenig hilfreiche Fürsorge
    Beispiel: Der suchtkranken Person wird Alkohol gekauft, um sie bei Laune zu halten. Oder die suchtkranke Person wird vom Partner oder von der Partnerin beim Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin krankgemeldet, um einen Rausch oder eine Alkohofahne zu vertuschen.
  • Herunterspielen der Sucht oder Entschuldigen der Sucht
    Beispiel: Das Trinkverhalten des Partners oder der Partnerin fällt im Familienkreis auf, wird aber immer wieder entschuldigt – mit dem Argument, die suchtkranke Person habe gerade eine schwierige Zeit oder zu viel Stress.
  • Übermäßige Kontrolle
    Beispiel: Um die suchtkranke Person vom Konsum abzuhalten, werden Taschen und Schränke nach alkoholhaltigen Getränken durchsucht. Der oder die Nicht-Abhängige versucht mit aller Macht, die suchtkranke Person vom Trinken abzuhalten – scheitert aber immer wieder.

Wer ist besonders von einer Co-Abhängigkeit betroffen?

Die Forschungsbefunde zum Zusammenhang zwischen bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen und Co-Abhängigkeit sind noch unzureichend. Es gibt erste Hinweise darauf, dass Menschen mit einem hohen Maß an Emotionskontrolle (Neurotizismus) möglicherweise anfälliger für Co-Abhängigkeit sind als andere. Menschen mit ausgeprägtem Neurotizismus neigen zu emotionaler Labilität, Ängstlichkeit und Traurigkeit. Sie sind häufiger nervös, unsicher oder reagieren sehr sensibel auf Stress. Es wird vermutet, dass sie den Stress, der durch das Zusammenleben mit einer suchtkranken Person entsteht, auf ungünstige Weise bewältigen – und in der Folge co-abhängig werden.

Die Verbindung von Co-Abhängigkeit und psychischen Merkmalen ist immer wieder Gegenstand von Fachdiskursen. So können Kinder alkoholkranker Eltern psychische oder soziale Auffälligkeiten wie das Helfersyndrom entwickeln, die im Erwachsenenalter dazu führen, dass sie sich Partner oder Partnerinnen mit Alkoholproblemen suchen, die sie versorgen können. Menschen mit Helfersyndrom helfen anderen aus einem Eigenbedürfnis heraus – zum Beispiel, um das Selbstwertgefühl aufrechtzuhalten. Sie helfen auch dann, wenn ihre Hilfe nicht erwünscht ist oder schaden kann – ähnlich wie bei einer Co-Abhängigkeit.

Eine Co-Abhängigkeit kann aber auch ohne vorherige belastende Erfahrungen entstehen – und krank machen.

Was sind die Folgen einer Co-Abhängigkeit?

Eine Co-Abhängigkeit hat in der Regel Folgen für beide Seiten – für die co-abhängige und die suchtkranke Person. Diese erkennt ihren missbräuchlichen Konsum erst gar nicht oder redet sich ein, es sei alles in Ordnung. Ihre Sucht bleibt ohne Konsequenzen; sie muss sich mit ihr nicht auseinandersetzen.

Und selbst wenn sie die Sucht als solche wahrnimmt, glaubt sie meist, aufhören zu können, wann immer sie will. Die co-abhängige Person teilt diesen Glauben oft, wird jedoch immer wieder enttäuscht. Wut und Hoffnungslosigkeit nehmen zu, ein Ohnmachtsgefühl entsteht. Eigene Bedürfnisse werden zurückgestellt, das eigene Leben findet nicht mehr statt, dreht sich nur noch um die suchtkranke Person. In Familien können Existenzängste hinzukommen, wenn der Hauptverdiener oder die Hauptverdienerin suchtkrank ist. Beziehungen mit Suchtkranken sind zudem häufig von Gewalt und Missbrauch geprägt. Die Folgen dieser Dauerbelastung können körperlich spürbar sein – Migräne, Schlaflosigkeit und Magenerkrankungen können auftreten. Auch psychisch kann sich die Dauerbelastung bemerkbar machen – Angstzustände und Depressionen können die Folge sein.

Neu denken, sich besser fühlen

Was hilft Co-Abhängigen und wo bekommen sie Unterstützung?

Sucht ist für viele ein Tabuthema. Angehörige von Süchtigen trauen sich häufig nicht, im Freundeskreis oder in der Familie über die Sucht des Partners oder der Partnerin zu sprechen. Sie schämen sich und wahren lieber den Schein als sich Hilfe zu holen. Dabei wäre genau das der richtige Weg. Offen mit der Sucht des Partners oder der Partnerin umzugehen, kann befreiend sein. Die gefühlte Verantwortung für die suchtkranke Person abzugeben, ist häufig ein erster Schritt, sich wieder um die eigenen Bedürfnisse und die eigene Gesundheit kümmern zu können.

Angehörige können sich auch an Suchtberatungsstellen und Selbsthilfegruppen wenden, wo sie sich mit anderen Co-Abhängigen austauschen können. Das kann zunächst auch anonym via Telefon oder Mail erfolgen. Eine regelmäßige, persönliche Beratung ist aber auf lange Sicht hilfreicher als kurze, punktuelle Gespräche. Schließlich braucht die co-abhängige Person Zeit, um Probleme zu erkennen und Wege aus der belastenden Situation zu finden.

Auch für Kinder suchtkranker Eltern gibt es Anlaufstellen, die zielgerichtet Hilfe und Unterstützung für die jeweiligen Altersgruppen anbieten. So kann zum Beispiel mit dem Beraterteam von Kidkit oder NACOA Deutschland gechattet werden. Die Selbsthilfegemeinschaft Al-Anon bietet in Familiengruppen Unterstützung digital, aber auch vor Ort an.

Eine Gruppe Co-Abhängiger sitzt auf Stühlen in einem Kreis und spricht miteinander.

© iStock / Vladimir Vladimirov

Oft hilft es Co-Abhängigen miteinander in einer Therapiegruppe über ihre Situation und Erlebtes zu sprechen.

Wie können Co-Abhängige suchtkranken Partnern helfen?

Ein Partner oder eine Partnerin ist kein Therapeut beziehungsweise keine Therapeutin. Gleichwohl kann es hilfreich sein, der suchtkranken Person das Gespräch anzubieten, Probleme klar aufzuzeigen, Grenzen zu setzen, aber auch Unterstützung bei einer möglichen Therapie zu signalisieren.

Tipps für das Gespräch mit der suchtkranken Person:

  • Ich-Botschaften verwenden: „Ich mache mir Sorgen“, „Ich kann Dir nicht mehr helfen“, „Ich möchte, dass du dir Hilfe holst“.
  • Ausreden lassen und zuhören: Verständnis zeigen – auch wenn die Situation bereits angespannt ist. Von Schuldzuweisungen sollte generell abgesehen werden. Sie führen dazu, dass die suchtkranke Person abblockt. Es können aber zeitliche Grenzen gesetzt werden – gerade im beruflichen Umfeld ist das sinnvoll. Zum Beispiel: „Ich möchte, dass du dir in den nächsten zwei Wochen Hilfe holst/mit dem Chef sprichst.“
  • Gemeinsam Lösungen finden: Alkohol zum Feierabend oder als Belohnung kann zum Beispiel durch Aktivitäten ersetzt werden. Überlegen Sie zusammen, was hier individuell passen könnte.
  • Nichts erwarten: Kritik hört kein Mensch gern, und sich ein Suchtproblem einzugestehen, ist ein großer Schritt, der nicht von heute auf morgen erfolgen wird. Seien Sie deshalb nicht enttäuscht, wenn die suchtkranke Person erstmal abweisend reagiert. Beziehen Sie das nicht auf sich. Bleiben Sie dran. Drängen Sie sich aber nicht auf und erwarten Sie nichts. Jeder Mensch muss selbst Verantwortung für sein Leben übernehmen.

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