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Psychologie

Was ist das Helfersyndrom?

Veröffentlicht am:20.04.2023

5 Minuten Lesedauer

Wann ist ein Mensch nur sehr hilfsbereit und ab wann kann man von einem Helfersyndrom sprechen? Hier finden Sie Informationen zu übertriebener Hilfsbereitschaft und zum Umgang mit Betroffenen.

Ein Mann streckt als Geste der Hilfsbereitschaft die rechte Hand aus.

© iStock / Mladen Zivkovic

Normale und übertriebene Hilfsbereitschaft

Für das menschliche Zusammenleben ist es wichtig, anderen zu helfen. Nicht nur eigene Bedürfnisse zu sehen, sondern auch empathisch auf andere zu reagieren, zeichnet den Menschen als soziales Wesen aus und ermöglicht gesellschaftliches Zusammenleben. Dabei lebt jeder einzelne in einem Spannungsfeld zwischen seinen eigenen Bedürfnissen und den Anforderungen seines sozialen Umfeldes. Wer nur die eigenen Ansprüche befriedigt, handelt egoistisch. Altruismus hingegen bezeichnet eine Hilfsbereitschaft ohne direkten eigenen Vorteil. Wer sich für andere einsetzt, kann dadurch allerdings sein Ansehen steigern. So erwächst aus Altruismus doch noch ein persönlicher Vorteil: Hilfsbereite Menschen genießen Vertrauen und es ist wahrscheinlich, dass ihnen selbst auch Gutes getan wird. Wenn man in größeren Dimensionen denkt, profitiert vom altruistischen Einsatz Einzelner – etwa im Ehrenamt – die ganze Gesellschaft und darüber wiederum jeder Einzelne als Teil dieser Gesellschaft.

Weil Altruismus positiv für die Menschheit als Ganzes ist, nehmen manche Forschende an, dass altruistisches Verhalten angeboren ist – zumindest die Anlage dazu, denn die Erfahrung lehrt, dass nicht alle Menschen auf gleiche Weise altruistisch handeln. Altruistisches Verhalten kann jedoch durch gezieltes mentales Training gefördert werden.

Wann wird aus positivem Altruismus etwas Negatives? Dann, wenn Menschen sich selbst über die Erfüllung der Bedürfnisse anderer vernachlässigen und Altruismus in selbstschädigendes Verhalten umschlägt. Ein solcher übertriebener Altruismus wird im deutschsprachigen Raum auch als Helfersyndrom bezeichnet.

Helfersyndrom: eine Definition

Für den Begriff „Helfersyndrom“ gibt es unterschiedliche Definitionen. Er wird zum Beispiel benutzt, wenn das Helfen nicht ausschließlich aufgrund einer objektiven Hilfsbedürftigkeit anderer erfolgt, sondern weil das Helfen an sich ein Bedürfnis des Helfenden darstellt. International verwenden Fachleute häufig den Begriff pathologischer Altruismus. Auch dieser wird als ein Verhalten beschrieben, bei dem der Versuch, das Wohlergehen anderer zu fördern, zu einer Selbstvernachlässigung oder Selbstschädigung führt. Manchmal kann es für die Betroffenen auch wichtig sein, Hilfe zu leisten, um das eigene Selbstwertgefühl aufrechtzuerhalten.

Wer sich selbst vernachlässigt, ist anfälliger für psychische Probleme

Das Helfersyndrom (oder übertriebene Hilfsbereitschaft) ist keine psychische Störung oder Erkrankung. Wenn man sich jedoch ständig im selbstlosen Engagement für andere aufreibt, können körperliche und psychische Probleme die Folge sein: Zum Beispiel anhaltende Erschöpfungszustände, Burnout und psychische Erkrankungen wie Depressionen.

Eine erschöpfte junge Pflegerin lehnt sich im Gang eines Krankenhauses an die Wand und fasst sich an die Stirn.

© iStock / alvarez

In sozialen Berufen ist die Gefahr besonders groß, sich im Einsatz für andere selbst zu vernachlässigen.

Ein Phänomen bei Menschen in sozialen Berufen?

Viele äußerst hilfsbereite Menschen ergreifen soziale Berufe und üben damit auch professionell eine Helferrolle aus. Die ständige Konfrontation mit der Hilfsbedürftigkeit anderer, die ein sozialer Beruf meist mit sich bringt, kann die Hilfsbereitschaft dieser Personen zusätzlich herausfordern. Hilfsbereitschaft ist eine wertvolle Eigenschaft für die soziale Arbeit – aber für Berufstätige im sozialen Bereich, bei denen die Bereitschaft zu helfen sehr stark ausgeprägt ist, besteht ein besonderes Risiko, die eigene Gesundheit und die eigenen Bedürfnisse zu vernachlässigen und psychisch zu erkranken.

Andererseits besteht kein kausaler Zusammenhang zwischen der Wahl eines sozialen Berufs und dem Helfersyndrom. Übertriebene Hilfsbereitschaft kommt auch unabhängig von sozialen Berufen vor. Dennoch können vorbeugende Maßnahmen für die psychische Gesundheit bei Menschen in sozialen Berufen hilfreich sein. Zum Beispiel eine professionell angeleitete Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle als professionelle Hilfsperson und mit den Zielen, die man verfolgt. Es geht auch darum, im Sinne einer Selbstfürsorge den Blick von den anderen auf sich selbst zu richten. Institutionen im sozialen Bereich können betriebliche Selbstfürsorgeaktivitäten gezielt fördern.

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Mögliche Ursachen für übertriebenen Altruismus

Bevor man nach den Ursachen des Helfersyndroms sucht, sollte man zuerst fragen: Warum sind Menschen überhaupt hilfsbereit? Forschende bieten hier ganz unterschiedliche Erklärungen. Manche vermuten, dass Altruismus im Gehirn und Nervensystem verankert ist. Andere betonen den sozialen Einfluss der Umgebung, in der man aufwächst. Es wird außerdem angenommen, dass Empathiefähigkeit und Hilfsbereitschaft sich bei den meisten Heranwachsenden nach vergleichbaren Entwicklungsmustern herausbilden.

Interessant ist auch die Theorie, dass soziales Verhalten mit davon determiniert werden kann, inwieweit hilfsbereite Menschen darüber Selbstbestätigung erfahren. Kinder, die altruistisches Verhalten zeigen, sind im Allgemeinen gut an ihre soziale Umgebung angepasst. Manchmal können hilfsbereite Kinder aber aus dem Erfolg ihrer Hilfe keine Selbstbestätigung beziehen, was dazu führen könnte, dass sie diese Bestätigung durch übertriebene Hilfsbereitschaft später immer wieder aufs Neue suchen und vom Helfersyndrom betroffen sein könnten.

Die Ursachen für exzessiven Altruismus sind aber letztlich so wenig geklärt, wie man sich in der Fachwelt auf eine Definition des Begriffs Helfersyndrom einigen konnte. Unabhängig von dieser fachlichen Diskussion gibt es unbestritten Menschen, die Gefahr laufen, sich über ihre Hilfsbereitschaft selbst zu schaden.

Woran erkennt man, dass hilfsbereite Menschen sich selbst schaden?

Weil das Helfersyndrom keine anerkannte psychische Krankheit ist, sondern allenfalls ein Komplex unterschiedlicher psychischer Auffälligkeiten, gibt es streng genommen keine „Symptome“. Zumindest sind sie nicht so klar definiert, wie es bei gut erforschten Erkrankungen meist der Fall ist. Es gibt aber ein paar mögliche Anzeichen dafür, dass jemandem seine Hilfsbereitschaft zum Problem werden könnte:

  • höchste Sensibilität für Bedürfnisse anderer
  • ständiges Gefühl, gebraucht zu werden
  • Unfähigkeit, „Nein“ zu den Bitten anderer zu sagen
  • Bedürfnisse anderer werden zu den eigenen gemacht; eigene werden missachtet
  • Verständnis für die Schwäche anderer und Strenge im Umgang mit sich selbst
  • geringe Neigung, eigene Schwächen anzuerkennen und selbst Hilfe anzunehmen

Mögliche konkrete Beispiele für übertriebenen Altruismus sind Menschen, die im Büro ständige Anlaufstelle für Kollegen und Kolleginnen mit Problemen sind, ihnen sogar in ihrer Freizeit mit Arbeitseinsätzen helfen oder manchmal auch Hilfe aufdrängen.

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Wie kann Menschen mit Helfersyndrom selbst geholfen werden?

Bei Menschen, die sich permanent für andere aufopfern und sich selbst vernachlässigen, ist die Gefahr von Überforderung, Erschöpfung und psychischer Erkrankungen hoch. Deshalb sollten Angehörige versuchen, zunächst bei den Betroffenen ein Problembewusstsein zu erzeugen. Menschen mit Helfersyndrom kann nur dann geholfen werden, wenn sie akzeptieren, dass sie selbst hilfebedürtftig sind. Und darin liegt das Problem: Denn zum übertriebenen Altruismus neigende Menschen wollen ihre eigenen Schwächen oder gar ihre eigene Hilfsbedürftigkeit oft nicht einräumen.

Besonders wenn für Betroffen die eigene Hilfsbereitschaft zur persönlichen Selbstbestätigung wichtig ist – und die eigene Hilfsbedürftigkeit den Selbstwert untergräbt –, wird es für Angehörige zu einer großen Herausforderung, die Bereitschaft zu erzeugen, selbst Hilfe anzunehmen. Angehörige oder der Freundeskreis sollten behutsam und empathisch das Gespräch auf die Gefahr der Überforderung und Erkrankung lenken und auf professionelle Beratungsstellen aufmerksam machen.

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