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Die Rosskastanie – Quelle wertvoller Rohstoffe für die Medizin

Veröffentlicht am:06.10.2025

6 Minuten Lesedauer

Im Schatten einer Rosskastanie lässt es sich im Sommer gut aushalten. Deshalb ist sie ein beliebter Park- und Stadtbaum. Außerdem liefert sie reichlich Material für herbstliche Bastelarbeiten. Weniger bekannt ist die heilende Wirkung ihrer Samen.

Herbstlicher Zweig eines Rosskastanienbaums, der drei Fruchtkapseln trägt. Eine der stacheligen Kapseln ist noch geschlossen, die mittlere ist geöffnet und lässt den bräunlichen Samen erkennen.

© iStock / srdjan111

Kurzportrait der Rosskastanie und warum sie nicht in unseren Wäldern wächst

Die Rosskastanie – mit vollem Namen Gewöhnliche Rosskastanie, wissenschaftlich Aesculus hippocastanum und in der Umgangssprache meist einfach Kastanie – ist ein vielgeschätzter Baum. Wir finden die Kastanie in Gärten und Grünanlagen, wo sie im Frühjahr mit ihren weißen und manchmal auch rosa Blüten ein echter Blickfang ist. Mit ihrer ausladenden Krone und den großen Blättern ist sie ein willkommener Schattenspender auf öffentlichen Plätzen und natürlich in bayerischen Biergärten, wo Kastanien bis ins 20. Jahrhundert zur Kühlung der darunter liegenden Bierkeller gepflanzt wurden.

In naturbelassenen Wäldern begegnet sie uns hingegen nicht, denn als Wildpflanze ist die Rosskastanie in Mitteleuropa seit der letzten Eiszeit, die vor mehr als 11.000 Jahren endete, ausgestorben. Damals wurde sie nach Südosteuropa verdrängt, wo sie auf dem Balkan, in Bulgarien, Nordmazedonien und im nördlichen Griechenland bis heute natürlich vorkommt. Von dort aus (über den Umweg der heutigen Türkei) gelangte die Rosskastanie wieder nach Mittel- und Nordeuropa, allerdings erst im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts.

Auch wenn sich die Rosskastanie im 17. Jahrhundert dank eines florierenden Samenhandels und ihrer großen Beliebtheit als imposanter Modebaum schnell in Mitteleuropa verbreitete und heute allgegenwärtig ist, hat sie in unseren Breiten also eine vergleichsweise kurze Geschichte.

Von Rosskastanien, Edelkastanien und Maronen: Alles Kastanie?

Ein Blick auf ihren wissenschaftlichen Namen verrät es: Edelkastanien, Castanea sativa, sind „echte“ Kastanien. Sie sind eng mit Eichen und Buchen verwandt. Rosskastanien (Aesculus hippocastanum) gehören wie der Ahorn zu den Seifenbaumgewächsen und sind nicht mit den Kastanien verwandt.

Die Ähnlichkeit der Samen von Edelkastanie und Rosskastanie führte in der botanischen Namensgebung zu dem Beinamen hippocastanum, von dem sich das deutsche „Rosskastanie“ ableitet. Hippo bzw. „Ross“ verweist vermutlich darauf, dass die Samen von Aesculus hippocastanum für den Menschen ungenießbar sind. Mit „Samen“ ist übrigens das gemeint, was wir in der Volkssprache meist als „Kastanien“ bezeichnen.

Und hier liegt der entscheidende Unterschied zur Edelkastanie: Letztere ist die Lieferantin der auf den Weihnachtsmärkten so beliebten Esskastanien. Die Marone oder Maroni wiederum ist eine besonders schmackhafte Art der Edelkastanie.

Weitere Unterschiede zwischen Ross- und Edelkastanie:

  • Die größeren Blätter der Rosskastanie setzen sich aus fünf Teilblättern zusammen, während die länglichen Blätter der Edelkastanie einzeln am Zweig wachsen.
  • Esskastanien haben eine flache, tendenziell dreieckige Unterseite. Die Samen der Rosskastanie sind größer und rundlicher.

Die Fruchthülle der Edelkastanie besteht aus vielen weichen Stacheln, die der Rosskastanie ist fest und mit vereinzelten harten Stacheln besetzt.

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Die Wirkung der Rosskastanie in der Volksheilkunde

Da die Rosskastanie erst in der frühen Neuzeit nach Mitteleuropa zurückkehrte, findet sie in den mittelalterlichen Kräuterbüchern keine Erwähnung. Trotzdem etablierte sie sich schnell als Heilpflanze in der Volksheilkunde.

  • Blüten

    Die Blüten der Rosskastanie wurden beispielsweise als Tee aufgegossen und gegen Husten eingesetzt. Blütenessenzen dienten zur Herstellung von Tinkturen oder Salben und fanden Anwendung bei Gicht, Rheuma und Hautkrankheiten.

  • Blätter

    Tees aus frischen oder getrockneten Blättern wurden bei den verschiedensten Beschwerden genutzt: bei Schmerzen und Schwellungen, Magen-Darm-Infekten oder Bronchitis. Auch Tinkturen aus Kastanienblättern fanden breite Anwendung: gegen Schwellungen, nach Knochenbrüchen, bei Venenleiden, Warzen, Geschwüren oder Frostbeulen.

  • Rinde

    Sude aus zerkleinerter und getrockneter Rinde dienten zum Beispiel zur Behandlung von Hautkrankheiten und als Sonnenschutz.

  • Samen

    Tinkturen aus den Samen der Rosskastanie galten als vielseitiges Heilmittel: gegen Ödeme, bei Verletzungen und Verstauchungen, bei Blutergüssen, Hämorrhoiden und Wirbelsäulenbeschwerden. Bäder mit den samen sollten gegen Rheuma, Gicht und Durchblutungsstörungen helfen und Essenzen gegen Leberleiden, Magenschleimhautentzündungen und Prostatabeschwerden. Weitere Darreichungsformen waren Zäpfchen aus gemahlenen Samen oder feines Samenmehl zum Schnupfen bei Erkältungen.

Zweig eines Rosskastanienbaums im Frühling. Aus den Blättern ragt ein Blütenstand mit weißen Kastanienblüten empor.

© iStock / Ildar Imashev

Aus den Blüten der Rosskastanie lässt sich ein Tee aufgießen, der beispielsweise gegen Husten helfen soll. Die medizinische Wirksamkeit von Rosskastanientee ist jedoch nicht nachgewiesen.

Wie so oft in der Volksheilkunde fehlen für die meisten Anwendungsgebiete von Rosskastanienprodukten naturwissenschaftliche Nachweise der Wirksamkeit. Manchmal ersetzt der Glaube an die Heilkraft das tatsächliche Heilpotenzial, während einige Wirkmechanismen noch nicht ausreichend verstanden sind. Ein vorsichtiges Fazit ist: Die Rosskastanie scheint viele Inhaltsstoffe in sich zu vereinen, die sich im Zusammenspiel positiv auf die Gesundheit auswirken könnten.

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Die Rosskastanie in der modernen Medizin

Für einige Inhaltsstoffe ist die gesundheitsfördernde Wirkung aber nicht nur vermutet, sondern wissenschaftlich nachgewiesen. Ein Beispiel ist das Aesculin, das vor allem in der Rinde aber auch im Samen enthalten ist. Aesculin ist in der Lage, ultraviolette Strahlen zu absorbieren und fluoresziert daher.

Wichtigster wirksamer Inhaltsstoff: Aescin

Aescin ist in den Samen, der Rinde und den Blättern der Rosskastanie enthalten. Aescin ist ein Gemisch aus verschiedenen Saponinen. Saponin wiederum ist die Bezeichnung für natürlich vorkommende Tenside. Tenside beeinflussen die Oberflächenspannung von Wasser, so dass es sich besser vermischen kann, zum Beispiel mit Fetten. Beim Schütteln von Tensiden mit Wasser entsteht ein seifenartiger Schaum. Waschmittel enthalten deshalb Tenside, damit Fett- und Schmutzteilchen aus dem Stoff besser ins Wasser übergehen. (Eine kleine Erinnerung: Die Rosskastanie gehört zu den Seifenbaumgewächsen – und tatsächlich gibt es Waschmittel auf Basis von Rosskastanien.)

Aescin als Arzneimittel

Das in der Medizin verwendete Aescin stammt hauptsächlich aus den Samen der Rosskastanie. Im menschlichen Körper vermindert Aescin die Durchlässigkeit der Blutgefäße, so dass weniger Wasser eingelagert wird. Darüber hinaus hat Aescin eine entwässernde und damit abschwellende Eigenschaft. Aescin wirkt außerdem schwach krampflösend und entzündungshemmend. Aufgrund dieses Wirkungsspektrums wird Aescin als Arzneimittel zur Behandlung von Schwellungen, Ödemen und Venenerkrankungen mit einem verminderten Flüssigkeitsabfluss eingesetzt. Auch Blutergüsse nach Verletzungen, Hämorrhoiden und Entzündungen oberflächlicher Venen können mit Aescin behandelt werden.

Haupteinsatzgebiet: Venenleiden

Die chronische Veneninsuffizienz (CVI) ist eine Erkrankung der Beinvenen, bei der das Blut schlecht abfließt und die typischerweise mit Schmerzen und Schweregefühl in den Beinen, nächtlichen Wadenkrämpfen, Juckreiz und Ödemen einhergeht. Kompressionsstrümpfe sind das wichtigste Behandlungsmittel, aber ergänzend dazu haben sich Aescin-Präparate zur oralen Einnahme als sehr wirksam erwiesen, beispielsweise zur Linderung von Ödemen, Beinschmerzen und Juckreiz. Neben Tabletten können auch Salben oder Gele mit Kastanienextrakten eingesetzt werden. Positiv an den Präparaten aus der Rosskastanie ist, dass sie sehr gut verträglich und unerwünschte Nebenwirkungen sehr selten sind.

Wie giftig sind Rosskastanien?

Es kommt vor, dass Kinder beim Basteln Kastanien essen. Die Samen der Rosskastanie sind ungenießbar und nur schwach giftig. Der Verzehr von bis zu zwei Kastanien ist deshalb in der Regel unbedenklich. Nichtsdestotrotz kann es zu Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen kommen. Als Gegenmittel reicht es meist, reichlich Wasser zu trinken.

Wenn Sie unsicher sind, wählen Sie den Giftnotruf.

Kritisch kann es allerdings werden, wenn eine Kastanie ganz verschluckt wird. Ein Besuch beim Kinderarzt oder der Kinderärztin ist angebracht: Kastanien können in verschiedenen Abschnitten des Verdauungstraktes wie Speiseröhre oder Magen stecken bleiben oder länger dort verbleiben. Dann muss die Kastanie eventuell entfernt werden.

Übrigens: Auch Hunde sollten (aus den gleichen Gründen) keine Kastanien verschlucken. Kastanien sind deshalb kein Spielzeug für Haustiere.

Fachlich geprüft
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