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Sucht

Tipps für Angehörige Alkoholkranker

Veröffentlicht am:23.11.2021

12 Minuten Lesedauer

Wenn jemand dem Alkohol verfällt, hat das oft auch Folgen für seine Familie. Gleichzeitig ist sie die beste Chance für den Suchtkranken. Psychiater Dr. Martin Reker gibt Tipps, wie sich Angehörige in so einer Situation verhalten sollten.

Mutter tröstet Kind, das unter der Alkoholsucht vom Vater leidet.

© iStock / Alexander_Safonov

Leere Versprechungen, unerfüllte Erwartungen, viele Lügen und im schlimmsten Fall sogar Gewalt – für Angehörige von Alkoholikern ist der Alltag voll von Enttäuschungen und Angst. Sie leiden unter der Sucht teilweise stärker als der eigentlich Betroffene. Aber die Situation ist nicht aussichtslos.

Dr. Martin Reker, Leiter der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bethel, Bielefeld

© Ev. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel / Christian Weische

Dr. Martin Reker ist Leiter der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bethel, Bielefeld und Autor des Buches „Umgang mit alkoholabhängigen Patienten“. Im Interview erklärt er, wie Angehörige mit Suchtkranken und der daraus resultierenden Situation umgehen können und welche Rolle sie in der Bekämpfung der Krankheit spielen.

Wann Alkohol zum Problem wird

Woran erkennen Angehörige eine Alkoholabhängigkeit?

Ich glaube, dass die Frage, ob jemand alkoholabhängig ist oder nicht, gar nicht die entscheidende ist. Sondern ob der Alkohol gesundheitlich oder im psychosozialen Bereich familiäre Probleme macht oder nicht. Das sind teilweise auch Kriterien, die für die Ärzte bedeutsam sind, um eine Abhängigkeit zu definieren, wie etwa:

  • wenn die Alkoholtoleranz steigt, also derjenige immer mehr Alkohol trinkt, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen.
  • wenn jemand richtige Entzugszeichen bekommt, derjenige beispielsweise morgens wach wird, zittert und was trinken muss, damit er zur Ruhe kommt oder überhaupt arbeitsfähig wird.
  • wenn jemand keine richtige Kontrolle hat und sagt, dass er oder sie heute nur zwei Bier oder drei Gläser Wein trinken will. Aber es jedes Mal oder in unregelmäßigen Abständen in Alkoholexzessen endet.

Aber ganz entscheidend sind eben auch soziale Probleme, die auch ohne eine Abhängigkeit auftreten.

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Welche sozialen Probleme können auftreten?

Wenn jemand zwischendurch exzessiv trinkt und dann:

  • gewalttätig wird,
  • sich und andere Menschen in Gefahr bringt, indem er etwa betrunken Auto fährt
  • oder Verantwortung gegenüber Kindern nicht wahrnimmt.

Das sind beispielsweise alles Punkte, bei denen Angehörige wach und aufmerksam sein müssen, selbst wenn die Medizin das noch nicht zwingend als eine Abhängigkeit begreift.

„Es kommt nicht darauf an, Abhängigkeitskriterien zu definieren. Alkohol ist immer dann ein Problem, wenn das normale Familienleben stark beeinträchtigt wird.“

Dr. Martin Reker
Leiter der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bethel, Bielefeld

Mit den Betroffenen ins Gespräch kommen

Wie können Betroffene problematischen Alkoholkonsum ansprechen?

Das Problem ist, dass dieses Thema gesamtgesellschaftlich und innerhalb der Familie extrem schambesetzt ist. Menschen fühlen sich schuldig und gestehen sich ihr Problem häufig nicht ein.

Insofern stößt man in der Regel, wenn man das sehr konfrontativ anspricht, auf Widerstandsreaktion. Die Leute werden sauer und blockieren. Darum bewährt sich, das Thema an ganz konkreten Dingen festzumachen, ohne große Vorwürfe und sehr respektvoll – das ist die wohl wichtigste Vokabel in dem Kontext. Verbunden mit einem Hilfsangebot ist das die beste Chance, einen Gesprächseinstieg zu finden.

Es hilft, wenn die Angehörigen, beispielsweise eines trinkenden Ehepartners, sich in die Situation hineinversetzen. Also erstens die Schuld und die Schamgefühle berücksichtigen und zweitens von der Überlegung ausgehen, dass Alkohol auch vermeintlich immer sinnvoll erscheint. Niemand trinkt ohne Grund. Aus diesem Verstehenszusammenhang sollten sie dann gerade innerhalb der Familie versuchen, das Gespräch einzuleiten. Und dann kann in einer zweiten Linie noch mal deutlich gemacht werden, was das Trinken für das ganze Familiengefüge bedeutet.

Haben Sie ein konkretes Beispiel für einen Gesprächseinstieg?

Das unterscheidet sich natürlich von Situation zu Situation. Aber es ist eigentlich immer von Vorteil, eine Verbindung durch eine Problembeschreibung herzustellen, die sich nicht direkt auf den Alkohol bezieht, etwa: „Ich merke, dass deine Arbeit dich aktuell total stresst und du abends immer ein bisschen trinken musst, um wieder runterzukommen. Ist es nicht sinnvoll, mit deinem Vorgesetzten zu sprechen, damit wir deine Arbeitssituationen verbessern können?“

Gibt es für das Gespräch eine passende Gelegenheit?

Früher waren Behandlungen oft sehr konfrontativ angelegt, da gab es die sogenannte Johnson Intervention. Also alle Leute, die einen kennen, wurden versammelt und haben dem Alkoholkranken der Reihe nach den Marsch geblasen. Und das Auto zur Therapie stand schon vor der Tür. Das macht man heute so nicht mehr.

Ich würde erstmal einen möglichst kleinen Rahmen suchen, schon allein aus Respekt vor der Intimität des Themas. Das ist die bessere Möglichkeit, eine Akzeptanz für die Problematik herzustellen. Dann kann man auch gemeinsam überlegen, welche Vertrauenspersonen man in die Lösungssuche mit einbeziehen sollte.

„Wichtig ist, dem Suchtkranken nicht alle Lasten, die damit verbunden sind, abzunehmen, damit er auch selber merken kann, wie problematisch die Sucht ist.“

Dr. Martin Reker
Leiter der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bethel, Bielefeld

Kinder aus der Verantwortung nehmen

Es können auch Kinder in so eine Situation involviert sein, wie geht man damit um?

Von den meisten Suchtkranken, aber auch von ihren Angehörigen wird oft unterschätzt, was Kinder mitkriegen. Weil die Leute erst nach Feierabend trinken oder weil die Diskussionen erst nach Feierabend losgehen, wenn die Kinder schon schlafen, glauben sie, dass die Kinder nichts von der Situation wissen. Das ist aber in der Regel falsch. Kinder sind hochsensibel und wissen meistens viel mehr, als die Betroffenen denken.

Insofern ist es aus meiner Sicht sinnvoll, Kinder früh anzusprechen, selbst wenn sie noch vergleichsweise klein sind. Was man nur bedenken muss, ist eine Gefahr, die darin schon ein bisschen angelegt ist: dass man die Kinder wie Erwachsene behandelt.

Was ist daran so gefährlich, Kinder „wie Erwachsene zu behandeln“?

Wir Therapeuten sprechen in so einem Fall von Parentifizierung. Die sozialen Rollen zwischen Elternteilen und ihrem Kind werden demnach vertauscht. Dem Kind wird eine Aufpasserrolle zugemutet, im Extremfall so was wie: „Wenn du dich jetzt brav verhältst und in der Schule lernst, dann muss der Papa auch nicht mehr trinken.“

Das kommt häufiger vor, dass es solche Schuldzuweisungen an Dritte und eben auch an Kinder gibt. Das ist eine der schädlichsten Folgen von Alkoholkonsum, dass Kinder sich schuldig und verantwortlich für die aktuelle Situation fühlen.

Was ist der richtige Weg, um mit Kindern zu reden?

Kinder sollten auf jeden Fall extrem entlastet werden. Elternteile sollten ihnen zu verstehen geben, dass sie nichts dafürkönnen und dass sie als Eltern alles dafür tun, um die Situation zu verändern. Im Zweifel können die Eltern auch versuchen, aus dem außerfamiliären Umfeld Unterstützung zu bekommen. Damit den Kindern vermittelt wird, die Situation ist in guten Händen. Kinder brauchen ein Gefühl von Sicherheit und die Hoffnung, dass die Situation wieder besser wird.

Grenzen setzen und sich als Angehöriger selbst schützen

Es gibt in Deutschland seit Jahrzehnten eine Tradition, diese Situation unter dem Gedanken der Co-Abhängigkeit zu sehen. Der beinhaltet, dass der gesunde Partner durch seine unterstützende Haltung letztendlich dafür sorgt, dass der Trinker oder die Trinkerin ihr Verhalten immer weiter fortsetzen kann. Insofern komme es für den Angehörigen darauf an, sich selbst zurückzunehmen und dafür zu sorgen, dass der oder die Suchtkranke für das eigene Verhalten haften und die negativen Folgen selbst tragen muss.

Man darf nicht vergessen, dass die negativen Folgen, die der Suchtkranke zu tragen hat, auch auf die ganze Familie zurückfallen.

Um ein klassisches Beispiel zu nehmen: Eine Frau ruft immer beim Arbeitgeber ihres Ehepartners an und sagt: „Mein Mann ist krank“, stattdessen liegt der aber betrunken im Bett. Theoretisch wäre es besser, wenn sie gar nicht anruft und der Chef irgendwann ihren Mann rausschmeißt. Nur so merkt er, dass seine Verhalten Konsequenzen hat. Dazu gehört aber auch, dass dann die ganze Familie keinen Unterhalt mehr hat. Und das betrifft viele andere Situationen auch.

Insofern kann ich auch verstehen, dass viele Angehörige sagen, dass sie ihrem Partner beistehen, damit so was nicht passiert. Trotzdem müssen sie eine klare Linie fahren, damit der oder die Suchtkranke stärker für sein oder ihr eigenes Verhalten haftet. Das bleibt immer richtig, auch wenn es nicht an allen Stellen so ultimativ sein darf. Aber noch wichtiger ist, dass man auf Situationen achtet, in denen Suchtkranke tatsächlich mal abstinent sind oder etwas anderes machen wollen, und diese dann besonders fördert und stützt.

Ich glaube, für viele ist es gut, in so einer Situation ein gewisses Coaching oder professionelle Unterstützung zu haben, zum Beispiel im Rahmen von Paar- oder auch Einzelgesprächen.

„Niemand muss sich moralisch verpflichtet fühlen, die eigene Gesundheit oder sogar das eigene Leben und das seiner Kinder aufs Spiel zu setzen, um einen chronischen Alkoholkranken immer weiter über Wasser zu halten.“

Dr. Martin Reker
Leiter der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bethel, Bielefeld

Wie finden Angehörige von Alkoholkranken das richtige Maß?

Es ist ein schmaler Grat, da gibt es auch gar kein Patentrezept. Es hängt davon ab, wie viel Haltekraft und Solidarität in der Familie besteht, wer was aushalten kann, was man wem zumuten kann und wie lern- und entwicklungsfähig eine Familie ist. Ich wünsche jedem Familienmitglied die innere Freiheit zu entscheiden, was er oder sie bereit ist mitzumachen und wo eine rote Linie überschritten wird.

Für mich wäre eine absolute Grenze erreicht, wenn ich als Angehöriger tätlich angegriffen würde und/oder wenn meine Kinder in chronischer Angst leben und durch das Verhalten des süchtigen Elternteils traumatisiert werden. Ich denke, als erwachsener Mensch hat jeder für sich das Recht auf eine eigene Entscheidung, die Grenze auch früher oder später zu ziehen. Für Kinder gilt das anders. Ihr Schutz und ihr Recht auf ein Leben in Sicherheit sollte nach meiner Überzeugung oberste Priorität haben.

Wie sieht der richtige Umgang bei häuslicher Gewalt aus?

Häusliche Gewalt kommt leider in Familien, in denen viel getrunken wird, häufiger vor. Darum muss im Interesse aller Beteiligten – auch vor einer möglichen Trennung voneinander – ein Umgang gefunden werden, bei dem möglichst niemand zu Schaden kommt. Dazu gehört, dass man Sicherungskonzepte einbaut. Zum Beispiel Rückzugsmöglichkeiten für die potenziellen Opfer.

Das kann zum Beispiel heißen, dass die Mutter bei einer aggressiven Phase ihres Partners mit den Kindern vorübergehend zu ihren Eltern zieht. Und wenn die Situation sich zuspitzt im Zweifel eine Telefonnummer an der Hand hat, bei der man sich Hilfe holt – sei es von der Polizei, von Nachbarn oder von anderen Leuten, die eingreifen können. Zu dem richtigen Umgang gehört auch, dass mit trinkenden und reizbaren Suchtkranken keine Streitgespräche geführt werden, sondern abgewartet wird, bis der- oder diejenige wieder nüchtern ist.

Für Außenstehende ist es oft schwierig nachzuvollziehen, wieso sich die Angehörigen nicht von ihrem alkoholkranken Partner trennen. Ist das für Sie verständlich?

Wenn alkoholkranken Vätern oder Müttern der Zugang zur eigenen Wohnung versperrt wird oder die Partner wegziehen, um sich und die Kinder zu schützen, ist das natürlich vom Grundsatz her richtig. Richtig ist aber auch, dass so seine Situation für viele Suchtkranke der erste Schritt in die Wohnungslosigkeit und den totalen Absturz sein kann.

Ich kenne viele Mütter, die sagen, dass sie sich später von ihren Kindern nicht vorhalten lassen wollen, dass sie dafür verantwortlich sind, dass ihr Vater auf der Straße gestorben ist. Das ist kein Gesichtspunkt, den man als Therapeut haben würde, aber eine Ehefrau und Mutter hat so einen Gedanken eben. Und den kann ich auch nicht ganz vom Tisch weisen.

Trotzdem sollte niemand für den eigenen suchtkranken Partner zum Märtyrer werden. Niemand muss sich moralisch verpflichtet fühlen, die eigene Gesundheit oder sogar das eigene Leben und das seiner Kinder aufs Spiel zu setzen, um einen chronischen Alkoholkranken immer weiter über Wasser zu halten.

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Konkrete Hilfsmaßnahmen für Angehörige Alkoholkranker

Welche Möglichkeiten haben Angehörige noch, um Suchtkranken zu helfen?

Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Angeboten für Angehörige. Das fängt bei Selbsthilfegruppen an, zum Beispiel Al-Anon-Gruppen, die ihre Angebote speziell an Angehörige richten.

In einigen Städten gibt es Einrichtungen, wo sich betroffene Familien treffen und sich gegenseitig beraten. Dann gibt es noch das sogenannte Community Reinforcement & Family Training (CRAFT), bei dem Angehörige beraten werden, wie sie ihre suchtkranken Familienmitglieder stützen können. Hier stehen unter anderem die drei Hauptanker im Mittelpunkt, von denen wir gerade sprachen:

  • nicht meckern, ohne was zu machen
  • das Trinkverhalten nicht unterstützen, indem man alle daraus entstehenden Schwierigkeiten aus dem Weg räumt
  • Suchtkranke in stabilen Phasen unterstützen und fördern

Auch der Umgang mit Gewalt unter Alkohol spielt eine große Rolle.

„Eine der schädlichsten Folgen von Alkoholkonsum ist, dass Kinder sich schuldig und verantwortlich für die aktuelle Situation fühlen.“

Dr. Martin Reker
Leiter der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bethel, Bielefeld

Wie entscheidend ist die Rolle eines Angehörigen bei der Bekämpfung der Krankheit?

Also ich glaube, dass Angehörige die stärkste Einflussgröße sind, weil die Familie für Menschen extrem wichtig ist – auch für Suchtkranke. Das betrifft sowohl die Partnerschaft als auch die Kinder. Und deswegen müssen Partnerschafts- und Familienarbeit in der Arbeit mit Suchtkranken viel mehr gefördert werden in Deutschland.

Zurzeit ist das Arbeiten mit Suchtkranken überwiegend eine einzeltherapeutische Arbeit, bei der mit dem Suchtkranken allein gearbeitet wird. Dabei ist wissenschaftlich schon lange belegt, dass diese Arbeit sehr viel erfolgreicher sein kann, wenn man schon sehr früh Angehörige mit einbindet. Nicht als Co-Therapeuten, sondern als Einflussgröße, die das Ganze positiv beeinflussen kann. Davon profitieren am Ende Suchtkranke und Angehörige gleichermaßen. Die Suchtkranken erhalten eine bessere Chance, abstinent zu werden. Die Angehörigen lernen dabei Strategien, wie sie am besten mit schwierigen Situationen in Konsumphasen zurechtkommen.

Al-Anon-Gruppe leistet Hilfe für Angehörige von Alkoholikern.

© iStock / Prostock-Studio

In sogenannten Al-Anon-Meetings wird Freunden und Angehörigen von Alkoholikern geholfen.

Warum wird in Deutschland noch so viel auf Einzeltherapie gesetzt?

Das war in der Vergangenheit immer ein Abrechnungsproblem, weil Krankenkassen immer nur Einzelbehandlungen abgerechnet haben. Mittlerweile ist aber auch die systemische Familientherapie als Behandlungsform anerkannt. Dadurch ist die Möglichkeiten gewachsen, solche Behandlungsangebote zu nutzen.

Kann man den Suchtkranken bei einer Therapie ohne sein Einverständnis anmelden?

Man muss bedenken, dass der Suchtkranke immer selber entscheidet, ob er trinkt oder nicht. Eine Suchtberatung oder eine Therapie ist ja keine Gehirnwäsche. Sie kann nur etwas bewirken, wenn der Betroffene auch bereit ist mitzumachen. Insofern hat das keinen Sinn zu glauben, dass eine Anmeldung, die der Betroffene nicht mitträgt, zum Erfolg führt.

Statt druckvoll zu agieren, müssen Motive dafür geschaffen werden, dass der Suchtkranke eine Therapie für richtig hält. Und das geht eben über Verständnis für die Situation, Grenzsetzung und dem Hilfsangebot, gemeinsam mit dem betroffenen Partner einen Weg aus der Krise zu finden. Also indem Angehörige erklären, dass sie zwar nachvollziehen können, warum der Partner trinkt, aber dass sie gleichzeitig nicht bereit sind, das auf Dauer mitzumachen.

„Es muss auch immer Thema sein, wie man andere Familienangehörige schützen kann. Manchmal wird das sogar wichtiger, als den Betroffenen zu helfen.“

Dr. Martin Reker
Leiter der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bethel, Bielefeld

Einen Rückfall nicht tabuisieren

Wie sollten Angehörige mit einem Rückfall umgehen?

Ganz wichtig ist, dass Rückfall und Rückfall nicht dasselbe ist. In der Selbsthilfe-Szene wird das eine daher Vorfall und das andere Rückfall genannt. Es ist ein großer Unterschied, ob jemand einmal trinkt und das am nächsten Tag wieder im Griff hat oder ob jemand in eine richtige Konsumphase rutscht und mehr oder weniger sein Eigenleben führt.

Ein Rückfall sollte nicht tabuisiert werden, es sollte dafür viel mehr von vornherein eine Strategie geben. Eine Interventionsstrategie kann beispielsweise dabei helfen, einen Rückfall direkt am ersten Tag zu stoppen.

Wie kann so eine Interventionsstrategie aussehen?

Da können Kliniken eine Rolle spielen, die dann Aufnahmeangebote machen oder zum Teil mit den Patienten Behandlungsvereinbarungen treffen. Das kann so aussehen, dass sie stundenweise oder einen Tag in die Klinik kommen – also sehr niederschwellig – und sich dort einfach aufhalten, um den Konsum zu stoppen. So ein Modell kann man sich auch abseits vom Krankenhaus überlegen, dass man sich irgendwelche sicheren Räume überlegt oder dass die Frau mit den Kindern zu ihrer Mutter zieht. Auch als Schutz vor eventuellen gewalttätigen Phasen des Suchtkranken.

Es geht ja nicht immer nur darum, wie dem Suchtkranken geholfen werden kann. Es muss auch immer Thema sein, wie man andere Familienangehörige schützen kann. Manchmal wird das sogar wichtiger, als dem Betroffenen zu helfen.

Trotzdem bleibt es das Schönste, Familien mit bestehender Suchtproblematik dabei zu helfen, zu einem zufriedenen und glücklichen Leben zu finden, das vom Alkohol und/oder anderen Drogen nicht mehr beeinträchtigt wird. Trotz aller Gefahren, Risiken und Probleme, die hier geschildert worden sind, gelingt das häufiger, als man denkt. Es gibt vermutlich kein Land auf der Welt, das so viele so differenzierte Hilfemöglichkeiten hat wie Deutschland, und doch werden sie mindestens von 90 Prozent aller Betroffenen (noch) nicht genutzt. Darin liegt eine große Chance.

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